Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Hilfe, der extremen Rechten droht die Aufweichung!
Die „Affäre Venussia Myrtil“ und die scharfmacherischen Gegner der Chefkandidatin Marine Le Pen

12/10

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Das Böse hat Namen und Anschrift. Genauer, in diesem Falle hat es nicht einen, sondern zwei Namen. Bei ihrem Ertönen schreien einige Ultrakatholiken und Anhänger der französischen extremen Rechten laut auf, und in den letzten Wochen verdichtete sich ihr Unbehagen zu einer intensiven Kampagne.

Der erste Name lautet Venussia Myrtil. Die junge Frau[1], eine métisse, also Französin mit schwarzen und weißen Vorfahren, war bis vor kurzem der Öffentlichkeit vollkommen unbekannt. Aufmerksam auf sie wurden Beobachter erst im September dieses Jahres durch ein Interview, das die Webseite Riposte Laïque (ungefähr: „Die Laizisten schlagen zurück“) mit ihr führte und veröffentlichte[2]. Riposte Laïque wird von Personen produziert, die angeblich oder tatsächlich früher zur Linken gehörten, aber durch ein bestimmtes Laizismusverständnis in ein rassistisches Fahrwasser abdrifteten. Den Laizismus verstehen sie als eine Art säkularer Staatsreligion, die es der Gesellschaft aufzuzwingen gilt, was vor allem die Abwehr von Einwanderern – insbesondere aus muslimisch geprägten Ländern – zur Konsequenz haben müsse. Ihr Hauptanimateur, Pierre Cassen, erklärte im Frühsommer 2010 seine offene Unterstützung für Marine Le Pen, die aussichtsreiche Anwärterin auf den Parteivorsitz des Front National (FN) vor dem Kongress im kommenden Januar.

Aus Sicht der Internetpublikation zählt Venussia Myrtil zu jener neuen Zielgruppe für die islamfeindliche „Bewegung“, aus der es Aktivisten zu rekrutieren gilt. Und dies nicht nur aufgrund ihrer familiären Abstammung. Myrtil ist Ende August 10, anlässlich der Sommeruniversität des FNJ – der Jugendorganisation des FN –, erstmals an der Seite von Marine Le Pen und als Mitglied der rechtsextremen Partei aufgetreten.

Laut eigenen Angaben gehörte sie früher, als Oberschülerin, jedoch kurzzeitig der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ – dem NPA - an, einer undogmatischen und ex-trotzkistischen Partei der radikalen Linken. Jedoch, so führt sie in dem Interview aus: „Ich habe ein bisschen Soziologie studiert, und dort bringt man uns bei, dass der Begriff der ,sozialen Klasse’ gemäß Karl Marx heute nicht mehr existiert, weil es keinen wirklichen Klassenkampf mehr gibt.“ Anscheinend glaubte die junge Frau diesen plattitüdenhaften, gerührten Quark sofort aufs Wort - und bekehrte sich eilends zu anderen Ideologien. Etwa jener der Nation: „Die Leute vom NPA, die Kommunisten, sind sehr internationalistisch. Und das kann nicht wirklich einen sozialen Sinn haben. Denn dafür, dass es jemandem gut geht, muss diese Person Arbeit haben. Und man kann nicht zu den Franzosen sagen: Ja, wir werden internationalistisch sein, alle Waren werden aus China kommen, und Ihr werdet im Elend leben. Das ist nicht möglich. Das ist unlogisch. Man muss auch an unsere Landsleute denken, und das, das ist wirklich sozial, weil man sie gleichzeitig arbeiten lässt.“

Venussia Myrtil ist vor allem eine politisch verwirrte Person, die von einem Pol des politischen Spektrums zum anderen, entgegengesetzten schwenkt (sich dessen aber womöglich zum Teil unbewusst ist) und dabei lediglich dümmlich-banale politische Pseudo-Weisheiten von sich gibt. Beim FN glaubt sie jetzt einen Familienersatz gefunden zu haben. Da Teile der Partei darum bemüht sind, ihr Erscheinungsbild zu modernisieren, wurde sie in die Bezirksleitung ihrer Jugendorganisation FNJ im Raum Versailles gehievt. Wie am 25. November 10 bekannt wurde, hat die rechtsextreme Partei nun Vénussia Myrtil zudem als eine ihrer Kandidatinnen für die Bezirksparlamentswahlen im März 2011 aufgestellt[3].

Dies wiederum ruft bei anderen Anhängern der extremen Rechten geradezu Tobsuchtsanfälle hervor. Etwa bei dem 37jährigen Jérôme Bourbon, seit März dieses Jahres Direktor der altfaschistischen Wochenzeitung Rivarol. Diese Zeitung, benannt nach einem französischen Konterrevolutionär, der 1801 im Berliner Exil starb, sammelt seit 60 Jahren den harten Kern der Vichy- und Nazi-Nostalgiker. Jean-Marie Le Pen, damals noch fest im Sattel sitzender Chef des FN, gewährte ihr im Januar 2005 ein Aufsehen erregendes Interview, in dem er die nazideutsche Besatzung in Frankreich als „nicht besonders inhuman“ bezeichnete. Seine Tochter hatte sich damals für mehrere Monate von allen Parteiämtern zurückgezogen, „um zu überlegen“: Solcherlei öffentliche Geschichtsbewertungen hält sie für ungeeignet, positiv zur Zukunft der „nationalen Rechten“ beizutragen.

Marine Le Pen ist, in den Augen von Jérôme Bourbon, das zweite Gesicht des Bösen. Vor einigen Tagen bezeichnete der Ultrakatholik sie gegenüber Le Monde gar als „Dämon“. Jean-Marie Le Pen erwiderte daraufhin, Bourbon sei „ein hysterischer Taliban“, seine Tochter hatte schon zuvor Strafanzeige gegen ihn erstattet. Sein jüngst gestelltes Beitrittsgesuch zur Partei - um für den Kongress mit abstimmen zu können - wurde abgelehnt, doch lieβ er laut eigenen Angaben „meine Ehefrau beitreten“.

Am 11. November 10 trat Bourbon mit viel Schaum vor dem Mund auf einem Kongress der „Dissidenten“ der extremen Rechten, die gegen den Aufstieg von „Cheftochter“ Marine Le Pen opponieren, in Paris auf. (Vgl. KASTEN unten) 

Gollnisch: mit „Radikalen“, aber bitte ohne ,Rivarol’

Rivarol ist dabei derart radikal im Auftreten, dass es sogar Gollnisch - der eine Reihe offener Antisemiten in seinem Wahlkampfstab hat, wie Yvan Beneditti, Doppelmitglied beim FN und der faschistischen Splittergruppe Oeuvre française[4] - zu viel geworden ist. Am Samstag, den 13. November versammelte er in Villepreux bei Versailles rund 700 Anhänger, unter ihnen auch Gastredner von „Bruderparteien“ wie Andreas Mölzer von der FPÖ. Rivarol aber wurde gebeten, der Veranstaltung fernzubleiben[5]. Aus taktischen Gründen, weil die Umgebung Gollnisch fürchtet, die Zeitung werde ihm politischen Schaden zufügen. Nicht allerdings, weil Bruno Gollnisch inhaltlich gar zu gravierende Differenzen hätte.

„Der stählerne Wille von Einigen wird über die stumpfe Masse triumphieren...“

Auf der Veranstaltung sprach Gollnisch sich etwa für die Abschaffung der Loi Gayssot aus, des Gesetzes, das seit 1990 die Auschwitzlüge unter Strafe stellt. Und im Namen der „Jugend für Gollnisch“ hielt eine hübsch herausgeputzte Jungfaschistin - Marie-Automne Peyregne aus Nizza - eine Laudatio auf den Kandidaten, die eine historische Referenz nach der anderen zitierte. Etwa Alexis Carrel, Nobelpreisträger aus dem Jahr 1912, der aufgrund seines aktiven Eintretens für Euthanasie heutzutage eher verpönt ist. Oder die beiden antisemitischen und präfaschistischen Nationalisten Maurice Barrès, Schriftsteller im späten 19. Jahrhundert, und Charles Maurras, Chef der militant-nationalistischen Bewegung ,Action française’ aus dem frühen 20. Jahrhundert. Die junge Hardlinerin stellte klar, dass ihr Eintreten für den Kandidaten nicht damit zusammen hänge, dass sie für innerparteiliche Demokratie „nach dem Vorbild derer, die wir jeden Tag erleiden“ eintrete. Denn diese Demokratie bedeute „die Tyrannei der (groβen) Zahl“, die sie offenkundig explizit ablehnt – während das ewige Frankreich „durch aktive Minderheiten sowie durch eine Mehrheit von Waschlappen, Unbewussten und Feiglingen“ fortlaufend „geschädigt“ werde. Und sie fügte hinzu: „Der stählerne Wille von Einigen wird über die Masse der Ohnmächtigen triumphieren.“[6] Selten in den letzten Jahren hielt jemand in der Öffentlichkeit eine faschistische Rede in so engem Sinne. Peyregne, Tochter eines örtlichen Honoratioren, hatte bei der Kommunalwahl 2008 in Nizza auf dem dritten Listenplatz für den FN kandidiert. 

Perspektiven  

Die Splitterparteien, in denen sich jene Kader sammeln, die in den letzten Jahren dem FN wegen seiner ideologischen „Aufweichung“ unter dem Einfluss Marine Le Pens den Rücken kehrten, setzen auf eine Doppelstrategie.

(1) Entweder soll Bruno Gollnisch gewinnen, und ihre Mitglieder könnten zum FN zurückkehren. Gollnisch rekrutiert unterdessen rücksichtslos auch unter offen faschistischen und/oder antisemitischen Sekten und Gruppierungen; soeben verfasste er etwa das Vorwort für ein Buch - ,Refaire la France’ - aus der Feder eines ,Sébastien Derouen’. Es handelt sich um das Pseudonym eines aktiven rechtsextremen Kaders, „Sebastian aus Rouen“, „Philosophielehrer in einer Provinzstadt“ und „früheres Gewerkschaftsmitglied bei Force Ouvrière“, der frisch aus der antisemitischen Vereinigung Egalité & Réconciliation (E&R) von Alain Soral zum FN überwechselte bzw. zurückging, da E&R dem FN noch bis zum Februar 2009 nahe stand und danach mit ihm brach, um eine eigene offene antisemitische Politik zu entwickeln.

(2) Oder aber - was wahrscheinlicher ist - Marine Le Pen trägt den Sieg davon, und diese Kräfte werden versuchen, einen Block der „Aufrechten“ am Rande oder auβerhalb der Partei zu schmieden. Dabei hilft der Splittergruppenzirkus der Ultra-Extremen der wahrscheinlichen künftigen Parteichefin Marine Le Pen sogar: Sie sind ihr dabei behilflich, „den FN vom Geruch des Rassismus zu befreien, indem sie allen Ballast bei ihnen ablädt“ und so tut, als sei lediglich eine Fraktion „auberhalb der Partei“ rassistisch (wie es in einem Gastkommentar bei der französischen Tageszeitung Les Echos – Pendant zum deutschen Handelsblatt – vom 30. November 10, ,Le facteur FN’, formuliert wird). 

„Identitär“ versus „nur national“ ?

Robert Spieler definiert die Rechte, die es seiner Auffassung nach „wieder aufzubauen“ gelte, als „nationalistisch, europäisch und identitär“. Letzterer Begriff bedeutet eine Abgrenzung von Rechts her gegen den Nationenbegriff: Eine afrikanische Familie könne, so lautet die klassische Herleitung, die Staatsbürgerschaft erwerben und dadurch als Franzosen gelten - aber niemals „als Bretonen, Elsässer oder Basken“. Deswegen müsse die, an den Staat gekoppelte, nationale Dimension stets an die regionale „Einwurzelung“ geknüpft werden.

Als Erstes hat diesen Begriff des „Identitären“ die auβerparlamentarische rechtsradikale Aktivistentruppe des Bloc identitaire aufgebracht. Heute beanspruchen mehrere Kräfte auf der extremen Rechten den Begriff für sich (bspw. die NDP, als deren Sprecher Robert Spieler firmiert), was bisweilen zu inhaltlichen Verwirrungen führt. Denn die Wege der explizit antisemitischen rechten Kräfte einerseits und des offiziell im April 2003 gegründeten „Blocks“ andererseits trennen sich in jüngster Zeit. Besonders, seitdem der Bloc identitaire im Herbst 2009 erklärt hat, er lehne sowohl den Antisemitismus als auch den Antizionismus strikt ab, und zudem sei er „nicht rechtsradikal, sondern populistisch“[7]. Die Anführer des „Blocks“ - dessen Vorläuferorganisation, die 2002 verbotene Unité Radicale, vehement antisemitisch war[8] - glauben, dadurch gröβeren Erfolg haben zu können. Aber in anderen Teilen der extremen Rechten werden sie angefeindet. Es gibt inzwischen sogar eine eigene Webseite unter dem spöttischen Titel ,La Vérité sur les Zid’ („Die Wahrheit über die Ids“, unter Benutzung einer bewusst schlecht ausgesprochenen Abkürzung für Les identitaires, mit „herübergezogenem „–s“). Auf ihr wird diese Strömung als an die Juden verkaufte Agententruppen innerhalb der extremen Rechten präsentiert.

