Betrieb und Gewerkschaft

Wie erpressbar sind LohnarbeiterInnen?
Ein offener Brief an die Gruppe „Gegenwehr ohne Grenzen“ (GoG) bei Opel in Bochum


von Robert Schlosser

12/10

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Liebe Kollegen,

Euer letztes Info-Blatt für die Belegschaft hätte mir fast die Sprache verschlagen. Richtig stellt ihr eingangs fest:

„Von einstmals 21.000 auf 2.777 Ende 2011 … Jetzt 1.800 Arbeitsplätze weg ...“

Im kurzen Kommentar haltet ihr ebenfalls richtig fest, dass die Mehrheit der Belegschaft auf einer Belegschaftsversammlung im Juni dem jetzigen „Rettungsprogramm“ für Opel zugestimmt hat. Nur etwa 200 KollegInnen verweigerten ihre Zustimmung zur erneuten Restrukturierung des Opel-Kapitals.

In Anbetracht dieser traurigen Situation meint ihr jedoch feststellen zu können:

„Andererseits: Die Opel-Bosse wissen: die Bochumer Belegschaft lässt sich nicht endlos erpressen und entwürdigen. Man erinnert sich an 2000 und 2004.“

Soll es einem Sympathisanten Eurer jahrzehntelangen Bemühungen um eine klassenkämpferische Gegenposition da nicht die Sprache verschlagen?

Wenn ihr in Anbetracht der Tatsachen meint, die Opel-Belegschaft lasse sich nicht „endlos“ erpressen und entwürdigen, dann wäre es interessant zu wissen, bei welchen Verhältnissen und Zumutungen denn das Ende der Fahnenstange erreicht ist? Wie klein muss die Belegschaft denn geworden sein, damit sie sich nicht mehr erpressen lässt?

Die Streiks und Aktionen von 2000 und 2004 bedeuteten keineswegs eine Nicht-Erpressbarkeit der Belegschaft. Keine dieser Aktionen vermochte es zu verhindern, dass das Opel-Kapital seine Restrukturierungen durchsetzte! Es wurden ein paar ganz ordentliche Zugeständnisse gemacht, aber mehr nicht!

Alle LohnarbeiterInnen sind und bleiben durch das Kapital erpressbar, solange ihr Interesse einzig oder entscheidend auf Erhalt und Ausweitung von Lohnarbeit orientiert ist! Das ist nicht von besonderen Situationen oder einzelnen Widerstandsaktionen von LohnarbeiterInnen abhängig, sondern hat zu tun mit dem Charakter von Lohnarbeit. Lohnarbeit ist vom Kapital abhängige Arbeit. Sie hängt grundsätzlich ab von der Verwertung des angelegten Kapitals und von den Maßnahmen des Managements, die auf Erhalt oder Verbesserung dieser Verwertung aus sind. (Anders ausgedrückt, ohne für das Einzelkapital ausreichenden Profit, um sich in der Konkurrenz zu behaupten, schafft dieses Kapital keine Lohnarbeit, sondern schafft sie ab, spätestens dann, wenn es selbst durch die Konkurrenz abgeschafft wird.)

Dies gilt für die LohnarbeiterInnen insgesamt, wie im Besonderen für einzelne Betriebe und deren Belegschaften und kann nur unter der Voraussetzung aufhören, dass sich die LohnarbeiterInnen eben dieser Erpressbarkeit und ihrer Ursache bewusst werden. Eine „Gegenwehr ohne Grenzen“ setzt eben zum Mindesten eine solche Erkenntnis voraus. Daher wäre es Eure Pflicht, gerade das offen auszusprechen … und an Hand der Erfahrungen bei Opel könntet ihr das sehr konkret leisten, ohne lange theoretische Erörterungen! 

Zu Recht kritisiert Ihr die IGM und die Betriebsratsmehrheit für ihre Zusammenarbeit mit dem Kapital, die sie ständig durch ihre markigen Sprüche über „entschlossen Widerstand“ und das, was man sich alles nicht bieten lassen will, begleiten. Phrasen! Nichts als Phrasen! Aber Eure Beschwörung der Endlichkeit von Erpressbarkeit im Kapitalismus ist leider auch solch eine Phrase! 

Um Euren KollegInnen etwas Mut zu machen, dass man doch was verlangen könne, weist Ihr darauf hin, „dass GM weltweit wieder richtig Knete verdient und die Situation sich im Vergleich zur erpresserischen Lage im letzten Jahr total geändert hat“.

