Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

"Nationaler Identitäts"quark, Einwanderungsdiskurs und (offener oder verdeckter) Rassismus
Leitkultur à la française: Regierungsoffizielle Debatte um die "nationale Identität"

12/09

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Seit dem o2. November 2009 diskutiert Frankreich regierungsoffiziell über die „nationale Identität“. An jenem Montag gab der Minister „für Einwanderung, Integration und nationale Identität“ (so lautet sein Titel) Eric Besson den Startschuss für diese ideologische Regierungskampagne, die er am 25. Oktober erstmals angekündigt hatte: Eine Webpage unter der elektronischen Adresse bzw. Betreffzeile „Debatte nationale Identität“ wurde freigeschaltet. Dabei handelt sich real vor allem um eine Variante der, zu Anfang des Jahrzehnts heftig diskutierten, deutschen „Leitkultur“debatte auf Französisch. Was so viel bedeutet wie: Welche ideologischen Anforderungen darf die Mehrheitsgesellschaft an Einwanderer stellen, damit sie auch hier bleiben „dürfen“? Und was soll auf die (alten wie neuen) Staatsbürger identitätsstiftend, sprich: identifikationsheischend, wirken? Staatspräsident Nicolas Sarkozy griff auch persönlich mehrfach in die Debatte ein, hielt am 27. Oktober eine Ansprache vor Bauernfunktionären im französischen Jura („Die Erde, der Boden ist Bestandteil der nationalen Identität“). Und am 12. November 09 hielt er an einem historischen Ort des Widerstands gegen die Nazibesatzer – auf dem Vercors-Plateau - eine über einstündige Rede, in welcher er von der historischen Monarchie bis zur Résistance im Zweiten Weltkrieg so gut wie alles tatsächlich oder vermeintlich Positive in eine vermeintlich monolithische, also „aus einem Guss“ erscheinende Nationalgeschichte (unter Verschweigen o. Ausklammern ihrer groen Verbrechen: Vichy, Kolonialkriege..) einzugemeinden versuchte.

Der rechtsextreme Front National (FN) unter Anführung seiner Vize-Chefin Marine Le Pen griff die Regierungskampagne auf und startete bereits zum Überholmanöver. Von den Medien anfänglich viel beachtete, verlangte Marine Le Pen („Wir sind die glaubwürdigste Partei bei diesem Thema“, „wir fordern diese Debatte seit 25 Jahren ein“) bei Präsident Sarkozy im Elysée-Palast empfangen zu werden. Bislang vergeblich.

Die laufende Woche und die kommende liefern neue „Höhepunkte“ dieser Ideologiekampagne: Am heutigen Freitag, den o4. Dezember findet ein Kolloquium zum Thema „französische Identität“ statt, am o8. Dezember eine Parlamentsdebatte über die Nationalidentität. - Die „Debatte“ soll offiziell noch bis Ende Januar nächsten Jahres dauern. Im Februar 2010 möchte Minister Eric Besson eine „Synthese“, eine Auswertung der angeblichen Diskussion publizieren. Der Minister hat jüngst auch die Veröffentlichung eines (von ihm verfassten o. herausgegebenen) Buchwerks über „die Nation“ angekündigt.

Seit dem Ausgang des Schweizer Referendums über ein Minarett-Verbot vom vergangenen Sonntag, 29. November o9, sich die Debatte zusätzlich „identität“ aufgeladen und aufgeheizt. Nunmehr dreht sie sich fast unverhohlen - in den Augen vieler Teilnehmer und Beobachterinnen - um das „Problem“ für die „nationale Identität“, das durch die Anwesenheit von Einwanderern moslemischer Konfession auf dem Staatsgebiet entstehe. Ein Teil der Regierungspartei UMP zögert, auf der Welle des überwiegend xenophob motivierten „Nein“ der schweizerischen Stimmbürger/innen zu surfen; Frankreichs konservativ-liberaler Bürgerblock ist bezüglich dieser Frage noch gespalten. Dennoch tut es ein wachsender, prominenter Teil der konservativen Spitzenpolitiker derzeit unverhohlen. Allen voran ihr Spitzenmann, Nicolas Sarkozy. Er wurde am 3. Dezember von einem Teilnehmer einer (internen) Unterredung mit UMP-Abgeordneten vom Vortag mit den Worten zitiert, welche sich auf die Abstimmung in der Schweiz, aber darüber hinaus auch auf daraus zu ziehende Schlussfolgerungen für Frankreich beziehen: „Die Leute wollen nicht, dass ihr Land verunstaltet (défigurer: gesichtslos machen, verunstalten) wird.“ Die „Identität des Landes“ müsse demnach „gewahrt bleiben.“ Dabei bezog Sarkozy sich nicht auf Hochhäuser und Wolkenkratzer im Pariser Geschäftsvorort La Défense, sondern augenscheinlich auf Minarette. Und am Abend des Donnerstag, o3. Dezember wurde UMP-Sprecher Frédéric Lefebvre (Sarkozys Beißer fürs Grobe) mit den Worten zitiert, die „Debatte über die nationale Identität“ sei „der ideale Ort, um solche Fragen anzusprechen“.