Die „Dissidenten“ des Front National, am 11. November 10 in Paris versammelt

Die angesprochene Veranstaltung versammelte vor allem die Anhänger von drei Splitterparteien, die sich in der Vergangenheit vom FN abgespalten hatten: des 1999 gegründeten Mouvement national républicain (MNR) - der früheren Partei von Bruno Mégret, an deren Spitze heute Annick Martin steht -, der 2008 entstandenen Nouvelle Droite Populaire (NDP, „Neue Rechte der kleinen Leute“) unter Robert Spieler und des 2009 gegründeten Parti de la France (PdF) von Carl Lang.

 

Das diesjährige Treffen stand unter dem Generalthema „Leisten wir Widerstand gegen die Kolonisierung Europas! Gegen die Diktate Brüssels: Betreiben wir Sezession (= Abspaltung)!“ Laut eigenem Bekunden der Veranstalter des Treffens entstand des Motto, das sich auch in einem öffentlichen Aufruf der Runde – „Sezession gegen das Europa von Brüssel“ – widerspiegelt, nach den heftigen Kritiken der EU-Kommissarin Viviane Reding im September 2010 gegen die Roma-Abschiebepolitik im Frankreich Nicolas Sarkozys. Damals, so die Veranstalter, habe man beschlossen, dass die nationalistischen Kräfte in Europa die Abspaltung gegen die „Einschränkungen der Souveränität“ durch solcherlei Kritik aus Brüssel propagieren sollten. Thematisch wurde das Treffen stark durch die Agitation gegen Einwanderung und „den Islam“ durchzogen, auch wenn der Antisemitismus seinerseits keineswegs (wenn man es ironisch ausdrücken darf) „zu kurz kam“.

Es vereinigte vor allem Anhänger und Aktivisten der drei, gröberenteils aus Abspaltungen und –splitterungen vom FN entstandenen, Splitterparteien:

  • des PdF („Partei Frankreichs“) unter Carl Lang, der von 1988 bis 2005 Generalsekretär der Le Pen-Partei gewesen war;

  • der NDP („Neue Rechte des kleinen Volkes“) unter Robert Spieler, Abgeordneter des FN in der französischen Nationalversammlung von 1986 bis 88 und später Jahre lang Chef einer rechtsextremen Regionalistenpartei im Elsass;

  • und des MNR („Nationale republikanische Bewegung“), zunächst unter Führung von Bruno Mégret, seit dessen Rückzug aus der aktiven Politik im Jahr 2008 inzwischen durch Annick Martin geleitet.

Der MNR war im Jahr 1999 in Marignane bei Marseille gegründet worden (und nahm seinen jetzigen Namen im Oktober 2000 an), die NDP am 1. Juni 2008 in Paris, und der PdF offiziell am 23. Februar 2009.

Neben diesen drei parteiförmigen Kräften nahmen auch Anhänger anderer Gruppierungen an dem Treffen teil. Unter anderem Vertreter der gewalttätigen rechtsextremen Studentengruppe GUD (Groupe Union Défense) – die vor allem an der Pariser Jurafakultät Assas verankert ist, wo sie nach einigen Jahren Pause wieder gegründet wurde – und Anhänger des Jeunesses Nationalistes Révolutionnaires (JNR).  Allerdings hatten die jungen Leute aus diesen Gruppierungen, die meist eher an rechtsradikalen Klamotten und Bier interessiert schienen, sich während der Podiumsdiskussionen oft an den Infoständen in den Ecken geschart – zum Leidwesen der Parteivertreter auf der Tribüne. Diese mussten öfter zur Ruhe auffordern und mit energischem Durchgreifen (Dichtmachen der Stände) drohen, während ein Alter im Publikum klagte: „Es gibt keinen Respekt mehr!“

Internationale Gäste waren u.a. Hilde de Lobel vom belgisch-flämischen Vlaams Belang (VB, „Flämisches Interesse“), die am Vormittag ihre Partei vorstellte, und Robert Vesterlund von der schwedischen militant-nationalistischen Vereinigung Salemfonden. Letztere organisiert seit Dezember 2000 alljährlich einen „Gedenkmarsch“ für einen 17jährigen rechtsradikalen Aktivisten, der vor zehn Jahren in einem Vorort von Stockholm durch Einwandererjugendliche getötet worden sei.  Dazu werden dieses Jahr etwa auch NDP-Aktivisten aus dem Elsass anreisen. Quasi unvermeidlich war der norditalienische fanatische Rassist namens Mario Borghezio von der rechten Separatisten-, inzwischen eher Regionalistenpartei Lega Nord. Derselbe Herr war u.a. auch zum „Anti-Islamisierungs-Kongress“ von ,Pro Köln’ am 20. September 2008 in die Domstadt angereist. Und schlieblich stellte Markus Wiener die Kampagne seines Vereins gegen den Bau einer Moschee in Köln-Ehrenfeld vor und lud das Publikum zum „Marsch für die Freiheit“ in Köln am 07. Mai 2011 ein.

Einwanderer-„Invasion“...

Die französischen Redner stellten sich zunächst, an einem „Runden Tisch“ am frühen Nachmittag, die Frage: „Wie die Invasion bekämpfen?“ Dabei mangelte es nicht an Vorschlägen zum Vorgehen gegen Migranten – Entzug der französischen Staatsbürgerschaft, Reservieren der Sozialleistungen für „Inländer“, Abschiebungen -, die aber auf der extreme Rechten thematisch doch wenig Neues bieten. Kleinere faktische Dissonanzen, die aber natürlich nicht als solche aufgenommen und diskutiert wurden, gab es zwischen dem christlichen Fundamentalisten arabischer Abstammung Jean Alcader[9] (der heftig gegen Moslems agitierte, aber beklagte, auch christliche Kopten aus Ägypten erhielten immer schwerer Visa für Frankreich) und anderen Rednern wie dem Debattenleiter Robert Spieler. Dieser unterstrich, auch wenn die Mehrzahl der Einwanderer „keine Moslems, sondern chinesische Buddhisten oder christliche Afrikaner“ wären, „würde dies am Problem nichts Wesentlichen ändern“. Auch der Schriftsteller Marc Rousset hatte zuvor betont, das Problem sei „kein religiöses“ (mit dem Islam), sondern „ein ethnisches“ – aber nur, weil er das Wort „Rasse“ nicht offen in den Mund nehmen wollte.

