Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreich schützt rwandische Völkermordtäter, innerhalb wie außerhalb seines Staatsgebiets

12/09

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Dennoch nahm das rwandische Regime am vorigen Sonntag erstmals wieder diplomatische Beziehungen zu Paris auf. Am selben Wochenende, an dem das ostafrikanische Land in den britischen Commonwealth aufgenommen wurde

Es passiert nicht alle Tage, dass eine westliche Großmacht von einem Internationalen Strafgerichtshof öffentlich scharf kritisiert wird. In aller Regel gelten die Kritiken internationaler Gerichtshöfe, die wegen Massakern oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermitteln, in jüngerer Vergangenheit eher afrikanischen oder asiatischen Potentaten. Deren Diktaturkollegen sich daraus wiederum ein Argument basteln, um sich als angebliche pure Opfer westlicher Einseitigkeit oder Arroganz hinzustellen. Ihre Verbrechen macht es nicht ungeschehen, aber in der Öffentlichkeit können sie sich dadurch oft wirksam als scheinbare „Verteidiger der Souveränität ihrer Länder“ gegen „koloniale Arroganz“ in Pose werfen.

Eine ebenso löbliche wie wohl begründete Ausnahme von dieser vermeintlichen Regel leitete nun der Internationale Strafgerichtshof für Rwanda, der im tansanischen Arusha ansässig ist, ein. Der Gerichtshof, der für die Aburteilung der Haupttäter und -planer beim Genozid in Rwanda von 1994 zuständig ist - während die „kleinen“ Exekutoren von rwandischen Gerichten verurteilt werden -, rügte am Freitag, den 13. 11. 2009 offiziell Paris aufgrund „mangelhafter Kooperation“. Und der Ausdruck ist noch höflich.

An jenem 13. November fällte die dritte Kammer des Internationalen Strafgerichtshofs ein Urteil, in welchem sie schwarz auf weiß festhielt, dass sie „am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt“ sei, um die von Frankreich angeforderten Dokumente zu erhalten. Nunmehr unterrichte sie den Vorsitzenden Richter des Tribunals, Dennis Byron - Bürger der Karibikinseln Saint-Kitts and Nevis -, über diesen Mangel an Kooperation. Der Präsident des Tribunal solle dann erforderlichenfalls alle „seine Konsequenzen daraus ziehen“. Ein solcher Vorgang ist, wie die französische Nachrichtenagentur AFP notiert, „äußerst selten“.

Nicht wenig steht dabei auf dem Spiel. Denn käme das offizielle Frankreich der an seine Regierung gerichteten Aufforderung nach, dann könnte es einige hochbrisante Aspekte seiner engen Zusammenarbeit mit jenem Regime, das den Völkermord von 1994 plante und organisierte, enthüllen.

Keine gute Kooperation mit dem Internationalen Gerichtshof

Die dritte Strafkammer in Arusha hatte Paris darum gebeten, ihr eine Liste jener rwandischen Persönlichkeiten zu übermitteln, die zu Beginn der Massaker ab dem 7. April 1994 „Zuflucht in der französischen Botschaft“ in Kigali gesucht hätten. Konkreter Anlass dafür ist, dass der frühere Jugendminister Rwandas Callixte Nzabonimana vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt ist, an der Planung des Genozids teilgenommen und in Gitarama - im südlichen Zentrum Rwandas - die örtliche Bevölkerung zu Massakern an der Tutsi-Minderheit sowie an oppositionellen Mitgliedern der Hutu-Mehrheitsbevölkerung aufgestachelt zu haben. Nzabonimana, der seine Unschuld beteuert, beruft sich darauf, vom 7. bis 11. April, also in den ersten Tagen nach Auslösung des Genozids, Zuflucht in der Botschaft Frankreichs gefunden zu haben. Also könne er, so lautet seine Argumentation, nicht gleichzeitig an Völkermordtaten beteiligt gewesen. Dies hätte die dritte Strafkammer gerne überprüft - und forderte deshalb dieselbe Botschaft dazu auf, ihr eine Liste der damals anwesenden Personen zu übermitteln.