Merken diese Leute überhaupt noch, wie rassistisch es ist, einen Zusammenhang zwischen Landschaft und Geographie, sprich „Boden“, Religionszugehörigkeit respektive Herkunft, und „nationaler Identität“ herzustellen? Ein Teil der regierenden Rechten bekommt jedenfalls zugleich kalte Füße - merkend, dass die Debatte ihr zunehmend entgleitet, und statt ihrer selbst eher der offen rassistischen extremen Rechten neue Flügel verleiht. Jean-François Copé beispielsweise, Sarkozys interner Rivale um die politische Vorherrschaft über die konservativ-liberale Rechte, erklärte es inzwischen zum Fehler, „nationale Identität und Einwanderungsfrage miteinander zu verquicken“. Er beschuldigte freilich nicht (offen) Sarkozy selbst, sondern dessen Einwanderungs- und Identitätsminister Eric Besson (2007 noch Überläufer von der Sozialdemokratie, 2009 schon Sarkozys Hardliner für ideologische Fragen), „uns in etwas hineingezogen zu haben, was wir nicht länger beherrschen“. Sogar Sarkozy scheint ein wenig die Notbremse zu ziehen, so wurde seine erwartete Rede bei dem Kolloquium am heutigen o4. Dezember 2009 letztlich durch eine Ansprache des blassen Premierminister François Fillon ausgetauscht.

Vor diesem Hintergrund werden wir in den nächsten Tagen nochmals in aller Ausführlichkeit auf diese Kampagne und ihre Hintergründe zurückkommen, sowie ihre unterschwelligen Implikationen und (mittelbaren wie unmittelbaren) politischen Auswirkungen analysieren.

Rassismusstudie 2009: Neue Zahlen zu einem alten Übel


In der vorletzten Novemberwoche publizierte unterdessen die „Nationale Konsultativkommission für Menschenrechte“ (CNCDH) – ein unabhängiges Organ, das den französischen Premierminister berät – die kurz zuvor erstellte, jährliche Studie des Meinungsforschungsinstituts CSA über den Rassismus in Frankreich.

Eine genauere Auswertung der Untersuchungsergebnisse über die Verbreitung des Rassismus in der französischen Gesellschaft, in langjähriger Perspektive, belegt zwei groe Tendenzen: Zum Einen den sichtbaren Rückgang des offenen, „bekennenden“, als solcher gekennzeichneten und „komplexfrei“ auftretenden Rassismus. Zum Zweiten belegen die vorhandenen Informationen aber auch eine Verschiebung der Thematiken des potenziell rassistisch aufgeladenen Diskurses: Diese Entwicklung führt weg von generellen Affirmationen (die „Ungleichheit der Rassen“ betreffend, oder die Anwesenheit von allgemein „zu vielen Immigranten in Frankreich“) und hin zu eher „kulturell“ verkleideten Problematiken – etwa die an die „Integration“ von Einwanderern zu stellen Anforderungen, und/oder insbesondere den „Platz des Islam“ in der französischen Gesellschaft betreffend – sowie zu einer „Sicherheits“problematik.

Nur noch drei Prozent offen bekennende Rassisten


Zum ersten Punkt: Einer der Gradmesser dieses spürbaren Rückgangs offen und bewusst an den Tag gelegter rassistischer Haltungen ist die Antwort der befragten Französinnen und Franzosen in (gezielt den Rassismus erforschenden) Meinungsumfragen darauf, ob sie sich selbst als „eher rassistisch“, „ein wenig rassistisch“, „nicht sehr rassistisch“ oder „überhaupt nicht rassistisch“ einstufen.