Überraschungen gab es auf diesem Podium ansonsten kaum oder keine. Der faschistische Aktivist mit katholisch-fundamentalistischem Einschlag Franck Abed rief durch den Saal: „Ja, der Islam und die Einwanderung bedroht uns, aber wir müssen die Frage steht: Wer steht dahinter, wer organisiert das?“ Es rief jemand durch den Raum: „Juden!“ Abed antwortete seinerseits: „Das republikanische System, die Politiker der Demokratie!“ Im Anschluss an die Diskutanten trat eine – scheinbar kabarattestisch auftretrende – „Schweine-Befreiungsfront“ auf die Bühne, die (unter Masken und mit Nachahmung einer Kalaschnikow ausgerüstet) ein Kommuniqué gegen die Nicht-Schweineesser verlas.

 

Bei der Abschlussveranstaltung am Abend ging der dort diskutierende NS-nahe Rassenideologe Pierre Vial (Mitglied der NDP; Chef eines im April 1995 gegründeten, ,blut & boden’-völkischen Vereins namens ,Terre & Peuple’, also „Volk und Erde“) nochmals kurz auf das Thema der vorausgegangenen Debatte ein: „Auf die Frage ,Wie gegen die Invasion kämpfen?’ habe ich eine Antwort. Einen Namen: Charles Martel[10]. Eine Antwort: den Krieg. Den ethnischen Krieg.“ Derselbe Vial wurde wenige Minuten später, für sein Bekenntnis zum rechten „Antikapitalismus“, auch durch den angeblichen „rechten Demokraten“ Markus Wiener offen beklatscht.

 

Interessanter als die – eher Einigkeit unter den Anwesende versprechende – Einwanderungsfrage war der darauf folgende Runde Tisch zum Thema „Die nötige soziale Dimension des Nationalismus“. Die soziale Frage, von Rechts betrachtet (oder die Aufgabenstellung, wie man durch möglichst dick aufgetragene soziale Demagogie an „die Massen“ heran kommt) ist ein altes Thema für Faschisten. Nicht unbrisant war es also, zu beobachten, wie es in diesem Kontext aufgeworfen würde.

 

 

... und „soziale Frage“

 

 

Manche Redner hatten ihre eigenen Vorstellungen zum Thema. So Serge Ayoub, der in den 1980er Jahren einmal Skinhead-Anführer im Pariser Umland gewesen war und heute ein rechtes Kneipenprojekt im 15. Pariser Bezirk - ,Le local’ – leitet. Seit kurzem steht er auch an der Spitze einer nationalrevolutionär ausgerichteten Gruppierung und angeblichen „Arbeitervereinigung“ unter dem Namen ,Troisième Voie’ („Dritter Weg“, was wie üblich bedeutet: gegen Marxismus und gegen Kapitalismus). Ayoub malte vor den Anwesenden das Szenario eines einmonatigen Generalstreiks aus, den „die französischen Arbeiter“ durchführen sollten, „um den Abgang der Politiker“ zu erzwingen. Diesen, d.h. den Lohnverlust der abhängig Beschäftigten während dieser Periode, sollten „kommunitäre (gemeinschaftliche) Projekte“ der französischen Nationalisten – als eine Art eigener Parallelökonomie - finanzieren bzw. durch Naturalleistungen ausgleichen. Solche Projekte wurden zur selben Zeit auch auf der Bühne vorgestellt, die allerdings aufgrund ihrer Dimension kaum geeignet sein dürften, eine rechte „Revolution“ auf frankreichweiter Ebene materiell zu unterstützen und zu tragen. (So ist das eben, wenn der historische Materialismus ein Fremdwort bildet und man, aufgrund ideologischer Verblendung, die eigenen Kräfte offenbar abgrundtief falsch einschätzt und mablos überschätze...)

 

Neben Ayoub rechtem Kneipenprojekt zählen dazu ein „Gemeinschaftshaus“ – ein Wohnprojekt für (in absehbarer Zeit) ein halbes Dutzend Familien, das gleichzeitig rechten Polit- und Kultur-Veranstaltungen und eine Bücherei Raum bieten soll – in der burgundischen Provinz, das Olivier Bonnet vorstellte. Es hört auf den Namen ,Desouchière’, in Anspielung auf die verbreitete Bezeichnung ,Français de souche’ (Abstammungsfranzosen, Franzosen nicht-migrantischer Herkunft). Ähnlich konzipiert ist das ,Vlaams Huis’ (Flämische Haus) im nordfranzösischen Lille, das durch Luc Pecharman auf dem Podium präsentiert wurde und das durch dem Bloc identitaire nahe stehende Kräfte betrieben wird.

 

Einige Beiträge gingen zugleich relativ klar am Thema vorbei, weil die Redner hauptsächlich ihren jeweiligen ideologischen Hobbys nachgingen: Francis Bergeron, dereinst Aktivist der „Solidaristen“ (so hieb eine nationalrevolutionäre Strömung in den 1970er Jahren), stellte sein Buch über Marc Augier alias „Saint-Loup“ vor. Bei diesem handelte es sich um einen französischen Waffen SS-Offizier, der jedoch nach 1945 auch als prominenter Schriftsteller (unter Pseudonym) tätig war und 1990 in Paris starb. Das Einzige, was Bergeron darüber zur „sozialen Frage“ beizusteuern wusste, war freilich, auch „Saint-Loup“ habe sich zum Motto „Gegen Kapitalismus und Kommunismus“ erkoren. Der Schriftsteller Jean-Claude Rolinat sprach über das argentinische Peron-Regime in den 1940er und 50er Jahren. Dieses sei zwar nicht „ein verwirklichter Faschismus“ (Bergeron) gewesen – was, so Rolinat, „manche bedauern“ könnten - ; es habe dennoch Ansätze „zu einer sozialen Politik im nationalstaatlichen Rahmen“ geboten.