Darauf folgte jedoch nur beharrliches Schweigen, das in seiner Hartnäckigkeit auf die Dauer Erstaunen hervorrief. Denn die französische Botschaft in Kigali war damals voll von Rwandern, die Rede ist von rund 200 Personen. Nur waren die meisten unter ihnen nicht wirklich Flüchtlingen, die Schutz vor dem Furor der Genozidtäter gesucht hätten - sondern weitaus eher Täter. Das ,Gouvernement intérimaire rwandais’ (GIR), also die provisorische Regierung, welche nach dem Tod des vorherigen Staatspräsidenten Juvenal Habyarimana - beim Abschuss seines Flugzeugs am Abend des 6. April 1994 - gebildet worden war, wurde zum Großteil innerhalb der Räume der französischen Botschaft gebildet. Es war genau diese Interimsregierung, die den Milizen der Hutu-Extremisten den Befehl gaben, den Völkermord durchzuführen und Stadt und Land nach den Opfern auf ihren seit Jahren angelegten Todeslisten zu durchkämmen.

Der Tod von Präsident Habyarimana war dabei - auch wenn noch nicht alle Einzelheiten klar sind - mutmaßlich Ergebnis eines Putschs, mit dem die Hardlinerfraktion der Hutu-Rassisten die Macht an sich riss. Letztere entledigten sich dabei, sofern diese These zutrifft, der legalen Hülle jenes Regimes, unter dem sie zum entscheidenden und gefährlichen Faktor herangewachsen waren.

Das offizielle Frankreich hatte seit seinem Machtantritt im Juli 1973 stets Habyarimana und sein Regime, als „Bollwerk gegen den Kommunismus“ wie gegen das Vordringen des englischsprachigen Einflussbereichs in Afrika, unterstützt. Nach seinem Ableben tat es zweierlei: Es stellte eine Reihe hochrangiger Persönlichkeit des bisherigen Regimes unter seinen Schutz, so Habyarimanas Witwe Agathe. Letztere lebt heute in Frankreich. Der Nationale Gerichtshof für Asyl hat ihr zwar im letzten Jahr das Asylrecht verweigert, mit der Begründung, sie sei nachweislich persönlich an der Planung des Völkermords beteiligt gewesen - und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ seien ein Ausschlussgrund, der die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention verhindert. Doch lebt sie, auch ohne Aufenthaltstitel, nach wie vor völlig unbehelligt auf französischem Boden.

Protektion für die „Endlösungs“fraktion und die Rolle des früheren Elysée-Gendarmen Paul Barril

Neben diesem Schutz für hochrangige Persönlichkeiten aus der Habyrimana-Ära, die mit dem mutmaßlichen Putsch der „Endlösung“fraktion ihres Regimes zu Ende ging, unterstützte das Frankreich von Präsident François Mitterrand und Premierminister Edouard Balladur aber auch Letztere. Etwa durch ihre Schirmherrschaft bei der Konstituierung des GIR. Repräsentanten dieser provisorischen Regierung nahmen noch im Mai 1994, als die Wahrheit über den Genozid an das Licht der internationalen Öffentlichkeit zu dringen begann, an Treffen in Paris teil.