Nur noch eine Vorbemerkung: Selbstverständlich bedeutet es einer strukturell Rassismus beinhaltenden Gesellschaft - in welcher beispielsweise die Besitzer eines Staatsbürger-Ausweises (erst recht, sofern sie weißer Hautfarbe sind) objektive Privilegien genießen - nicht, dass jemand real in ihrer o. seiner Praxis antirassistisch wäre, wenn sich nur die Person selbst als „überhaupt nicht rassistisch“ einstuft. Dennoch vermögen solche Erfassungen des Meinungsklimas - unter diesem generellen Vorbehalt, der „zeitlos“ richtig ist -, im Hinblick auf Veränderungen der getätigten Antworten im Zeitverlauf, interessante Rückschlüsse zu liefern.

Bei der jüngst, im November 2009, publizierten letzten Meinungsstudie des Instituts CSA zum Thema stuften sich nur noch drei Prozent als „eher rassistisch“ ein. Zum Vergleich: Im Oktober 2000 waren es in derselben Kategorie noch 12 Prozent gewesen, ein Jahr später 11 Prozent, und (nach einigen Schwankungen der Kurve) im Vorjahr 2008 noch 5 Prozent.

Hingegen stufen sich jüngst (im November 2009) inzwischen 54 % der französischen Bevölkerung – bzw. ihres für die Umfrage repräsentativ ausgewählten Panels – als „überhaupt nicht rassistisch“ ein. Auch hier zum Vergleich: Im Jahr 2000 waren es nur 31 Prozent, gewesen, ein Jahr später 33 Prozent. Im Vorjahr 2008 waren es 52 Prozent.

Auch bei einigen ausgewählten Sachfragen zeigt sich ein weit verbreiteter Anspruch, möglichst nicht rassistisch zu erscheinen. So antworten 68 Prozent mit „Ja“ auf die Frage, ob „Angehörige aller menschlichen Rassen einen Anspruch auf Gleichbehandlung haben“, während weitere 20 Prozent darauf antworten, es gebe „gar keine Rassen“. Nur noch acht Prozent antworten, es gebe „Rassen, die andere überlegen sind“, was während der Kolonialperiode eine weit verbreitete Auffassung gewesen.

Es gibt also eine relative Tabuisierung des (offenen) Rassismus im Vergleich mit früheren Perioden, die auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden kann. Einer der Gründe dafür liegt im Einflussflussverlust der extremen Rechten: Vor allem in den ersten Jahren unmittelbar nach 1989 (parallel zum durch die herrschende Propaganda beständig wiederholt „Wegfall jeglicher sozialistischen System-Alternative“) war die extreme Rechte unter Jean-Marie Le Pen zeitweilig als erfolgreichster Träger gesellschaftlicher Frustrationen erschien. Und sie schien ein Wunderrezept für soziale Probleme, in Gestalt der ‚Préférence nationale’ (= „Bevorzugung der eigenen Staatsbürger, denen Arbeitsplätze etc. zu reservieren seien), bereit zu halten.

Das Auf und Ab im Einfluss dieser politischen Kraft hatte schon in früheren Perioden unmittelbare Auswirkungen auf die Diffusion rassistischer Iden und Haltungen. So war bereits im Laufe der neunziger Jahre gesamtgesellschaftlich ein Rückfluss der Verbreitung rassistischer Thesen beobachtet worden, der stark mit der innenpolitischen Entwicklung jener Jahre zusammenhing. Konkret gingen zwischen 1990 und 1998 folgende Auffassungen in der Gesellschaft zurück: „Es gibt zu viele Araber im Land“ (1990: 76 %, 1998 hingegen: 56 %); „es gibt zu viele Schwarze im Land“ (1990: 46 Prozent, 1998: 27 %). Einen vollkommenen Aufnahmestopp auch für Asylsuchende und Flüchtlinge unterstützten 1990 noch 40 %, acht Jahre später hingegen unterstützten nur noch 24 % diese Forderung.

Das „kommunale Wahlrecht für Ausländer/innen“ befürworteten im Jahr 1990 insgesamt 35 % der Befragten, acht Jahre später waren es dann 52 %. Heute (im November 2009) wird diese Forderung übrigens inzwischen sogar schon durch 59 Prozent unterstützt.

„Nach einer Hochphase in den Jahren von 1990 bis 1992 neigt die Verbreitung rassistischer und xenophober Auffassungen – die freilich noch immer präsent sind – dazu, zurückzugehen“, stellte damals der Meinungsforscher Roland Cayrol in der pariser Abendzeitung Le Monde vom 02. Juli 1998 fest. Und sein Kollege Jérôme Jaffré stellte parallel dazu fest: „Die Verlockung des Rassismus wird offen ausgesprochen und ist Bestandteil der politischen Debatte und begründet eine politische, soziale und moralische Trennlinie. Doch diese Situation ruft im Gegenzug eine antirassistische Mobilisierung hervor, insbesondere in der Jugend und den gebildeten Schichten der Bevölkerung. Dies macht die Annahme von Gesetzen und staatlichen Manahmen gegen die Immigranten schwierig, wie man in den letzten Jahre gesehen hat.“ Dadurch, fügte er hinzu, unterschiede sich die französische Situation im Übrigen von der britischen, deutschen oder österreichischen, wo keine vergleichbar starke Polarisierung anzutreffen sei.

