Im Dezember 1944 entschied sich in
Athen das politische Schicksal Griechenlands für die nächsten
Jahrzehnte und es wurden die Weichen gestellt für eine
Entwicklung, die im Militärputsch des 21. April 1967 ihr
vorläufiges Ende fand. Britische Fallschirmjäger, unterstützt
von Flugzeugen der Royal Air-Force schlugen im Dezember 1944
unter der Führung von General Scobie einen Aufstand der ELAS,
der Partisanen-Verbände der Nationalen Befreiungsfront EAM
nieder. EAM und ELAS beherrschten beim Abzug der deutschen
Truppen nahezu ganz Griechenland. Die unter der gemeinsamen
Führung der Kommunisten und einiger sozialistischer Politiker
stehende EAM war während der deutschen Besatzungszeit zum
stärksten politischen Faktor des Landes geworden, denn der
König und die meisten bürgerlichen Politiker Griechenlands
waren beim Einmarsch der Deutschen außer Landes gegangen.
Während sich das griechische Bürgertum gegenüber der Besatzung
größtenteils passiv verhielt oder sogar zur Kollaboration
neigte, leisteten Arbeiter und Bauern dem Eindringling
erbitterten Widerstand. EAM und ELAS fiel dabei die
unbestrittene Führungsrolle zu; die später entstandenen
Résistance-Organisationen EDES und EKKA blieben
vergleichsweise unbedeutend (1). Es war das politische Ziel
der EAM, die Rückkehr des Königs nach Griechenland und die
Wiederherstellung der Macht der bürgerlichen Oligarchie zu
verhindern. Die EAM wusste sich dabei mit der Mehrheit des
griechischen Volkes einig, zumal Krone und Bürgertum durch
ihre Verantwortung für die Metaxas-Diktatur (1936-1940)
kompromittiert waren.
Weltpolitische Faktoren verhinderten
jedoch den längst überfälligen radikalen Wandel der griechischen
Gesellschaft. In einem Geheimabkommen über die Aufteilung der
Balkanländer in Einflußsphären, das Stalin und Churchill im
Oktober 1944 getroffen hatten, war Griechenland den Engländern
zugesprochen worden (2). Ein Sieg der revolutionären Kräfte der
griechischen Widerstandsbewegung passte daher nicht in Stalins
machtpolitisches Konzept und die bewaffnete Intervention der
Engländer und der Terror der faschistischen BandenKollaborateurs
Georgios Grivas ebneten der Restauration der Monarchie und der
Wiedereinsetzung des bürgerlichen Establishments in seine alten
Herrschaftspositionen den Weg. Wahlen im März 1946 und ein
Plebiszit über die Zukunft der Monarchie im September des
gleichen Jahres brachten die von der Schutzmacht England
gewünschten Ergebnisse (da die politische Linke Wahlen und
Plebiszit aus Protest gegen den Terror boykottierte): Einen
klaren Sieg der Konservativen und eine Mehrheit von 69 % für die
Rückkehr von König Georg.
Unter völliger Fehleinschätzung der
tatsächlichen Machtverhältnisse begannen die Kommunisten unter
der (...) Führung von Zachariadis, nachdem die Rechte sich
politisch und militärisch längst wieder etabliert hatte, eine
neue bewaffnete Auseinandersetzung, über deren Ausgang von
vornherein kein Zweifel bestehen konnte. Zwar wurden die
Guerillas von den angrenzenden sozialistischen Ländern mit
Waffen versorgt (von Jugoslawien nur bis zu Titos Austritt aus
dem Kominform), doch gleichzeitig erhielten die griechischen
Regierungstruppen seit März 1947, dem Zeitpunkt der Verkündung
der Truman-Doktrin, umfangreiche Militärhilfe von den USA. Das
Ergebnis des dreijährigen Kampfes war ein verwüstetes Land und
eine totale Diskreditierung der politischen Linken, die bis
heute in einem hysterischen Antikommunismus in der Armee und
weiten Kreisen des griechischen Bürgertums weiter besteht.