Und sie erhielten Waffenlieferungen unter anderem aus Frankreich, die zwar nicht direkt durch die Regierung eingefädelt wurden - aber durch einen vielen Beobachtern als halbverrückt geltenden Söldnervermittler namens Paul Barril. Selbiger Paul Barril war in den frühen achtziger Jahren Mitglied der Gendarmerie-Abteilung für den Präsidentenschutz im Elyséepalast gewesen. Jedoch hatte Mitterrand aufgrund von - gelinde ausgedrückt - eigenwilligen Auffassungen bei der „Terrorbekämpfung“, etwa in Form des Unterjubelns von Belastungsmaterial bei gänzlich Unschuldigen, entlassen müssen. Seitdem unterhielt Barril eine private Sicherheitsfirma, die sich jedoch bester Kontakte zu staatlichen Stellen erfreute. Mitten im rwandischen Genozid hielt Paul Barril sich in Kigali auf und führte dort eine (laut bereits älterem Eintrag im französischen Wikipedia-Lexikon) „Operation Insektizid“ durch. Die Tutsi wurden damals durch die Hutu-Rassisten als „Wanzen“ bezeichnet. Erst im September dieses Jahres hat die Pariser Wochenzeitung Charlie Hebdo neue Beweisdokumente über das damalige Wirken Paul Barrils als Faksimile nachgedruckt.

Kein Wunder also, dass auch heute in Frankreich neue und zahlreiche Merkwürdigkeiten im, vermeintlich schlappen aber in Wirklichkeit eher komplizenhaften, Umgang mit rwandischen Genozidtätern auftauchen. Jüngstes Beispiel ist die Enttarnung von Eugène Rwamucyo, der seit Mai 2008 Dienst als Arzt am Krankenhaus im nordfranzösischen Maubeuge verrichtete. Am 17. Oktober 2009 wurde er als mutmaßlicher Massenmörder während des Genozids in seinem Herkunftsland Rwanda enttarnt.

Völkermordtäter erhielt Aufenthaltstitel - dank dem damaligen Innenminister Sarkozy


Über Rwamucyo hatte Interpol eine eigene Akte angelegt, „Fahndungsstufe Rot“, das ist die höchste Fahndungsstufe bei der internationalen Polizeibehörde überhaupt. In Frankreich ist es angeblich niemandem aufgefallen, als etwa der Abgeordnete der konservativen Regierungspartei UMP - Thierry Lazaro - sich ab 2001 laut eigenen Angaben „bei mehreren Minister“ dafür verwandte, dass Rwamucyo einen Aufenthaltstitel erhalte. Libération berichtete, es sei schlussendlich eine Intervention des Büros des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy gewesen, die dafür sorge, dass Rwamucyo den ersehnten Aufenthaltstitel erhielt. Begründung des Parlamentariers Lazaro gegenüber der Zeitung: Er habe es so empfunden, dass Rwamucyo „sich in einer prekären Situation befand“. An eine Vorzugsbehandlung, wie er sie genoss, können Millionen „legale“ und Hunderttausende „illegale“ Immigranten in Frankreich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen denken.

Herausgefunden, dass Interpol eine Akte über Rwamucyo als Völkermordverdächtiger führte, hatte unterdessen eine „einfache“ Krankenschwester. Nachdem der Arzt sie aufgrund ihres Körpergewichts beleidigt hatte, hatte sie seinen Namen in den Suchmotor im Internet eingegeben, und Google hatte die Information binnen Sekunden ausgespuckt. Das Krankenhaus hat Rwamucyo daraufhin inzwischen vom Dienst suspendiert, doch die rechtsgewirkte Christliche Gewerkschaft CFCT hat ein Unterstützungskomitee für ihn eingerichtet. Rwamucyo hat Frankreich inzwischen verlassen und sich im nahen Belgien niedergelassen. Dort will man ihm einen vorläufigen Aufenthaltstitel gewähren, aber auch einen Prozess organisieren.