Es war also die Links-Rechts-Polarisierung, die im vergangenen Jahrzehnt den offenen Rassismus zunächst zurückdrängte. Ähnliche Tendenzen hatte auch eine Umfrage des SOFRES-Instituts zutage gebracht, die am 13. Juni 1998 im Figaro-Magazine veröffentlicht worden war; dort wurden die jeweiligen Umfrageergebnisse mit den entsprechenden Resultaten vom September 1991 verglichen. Demnach befanden sich die Auffassung jener, die Sozialleistungen und Arbeitsplätze bevorzugt an französische Staatsbürger vergeben wollten, einerseits – und die Ansicht, wonach keinerlei Diskriminierung zwischen gebürtigen Franzosen und (legal) im Lande lebenden Einwanderern andererseits vorgenommen werden dürfe, im September 1991 beinahe auf gleicher Höhe. Konkret wollte damals, vor nunmehr achtzehn Jahren, je eine knappe Hälfte der Befragten etwa Arbeitsplätze (45 %), Sozialwohnungen (45 %) oder Kindergeld (48 %) bevorzugt an „einheimische Staatsbürger“ vergeben. Eine andere Hälfte wollte hingegen keinen Unterschied zwischen Franzosen und Einwanderern machen. Doch im Mai 1998 war der Anteil der „Nicht-Diskriminierungswilligen“ unterdessen auf je 68 % (bei Arbeitsplätzen) bzw. 67 % (Zugang zu Sozialwohnungen, Kindergeld) gestiegen. Umgekehrt wollten „nur“ noch 31 % (Arbeitsplätze) respektive 30 % (Sozialwohnungen, Kindergeld) „die Franzosen bevorzugen“.

Heute – 2009 - wird die Frage nach einer offenen „nationalen Bevorzugung“ so nicht mehr gestellt, doch äuert sich eine deutliche Mehrheit zugunsten einer prinzipiellen Gleichbehandlung (bspw. 81 Prozent: „die eingewanderten Arbeiter sind hier zu Hause, da sie ihren Beitrag zur Wirtschaft leisten“).

Heute, in Zeiten, da keine vergleichbar starke Links-Rechts-Polarisierung und/oder antifaschistische Mobilisierung in der französischen Gesellschaft vorherrscht, sind die Gründe anderswo zu suchen als in den starken Anwehrreaktionen gegen den Aufstieg der extremen Rechten, wie sie von circa 1995 bis 2002 aufkamen. Eine der Ursachen dafür ist der Mangel an Ausstrahlung einer „Dynamik“, die heute von der extremen Rechten ausginge: Diese hält sich zwar auf einem nicht unbeachtlichen Niveau aufrecht. Doch weist sie derzeit keinerlei strategische Perspektive (der „Machteroberung oder –beteiligung“) auf, und ihr alternder Chef Jean-Marie Le Pen – inzwischen eher eine Belastung denn ein Pluspunkt für seine Partei, den Front National – hat seinen Abgang von der politischen Bühne seit Jahren sträflich hinausgezögert.

Hinzu kommt aber, als viel allgemeiner wirkender Faktor, die wachsende „Vermischung“ der französischen Bevölkerung vor allem in den jungen Generationen, unter denen der Anteil der Französinnen und Franzosen migrantischer Herkunft in den letzten 20 Jahren (jedenfalls in den städtischen Zonen und Ballungsräumen) auf ein beträchtliches Niveau angewachsen ist. In Abwesenheit einer starken, das rassistische Potenzial in der Bevölkerung bündelnden rechtsextremen Bewegung gilt diese Tatsache der „Vermischung“ an und für sich in breiter werdenden Kreisen der Bevölkerung inzwischen als Normalität.