Mit der Verkündung der
Truman-Doktrin lösten die USA Großbritannien in der Rolle als
Schutzmacht Griechenlands (Großbritannien konnte dieser Rolle
aus wirtschaftlichen Gründen nicht länger gerecht werden) ab.
Sie haben diese Rolle bis heute beibehalten. In sehr
unsentimentaler Weise formulierte damals Walter Lippman die
Motive für die Verkündung der Truman-Doktrin: „We have selected
Turkey and Greece not because they are especially in need of
relief, not because they are shining exemples of democracy and
the four freedoms, but because they are the strategic gateway to
the Black Sea and the heart of the Soviet Union.“(3) Im Oktober
1951 trat Griechenland der NATO bei.
In den ersten Jahren nach Verkündung
der Truman-Doktrin scheuten sich die USA nicht, ihre Wünsche
bezüglich der griechischen Innenpolitik durch offene
Interventionen durchzusetzen. Die amerikanische Botschaft in
Athen entschied über die Termine der Abhaltung von Wahlen und
über die zur Anwendung kommenden Wahlsysteme. Die Drohung mit
der Einstellung der Wirtschaftshilfe pflegte auszureichen, um
den Widerstand griechischer Politiker gegen die fremde
Bevormundung zu brechen. In den letzten Jahren bedienten sich
die USA subtilerer Methoden, sie behielten jedoch ihren Einfluss
„in this delicate game of guiding the politics of an ally“, wie
die New York Times kürzlich formulierte „for in the byzantine
world of Greek poltics, American diplomates and CIA agents often
play as important a role as the Greek politicians themselves“.(4)
Nachdem in der Zeit bis zum Jahre
1952, in der die USA die Kräfte der liberalen Mitte (d. h. die
zersplitterten Nachfolgeparteien der Liberalen Partei des
Vorkriegspolitikers Eleftherios Venizelos) unterstützten, die
gewünschte innenpolitische Stabilität sich nicht herstellen ließ
- General Plastiras, der Führer der stärksten der Mittelparteien
der nationalen progressiven Zentrumsunion (EPEK), brachte es
nicht zur Bildung einer langlebigen Regierung -, wurde der
rechtsstehende Bürgerkriegsgeneral Papagos zum Favoriten
auserkoren. Er erhielt bei den Wahlen von 1952, dank vorheriger
Einführung des Mehrheitswahlrechts, 247 der 300 Sitze des
griechischen Parlaments bei einem Stimmenanteil von weniger als
50 %. Bis 1963 regierte die Rechte ununterbrochen. Nach Papagos
Tod im Jahre 1955 trat Konstantin Karamanlis seine Nachfolge an,
und seine Partei, die Nationalradikale Union (ERE), gewann durch
Wahlrechtsmanipulationen und rücksichtslosen Einsatz des
gesamten Staatsapparates sowie des Militärs die drei folgenden
Wahlen (5).
Die Ära Papagos - Karamanlis findet
bei zahlreichen Beobachtern als eine Phase der politischen und
wirtschaftlichen Stabilität eine positive Beurteilung.
Tatsächlich wurde in diesen Jahren einebeachtliche
Wiederaufbauarbeit geleistet, in der Hauptsache jedoch nur auf
dem Gebiet der Infrastruktur. Gleichzeitig ist eine weitgehende
Stagnation der Industrialisierung zu beobachten; der Beitrag des
verarbeitenden Gewerbes zum Nationaleinkommen blieb zwischen
1954 und 1962 nahezu unverändert (6). Der Anteil der Industrie
an der Gesamtausfuhr Griechenlands nahm nur geringfügig zu (7).
Gleichzeitig verstärkte sich die monopolitische Struktur der
griechischen Wirtschaft; Großkonzerne wie Esso-Pappas und
Pechiney konnten sich dank der von der Regierung Karamanlis
gewährten großzügigen Vertragsbedingungen, die von der
Opposition zu Recht als neokolonialistisch gekennzeichnet
wurden, die absolute Vorherrschaft in der chemischen,
erdölverarbeitenden, Aluminium- und Stahlindustrie sichern. Das
Problem der hohen Arbeitslosigkeit blieb ungelöst. Der Export
von Arbeitskräften, der in die Hunderttausende ging, vermochte
zwar durch die Rücküberweisungen zu einem der wichtigsten Posten
der Zahlungsbilanz zu werden, verewigte aber gleichzeitig die
wirtschaftliche Abhängigkeit des Landes.
