Wofür kämpft die neue Studibewegung wirklich!

von Theo

12/09

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In vielen Aufrufen und v. a. in den Beiträgen der Medien, die dem Studierendenprotest attestieren, er mache dankenswerterweise auf ein sträfliches Versäumnis der Bildungspolitik aufmerksam, wird „mehr Bildung“ gefordert mit dem Argument, von ihr hänge schließlich die Zukunft der ganzen Nation, insbesondere der nationalen Wirtschaft, ab. Diese werfen der Politik vor, vergessen zu haben, dass „Bildung unser einziger Rohstoff“ sei und machen Vorschläge, wie man Unterricht und Studium so „reformieren“ sollte, dass aus der Bundesrepublik Deutschland wieder eine „Bildungsrepublik“ werde. Typisch dafür ist die Petition der bayerischen LandesAstenKonferenz (LAK) an den Bayerischen Landtag:

„Angesichts des herrschenden Fachkräftemangels halten wir es für äußerst kontraproduktiv, talentierte junge Menschen von einem Studium abzuhalten.“ (http://studiengebuehrenbayern.de/petition/ )

Wer so protestiert, führt sich als ideeller Ressourcenverwalter auf. Ihm ist es offensichtlich selbstverständlich, dass Wissen für keinen anderen Bedarf da ist als für den der heimischen kapitalistischen Wirtschaft und seiner Verwaltung. Bildung braucht es in dem Maße, wie sie dem nationalen Standort nützt! Wer so argumentiert, lässt sich mit den wirklichen Ressourcenverwaltern auf einen – im schlechten Sinne konstruktiven – Dialog ein: Bei dem bekommt er zu hören, dass ein „Bummelstudium“ natürlich auch nicht nützlich, sondern „äußerst kontraproduktiv“ sei; dass die Wirtschaft nicht nur hoch qualifizierte Masters brauche, sondern auch halb qualifizierte Bachelors; und dass es dem Standort nütze, wenn sich an den Kosten zur Ausbildung der Ressource ‚Fachkraft‘ auch Sponsoren aus der Wirtschaft und – Studierende mit Studiengebühren beteiligen. Sollen derart konstruktive Beschwerden auch als willkommene Bestandteile der Protestbewegung verstanden werden?

Warum effektiviert der Staat die „Ressource Bildung“?

Der Staat hat eine Kritik an seinem Bildungswesen: Die Ausbildung deutscher Hochschulabsolventen dauert ihm im europäischen Vergleich zu lange, kostet ihn zu viel und sie ist ihm zu wenig auf die spezifischen Bedürfnisse der Arbeitswelt zugeschnitten. Außerdem bringe sie im internationalen Vergleich zu wenige Spitzenleistungen, z B. Nobelpreise, hervor. Diese Kritik hat er in die Praxis umgesetzt. Die gymnasiale Schulzeit wurde auf 8 Jahre verkürzt und dabei das Lernpensum verdichtet. Die universitäre Bildung wurde modularisiert, die Zwischenprüfung zum eigenständigen Universitätsabschluss (Bachelor) erklärt, das weitergehende, vertiefte Studium (Master) stark beschränkt und den Studenten ein Beitrag zur Finanzierung ihrer Ausbildung abverlangt, in die auch ‚die Wirtschaft‘ verstärkt einbezogen wird.

Sehr deutlich wird also klargestellt, wozu in dieser Gesellschaft Bildung da ist: Erklärtermaßen soll sie kapitalistischen und öffentlichen Arbeitgebern junge und für ihren Bedarf passend qualifizierte Arbeitskräfte liefern. Insofern interessiert das Wissen als Qualifikation: Vermittelt wird, was den jeweiligen Arbeitgebern dient und die Lernenden diesem Bedarf dienstbar macht. Die Vermittlung dieses Wissens ist in der Form des Leistungsvergleichs organisiert, d. h. an der Wissensaneignung pro Zeit sollen sich die Lernenden unterscheiden. Bezwecktes Resultat dieser Konkurrenzveranstaltung ist die Auseinandersortierung der Schüler und Studenten in eine differenzierte Hierarchie von Bildungsabschlüssen. Diese sind ihrerseits Zulassungsvoraussetzungen zur hierarchisch gegliederten Welt der Arbeitsplätze, die die Arbeitgeber zur Verfügung stellen, – und von denen hängen bekanntlich die Einkommenshöhen ab, die die Lebensverhältnisse in der Klassengesellschaft bestimmen.

Mit dem erfolgreichen Durchlaufen der schulischen Selektion ist für diejenigen, die der Aussortierung in die unangenehmen und schlecht bezahlten Berufe fürs Erste entgangen sind, der Durchsetzungskampf gegen andere im Leistungsvergleich am Wissen nicht vorbei. Die Selektion geht an der Universität weiter: Wer die Uni nicht mit dem Bachelor verlassen will, der einem bestenfalls Aussichten auf die Jobs knapp über der Nicht-Studierten, der Angestellten mit Berufsausbildung, eröffnet, muss schauen, dass er noch mindestens ein Master-Studium anhängen darf. Dafür reicht die bloße Aneignung von „Lernstoff-Modulen“ wie in den ersten Bachelor-Semestern nicht mehr aus. Wer zum Master-Studium zugelassen werden will, muss mehr bringen: Zu bewähren haben sich die Studierenden nun daran, sich – in Konkurrenz gegeneinander, versteht sich – als überdurchschnittlich kenntnisreiche und selbstbewusste Vertreter ihres Fachs darzustellen. Wirtschaft und Staat wollen in ihrer Elite nicht Mitmacher, sondern Überzeugungstäter. Auch wenn aktuell der Anspruch erhoben wird, dass das auch in kürzerer Zeit und für den Staat billiger zu schaffen sein muss als im abgeschafften Diplom-Zeitalter: Führungsqualitäten sollen die zukünftigen Führungskräfte unbedingt erwerben.