 

Jérôme Bourbon, der im März 2010 im Alter von 37 die Direktion der altfaschistischen Wochenzeitung ,Rivarol’[11] (die seit 1952 erscheint und zunächst den harten Kern der überlebenden Vichy- und Kollaborations-Politiker um sich scharte) übernommen hat, sprach dagegen in keiner Weise über „soziale Fragen“. Er sprach ausschlieblich über die bevorstehende Regelung der Nachfolgefrage an der Spitze des Front National und kotzte – nahezu buchstäblich – all seinen Hass gegen Marine Le Pen aus. Er könne bei einer Wahl „zwischen Gut und Böse, zwischen dem Ausverkauf an die Medien und der aktivistischen Treue“, zwischen dem Zeitgeist und den Grundsätzen der extremen Rechten „nicht neutral bleiben“. Angesichts einer so grundlegenden Gut-Böse-Entscheidung könne es keine Neutralität geben, die sich wahren lasse. Die Bezeichnung „(das) Böse“ benannte dabei offenkundig Marine Le Pen. Letztere hat Mitte Oktober 2010 Strafanzeige gegen Jérôme Bourbon erstattet, nachdem dieser sie in einem Interview – das am 16. Oktober 10 auf einer katholisch-fundamentalistischen Homepage unter dem Namen e-Deo publiziert worden war – u.a. als „Wirrköpfige ohne Überzeugung, ohne Ideal, ohne Rückgrat“ bezeichnet hatte; um hinzufügen: „Ihre Umgebung besteht aus skrupellosen Karrieristen, aus patentierten Juden und notorischen Andersrum-Leuten (= Homosexuellen)“.

Auf der Konferenz am 11. November 2010 spuckte Bourbon unter anderem den Satz aus, Marine Le Pen lebe angeblich „in wilder Ehe mit dem Juden Louis Aliot zusammen“ – der 41jährige Aliot war bis vor kurzem Generalsekretär des FN und zog sich von diesem Amt zurück, um sich dem innerparteilichen Wahlkampf auf Seiten Marine Le Pens zu widmen. Die Begründung dazu lautete, die „Cheftochter“ und wahrscheinliche künftige Parteichefin beim FN habe „sich nie gegen die Loi Gayssot (Anm.: Gesetz vom 13. Juli 1990, das Auschwitzleugnung unter Strafe stellt) und gegen die HALDE“ ausgesprochen. (Die HALDE ist eine im Dezember 2004 eingerichtete Antidiskriminierungsbehörde in Frankreich, deren Auflösung Marine Le Pen in den letzten Jahren mehrfach gefordert hat und welche die FN-Politikerin erst jüngst, im November 2010, als „totalitär“ qualifizierte.) Um fortzufahren: „Sie weib genau, wo die Macht sitzt, und richtet sich daran aus, ich ihrem öffentlichen wie in ihrem Privatleben.“ Daraufhin fiel, deswegen, auch der Satz über den angeblichen „Juden“ in Gestalt des FN-Politikers Louis Aliot.

Und auch Sätze wie folgender: „Die jüdischen Medien verhätscheln Marine Le Pen, denn sie wissen, dass mit ihr dem Nationalismus die Glieder gebrochen sein werden!“  Marine Le Pen sei 2003 „auf Einladung einer jüdischen Organisation in die USA gefahren“ (in Wirklichkeit hielt sie sich dort im Oktober 2003 auf Einladung einer Frauenvereinigung der Republikanischen Partei hin auf, die sie nach New York und Washington führte), und 2004 habe sie „nach Israel fahren wollen“. Dies zu tun hatte sie tatsächlich versucht, im Rahmen einer Delegationsreise des Europäischen Parlaments, war jedoch zur unerwünschten Person erklärt worden. In den Augen ihres fanatischen Verfolgers Jérôme Bourbon sind dies jedoch alles Indizien, die ihren Verrat an der nationalen Sache belegen. Bourbon hält dem die absolute Weltanschauungstreue des aufrechten Nazis oder Faschisten entgegen: „1958 musste man gegen de Gaulle sein! Und 1967 musste man gegen den Staat Israel sein!“[12]

Marine Le Pen, die von 1992 bis 1998 als Anwältin arbeitete, bevor sie in die hauptamtliche Parteiarbeit – und zunächst an die Spitze der Rechtsabteilung des FN – wechselte, hatte damals (1995) in Einzelfällen auch „illegale“ Einwanderer als Pflichtverteidigerin vertreten. Diese Episode ist seit langem bekannt. Bourbon stieb dazu nun vor seinen Gesinnungskameraden hervor: „Das hat sie nicht aus beruflicher Verpflichtung getan, sondern aus Überzeugung! Aus Überzeugung!“ Kein gutes Haar wollte der verhinderte Inquisitor an Marine Le Pen lassen – sogar im Vergleich zu Gianfranco Fini, dem italienischen „Postfaschisten“, der nun in den Reihen von rechtsextremen Hardlinern nicht eben eine positive Referenz darstellt. Marine Le Pen betreibe die opportunistische Anpassung an den Zeitgeist „nicht einmal aus taktischen Überlegungen, wie Fini“, geiferte Bourbon, sondern aus echter ideologischer Überzeugung. Ein Gipfel!

(Inzwischen übrigens hat, am 18. November 10, Alt-Parteichef Jean-Marie Le Pen den Chef von ,Rivarol’, Jérôme Bourbon, öffentlich als „hysterischen Taliban“ bezeichnet. Aber wohl nur, weil Bourbon den Hass gegen seine eigene Tochter schürt... Jean-Marie Le Pen selbst hatte im Januar 2005 derselben Zeitung ,Rivarol’ jenes auch in den Reihen des FN höchst umstrittene Interview[13] gegeben, in welchem er u.a. die nazi-deutsche Besatzung in Frankreich als „nicht besonders inhuman“ bezeichnet hatte. Daraufhin hatte Marine Le Pen erklärt, dass sie im Namen der Regionalparlamentsfraktion des FN im Raum Paris das Kollektiv-Abo für ,Rivarol’ abbestelle[14]. Ferner hatte sie sich im weiteren Verlauf des Jahres 2005 für mehrere Monate „zur Reflexion“ zurückgezogen und ihre Parteiämter vorübergehend niedergelegt, bevor sie mit ihrem  - 2006 dann veröffentlichten – Buch ,A contre-flots’, „Gegen die Brandung“, wieder im Namen ihrer Partei auf die politische Bühne trat. Marine Le Pen hielt die ihren Vater getätigten Sprüche über die Nazi-Besatzungszeit für einen schweren strategischen Fehler, da in ihren Augen mit solchen historischen Anspielungen für die extreme Rechte der heutigen Zeit nichts zu gewinnen ist. Der unbändige Hass von Jérôme Bourbon auf die „Cheftochter“ geht mit Sicherheit auch auf diese damalige Sequenz in der innerparteilichen Auseinandersetzung zurück.)