Das Karamanlis-Regime stand im
Zeichen wachsender Unterdrückung jeder Opposition. Die völlige
Vernachlässigung der sozialen Probleme bedingte eine steigende
Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise. Man glaubte jedoch
zunächst den Unwillen der arbeitenden Bevölkerung nicht fürchten
zu müssen. Aus dem Lande beherrschten die nationalen
Sicherheitsbrigaden (TEA), aus der Bürgerkriegszeit
übriggebliebene bewaffnete Zivilmilizen das Feld, unterdrückten
jede Opposition und indoktrinierte die bäuerliche Bevölkerung im
Sinne eines primitiven Antikommunismus. In den Städten bildeten
sich in Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden sog.
„halbstaatliche Organisationen“ (parakratikes organossis),
Terrorgruppen, die besonders bei Wahlkämpfen zum Einsatz kamen.
Eine dieser rechtsradikalen Organisationen, die von einem
ehemaligen Kollaborateur der Hitler-Besatzung geleitet wurde,
führte im Jahre 1963 in Thessaloniki den Mord an den
Abgeordneten Grigorios Lambrakis aus. Der Unterdrückung diente
außerdem ein umfangreiches Paket von Ausnahmegesetzen, teils aus
dem Bürgerkrieg, teils noch aus der Metaxas-Diktatur (1936 bis
1940) stammend, die die Opposition wegen ihrer Unvereinbarkeit
mit der geltenden Verfassung häufig als Parasyntagma, als
Nebenverfassung bezeichnete (8). Die Ausnahmegesetzgebung
lieferte den nach Auffassung der zuständigen
Sicherheitspolizeibehörde nicht „nationalgesinnten“ Bürger einem
lückenlosen System der administrativen Verfolgung und
wirtschaftlichen Repressionen aus. Die Art der
Repressionsmaßnahmen reichte von der Verweigerung eines
Reisepasses oder Führerscheins bis zur sog. „administrativen
Deportierung“, d. h. der Einweisung in ein Internierungslager,
ohne dass es dazu eines Gerichtsurteils bedurft hätte. Das
„Gesinnungszeugnis“ (pistopiitikon phronimation), ausgestellt
vom zuständigen Polizeirevier, ahm einen festen Platz im Alltag
des Griechen ein. Die Ausnahmegesetzgebung war ursprünglich nur
zur Unterdrückung der Kommunisten gedacht, doch wurde von den
Behörden die Bezeichnung Kommunist häufig großzügig ausgelegt,
besonders auf dem Lande, wo das Lesen einer liberalen Zeitung
den Leser bereits kompromittierte.
Nach den Wahlen von 1961, die im
Zeichen systematischer Fälschungen und des Terrors standen,
sammelte sich die Opposition in den städtischen Zentren zum
Widerstand. Es gelang dem alten Liberalen Georg Papandreau, die
zersplitterten Gruppen der Mitte unter seiner Führung zu
sammeln. Seine Partei, die bürgerliche Zentrumspartei, begann
den „unnachgiebigen Kampf“ (anendotos agonas); mit Streiks und
Massendemonstrationen sollte die Regierung Karamanlis zum
Rücktritt gezwungen werden. Unterstützt wurde der Kampf von der
Vereinigten Demokratischen Linken (EDA); Papandreou lehnte
jedoch die politische Zusammenarbeit ab und verkündete den
„Zweifrontenkrieg“.
Die EDA war im Jahr 1951 als Folge
des Verbots der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE)
entstanden, war allerdings nicht als einfache Nachfolge- oder
Ersatzorganisation der KKE zu verstehen. Gegründet als eine
Koalition nichtkommunistischer Linksgruppen, wurde die EDA zum
Sammelbecken der gesamten griechischen Linken, von den
Kommunisten bis hin zu gemäßigten Sozialisten, Gewerkschaftlern
und anderen Linksdemokraten, die sich keiner der bürgerlichen
Parteien anschließen wollten. Eine sozialdemokratische Partei
mit einer nennenswerten Massenbasis hat es in Griechenland nie
gegeben; die Geschichte der griechischen Arbeiterbewegung fällt
im wesentlichen mit der Geschichte des KKE zusammen. (9) Einen
großen Teil der Kader der EDA stellten ehemalige
Widerstandskämpfer verschiedener politischer Provenienz, die
aufgrund der wohl in ganz Europa einmaligen offiziellen
Diffamierung der Résistance verbittert waren.
Auf der politischen Bühne
Griechenlands war die EDA als straff geführte moderne
Massenpartei den Honoratiorenparteien des bürgerlichen Lagers,
die noch immer die wesentlichen Merkmale ihrer Entstehung nach
der neugriechischen Staatsgründung im vorigen Jahrhundert
trugen, in vieler Hinsicht überlegen, zumindest bei Einhaltung
der parlamentarischen Spielregeln. Die an der Macht befindliche
griechische Rechte hielt es allerdings angesichts des ihr zur
Verfügung stehenden Machtapparates nicht für nötig, sich mit der
Opposition, eingeschlossen die Zentrumsunion, im Rahmen dieser
Spielregeln auseinanderzusetzen. Sie konnte auf zwei mächtige
Bundesgenossen zählen: Krone und Armee. Im Gegensatz zur ERE
machte die Zentrumsunion in den letzten Jahren eine Wandlung
durch. Mit dem Auftreten Andreas Papandreou, des Sohnes von
Georg Papandreou, einem international renommierten
Nationalökonomen der neoliberalen amerikanischen Schule, der
jahrelang an amerikanischen Universitäten als Professor gewirkt
hatte, begann sich die Partei in Organisationen und Programmatik
langsam zu modernisieren, gegen den heftigen Widerstand des
älteren Parteiestablishments.
Im Frühjahr 1963 erreichte der Kampf
gegen das Karamanlis-Regime seinen Höhepunkt. Als im Mai 1963
der Abgeordnete Grigorios Lambrakis, Dozent für Gynäkologie an
der Universität Athen und Führer der griechischen
Atomwaffengegner, anlässlich einer Friedenskundgebung in
Thessaloniki von rechtsradikalen Terroristen ermordet wurde, war
das Ende der Karamanlis-Ära gekommen. Anlässlich einer
geringfügigen Auseinandersetzung mit König Paul trat Karamanlis
kurze Zeit nach der Lambrakis-Affäre zurück. Im Herbst des
gleichen Jahres durchgeführte Wahlen brachten eine eindeutige
Mehrheit für die Zentrumsunion, die aber für die
Regierungsbildung nicht ausreichte. Ein Angebot
parlamentarischer Unterstützung durch die EDA lehnte Papandreou
ab; die dadurch erforderlich werdenden Neuwahlen im Februar 1964
brachten der Zentrumsunion einen Stimmenanteil von 53 %, eine
Stimmenmehrheit, wie es sie in der neugriechischen Geschichte
kaum je gegeben hat.
Unter der Regierung Papandreou
begann eine - wenn auch nur kurze - Periode der innenpolitischen
Liberalisierung. Gleichzeitig wurden umfangreiche Reformen auf
wirtschafts-, sozial- und bildungspolitischem Gebiet
eingeleitet. Andreas Papandreou entwarf ein Wirtschaftsprogramm,
das Planifikation und Privatinitiative miteinander zu verbinden
trachtete (10). Eine verstärkte Industrialisierung sollte Hand
in Hand gehen mit einer Umverteilung des Nationaleinkommens, um
die Kaufkraft insbesondere der bäuerlichen Bevölkerung zu
erhöhen. Schließlich wurde eine gewisse Kontrolle der
Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Monopole in Griechenland
in Aussicht genommen. Die Demokratisierung des Staatsapparates,
die Unterwerfung der Armee, die zu einem Staat im Staate
geworden war, unter die gewählte politische Führung und die
Einschränkung der Macht der Krone sollten langfristig die
innenpolitische Anomalie beenden und ein stabiles
parlamentarisches System in Griechenland etablieren.