Darüber lässt sich trefflich streiten! Man kann das auch so sehen:

„Der Autobauer Opel steckt tief in den roten Zahlen. Im dritten Quartal verlor General Motors in Europa mehr als dreimal so viel wie im Vorquartal. Der operative Verlust im Europageschäft um Opel und die kleinere britische Schwester Vauxhall stieg auf 559 Millionen Dollar (rund 406,3 Millionen Euro) nach rund 160 Millionen Dollar im zweiten Quartal, wie GM am Mittwoch in Detroit mitteilte. Der Gesamtverlust in den ersten neun Monaten summiert sich damit auf 1,2 Milliarden Dollar. Opel-Chef Nick Reilly begründete den hohen Quartalsverlust mit Restrukturierungskosten, Wechselkurseffekten zum britischen Pfund und der Tatsache, dass das dritte Quartal aufgrund der Sommerferienzeit traditionell das schwächste sei..... In Europa verkaufte GM im dritten Quartal 272 000 Autos der Marken Opel und Vauxhall. Das sind 42 000 weniger als im zweiten Quartal und 27 000 weniger als vor einem Jahr. In dem nach der Abwrackprämie allgemein schwachen europäischen Markt fiel der Opel-Vauxhall-Anteil im Vergleich zum Vorjahr nach den Angaben leicht von neun auf 8,9 Prozent.“ ( http://www.focus.de/)

Solltet Ihr allen Ernstes meinen, die Überakkumulation von Kapital in der Autoindustrie sei bereits durch den Verlauf der Weltwirtschaftskrise bereinigt worden, dann ist das doch wohl eher Glauben, der sich kaum mit ökonomischen Daten begründen lässt. Die Existenz des Opel-Kapitals in Gestalt von Produktionsanlagen z.B. in Bochum steht weiter auf sehr dünnen wackeligen Beinen und kann jeder Zeit ein abruptes Ende finden. Eine „Gegenwehr“, die sich ausschließlich oder in erster Linie am Erhalt von an diese Produktionsanlagen gebundenen Lohnarbeitsplätzen orientiert, hat kaum Perspektive bzw. allein die Perspektive, auch weiterhin für das Kapital erpressbar zu sein. 

Solche Erkenntnis führt nicht unmittelbar zu Erfolg versprechenden Perspektiven in Gestalt konkreter Ziele, für die sich die KollegInnen begeistern könnten, aber ohne solche Erkenntnisse ist die allmähliche Entwicklung einer  Erfolg versprechenden Perspektive von vornherein ausgeschlossen.

Es gibt ausweglose Situationen im Kapitalismus … und dazu gehören vor allem die Situationen von einzelnen Belegschaften, deren einzige Perspektive darin besteht, ihre Lohnarbeitsplätze zu erhalten, wenn das Kapital, dem sie subsumiert sind, sich nicht in der Konkurrenz behaupten kann.

Entweder man zieht dann in Erwägung für eine „Produktivgenossenschaft“ wie etwa bei Zanon in Argentinien zu kämpfen, möglicherweise mit anderen Produkten etc. (genaueres müssten die Diskussion in einer dazu bereiten Belegschaft entwickeln) oder man spricht offen aus, dass es keine Perspektive gibt, die „Arbeitsplätze“ zu erhalten.

Wenn man über keine erfolgversprechende Perspektive verfügt, von der man selbst überzeugt ist und für die sich eine bedeutende Zahl von KollegInnen begeistern ließe, dann sollte man entweder schweigen, oder – was auf jeden Fall besser ist – den nicht lösbaren Konflikt offen ansprechen, um überhaupt Diskussionen führen zu können, die möglicherweise eine solche Perspektive eröffnen.

Gegen Firmenpleiten, flächendeckende Massenentlassungen, Massenarbeitslosigkeit gibt es keine andere Perspektive als das Kapital in Ansatz (Produktivgenossenschaft) oder radikal und flächendeckend überwindende Maßnahmen. Alles andere – und das wird uns wirklich ständig, mehr und mehr vor Augen geführt – hat keine Perspektive, jedenfalls keine, die den sozialen Interessen der LohnarbeiterInnen an einer gesicherten Existenz gerecht werden könnte. Sie müssen ihre Existenz als LohnarbeiterInnen selbst in Frage stellen, also das subjektiv nachvollziehen, was objektiv durch kapitalistische Entwicklung ständig passiert. Nur so wird die Erpressbarkeit von LohnarbeiterInnen ihre Ende erreichen! 

November 2010

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Brief vom Autor.