Zurück zum 11. November 2010 in Paris. Die nur als fanatisch zu bezeichnenden Ausführungen Jérômes Bourbones brachten den Saal zum Toben. Er war nicht der einzige Redner, der eine aktive Mitmischung in die derzeitigen inneren Konflikte beim Front National predigte – im Sinne einer Blockbildung, innerhalb wie auberhalb der Partei, um ihren Altfaschisten- und Hardliner-Flügel zu stärken. (Wenngleich die Parteiführer der das Treffen vom 11. 11. 2010 organisierenden Splitterparteien, wie Robert Spieler von der NDP, dem eher reserviert gegenüber standen.) Auf der Seite gegen Marine Le Pen, natürlich. Zuvor hatte schon Christian Perez, Chef der kleineren rechten Splitterpartei Parti Populiste (PP), eine aktive Unterstützung für Bruno Gollnisch gefordert, ihm war jedoch – weil das Thema an dem Runden Tisch, an dem er teilnahm, gerade Einwanderung bzw. „Invasion“ lautete – das Wort entzogen worden. Nach ihm forderte Jérôme Bourbon seinerseits das anwesende Publikum dazu auf, in den FN einzutreten, um auf die Wahl Einfluss zu üben: „Mir hat man (= die Schiedskommission der Partei, Anm.) den Beitritt verweigert. Aber ich habe meine Ehefrau eintreten lassen. Also, veranlasst Eure Frauen, Eure Kinder, Eure Grobväter, Eure Bekanntschaften, Eure Arbeitskollegen zum Beitritt!“

Die „soziale Frage“ aufwerfen – mit „roter Fahne“, bestückt mit Haken-, ähm: Keltenkreuz

Bei der Abschlussrunde stachen u.a. die Ausführungen des Rassenideologen Pierre Vial (siehe auch oben) und des 34 Jahre jungen Generalsekretärs des PdF, Thomas Joly, hervor. Zunächst sprach Joly sich dafür aus, dass die rechten Partei zwar Wahlen als „Tribüne“ benutzen, aber auf keinen Falle auf eine vor allem an Wahlen orientierte Strategie setzen sollten: Sie dürften sich „nicht ins System integrieren“, sondern ihr Ziel müsse sein, „das System zu stürzen“. Dies stellt er sich ganz offenkundig als eine Art Nazi-Revolution vor. Die Vertreter der etablierten Kräfte, fügte er hinzu, würden „dann wohl nach New York oder nach Tel Aviv ins Exil gehen“. Thomas Joly grübte vom Redner-Mikrophon auch ausdrücklich das „Unterstützungskomitee für Vincent Reynouard“, das im Saal einen Stand hatte. Reynouard ist ein - wegen zahlreicher Vorfälle öffentlicher Holocaustleugnung zu einem Jahr Haft ohne Bewährung verurteilter – Auschwitzleugner, der nunmehr seit einem knappen halben Jahr einsitzt.

An dem Stand wurden ganz offen u.a. die Schrift des antisemitischen Frühsozialisten Alphonse Toussenel von 1845 – „Die Juden, Könige unserer Zeit“ -, oder „Juden und Antisemitismus“ von Lucien Rébatet (einem der führenden Ideologen und „Journalisten“ der NS-Kollaboration im besetzten Frankreich) feilgeboten. An benachbarten Ständen gab es allerdings ebenfalls feine Sachen zu kaufen. Etwa am Tisch von ,Terre & peuple’ eine – ins Französische übersetzte – Broschüre des NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg über „Den groben Verschwörerkongress von Basel (1897)“; gemeint mit dem Titel ist der erste Zionistenkongress, der 1897 in der schweizerischen Stadt stattgefunden hatte. Bei dem Buch handelt es sich um die deutsche Version der „Protokolle der Weisen von Zion“, welche Alfred Rosenberg für die NSDAP adaptiert hat. Anderswo, etwa beim „Solidaritätskomitee“ für den verurteilten Auschwitzleugner Vincent Reynouard, gab es u.a. die Turner-Diaries (einen Klassiker der Holocaustleugner-Literatur) sowie „Juden und Antisemitismus“ von Lucien Rébatet, einem der Hauptprotagonisten der intellektuellen Kollaboration mit NS-Deutschland im Frankreich der 30er und 40er Jahre. Oder an einem Stand, wo es auch die rot-braune Zeitung ,Flash’ zu kaufen gab, das Buch von André Gaillard: „Die jüdischen Ursprünge des Antisemitismus“, verlegt durch die frühere Pariser Neonazi-Buchhandlung L’Aencre. Ihr Verlagshaus, gegründet 1996 durch den i.d.R. (ungefähr) nationalrevolutionär Philippe Randa – seines Zeichens auch einer der Chefredakteur von ,Flash’ – besteht noch fort.

Pierre Vial, nachdem er (s.o.) den „ethnischen Krieg“ gefordert hatte, sprach sich seinerseits für ein vorgeblich „soziales Profil“ der Rechten aus. Nachdem er den „Materialismus“ sowohl in Gestalt des Marxismus als auch des Liberalismus – beiden sei ihr „Ökonomismus“ (d.h. ihr auf wirtschaftliche Aspekte konzentriertes Menschenbild) gemeinsam - gegeibelt hatte, forderte er dann plötzlich rote Fahnen und revolutionäres Auftreten. „Der Kampf gegen das Europa von Brüssel“, verlangte er, „bedeutet klaren Antikapitalismus!“ Und: „Die rote Fahne macht mir keine Angst. Vor allem, wenn ein Keltenkreuz darauf prangt.“ Historisch hätte er wohl ein Hakenkreuz im Visier gehabt, doch dies würde juristische Probleme aufwerfen, da tut es ein ebenfalls mit rechtsextremen Kräften identifiziertes Kreuz auch. - Das Keltenkreuz kam bei französischen Rechtsradikalen in den späten 40er und den 50er Jahren in Mode. Es handelt sich um einen Kreis, in dem ein Kreuz aufrecht steht. Dabei überragen die Balken des Kreuzes auf allen vier Seiten den Kreisumfang.