Der Widerstand der Gegner jeder
politischen und wirtschaftlich-sozialen Reform in Griechenland
sollte sich jedoch als stärker erweisen. Die Regierung
Papandreou scheiterte bereits bei dem versuch, den Staatsapparat
unter Kontrolle zu bekommen. Seit 1936, dem beginn der
Metaxas-Diktatur, hatte in Griechenland fast ununterbrochen die
politische Rechte geherrscht, und der in der Metaxas-Ära von
allen fortschrittlichen Kräften „gesäuberte“ Staatsapparat
behielt bis zum Regierungsantritt Papandreous seine nahezu
unveränderte personelle Struktur bei. Ministerialbürokratie,
Polizei, Gendarmerie und Armee wurden weitgehend von den
Anhängern der Rechten beherrscht; zu einem großen Teil verloren
nicht einmal die Kollaborateure der deutschen Besatzung ihre
Positionen, ein in ganz Europa einmaliges Phänomen. Selbst in
den, seit eh und je vom Staat weitgehend kontrollierten
Gewerkschaften herrschte ein Mann, der unter Metaxas zu Amt und
Würden gekommen war.
Der Versuch, in Griechenland ein
funktionierendes parlamentarisches System westeuropäischen
Zuschnitts zu begründen, lief sowohl den Interessen der
privilegierten Finanzoligarchie als auch denen der Krone
zuwider. Beide mußten um eine Schwächung ihrer Machtstellung
fürchten, wie sie sich nur in der semi-feudalen Struktur einer
patriarchalischen griechischen Gesellschaft aufrechterhalten
ließ. Die Krone hatte es um so leichter, die reformistischen
Bestrebungen der Regierung Papandreou wirksam zu bekämpfen, als
die Zentrumsunion selbst, alles andere als eine homogene Partei,
zu einem großen Teil aus Abgeordneten der alten
Politikergeneration bestand, die die Interessen der
Finanzoligarchie vertraten und deren politische Zukunft von dem
alten, auf Protektion und Nepotismus begründeten System abhängig
war. Die zunehmend deutlicher werdenden Bemühungen der Regierung
Papandreou um eine Politik der nationalen Emanzipation un der
Zurückdrängung des politischen und wirtschaftlichen Einflusses
der ausländischen Mächte (wobei an eine Politik des Neutralismus
oder an einen Austritt aus der NATO nicht im entferntesten
gedacht war) rief jene politische Kräfte in den USA auf den
Plan, für die es eine unerträgliche Vorstellung war,
Griechenland aus der politischen Entmündigung zu entlassen. Die
Behandlung des Zypernkonflikts durch die Regierung Papandreou,
die sich im Gegensatz zu Karamanlis in dieser für die
Südostflanke der NATO so prekären Frage den amerikanischen
Lösungsvorstellungen zu widersetzen versuchte, mußte den
zusätzlichen Unwillen des State Department hervorrufen. So war
dann auch der Sturz dieser Regierung nur eine Frage der Zeit.
Unmittelbarer Anlass wurde die sogenannte Aspida-Affaire, eine
angebliche linke Offiziersverschwörung, von der es immer
zweifelhafter wird, ob es sie überhaupt gegeben hat (11). Das
Gerücht von der Existenz einer Gruppe linker Offiziere, die
zusammen mit Andreas Papandreou die Macht in der Armee
übernehmen, den König stürzen und eine nasseristische Diktatur
in Griechenland errichten wollten, wurde Anfang 1965 von
Georgios Grivas lanciert, der damals die zypriotische
Nationalgarde, ein nicht der zypriotischen Regierung
unterstehendes Kontingent der griechischen Armee, kommandierte.
Grivas erhoffte sich von einem Sturz der Regierung Papandreou
eine Stärkung der eigenen Position gegenüber seinem Feinde
Makarios. Das einzige Beweisstück, das im Laufe der
spektakulären Aspida-Affäre auftauchte, war ein
maschinenschriftlicher Text ohne Unterschrift, der sog.
