Nepal – Das letzte Strohfeuer der Kommunismus?

von Anton Harper

12/08

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Ungeheueres scheint in Nepal zu geschehen, fast zwanzig Jahre nach dem unrühmlichen Ende des „Realsozialismus“ des Ostblocks, erringt eine revolutionär auftretende kommunistische Partei in dem kleinen Himalaja-Staat die Macht. Das von dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama 1992 vorausgesagte „Ende der Geschichte“, das sich ja explizit auf den Niedergang dieses Kommunismus und den scheinbar endgültigen Sieg des Kapitalismus bezog, scheint (erneut) widerlegt.  

Doch was geschieht genau in Nepal und was bedeuten diese Ereignisse für eine emanzipatorische Perspektive?[1] 

Nepal ist eines der ärmsten Länder der Erde, etwa 90 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land und ernähren sich mehr schlecht als recht von der Landwirtschaft. Fast 40 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Industrie- und Dienstleistungssektor sind nur schwach entwickelt. Dazu kommt ein anachronistisches Kastenwesen und bis zum Erfolg der Maoisten eine zeitweise absolutistisch herrschende Monarchie. Seit den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kommt aufgrund dieser gesellschaftlichen Umstände immer wieder zu Aufständen auf dem Land und zur Gründung erster maoistischer Organisationen.

1995 entsteht dann aus verschiedenen maoistischen Gruppen die „Communist Party of Nepal Maoist (CPN-M). Diese ruft ein Jahr später den „revolutionären Volkskrieg“ aus und innerhalb eines Jahrzehntes gelingt es ihr in diesem Bürgerkrieg zwei Drittel des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Nachdem im Jahr 2002 König Gyanendra das Parlament auflöst, den Ausnahmezustand ausruft und den Krieg gegen die CPN-M ausweitet verliert die Monarchie die Unterstützung weiter Teile der Bevölkerung und es kommt in den folgenden Jahren zu Massenprotesten, die von einer Sieben-Parteien-Allianz der ehemaligen Parlamentsparteien angeführt werden. Als es zu einem Bündnis zwischen den Maoisten und diesem Parteienbündnis kommt, ist das Ende des der Monarchie besiegelt. 2006 wird ein Übergangsparlament eingesetzt, das im folgenden Jahr die Monarchie offiziell abschafft und Nepal in eine föderale demokratische Republik transformiert. Bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung im April 2008 gewinnt die CPN-M überraschend deutlich, verfehlt aber die absolute Mehrheit. Aufgrund dessen wird Ram Baran Yadav, von der „Nepalesischen Kongresspartei“ zum ersten Präsidenten der Republik Nepals gewählt. Der Führer der Maoisten, Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda („der Furchtlose“) wird aber zum Regierungschef ernannt. Damit sind die Maoisten der CPN-M an der Macht angekommen.  

Bricht nun in Nepal der Kommunismus aus? 

Die CPN-M selbst folgt programmatisch dem stalinistischen Zwei-Phasen-Modell. Dieses geht davon aus, dass es in einem weitgehend agrarisch geprägten Land mit vorkapitalistischen Bedingungen wie Nepal die Aufgabe der fortschrittlichen Kräfte sei, die Überreste des Feudalismus zu beseitigen und eine nachholende Entwicklung auf der Basis der kapitalistischen Produktionsweise durchzuführen. Dem indischen CNN-Ableger IBN erklärte Prachanda deshalb auch folgerichtig: „Unser Kampf richtet sich gegen den Feudalismus, nicht gegen den Kapitalismus. Zwischen der feudalen und der sozialistischen Stufe gibt es die kapitalistische.“ Er versprach deshalb auch ausländischen Investoren günstige Bedingungen für ihre Anlagen zu schaffen.

Die nepalesischen Maoisten stehen in dieser Hinsicht also in der Tradition der siegreichen russischen und chinesischen Revolution. Und auch die erfolgreichen nationalen Befreiungsbewegungen des letzten Jahrhunderts handelten in dieser Hinsicht und schufen damit letztendlich nur die Voraussetzung für eine kapitalistische Entwicklung in ihren Ländern. Für die Mehrheit der Bevölkerung bedeuten diese Ereignisse dagegen nur die Ersetzung der feudalen Ausbeutung durch die kapitalistische Ausbeutung, die Freisetzung von ihrem Land, was natürlich durchaus auch befreienden Charakter hat, und den Beginn der Lohnknechtschaft. Die siegreichen kommunistischen Parteien waren historisch also nichts anderes als die Wegbereiter des Kapitalismus in (aus kapitalistischer Sicht) rückständigen Ländern. Doch inzwischen ist fast jeder Winkel dieser Welt von der kapitalistischen Entwicklung erfasst und nur noch wenige Regionen, wie eben Nepal bedürfen überhaupt noch einer nachholenden Entwicklung. Damit kommt auch die Geschichte der traditionellen kommunistischen Parteien an ihr Ende. Ihre Aufgabe ist erfüllt. Sie werden nun nicht mehr benötigt. Und so ist es kein Wunder dass selbst ehemals stolze marxistische Parteien, wie die italienischen oder französischen Kommunisten inzwischen ein jämmerliches Dasein fristen, wenn sie sich nicht sogar in aggressiv-nationalistische und antisemitische Organisationen gewandelt haben, wie etwa die russischen Kommunisten. Es ist also nicht das Ende der Geschichte allgemein eingetreten, wie Fukuyama erwartet hatte, sondern nur das Ende der Geschichte der kommunistischen Parteien.

Für diejenigen aber für die der Kommunismus immer noch bedeutet „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx) steht die größte Aufgabe noch bevor. Die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Weltsystems und die Errichtung einer staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“.   

Anmerkungen

[1] Die folgenden Ausführungen stützen sich v. a. auf Informationen aus dem Artikel „Kein Zurück mehr. Der lange Weg der nepalesischen Maoisten vom Untergrund ins Parlament“, von Lutz Getschmann in der iz3w Nr. 308 vom September/Oktober 2008, S. 6.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung