Der Pate lässt wählen
Wahlen in Westafrika: Burkina-Faso, Guinea, Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste)

von Bernard Schmid

12/10

trend
onlinezeitung

Und aller guten Dinge sind drei! An drei Wahlen, in drei verschiedenen Ländern, war der Präsident und „Patriarch“ des westafrikanischen Staats Burkina-Faso in den letzten Wochen beteiligt. Zwei davon galten als brenzlig. Die Côte d’Ivoire scheint nun am Rande eines Bürgerkriegs zu stehen

Es ist scheinbar paradox: Die unwichtigste und am wenigsten beachtete unter diesen Wahlen war dabei jene vom 21. November 2010, bei der es um sein eigenes Mandat ging. Denn als es in seinem eigenen Land um seine Wiederwahl ging, schien nicht viel auf dem Spiel zu stehen: Daran, dass Blaise Compaoré auch nach 23 Jahren an der Spitze des Staates des Regierens nicht müde sei, zweifelte niemand. Und auch daran, dass seine Wiederwahl schon vor Öffnung der Wahllokale feststand, dürfte kaum jemand gerüttelt haben. Nachdem er im November 2005 mit – nach offiziellen Zahlen - 80,35 Prozent der abgegebenen Stimmen wiedergewählt worden war, fiel sein Ergebnis dieses Mal mit 80,15 Prozent ein wenig niedriger aus (schwach, schwach!). Vielleicht lag es daran, dass seine Tagesform dieses Mal nicht ganz so gut war. An zweiter Stelle landete der Diplomat & ,Sparringspartner’ Hama Arba Diallo mit gut 8 Prozent, und der Oppositionelle Bénéwendé Stanislas Sankara hingegen erst an dritter Stelle mit rund 5 Prozent. 

Burkina-Faso: Autoritäre Demokratur  

Solche Ergebnisse zeugen zumindest davon, dass es in einem Land keine lebendige Demokratie gibt. Offene Wahlfälschungen oder blutiger Terror sind dabei unter Umständen gar nicht einmal nötig: Wo ohnehin niemand an einen Wechsel glaubt, die Mehrheit politisch resigniert ist und viele Menschen deshalb abstimmen gehen, weil ihnen bei Wahlkundgebungen ein wenig Geld zugesteckt wird, besteht wohl selbst ohne Manipulationen kein gröberes Risiko für den Amtsinhaber. Die Übernahme des französischen Wahlsystems erleichtert dabei den Stimmenkauf. Während etwa in Deutschland abgestimmt wird, indem man einen Namen auf einem – einheitlichen – Wahlzettel ankreuzt und diesen abgibt, wird in Frankreich und in vielen französischsprachigen Ländern anders votiert. Dort wählt die Stimmbevölkerung unter mehreren bereit liegenden Bulletins eines aus, und davon gibt es so viele, wie Kandidaten zur Wahl stehen. Die nicht benutzten Bulletins wirft die Wählerin in einen, im Wahllokal oder drauben bereit stehenden, Papierkorb – so jedenfalls in Frankreich. In mehreren afrikanischen Ländern hat man diese Praxis nur um den pragmatischen Aspekt erweitert, dass man die nicht benutzten Stimmzettel auch getrost bei Anhängern der Präsidentenpartei abgeben darf, die dadurch kontrollieren können, wie man gestimmt hat. 

Blaise Compaoré regiert Burkina-Faso, seitdem er – zusammen mit anderen Militärs - in einem Rechtsputsch am 15. Oktober 1987 seinen Amtsvorgänger und Adoptivvater Thomas Sankara ermordet hat. Die frühere Kolonialmacht Frankreich unterstützte den Putsch. Sein Präsident François Mitterrand hatte noch wenige Monate zuvor auf einem Französisch-Afrikanischen Gipfel den jungen und rebellischen Staatschef Sankara gemahnt, er werde mit seinem Ungestüm „nicht weit kommen“. Sankara, der das zuvor von jahrelangen politischen Konflikten geprägte Land seit 1983 regierte, stand an der Spitze einer nicht autoritären, linkspopulistischen Militärregierung. Diese versuchte das Land, unter Mitwirkung von Gewerkschaften und linken Parteien – wobei es zwischen diesen verschiedenen Akteuren auch heftige Grabenkämpfe gab – zu reformieren und aus der französischen Vormachtstellung zu lösen. Besonderen Wert wurde auch auf die Mitwirkung der Landbevölkerung und die Emanzipation der Frauen gelegt. Sankara wurde für Teile der Jugend des afrikanischen Kontinents auf die Dauer zum Vorbild.  