Aspida-Eid. Aber die Krone (nach dem Tode König Pauls, kurz nach
Papandreous Regierungsantritt, hatte Konstantin II. Den Thron
bestiegen) wie auch die politischen Gegner der beiden Papandreou
in der Zentrumsunion ergriffen nur zu gern die Gelegenheit zu
ihrem Sturz, der dann auch im Juli 1965 erfolgte.
Der vom Königshof inszenierte Sturz
des Führers der Mehrheitspartei war ein offener
Verfassungsbruch, der eine parlamentarische Dauerkrise
einleitete und den eigentlichen Auftakt zum Putsch des 21. April
1967 darstellte. Es gelang zunächst, durch Abgeordnetenkauf
Papandreous absolute Mehrheit im Parlament zu brechen, nicht
aber, die Zentrumsunion insgesamt zu spalten. Um Neuwahlen zu
vermeiden, die Papandreou mit Sicherheit wieder einen klaren
Sieg gebracht hätten, wurden mehrere aufeinander folgende
Versuche zur Regierungsbildung unter Ausschluss der
Zentrumsunion unternommen. Erst im September gelang es dem
Führer der Fraktion der inzwischen 48 „abtrünnigen“ (der
griechische Volksmund pflegte sie Apostaten zu nennen)
Zentrumsabgeordneten, Stephan Stephananopoulos, mit einem
Duldungsvotum der ERE eine Regierung zu bilden, die bis zum
Dezember 1966 am Ruder blieb. Ihr zunehmender Autoritätsschwund
führte zu Korruption und Misswirtschaft bisher nicht gekannten
Ausmaßes. Sie war ständigen Pressionen des Hofes und der ERE
ausgesetzt und mußte Schritt für Schritt die unter Papandreou
getroffenen Liberalisierungsmaßnahmen rückgängig machen, während
gleichzeitig der Ruf nach Neuwahlen immer stärker wurde.
Massendemonstrationen, die durch brutalen Polizeieinsatz
unterdrückt wurden, waren an der Tagesordnung. Es zeigte sich,
dass die Regierung Stephanopoulos kein Ausweg aus der Krise und
dem Wunsch der breiten masse des griechischen Volkes nach
Neuwahlen nachgegeben werden mußte. Dazu gab es nur eine einzige
Alternative: die Diktatur.
Es soll an dieser Stelle nicht
versucht werden, das verwirrende Spiel hinter den Kulissen
während der letzten Monate vor dem Putsch zu analysieren. (12)
Während offiziell die Vorbereitungen für die Wahlen getroffen
wurden - zunächst von der Übergangsregierung Paraskevopoulos,
nach deren Rücktritt durch den Führer der ERE, Kanellopoulos -,
bereiteten sich im Hintergrund zwei verschiedene Gruppen auf die
Machtübernahme durch den Staatsstreich vor - der König mit den
ihm ergebenen Generälen und die Junta der Obersten um Georgios
Papadopoulos und Nikolaos Makarezos, die ihre Pläne schneller
und konsequenter zu verwirklichen verstand.
Das griechische Volk hatte nach der
Mataxas-Diktatur, der deutschen Besatzung, dem Bürgerkrieg und
dem Karamanlis-Regime in den Jahren 1963 - 1965 nur eine kurze
Zeit der beginnenden Demokratisierung erlebt. Am 21. April 1967
mußte es für den Versuch der innenpolitischen und nationalen
Emanzipation mit dem völligen Verlust seiner Freiheit bezahlen.
Der Putsch des 21. April 1967 in
Griechenland
Die Technik des Putsches, der am 21.
April 1967 in einem nächtlichen Handstreich in Griechenland die
parlamentarische Ordnung beseitigte und eine faschistisches
Militärregime etablierte, darf auch über den fall dieses kleinen
Landes hinaus Interesse beanspruchen - wurde der Putsch doch mit
einem technischen Instrumentarium durchgeführt, wie es auch in
anderen NATO-Ländern, zumindest in den Schubladen, zur Verfügung
steht. In Griechenland wurde der Umsturz mit Hilfe des
NATO-Planes „Prometheus“ praktisch ausgeführt und unter
Anwendung der Notstandsverfassung „legalisiert“. Der offizielle
Zweck des „Prometheus“-Planes war, wie die New York Times am 3.