Gute Gründe und schlechte Begründungen für Protest

Schüler und Studenten bekommen „Leistungsdruck“ zu spüren; sie erfahren, dass ihre Schul- und Studienzeit mit „G 8, Verschulung, Regelstudienzeit und Dauerüberprüfung“ ungemütlicher wird – dass sie damit unzufrieden sind, ist absolut verständlich. Leider zieht die Mehrzahl der Betroffenen daraus keine Schlüsse, welchem Zweck ihr Ärgernis geschuldet ist: Nämlich, dass Bildung im Kapitalismus zu nichts anderem als zur Durchsetzung im ‚Wettstreit‘ der Nationen ihren Beitrag leisten soll. Bildung ist also nicht zum Nutzen und zur Aufklärung der Studierenden da, vielmehr haben diese dem Vorankommen von Wirtschaft und Nation zu dienen. Anstatt diesen Grund ihrer Misere aufs Korn zu nehmen, stellen sich die Verfasser der meisten Aufrufe zum Bildungsstreik neben die schlechte Realität des Bildungswesens und halten ihr die eigene Idealvorstellung von einem guten Bildungswesen entgegen. In der haben sie vom real existenten Bildungssystem alles abgezogen, was sie stört. Ihre Gegnerschaft zum wirklichen Bildungswesen führen sie mit dem Vorwurf, dass es höhere Werte missachte, denen Bildung eigentlich zu entsprechen hätte. Die beklagte Wirklichkeit nehmen sie nur zur Kenntnis als Abweichung von einem jahrhundertealten, von ihnen selbst so genannten Bildungs-Ideal – also von etwas, das eingestandenermaßen noch niemals irgendwann als Leitfaden für die Praxis der Bildung Gültigkeit hatte.

Was taugt es, der Bildungsreform das humanistische Bildungsideal entgegenzuhalten?

Wogegen die wirkliche Bildung demnach verstößt, ist ein Ideal, welches seit jeher zum Bildungswesen dazugehört und gegen dessen Missachtung sich nicht nur kritische Studenten, sondern bezeichnenderweise auch konservative Presseorgane wenden:

„Für Studenten heißt die neue Bologna-Wirklichkeit: Zielstrebigkeit ohne Umwege und Sackgassen. Neugier, Erkenntnisinteresse, selbständiges Denken – also alles, was höhere Bildung ausmacht – bleiben auf der Strecke.“ (FAZ, 19.6.09)

Mit diesem Ideal wird nicht behauptet, dass Lehrinhalte in Frage gestellt werden sollten, schon gleich nicht, dass in ihnen wissenschaftliche Fehler und Parteilichkeit für die herrschenden Zustände zu kritisieren wären, sondern alles gebilligt, was zum Studienstoff gehört; der Haupteinwand dagegen ist: zu viel, zu dicht, zu wenig Zeit. Damit soll auch keinerlei Kritik am Zweck des Ausbildungswesens geübt sein. Dieser Mahnung zufolge hat die Aneignung des zu erlernenden Wissenskanons so lange einen Mangel, solange er nur „auswendig gelernt“ und „nachgebetet“, anstatt selbstbewusst und überzeugt vertreten wird. Zwar geht „Denken“ sowieso nicht anders als „selbstständig“, aber was die rechte „Zeitung für Deutschland“ meint und womit sie den Demonstranten mal recht geben will, ist klar: Damit sich die Studenten ihr Fachwissen aktiv zu eigen machen, brauchen sie Gelegenheit für „Umwege und Sackgassen“; anstatt zum etablierten Wissenskanon geführt zu werden, sollen die Studenten selbstständig den Weg zu ihm finden. Das gehört – nach Auffassung der rechten Elitezeitung – unverzichtbar zur Qualifikation des Führungspersonals, das als gesellschaftliche Elite in der Lage sein soll, im Interesse der zukünftigen privaten und öffentlichen Arbeitgeber die gewünschten Dienste zu verrichten: Die Aneignung von Wissen auf dieser Ebene solle sich unbedingt mit dem Standpunkt und dem Selbstbewusstsein verbinden, das alles aus freien Stücken zu tun! Das erst mache „höhere Bildung“ aus.

Wer mit diesem für die real existierende Gesellschaft parteilichen Elite-Ideal nichts zu tun haben und statt dessen wirklich „kritisch sein“ und „richtig kritisieren“ möchte, dem bleibt es nicht erspart, das dann auch zu machen, anstatt einen Antrag bei der Kultusbehörde zu stellen, endlich eine Lehreinheit „kritisches humanistisches Reflektieren“ einzurichten. Oder glaubt jemand wirklich, dass beim Staat Geld für eine Kritik locker zu machen ist, die die Zwecke seines (Aus)Bildungswesen aufs Korn nimmt?
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel spiegelten wir bei Indymedia..