Sein Co-Mörder und Nachfolger Blaise Compaoré führte Burkina-Faso dagegen zurück in die Bahnen der neokolonialen „Normalität“ und zerstörte die Hoffnungen auf radikale Veränderung, die weite Teile der Bevölkerung bis dahin hegten. Sein Regime basiert dabei eher auf Korruption, dem „Kauf“ von Oppositionellen und einen scheinbar sanften Autoritarismus, denn auf Blutvergieben. Kurz nach seiner, damals noch etwas heftiger umstrittenen, „Wiederwahl“ im Jahr 1998 ermordete seine Leibgarde jedoch den gar zu kritischen Journalisten Norbert Zongo. Auch sein eigener Bruder, François Compaoré, war in diesen Mord verwickelt. Seitdem führen Oppositionelle und Menschenrechtsorganisationen eine Kampagne für die Bestrafung der Verantwortlichen. 

Der Pate als „Vermittler“  

Burkina-Faso, infolge der „Normalisierung“ nach dem Rechtsputsch, dient jedoch auch als Drehscheibe für Frankreichs politische Interventionen auf dem Kontinent, und mutmablich für eine Reihe von Waffenlieferungen in Nachbarländer, die von stärkeren Konflikten geschüttelt werden: Sierra-Leone, Liberia; aber auch die Elfenbeinküste auf Seiten der Milizen und Ex-Rebellen in der nördlichen Landeshälfte (siehe unten)[1]. Compaoré hat sich aber in den letzten Jahren auch als „Vermittler“ in zahlreichen dieser Konflikte einen Namen gemacht, wobei hinter ihm oft der Schatten der postkolonialen Hegemonialmacht Frankreich zu erkennen ist. Unter Federführung Blaise Compaorés wurde der „inner-togolesische Dialog“ geführt, nachdem infolge des Tods des langjährigen pro-französischen Präsidenten Eyadema Gnassingbé – an der Macht von 1963 bis zu seinem Ableben Anfang 2005 – dessen Sohn Faure Gnassingbé zum Präsidenten „gewählt“ wurde. Dieser „Dialog“ hinderte nicht daran, dass der Präsidentensohn sowohl im März 2005 als auch im März dieses Jahres jeweils zum „Wahlsieger“ erklärt wurde, was in beiden Fällen heftige Unruhe auslöste, wobei die Repression bei jenen vor fünf Jahren mehrere hundert Todesopfer kostete. In diesem Jahr protestierte die vereinigte Opposition, wich der harten Konfrontation jedoch aus. 

Blaise Compaoré war auch als Vermittler in zwei von Bürgerkriegsgefahr durchzogenen Ländern der Region tätig. Er vermittelte in den letzten anderthalb Jahren die Gespräche zwischen ziviler Opposition und der – nunmehr scheidenden – Militärregierung, die seit Dezember 2008 in Guinea an der Macht war. Dabei ging es unter anderem dazu, den während des Jahres 2009 an der Spitze der Junta stehenden jungen Offizier Moussa Dadis Camara, der als autoritär und unberechenbar gilt, zum Abgang zu überreden. Die nunmehr publizierten WikiLeaks-Dokumente belegen, dass Frankreich und die USA mit vereinten Kräften bemühten waren, den als unkalkulierbar geltenden 45jährigen an den Rand zu drängen. Nachdem dieser bei einem Attentat eines Gehilfen – infolge interner Rangeleien unter den Militärs - vor einem Jahr schwer verletzt wurde, gelang es, die Ereignisse in Guinea in ruhigere Bahnen zu lenken.  

Die Abhaltung der Präsidentschaftswahlen, der ersten pluralistischen Wahl in Guinea seit der Unabhängigkeit im Jahr 1958 überhaupt, erwies sich zwar noch als schwierig: Der erste Wahlgang fand am 27. Juni statt, der zweite – nach mehrfacher Verschiebung – erst am 7. November 2010. Dabei standen sich noch zwei Kandidaten gegenüber, der frühere Premierminister Celou Daleine Diallo und der seit 40 Jahren an der Spitze einer Oppositionspartei stehende Alpha Condé. Letzterer dürften in Paris einen leichten Vorzug genossen haben, da er in den letzten fünfzehn Jahren lange im französischen Exil lebte. Und der dereinst radikal linke Politiker, der in den sechziger Jahren noch zwischen Kuba, Jugoslawien und dem sowjetischen Block hin- und herreiste, hat sich schon in den Achtzigern zur Sozialdemokratie und der Akzeptanz der weltwirtschaftlichen Grundordnung bekehrt. Grundsätzlich gab es jedoch keinen radikalen Unterschied in der Einschätzung der beiden Kandidaten durch die internationalen Grobmächte.  

