Expedition ins Nazihirn
Andreas Klärners Buch "Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit" führt in ein unbekanntes Gebiet

Von Stefan Gleser

12/08

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Lars spielt in einer Skinheadband. Sven und Ronny haben Gewaltphantasien. Lena ist wegen ihres Verlobten zu den Rechten gekommen. Peter ist Funktionär der NPD und Michael fühlt sich der Avantgarde zugehörig.

Der Soziologe Andreas Klärner hat in seinem neuen Buch "Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit" der rechten Bewegung zwei Jahre aufs Maul geschaut. Er mietete sich in einer nordostdeutschen Großstadt ein und führte Gespräche mit Vertretern der jungen Naziszene. Klärner ging vorsichtig zu Werke. Immer ein Mobiltelefon dabei, immer jemandem mitteilen, wann, wo und mit wem er sich trifft; regelmässige Kontakte zu örtlichen Antifaschisten. Die Namen der Stadt und der Interviewten wurden umbenannt.
So unterschiedlich die Befragten sind, so schälen sich doch Gemeinsamkeiten heraus. Alle sehen keinen Widerspruch darin, Aberglauben, Ahnenkult und Rasse durchs globale Dorf zu jagen. Wie die Nazis, die gleichzeitig Blut und Boden und V-2-Raketen, Autobahnen und Scholle beschwören konnten, transportieren ihre Nachfolger reaktionären Inhalt durch modernste Technik. Allen floss Selbstvertrauen aus der Vergangenheit oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu, weniger durch Geleistetes. Allen war ein wirrer, diffuser Antikapitalismus von rechts, gegen "korrupte Eliten", zu eigen. Bebels Satz, wonach der "Antisemitismus der Sozialismus der dummen Kerls ist", war im Hintergrund immer zu hören. Alle beriefen sich auf das "Volk", das sie mittels Rasse, Blut, Kultur und Geschichte unterschiedlich definierten. Alle Teilnehmer waren gegen Humor oder gar Selbstironie abgehärtet.

Klärner seziert den Rechtsextremismus als "soziale Bewegung". Diese ist fließend, schwer fassbar, ständig in Veränderung begriffen. Kein verbindliches Programm, keine formale Mitgliedschaft, dafür aber eine breitgefächerte Palette von Propaganda: Mahnwache, Demonstrationen, Bürgerinitiativen. Verblüfft reagierte die Linke, wenn ihre Forderungen nachgeäfft wurden, etwa bei Protesten gegen Hartz IV oder die Globalisierung. Die Rechte versuchte, sich auch bei Demonstrationen gegen den Irak-Krieg in die Friedensbewegung einzuklinken.

Klärner unterscheidet drei Gruppen: "Lokale Bewegungselite", "Basisaktivisten" und "Umfeld der Bewegung". Die Übergänge sind unscharf, schwebend. Die Elite hat juristische Kenntnisse, sammelt Unzufriedenheit, um sie in ihr Programm zu pressen, und verfügt über überregionale Kontakte. Aktivisten übernehmen weniger prestigeträchtige Arbeiten wie Stände aufbauen, Flugblätter verteilen und Plakate kleben. Das "Umfeld" ist sozusagen Schnuppernazi. Gern willkommen bei Demonstrationen und notwendig für künftige Rekrutierung, rümpft die Elite indigniert die Elitenase, wenn das "Umfeld" all zu viel säuft und damit das neupolierte Image des biederen Patrioten wieder zerkratzt. Als Beschönigung empfindet Klärner die Definition "Bewegungsunternehmer" für den ausgewiesenen Neonazi Christian Worch. Klärner braucht aber solche Formulierungen, um Personen und deren Rolle innerhalb der Szene exakt zu gliedern.

Zuweilen scheinen Spitzel in der Szene nicht unbeliebt zu sein. Sie verhinderten ein Verbot der NPD, und Gewalttaten können auf sie geschoben werden. Laut Klärner verkünden Teile der Rechten ein "Gewaltmoratorium". Die Einschätzung der Gewalt ist differenziert. Die Rechte geht berechtigterweise davon aus, dass die Pogrome von Rostock und Hoyerswerda wesentlich mit zur Abschaffung des Grundrechts auf Asyl führten. Andererseits führte Gewalt zu Gegenprotesten. Vom Zeitpunkt der Untersuchung bis zur Gegenwart bevorzugt sie ein gemässigtes Aussenbild, das sich vom brutalen Skinheadimage abheben soll. Dazu passt, dass die Rechte in vollkommner Umkehrung der Geschichte sich als Opfer der Medien, der 68er, der political correctness präsentiert. Der Tritt mit dem Springerstiefel wich der Larmoyanz der "verfolgenden Unschuld" (Karl Kraus), etwa wenn sie bei Diskussionen nicht zugelassen oder ihre Forderung nach einem "nationalen Jugendzentrum" nicht erfüllt wurde. Ein Interviewter war überrascht von der Diskrepanz zwischen der Lufthoheit an den Stammtischen in den Dorfkneipen auf dem flachen Land und den hierzu im Vergleich dürftigen Ergebnissen der Rechten bei den Wahlen.

Gegen Klärners Buch wird eingewandt: Die Zeit zwischen Beobachtung und Veröffentlichung sei zu lang gewesen; die Anzahl der Befragten zu gering und er habe sich auf einen Ort beschränkt. Angesichts der Kommunikationsmöglichkeiten schwindet die Bedeutung der Stadt. Klärners erster Kontakt bestand in einem Gesprächsangebot in einer weit entfernten Gemeinde. Dass Klärner mit seiner exakten und unkonventionellen Beobachtung richtig lag, beweist seine Schlussfolgerung, dass die Rechte Kreide fressen und linke Vorschläge abkupfern wird.

Klärner hat den Gesprächen eine Geschichte des deutschen Rechtsextremismus seit 1945 vorangestellt. Zahlreiche, ausführlich wiedergegebene Interviews führen in eine fremde Welt, die direkt vor der Haustür liegt. Klärners Akribie ging so weit, sich teilweise der Lautschrift zu bedienen, um möglichst realistisch und lebensnah Atmosphäre zu zeichnen. Dank seiner genial einfachen Idee ist es vom Sofa aus bequem möglich, in das Innerste von Naziköpfen zu reisen. Klärners Erfahrung lehnt Gesprächsbereitschaft gegenüber den Rechten strikt ab. Er empfiehlt als wirksamstes Antidot gegen das braune Gift: ächten, isolieren, ausgrenzen.

Andreas Klärner
Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit
Selbstverständnis und Praxis der extremen Rechten
Hamburger Edition Hamburg 2008
ISBN-10 3936096937
ISBN-13 9783936096934
Gebunden, 348 Seiten, 25,00 EUR
 
Editorische Anmerkung:
Wir spiegelten den Text von "ScharfLinks"