Mai 1967 berichtete, im falle eines Krieges mit einem
kommunistischen Land „schnellstens die kommunistischen Führer zu
verhaften, um Subversionsarbeit im Untergrund zu verhindern, und
die Schlüsselpositionen in Verwaltungs- und
Kommunikationszentren zu besetzen, um Sabotageakte abzuwehren
...“ Wie die New York Times weiter ausführt, stammte die letzte
Variante dieses Planes aus dem Jahre 1956. Die Vermutung, dass
in den Generalstäben auch anderer NATO-Länder ähnliche Pläne
existieren, wurde kürzlich durch die Veröffentlichungen der
norwegischen Zeitung „Orientierung“ bestätigt (vgl. Berliner
Extradienst v. 20. 3. 1968), die in den Besitz geheimer
NATO-Dokumente gekommen ist, die Richtlinien für
USA-Interventionen in NATO-Mitgliedsstaaten im Falle des Krisen-
oder Ausnahmezustandes enthalten.
Eine ideale Ergänzung des „Prometheus“-Planes
war für die Putschisten das juristische Instrumentarium der
griechischen Notstandsverfassung. Die Suspendierung der
Grundrechtsartikel der griechischen Verfassung und die
Inkraftsetzung des aus dem Jahre 1912 stammenden Gesetzes über
den Belagerungszustand, die der griechische Militärsender am 21.
April in Form eines königlichen Dekretes pausenlos verkündete,
geschahen unter Berufung auf Artikel 91 der griechischen
Verfassung (Dok. 1-3), und die Notstandsaktion der Obersten
erhielt auf diese Weise einen Anschein der Legalität, der zum
Gelingen des Unternehmens wesentlich beitrug. Dass das
königliche Dekret weder vom König noch vom amtierenden
Ministerpräsidenten Kanellopouos unterzeichnet worden war,
stellte sich erst zu einem Zeitpunkt heraus, als die Junta
bereits uneingeschränkt im Besitz der Macht war. Natürlich
enthielt auch die griechische notstandsverfassung Klauseln zu
Absicherung gegen einen Missbrauch. Wie hoch der Wert solcher
Absicherungen allerdings einzuschätzen ist, das hat sich am
griechischen Beispiel exemplarisch gezeigt. Innerhalb von 10
Tagen nach Verkündung des Ausnahmezustandes hätte das
griechische Parlament über Aufrechterhaltung oder Aufhebung der
Notstandsmaßnahmen entscheiden müssen. 10 Tage nach dem 21.
April befand sich aber bereits der größte Teil der griechischen
Abgeordneten in Gefängnissen und Internierungslagern oder stand
unter Hausarest. In der Annahme, dass der größte Teil der
griechischen Bevölkerung den Wortlaut der Verfassung ja doch
nicht kennen würde, ließ die Junta in den ersten nach dem putsch
erscheinenden zensierten Zeitungen zwar das königliche Dekret
über die Verkündung des Belagerungszustandes sowie sämtliche
aufgrund dieses Dekrets aufgehobenen verfassungsartikel im
vollen Wortlaut abdrucken, nicht aber den Artikel 91. So fiel es
zunächst auch nicht auf, dass sich unter den suspendierten
Verfassungsartikeln im Widerspruch zu Artikel 91 auch der
Artikel 18 befand, der die Todesstrafe für politische Verbrechen
und die Folter für abgeschafft erklärt. Dieser Schönheitsfehler
wurde später von den Juristen der Junta korrigiert, was
allerdings die Junta nicht daran hintern konnte, die Folter zu
einer festen Einrichtung zu machen.
Um die Bevölkerung Griechenlands und
die Weltöffentlichkeit über ihre langfristigen Ziele
hinwegzutäuschen, ließ die Junta die Stelle des
Ministerpräsidenten zunächst von dem obersten griechischen
Staatsanwalt Kollias (dem auch die Rolle zufiel, das griechische
Volk am 21. April über die Gründe des Putsches aufzuklären,
Dok.4) besetzen; auch andere Ministersessel wurden von hohen
Justizbeamten des Landes eingenommen. Erst am 13. Dezember 1967,
nach dem gescheiterten „Gegenputsch“ König Konstantins wurde
Kollias entlassen und der Chef der Junta, Georgios Papadopoulos,
ernannte sich auch nominell zum Regierungschef.