Zum Abschluss forderte Vial, die extreme Rechte – oder ihre konsequenten Kräfte – sollten im Frühjahr 2011 „eine Demonstration für die Opfer der Pariser Kommune“ (gemeint: ihrer blutigen Zerschlagung) veranstalten. Die Commune de Paris, ein frühsozialistisches Selbstverwaltungsexperiment mit demokratischen Strukturen nach dem Zusammenbruch des „Zweiten Kaiserreichs“ von Napoléon III. (infolge des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71), dauerte von März bis Mai 1871. Ihre brutale Zerschlagung durch die bürgerlich-reaktionäre Regierung von Adolphe Thiers, die sich nach Versailles geflüchtet hatte, und die spätere Repression forderte Zehntausende Todesopfer und Tausende von Verbannungen in koloniale Zuchthäuser. Diese Ereignisse jähren sich 2011 zum 140. Mal, es handelt sich also um einen „runden“ Jahrestag. Schon in den Jahren 1996/97 hatte der – inzwischen verstorbene – rechtsextreme Ideologe Jean Mabire in der damaligen FN-Wochenzeitung National Hebdo gefordert, die nationalistische Rechte solle die Commune de Paris für ihre Zwecke uminterpretieren: als Protest der nationalen Massen gegen die Niederlage im Krieg von 1870/71 und gegen die Zusammenarbeit zwischen preubischer Armee und bürgerlicher Regierung in Versailles. (Letztgenannte Kooperation war ansonsten real, da beide reaktionären Staatsmächte miteinander gegen die Commune de Paris einig waren.)

Diese historische Interpretation ist zwar insofern grundfalsch, als die Commune de Paris sich gegen Nationalismus aussprach, die damals auf der Plâce Vendôme stehende Siegessäule als „chauvinistisches Moment“ umstürzen lieb und in Paris lebenden Ausländern das Recht gewährte, mit abzustimmen und mit zu bestimmen. Doch nichts hält die Faschisten davon ab, auch an diesem Punkt in Geschichtsklitterung zu versuchen. Nunmehr könnten also einige faschistische Kräfte einen erneuten Anlauf unternehmen, um dieses historische Ereignis für sich zu vereinnahmen und sich als „Revolutionäre“ aufzuführen.

Allerdings könnten sie sich selbst dabei noch ein Bein stellen, denn neben einigen sonstigen inhaltlichen Unstimmigkeiten und ideologischen Unkohärenzen dürften sich die Rechtsradikalen nicht zuletzt mit einigen ihrer Mobilisierungsdaten selbst im Weg stehen: Am 07. Mai 11 wollen sie in Köln mit ihren deutschen Gesinnungskameraden von ,Pro NRW’ mit marschieren; rund um den 09. Mai ihren jährlichen Aufmarsch für ihren Quasi-„Märtyrer“ Sébastien Deyzieu[15] durchführen; und eine Woche später, Mitte Mai 11, dann „für die Opfer der Pariser Kommune“ demonstrieren? So viele Kräfte dürfte dieses Aktivistenspektrum auch wieder nicht haben, das sich mit zu vielen Mobilisierungsterminen selbst überschätzen dürfte.

Anmerkungen


[4] Yvan Benedetti, der im Juni 2010 die berüchigte antisemitische Fälschung aus dem frühen 20. Jahrhundert - ,Die Protokolle der Weisen von Zion’ – als « vorausweisendes Dokument » bezeichnete, firmiert derzeit als Kampagnenleiter des innerparteilichen Wahlkampfs von Bruno Gollnisch. Zudem ist er einer von beiden Gesellschaftern des im Mai 2010 angemeldeten Kleinverlags SNEP, der jüngst Bruno Gollnischs « nationales Manifest » in Buchform (unter dem Titel ,Une volonté, un idéal’, also « Ein Wille, ein Ideal ») veröffentlicht hat. Der Kleinverlag hat in Lyon dieselbe postalische Adresse wie der Internetauftritt von ,Œuvre française’. Yvan Benedetti gehörte diéser extrem antisemitischen Splittergruppe formell bis zum 1. August dieses Jahres und war inoffiziell die « Nummer Zwei » in ihrer Hierarchie. Vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/2010/11/26/qui-edite-le-livre-de-bruno-gollnisch/ 

[5] Angekündigt war lediglich ein Infostand der im selben Haus erscheinenden, nur per Abonnement vertriebenen Monatszeitschrift ,Ecrits de Paris’. Letztere Publikation erscheint seit 1944 und war zunächst der Vorläufer der Wochenzeitung ,Rivarol’, bevor diese im Jahr 1952 dann hinzu kam und rasch mehr Platz einnahm. Beide Publikationen haben nach wie vor dieselbe Verlags- & Redaktionsadresse und ergänzen sich gegenseitig, wobei die Monats- im Windschatten der Wochenzeitung steht. Auf dem Infotisch lag ,Rivarol’ dann aber ebenfalls aus. Laut einem Bericht französischer Journalisten (vgl. http://www.streetpress.com ) war Jérôme Bourbon - der zwischendurch kurzzeitig aufkreuzte – jedoch gebeten worden, sich persönlich zu halten. Um den anderen Flügel des FN, der seine Anwesenheit als Provokation betrachtet hätte, nicht allzu stark zu provozieren.

[6] Die Rede von Marie-Automne Peyregne am 13. November (unter der Überschrift : « Gollnisch, l’honneur et la fidélité ») findet sich unter anderem auf der Webseite der ,Jeunes pour Gollnisch’ sowie auf jener des Antisemiten Marc George : medialibre.eu. – Marc George war früher ein Vertrauter der rot-bräunlichen Möchte-Gern-Antisemitenführer Alain Soral und Dieudonné M’bala M’bala, der mit ihnen seit circa 2006 an einer querfrontähnlichen Alternative zum FN bastelte, sich jedoch mit dem (angeblichen) « Marxisten und Nationalisten » Soral seit Februar 2010 tödlich verkracht hat (vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/). Marc George hat sich also von den Antisemiten und vorgeblichen betonten « Moslemfreunden » Dieudonné & Alain Soral abgewandt – und wurde zum Unterstützer des eher sehr traditionellen Rechtsextremen Bruno Gollnisch. Seine Webseite dient als eines der wesentlichen Propagandamedien im innerparteilichen Wahlkampf Bruno Gollnischs.