Prozess um Rassenhatz gegen Tutsi
Oder: Lieber Peter Pan statt Pierre Péan


Der rwandische Völkermord spielte auch eine Rolle im Hintergrund, als der französische Schriftsteller Pierre Péan - ein Nationalist, der früher einmal sozialdemokratische Sympathien hatte - in den letzten Wochen in zweiter Instanz vor einem Pariser Gericht stand. Er hatte im Winter 2005/06 in einem Buch unter dem Titel „Schwarzer Furor, weiße Lügner“ gegen angebliche Nestbeschmutzer in Frankreich gewettert, die dem eigenen Land eine Mitschuld an den Massakern in Rwanda gäben. Péan witterte ein Komplott des „aktuellen stalinistischen Regimes in Rwanda“, das zudem durch die USA gegen den französischen Einfluss in Afrika unterstützt werde. Und er schrieb - unter Berufung auf traditionelle Berichte über das Leben bei Hofe in der vorkolonialen Feudalgesellschaft, die von Ehrvorstellungen bezüglich Eigenschaften wie List und Schläue handeln -, bei den Tutsi gebe es traditionell eine „Kultur der Lüge“. Deshalb, so schlussfolgerte er, höre man besser nicht zu sehr auf die (vermeintlichen) Opfer des Völkermords.

Die Vereinigung SOS Racisme hatte daraufhin Strafanzeige wegen rassistischer Hetze gegen eine Bevölkerungsgruppe erhoben. Doch Péan wurde am Mittwoch, den 18. 11. 2009 in zweiter Instanz freigesprochen: Seine Auslassungen seien durch die Meinungsfreiheit geschützt.

Schlag gegen die FDLR, Miliz der früheren Völkermordtäter

Einen Hoffnungsschimmer stellt unterdessen die jüngste Verhaftung der beiden obersten internationalen Chefs der Terrormiliz FLDR („Demokratische Kräfte zur Befreiung Rwandas“) auf deutschem Boden dar. Die FLDR sind eine Miliz, die mutmaßlich circa 7.000 im Osten der Demokratischen Republik Kongo agierende Kämpfer unter Waffen hat und überwiegend aus früheren Tätern des rwandischen Genozids besteht. Diese waren überwiegend nach dem Sturz des rwandischen Völkermordregimes, im Juli 1994, in den Osten des Kongo geflüchtet und terrorisieren bis heute die Bevölkerung in mehreren entlegenen Regionen - von wo aus sie dort geschürfte Rohstoffe verkaufen.

Ihr Chef, Ignace Murwanashyaka, lebte seit mehreren Jahren unbehelligt im deutschen Mannheim. Doch unter erheblichem Druck namentlich seitens der kongolesischen Behörden und der USA stehend, inhaftierten die deutschen Behörden ihn am 17. November o9 in Karlsruhe - und seinen Vizechef Straton Musoni in Stuttgart. Ihnen wird nun vorgeworfen, mittels in den Jahren 2005 und 2006 übermittelten Befehlen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeiten Verantwortung zu tragen.

Die kongolesische Regierung hat nun nachgelegt und betont, die FLDR verfügten noch über Netzwerke, die etwa für Finanzierung und Bewaffnung sorgten, in einigen Städten im Osten des Kongo wie Bukavu, in Tansania und in Frankreich. Und sie forderte Frankreich nun ihrerseits zu verbindlicher Kooperation in dieser Angelegenheit auf. Die französischen Behörden beeilten sich, ihrerseits die Verhaftung Murwanashyaka in Deutschland zu „begrüßen“. Dem Netzwerk der noch aktiven Völkermordmilizen dürfte dadurch ein höchst empfindlicher Schlag versetzt worden sein.

Trotz alledem: Rwanda nimmt diplomatische Beziehungen zum offiziellen Frankreich wieder auf

Am vergangenen Sonntag, den 29. November 2009 erfolgte dann die Überraschung: An jenem Tag kam die Nachricht, dass das rwandische Regime in Kigali (erstmals seit drei Jahren) offizielle diplomatische Beziehungen zu Frankreich wieder aufnimmt. Am selben Wochenende war Rwanda als 46. Mitgliedsstaat in den britischen Commonwealth aufgenommen worden.
 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor.

Die näheren Hintergründe und eine genauere Auswertung zu diesen neuesten Nachrichten publizieren wir in nächster Zukunft an dieser Stelle (und in der kommenden Ausgabe der Berliner Wochenzeitung ‚Jungle World’).