Die Anpassung vieler hoher Vertreter
der griechischen Justiz an die Wünsche der neuen Machthaber
vollzog sich ebenso reibungslos wie diejenige der 3. Gewalt nach
der Machtergreifung 1933 (dies gilt auch für die meisten der
griechischen Rechtsgelehrten an den Universitäten Athen und
Thessaloniki). Demokratische Richter und Staatsanwälte, die sich
weigerten, den Unrechtsstaat zu sanktionieren, wurden aus ihrem
Amt gejagt, während die anderen der ordnungsliebenden Junta den
gesetzestechnischen Apparat für ihre weitere Arbeit lieferten.
Bereits am 5. Mai 1967 wurde ein Verfassungsakt über die
„Ausübung der Verfassungs- und Gesetzgebungsgewalt“ erlassen,
der der Junta für alle weitere Gesetzgebungsarbeit als Grundlage
diente (Dok. 5).
Anmerkungen
(1) Vergl. Hierzu das grundlegende
Werk über die griechische Widerstandsbewegung von André Kédros,
La résistance grecque (1940-1944). Le combat d’un peuple pour sa
liberté, Paris 1967.
(2) Vergl. Hierzu Xydis, Stephan G.,
The Secret Anglo-Soviet Agreement on the Balkans of October
1944, Journal of Central European Affairs XV (1965), S. 248 ff.
(3) New York Herald Tribune, 1.4.
1947.
(4) New York Times, 10. 9. 1967.
(5) Die beste Darstellung der
innenpolitischen Situation in Griechenland nach dem 2.
Weltkrieg, insbesondere für die Aera Karamanlis, ist Jean
Meynaud, Les forces politiques en Grèce, Montreal 1965.
(6) Er betrug durchschnittlich 18 %,
dagegen in Jugoslawien im Jahre 1962 40 %. Vergl. Pesmazoglou,
joannis S., Wirtschaftsbeziehungen griechenlands mit dem
Ausland, Vergleiche und Probleme, in: Deutsch-Südosteuropäische
Wirtschaftsprobleme, Südosteuropa-jahrbuch, 6. Band, München
1966, S. 58.
(7) Er stieg zwischen 1955 und 1962
von 7 auf 11 %. a.a.O., S. 56.
(8) Vergl. Zur Frage der
Ausnahmegesetze Dagtoglu, P., Die Verfassungsentwicklung in
Griechenland von der Einführung der geltenden Verfassung bis zum
Tode König Pauls, ein Rückblick: 1952-1964, in: Jahrbuch des
öffentlichen rechts, N. F. 14 (1965), S. 381 ff.
(9) Die bisher einzige Geschichte
des KKE ist Kousoulas, G. D.; Revolution and Defeat. The Story
of the Greek Communist Party, London 1965.
(10) Zum Wirtschaftsprogramm Andreas
Papandreous vergl. Rousseas, Stephan, The Death of a democracy,
new York 1967.
(11) ZU den Hintergründen der
Aspida-Affaire vergl. Rousseas, a.a.O., S. 25 f. u. S. 227-268.
(12) Die vorläufig beste Analyse der
Ereignisse seit dem Sturz Papandreous lieferte Jean Meynaud mit
seiner Studie: Rapport sur l’abolition de la démocratie en Grèce,
Montreal 1967.
[Anm.: Dokumente in der
Quellenausgabe]
Editorische
Anmerkungen
Der Auszug stammt aus:
Griechenland 21. April 1967.
Dokumente.
1968 Verlag Studentenschaft Bonn/Beuel.
Herausgegeben vom Verband Deutscher Studentenschaften.
Griechenland
zwischen Bürgerkrieg und Diktatur; I. Der Putsch des 21. April
1967; S. 9-18.
Er wurde am
13.12.2008 von Reinhold Schramm besorgt.
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