Der indirekte Rassismus

Aber, zweiter Punkt, dieser generelle Rückgang des (offenen) Rassismus bedeutet noch keineswegs, dass nun ausschlielich eitel Sonnenschein herrschen würde. Denn auch wenn eine groe Mehrheit sich grundsätzlich für Gleichbehandlung unabhängig von der Herkunft ausspricht, so kommt dennoch zugleich ein gewisses – meist ökonomisch bedingtes, und mit der Konkurrenz um Arbeitsplätze und Sozialleistungen begründetes – Unbehagen an der wachsenden „Durchmischung“ der Bevölkerung zum Ausdruck. So erklären 47 Prozent der Befragten tendenziell ihr Einverständnis (und 22 % davon ihr „volles Einverständnis“) zu der Aussage, insgesamt lebten „zu viele“ Einwanderer im Lande.

Allerdings: im Jahr 2000 etwa erklärten noch 59 % ihre Zustimmung zu dieser Aussage (vgl. auch http://jungle-world.com ). Zwischenzeitlich ging dieser Wert deutlich zurück, auf 38 % im Jahr 2004, doch Ende 2005 beantworteten erneut 56 % die Frage zustimmend (vgl. http://www.antifaschistische-nachrichten.de ); damals hatten die heftigen Riots und Unruhen in den französischen Vorstädte kurz vor der Durchführung der Erhebung stattgefunden. Derzeit dürfte, neben der Erinnerung an solcherlei Phänomene und den generellen (oft seitens der herrschenden Politik implizit rassistisch überfrachteten) „Innere Sicherheits“diskurs der letzten Jahre, auch der Kontext der Wirtschaftskrise eine erhebliche Rolle spielen. (Jüngst, im November 2009, wurde auf einer durch den „Minister für Immigration und nationale Identität“ Eric Besson eingerichteten Homepage offen ein Zusammenhang zwischen Zuwanderung, Einwandererjugend und Kriminalität hergestellt. Der Hinweis wurde inzwischen, infolge von Protesten, von dort wieder entfernt.)

Neben der „Sicherheits“problematik fokussieren vor allem „kulturelle“ und religiöse Faktoren, im Kontext der aktuell (unter dem Stichwort „französische Nationalidentität“) auch durch das Ministerium Eric Bessons neu losgetretenen „Integrations“- und Leitkulturdebatte, die Aufmerksamkeit eines wachsenden Teils der Gesellschaft. So stimmen 50 % der Befragten der Aussage zu, viele in Frankreich lebenden Immigranten täten nicht genug, um sich in das Land zu integrieren (während 36 % die Blockaden eher bei der Mehrheitsgesellschaft erblicken). Im Vorjahr lagen die jeweiligen Proportionen noch bei 48 % respektive 37 %. Die Zahl derer, die Integrationsdefizite vor allem auf Seiten der Einwanderer sehen, ist jedoch in (kleineren) Kommunen mit ausgesprochen niedrigem Anteil an Migranten – bei 60 % - sehr viel höher als in städtischen Zonen oder gar im Raum Paris (19 %).

Im Blickpunkts tehen dabei vor allem Muslime; jene werden, nach den Sinti & Roma (69 %), am stärksten – durch 44 % der Befragten - als zum Teil „auerhalb der französischen Gesellschaft stehende“ Gruppe genannt.

Zentrifugale Tendenzen

Einen dritten Punkt gilt es von unserer Seite her hinzuzufügen, dem Anwachsen von „Partikularinteressen“ in Teilen einzelner Bevölkerungsgruppen: Damit einher geht auch das Auftreten neuartiger rassistischer Bestrebungen, verkörpert etwa durch den stark antisemitisch konnotierten Ethnozentrismus des Anführers einer Schwarzen-Sekte namens „Kémi Séba“ (mit bürgerlichem Zivilnamen Stellio Capochichi). In diesen Bereich zählen auch die starken antisemitischen Tendenzen bei dem schwarzen französischen Theatermacher Dieudonné M’bala M’bala, die ihn zu einer Annäherung an die extreme Rechte (in Gestalt Jean-Marie Le Pen, Alain Soral, Robert Faurisson), aber jüngst – Ende November 2009 – auch zu einem Besuch beim iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinedjdad trieben. Umgekehrt sind aber auch die starken Rechtstendenzen, die mit tendenziell einwanderer- und vor allem moslemfeindlichen Haltungen einhergehen, in einem (minoritären) Teil der französischen jüdischen Bevölkerung zu nennen.

Generell ist zu beobachten, dass – mehr oder wenige kleine - Teile von „ethnischen Minderheiten“ sich heute eher aggressiv gegeneinander stellen, als sich gemeinsam gegen einen gemeinsamen Feind zu wenden. Dies stellt auch die antirassistischen Organisationen vor neue Herausforderungen.
 

Editorische Anmerkungen

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