Dennoch nahm das rwandische
Regime am vorigen Sonntag erstmals wieder diplomatische
Beziehungen zu Paris auf. Am selben Wochenende, an dem das
ostafrikanische Land in den britischen Commonwealth
aufgenommen wurde
Es passiert nicht alle Tage,
dass eine westliche Großmacht von einem Internationalen
Strafgerichtshof öffentlich scharf kritisiert wird. In aller
Regel gelten die Kritiken internationaler Gerichtshöfe, die
wegen Massakern oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit
ermitteln, in jüngerer Vergangenheit eher afrikanischen oder
asiatischen Potentaten. Deren Diktaturkollegen sich daraus
wiederum ein Argument basteln, um sich als angebliche pure
Opfer westlicher Einseitigkeit oder Arroganz hinzustellen.
Ihre Verbrechen macht es nicht ungeschehen, aber in der
Öffentlichkeit können sie sich dadurch oft wirksam als
scheinbare „Verteidiger der Souveränität ihrer Länder“ gegen
„koloniale Arroganz“ in Pose werfen.
Eine ebenso löbliche wie wohl begründete Ausnahme von dieser
vermeintlichen Regel leitete nun der Internationale
Strafgerichtshof für Rwanda, der im tansanischen Arusha
ansässig ist, ein. Der Gerichtshof, der für die Aburteilung
der Haupttäter und -planer beim Genozid in Rwanda von 1994
zuständig ist - während die „kleinen“ Exekutoren von
rwandischen Gerichten verurteilt werden -, rügte am Freitag,
den 13. 11. 2009 offiziell Paris aufgrund „mangelhafter
Kooperation“. Und der Ausdruck ist noch höflich.
An jenem 13. November fällte die dritte Kammer des
Internationalen Strafgerichtshofs ein Urteil, in welchem sie
schwarz auf weiß festhielt, dass sie „am Ende ihrer
Möglichkeiten angelangt“ sei, um die von Frankreich
angeforderten Dokumente zu erhalten. Nunmehr unterrichte sie
den Vorsitzenden Richter des Tribunals, Dennis Byron - Bürger
der Karibikinseln Saint-Kitts and Nevis -, über diesen Mangel
an Kooperation. Der Präsident des Tribunal solle dann
erforderlichenfalls alle „seine Konsequenzen daraus ziehen“.
Ein solcher Vorgang ist, wie die französische
Nachrichtenagentur AFP notiert, „äußerst selten“.
Nicht wenig steht dabei auf dem Spiel. Denn käme das
offizielle Frankreich der an seine Regierung gerichteten
Aufforderung nach, dann könnte es einige hochbrisante Aspekte
seiner engen Zusammenarbeit mit jenem Regime, das den
Völkermord von 1994 plante und organisierte, enthüllen.
Keine gute Kooperation mit dem Internationalen Gerichtshof
Die dritte Strafkammer in Arusha hatte Paris darum gebeten,
ihr eine Liste jener rwandischen Persönlichkeiten zu
übermitteln, die zu Beginn der Massaker ab dem 7. April 1994
„Zuflucht in der französischen Botschaft“ in Kigali gesucht
hätten. Konkreter Anlass dafür ist, dass der frühere
Jugendminister Rwandas Callixte Nzabonimana vor dem
Internationalen Strafgerichtshof angeklagt ist, an der Planung
des Genozids teilgenommen und in Gitarama - im südlichen
Zentrum Rwandas - die örtliche Bevölkerung zu Massakern an der
Tutsi-Minderheit sowie an oppositionellen Mitgliedern der
Hutu-Mehrheitsbevölkerung aufgestachelt zu haben. Nzabonimana,
der seine Unschuld beteuert, beruft sich darauf, vom 7. bis
11. April, also in den ersten Tagen nach Auslösung des
Genozids, Zuflucht in der Botschaft Frankreichs gefunden zu
haben. Also könne er, so lautet seine Argumentation, nicht
gleichzeitig an Völkermordtaten beteiligt gewesen. Dies hätte
die dritte Strafkammer gerne überprüft - und forderte deshalb
dieselbe Botschaft dazu auf, ihr eine Liste der damals
anwesenden Personen zu übermitteln.
Darauf folgte jedoch nur beharrliches Schweigen, das in seiner
Hartnäckigkeit auf die Dauer Erstaunen hervorrief. Denn die
französische Botschaft in Kigali war damals voll von Rwandern,
die Rede ist von rund 200 Personen. Nur waren die meisten
unter ihnen nicht wirklich Flüchtlingen, die Schutz vor dem
Furor der Genozidtäter gesucht hätten - sondern weitaus eher
Täter. Das ,Gouvernement intérimaire rwandais’ (GIR), also die
provisorische Regierung, welche nach dem Tod des vorherigen
Staatspräsidenten Juvenal Habyarimana - beim Abschuss seines
Flugzeugs am Abend des 6. April 1994 - gebildet worden war,
wurde zum Großteil innerhalb der Räume der französischen
Botschaft gebildet. Es war genau diese Interimsregierung, die
den Milizen der Hutu-Extremisten den Befehl gaben, den
Völkermord durchzuführen und Stadt und Land nach den Opfern
auf ihren seit Jahren angelegten Todeslisten zu durchkämmen.
Der Tod von Präsident Habyarimana war dabei - auch wenn noch
nicht alle Einzelheiten klar sind - mutmaßlich Ergebnis eines
Putschs, mit dem die Hardlinerfraktion der Hutu-Rassisten die
Macht an sich riss. Letztere entledigten sich dabei, sofern
diese These zutrifft, der legalen Hülle jenes Regimes, unter
dem sie zum entscheidenden und gefährlichen Faktor
herangewachsen waren.
Das offizielle Frankreich hatte seit seinem Machtantritt im
Juli 1973 stets Habyarimana und sein Regime, als „Bollwerk
gegen den Kommunismus“ wie gegen das Vordringen des
englischsprachigen Einflussbereichs in Afrika, unterstützt.
Nach seinem Ableben tat es zweierlei: Es stellte eine Reihe
hochrangiger Persönlichkeit des bisherigen Regimes unter
seinen Schutz, so Habyarimanas Witwe Agathe. Letztere lebt
heute in Frankreich. Der Nationale Gerichtshof für Asyl hat
ihr zwar im letzten Jahr das Asylrecht verweigert, mit der
Begründung, sie sei nachweislich persönlich an der Planung des
Völkermords beteiligt gewesen - und „Verbrechen gegen die
Menschlichkeit“ seien ein Ausschlussgrund, der die Anwendung
der Genfer Flüchtlingskonvention verhindert. Doch lebt sie,
auch ohne Aufenthaltstitel, nach wie vor völlig unbehelligt
auf französischem Boden.
Protektion für die „Endlösungs“fraktion und die Rolle des
früheren Elysée-Gendarmen Paul Barril
Neben diesem Schutz für hochrangige Persönlichkeiten aus der
Habyrimana-Ära, die mit dem mutmaßlichen Putsch der
„Endlösung“fraktion ihres Regimes zu Ende ging, unterstützte
das Frankreich von Präsident François Mitterrand und
Premierminister Edouard Balladur aber auch Letztere. Etwa
durch ihre Schirmherrschaft bei der Konstituierung des GIR.
Repräsentanten dieser provisorischen Regierung nahmen noch im
Mai 1994, als die Wahrheit über den Genozid an das Licht der
internationalen Öffentlichkeit zu dringen begann, an Treffen
in Paris teil.
Und sie erhielten Waffenlieferungen unter anderem aus
Frankreich, die zwar nicht direkt durch die Regierung
eingefädelt wurden - aber durch einen vielen Beobachtern als
halbverrückt geltenden Söldnervermittler namens Paul Barril.
Selbiger Paul Barril war in den frühen achtziger Jahren
Mitglied der Gendarmerie-Abteilung für den Präsidentenschutz
im Elyséepalast gewesen. Jedoch hatte Mitterrand aufgrund von
- gelinde ausgedrückt - eigenwilligen Auffassungen bei der
„Terrorbekämpfung“, etwa in Form des Unterjubelns von
Belastungsmaterial bei gänzlich Unschuldigen, entlassen
müssen. Seitdem unterhielt Barril eine private
Sicherheitsfirma, die sich jedoch bester Kontakte zu
staatlichen Stellen erfreute. Mitten im rwandischen Genozid
hielt Paul Barril sich in Kigali auf und führte dort eine
(laut bereits älterem Eintrag im französischen
Wikipedia-Lexikon) „Operation Insektizid“ durch. Die Tutsi
wurden damals durch die Hutu-Rassisten als „Wanzen“
bezeichnet. Erst im September dieses Jahres hat die Pariser
Wochenzeitung Charlie Hebdo neue Beweisdokumente über das
damalige Wirken Paul Barrils als Faksimile nachgedruckt.
Kein Wunder also, dass auch heute in Frankreich neue und
zahlreiche Merkwürdigkeiten im, vermeintlich schlappen aber in
Wirklichkeit eher komplizenhaften, Umgang mit rwandischen
Genozidtätern auftauchen. Jüngstes Beispiel ist die Enttarnung
von Eugène Rwamucyo, der seit Mai 2008 Dienst als Arzt am
Krankenhaus im nordfranzösischen Maubeuge verrichtete. Am 17.
Oktober 2009 wurde er als mutmaßlicher Massenmörder während
des Genozids in seinem Herkunftsland Rwanda enttarnt.
Völkermordtäter erhielt Aufenthaltstitel - dank dem damaligen
Innenminister Sarkozy
Über Rwamucyo hatte Interpol eine eigene Akte angelegt,
„Fahndungsstufe Rot“, das ist die höchste Fahndungsstufe bei
der internationalen Polizeibehörde überhaupt. In Frankreich
ist es angeblich niemandem aufgefallen, als etwa der
Abgeordnete der konservativen Regierungspartei UMP - Thierry
Lazaro - sich ab 2001 laut eigenen Angaben „bei mehreren
Minister“ dafür verwandte, dass Rwamucyo einen
Aufenthaltstitel erhalte. Libération berichtete, es sei
schlussendlich eine Intervention des Büros des damaligen
Innenministers Nicolas Sarkozy gewesen, die dafür sorge, dass
Rwamucyo den ersehnten Aufenthaltstitel erhielt. Begründung
des Parlamentariers Lazaro gegenüber der Zeitung: Er habe es
so empfunden, dass Rwamucyo „sich in einer prekären Situation
befand“. An eine Vorzugsbehandlung, wie er sie genoss, können
Millionen „legale“ und Hunderttausende „illegale“ Immigranten
in Frankreich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen denken.
Herausgefunden, dass Interpol eine Akte über Rwamucyo als
Völkermordverdächtiger führte, hatte unterdessen eine
„einfache“ Krankenschwester. Nachdem der Arzt sie aufgrund
ihres Körpergewichts beleidigt hatte, hatte sie seinen Namen
in den Suchmotor im Internet eingegeben, und Google hatte die
Information binnen Sekunden ausgespuckt. Das Krankenhaus hat
Rwamucyo daraufhin inzwischen vom Dienst suspendiert, doch die
rechtsgewirkte Christliche Gewerkschaft CFCT hat ein
Unterstützungskomitee für ihn eingerichtet. Rwamucyo hat
Frankreich inzwischen verlassen und sich im nahen Belgien
niedergelassen. Dort will man ihm einen vorläufigen
Aufenthaltstitel gewähren, aber auch einen Prozess
organisieren.
Prozess um Rassenhatz gegen Tutsi
Oder: Lieber Peter Pan statt Pierre Péan
Der rwandische Völkermord spielte auch eine Rolle im
Hintergrund, als der französische Schriftsteller Pierre Péan -
ein Nationalist, der früher einmal sozialdemokratische
Sympathien hatte - in den letzten Wochen in zweiter Instanz
vor einem Pariser Gericht stand. Er hatte im Winter 2005/06 in
einem Buch unter dem Titel „Schwarzer Furor, weiße Lügner“
gegen angebliche Nestbeschmutzer in Frankreich gewettert, die
dem eigenen Land eine Mitschuld an den Massakern in Rwanda
gäben. Péan witterte ein Komplott des „aktuellen
stalinistischen Regimes in Rwanda“, das zudem durch die USA
gegen den französischen Einfluss in Afrika unterstützt werde.