[7] Diese Positionen bezog der ,Bloc’ auf seiner mit europaweiten Gästen veranstalteten ,Convention identitaire’, die am 17./18. Oktober 2009 im südfranzösischen Orange mit angeblich über 600 Teilnehmern stattfand. Aus demselben Anlass hatte der ,Bloc’ seine Umwandlung von der reinen Aktivistengruppe in eine offizielle politische Partei, die in Zukunft auch zu Wahlen antreten möchte, erklärt. Und im selben Zeitraum erklärte einer seiner örtlichen Kader in Südostfrankreich, Richard Roudier, der FN habe « den Begriff der Identität entehrt », indem Jean-Marie Le Pen seine umstrittenen Äußerungen zum Zweiten Weltkrieg von sich gab – die man selbst « klar verurteile ». (Vgl. http://www.rue89.com/ )

[9] Jean Alcader ist der Autor zweier Bücher, die über rechtsextreme Verlage und Buchvertriebe zu erwerben sind : ,Le vrai visage de l’islam’ (« Das wahre Gesicht des Islam »), aber auch ,Le vrai visage du modernisme’ (« Das wahre Gesicht der Ideologie der Moderne »). Den Buchdeckel von Letzterem ziert eine offensichtlich verfallende Kirche, umgeben von einem Ruinenfeld.

[10] Der fränkische Krieger, deutsch „Karl Martell“ genannt, hat der Geschichtslegende zufolge im Jahr 732 christlicher Zeitrechnung in der Nähe des westfranzösischen Poitiers „die Araber (respektive Sarazenen) und die Ausbreitung des Islam“ mit Waffengewalt „gestoppt“. In Wirklichkeit kämpfte er gegen einen relativ kleinen Trupp arabischer Reiter, der im Dienste spanischer katholischer Feudalherren stand. - Der MNR hielt im Herbst 2000 eine Grobveranstaltung auf der Wiese statt, wo die Schlacht damals stattgefunden haben soll.

[11] ,Rivarol’, die nur einen relativ kleinen « harten Kern » der extremen Rechten anspricht - ihre wöchentliche Auflage beträgt rund 3.000 -, trägt den Namen eines konterrevolutionären Schriftstellers, Antoine de Rivarol (1753 bis 1801) der zu Zeiten der Französischen Revolution das Land verlassen hatte. Er starb 1801 im Exil in… Berlin, was den Überlebenden und historischen Nachfolgern der französischen NS-Kollaborateure natürlich besonders das Herz übergehen lässt. Zwischen 1940 und 45 hatte es einige Vordenker der französischen Pro-Nazis und Antisemiten ins damalige Berlin gezogen; über seine dortigen Beobachtungen während des Zweiten Weltkriegs (in einem Dorf in der Nähe von Berlin) hat der prominente antisemitische Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline auch ein Buch verfasst, ,D’un château l’autre’. - Von Antoine de Rivarol stammt jener Ausspruch, den in früheren Jahren Jean-Marie Le Pen öfters zitiert hat : « Wenn die Völker aufhören, (ihre Anführer) zu schätzen, dann hören sie auf, zu gehorchen. »

[12] Gemeint sind dabei einmal die Mobilisierung eines Gutteils der damaligen extremen Rechten anlässlich (und zugunsten) des Militärputschs unter General Charles de Gaulle vom 13. Mai 1958, welcher der schwächelnden Vierten Republik ein Ende setzt; damals waren viele Rechtsextreme noch überzeugt, de Gaulle werde als „starker Mann“ das Blatt im Algerienkrieg wenden und den Kolonialkrieg in Nordafrika doch noch gewinnen. Charles de Gaulle begründete die Fünfte Republik, doch leitete letztendlich den geordneten Rückzug aus Algerien ein und schüttelte ab spätestens 1960 seine vormaligen rechtsextremen Unterstützer ab (die daraufhin die Terrororganisation OAS gründeten ihn zum Dank mehrfach zu ermorden versuchten).

Und im Jahr 1967 kam es zu einer Umorientierung in Teilen der Alt- wie Neofaschisten-Szene, denn auch frühere Antisemiten unterstützten nunmehr im Sechs-Tage-Krieg mehrheitlich den Staat Israel. Einerseits, weil sich der welthistorische Kontext gegenüber den 1940er Jahren verändert hatte und Israel ihnen als Bündnispartner gegen die antikolonialen Bestrebungen in Afrika und Asien erschien; zum Anderen wohl auch, weil die pro-israelische Position ihnen als „Eintrittskarte in den Club der zivilisierten Kräfte“ erschien, wie zuvor etwa vielen philosemitisch gewendeten Altnazis in Westdeutschland. Nur ein sehr kleiner harter Kern von unverbesserlichen Antisemiten widerstand damals dem Sog, den diese neue Positionierung innerhalb der extremen Rechten auslöste.

In einem größeren Teil der extremen Rechten wurde die traditionell pro-israelische Position, die seit den 50er oder spätestens seit den 60er Jahren eingenommen worden war, erst ab circa 1987 wieder über Bord geworfen. U.a. vor dem Hintergrund der Kritik an Jean-Marie Le Pen, nachdem er am 13.09.1987 im französischen Fernsehen als „Detail der Geschichte“ bezeichnet hatte, und des daraus erwachsenden Bruchs auch mit rechtsnationalen Kräften, die zuvor sowohl Israel als auch Apartheid-Südafrika als „belagerte Wagenburgen der zivilisierten Welt in feindlicher Umgebung“ unterstützt hatten. – Der erst 37- oder 38jährige Jérôme Bourbon ist freilich zu jung, um diese Phase selbst miterlebt zu haben. Ihm muss im Nachhinein die zwanzigjährige Zwischenperiode (von spätestens 1967 bis circa 1987), in welcher der Mainstream der französischen extreme Rechten offensiv pro-israelisch ausgerichtet war, als ein „Abgrund des Verrats an nationalen Prinzipien“ erscheinen.

[13] Später wurde eine Strafverfolgung gegen Jean-Marie Le Pen aufgrund seiner Äuberungen in diesem Interview aufgenommen, vgl. http://www.ldh-toulon.net/spip.php?article467  oder http://www.page-crime.com

[15] Es handelt sich um einen einen Neonazi und Aktivisten der FN-Jugendorganisation FNJ, der im Mai 1994 aus einem Fenster im fünften Stock kletterte, um sich einer polizeilichen Durchsuchung zu entziehen, und abstürzte.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.