Und er schrieb - unter Berufung auf traditionelle Berichte
über das Leben bei Hofe in der vorkolonialen
Feudalgesellschaft, die von Ehrvorstellungen bezüglich
Eigenschaften wie List und Schläue handeln -, bei den Tutsi
gebe es traditionell eine „Kultur der Lüge“. Deshalb, so
schlussfolgerte er, höre man besser nicht zu sehr auf die
(vermeintlichen) Opfer des Völkermords.
Die Vereinigung SOS Racisme hatte daraufhin Strafanzeige wegen
rassistischer Hetze gegen eine Bevölkerungsgruppe erhoben.
Doch Péan wurde am Mittwoch, den 18. 11. 2009 in zweiter
Instanz freigesprochen: Seine Auslassungen seien durch die
Meinungsfreiheit geschützt.
Schlag gegen die FDLR, Miliz der früheren Völkermordtäter
Einen Hoffnungsschimmer stellt unterdessen die jüngste
Verhaftung der beiden obersten internationalen Chefs der
Terrormiliz FLDR („Demokratische Kräfte zur Befreiung
Rwandas“) auf deutschem Boden dar. Die FLDR sind eine Miliz,
die mutmaßlich circa 7.000 im Osten der Demokratischen
Republik Kongo agierende Kämpfer unter Waffen hat und
überwiegend aus früheren Tätern des rwandischen Genozids
besteht. Diese waren überwiegend nach dem Sturz des
rwandischen Völkermordregimes, im Juli 1994, in den Osten des
Kongo geflüchtet und terrorisieren bis heute die Bevölkerung
in mehreren entlegenen Regionen - von wo aus sie dort
geschürfte Rohstoffe verkaufen.
Ihr Chef, Ignace Murwanashyaka, lebte seit mehreren Jahren
unbehelligt im deutschen Mannheim. Doch unter erheblichem
Druck namentlich seitens der kongolesischen Behörden und der
USA stehend, inhaftierten die deutschen Behörden ihn am 17.
November o9 in Karlsruhe - und seinen Vizechef Straton Musoni
in Stuttgart. Ihnen wird nun vorgeworfen, mittels in den
Jahren 2005 und 2006 übermittelten Befehlen für
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeiten
Verantwortung zu tragen.
Die kongolesische Regierung hat nun nachgelegt und betont, die
FLDR verfügten noch über Netzwerke, die etwa für Finanzierung
und Bewaffnung sorgten, in einigen Städten im Osten des Kongo
wie Bukavu, in Tansania und in Frankreich. Und sie forderte
Frankreich nun ihrerseits zu verbindlicher Kooperation in
dieser Angelegenheit auf. Die französischen Behörden beeilten
sich, ihrerseits die Verhaftung Murwanashyaka in Deutschland
zu „begrüßen“. Dem Netzwerk der noch aktiven Völkermordmilizen
dürfte dadurch ein höchst empfindlicher Schlag versetzt worden
sein.
Trotz alledem: Rwanda nimmt diplomatische Beziehungen zum
offiziellen Frankreich wieder auf
Am vergangenen Sonntag, den 29. November 2009 erfolgte dann
die Überraschung: An jenem Tag kam die Nachricht, dass das
rwandische Regime in Kigali (erstmals seit drei Jahren)
offizielle diplomatische Beziehungen zu Frankreich wieder
aufnimmt. Am selben Wochenende war Rwanda als 46.
Mitgliedsstaat in den britischen Commonwealth aufgenommen
worden.
Editorische
Anmerkungen
Wir
erhielten den Artikel vom Autor.
Die näheren
Hintergründe und eine genauere Auswertung zu diesen neuesten
Nachrichten publizieren wir in nächster Zukunft an dieser
Stelle (und in der kommenden Ausgabe der Berliner
Wochenzeitung ‚Jungle World’).