In Guinea selbst polarisierte sich die innenpolitische Debatte sehr weitgehend um die „ethnische“ Zugehörigkeit der Kandidaten, und vor allem um die Zugehörigkeit von Celou Daleine Diallo zu den Peul. Diese stellten mit 40 Prozent die gröbte einzelne Bevölkerungsgruppe, übten jedoch seit der Unabhängigkeit noch nie die politische Macht aus. Ihnen gehören sowohl sehr viele Händler als auch Teile der städtischen Armutsbevölkerung in der Hauptstadt Conakry an. Viele Guineer befürchteten nun die „Rache der Peul“, nachdem diese bislang vom Zentrum der Macht ferngehalten blieben. Deswegen wurden viele Stimmen von kleineren Kandidaten aus dem ersten Wahlgang auf Condé übertragen. Diskutiert man in diesen Tagen mit Guineern, so sind je rund die Hälfte von einem „echten“ Wahlsieg oder einem Sieg durch Stimmbetrug überzeugt. Die Hauptsache ist jedoch vorläufig, dass es insofern ruhig blieb, als die Mehrheit der Bevölkerung keinen ethnisierten Bürgerkrieg wünschte. Nach (je nach Angaben) drei Toten bis hin zu 86 Opfern infolge von Unruhen unter enttäuschten Anhängern des unterlegenen Kandidaten wurde am 17. November 2010 der Ausnahmezustand verhängt. In der ersten Dezemberwoche Woche wurde er jedoch wieder aufgehoben, und Guinea wurde wieder in die Afrikanische Union (AU) aufgenommen, aus der es nach einem Massaker an Oppositionsanhängern in einem Stadion von Conakry  am 28. September 2009 vorübergehend ausgeschlossen worden war. 

Côte d’Ivoire: Am Rande des Bürgerkriegs? 

„Heib“ ist die Situation unterdessen jedoch in der Côte d’Ivoire. Dort hat die Präsidentschaftswahl, nachdem sie ein halbes Dutzend mal verschoben war und turnusmäbig schon vor Ende 2005 hätte abgehalten werden müssen, nun am 31. Oktober und am 28. November 2010 wirklich stattgefunden. Voraus ging ein Bürgerkrieg, der die Côte d’Ivoire in zwei administrativ getrennte Landeshälften – den Norden und den Süden – aufgespaltet hatte. Er endete offiziell mit dem Abkommen von Ouagadougou im März 2007, das auch in diesem Falle unter Federführung des dort ansässigen Präsidenten Blaise Compaoré stattgefunden hatte. Das Abkommen führte jedoch nicht dazu, dass die Bürgerkriegsparteien und die Milizen auf beiden Seite – dazu zählen besonders die ,Forces Nouvelles’ (Neuen Kräfte), die den Norden des Landes faktisch kontrollieren und höchstwahrscheinlich durch Blaise Compaoré massiv bewaffnet und aufgerüstet worden sind, aber auch Milizen von Gbabgo-Anhängern im Südwesten des Staatsgebiets – entwaffnet worden wäre. Vielmehr vertröstet das Abkommen darauf, dass „der neue Präsident“ nach Abhaltung der Wahlen (die nun im Herbst dieses Jahres endgültig stattfinden konnten) das Problem dann hinterher anpacken werde.  

Dies wirft jedoch in diesem Falle mindestens ein heftiges Problem auf. Compaoré ist nämlich faktisch auch der Schirmherr der ‚Forces Nouvelles’, wie die früheren Rebellen in der nördlichen Landeshälfte heiben: „Neue Kräfte“. Deren Warlords, die sich im Laufe des Bürgerkriegs hemmungslos bereichert hatten, errichten eifrig Villen in Burkina-Faso und tätig andere Investitionen – mit den Geldern aus den „Revolutionssteuern“, die sie auf die örtliche Bevölkerung und den Handel zwischen Nord- und Südhälfte des Landes erhoben haben. 

Einer der Streitgegenstände im Bürgerkrieg war die Stellung der Ivoirer aus der nördlichen Landeshälfte: Nationalisten aus dem Süden beschuldigten sie oft, „Ausländer“ und verkappte Burkinabè – so nennt man die Angehörigen des nördlichen Nachbarstaats – zu sein. Die Côte d’Ivoire und „Obervolta“ (Haute-Volta), der Vorläufer des späteren Burkina-Faso – die Umbenennung erfolgte in den achtziger Jahren unter Thomas Sankara - waren bis zu ihrer Auftrennung durch die französische Kolonialverwaltung im Jahr 1947 ein einheitliches Territorium. Viele Ivoirer aus dem Norden haben Elternteile auf der anderen Seite der Grenze, und oft beide Staatsbürgerschaften. Zahllose Immigranten aus Burkina-Faso sowie Mali arbeiteten zugleich seit Jahrzehnten in der Côte d’Ivoire, dem früheren „Wirtschaftswunderland“ der Region, das allein 40 Prozent der Wirtschaftskraft Westafrikas ausmacht, aber seit einigen neoliberalen Reformen in den neunziger Jahren zum Teil ruiniert ist. Die Erfordernis für westafrikanische Ausländer, über Aufenthaltstitel zu verfügen, ist übrigens im November 2007 nach dem Bürgerkriegsende wieder abgeschafft worden. 

Die Berufung auf die „Ivoirité“, ein ethno-nationalistisches Konzept, das den Unterschied zwischen „echten“ und „falschen“ Ivoirern ausmachen sollte, in der Innenpolitik des Landes seit den späten 1990er Jahren Jahren hatte aber auch durchsichtige politische Gründe: Es ging Teilen der politischen Elite des Landes darum, Alassane Dramane Ouattara (von seinen Anhängern auch „ADO“ genannt) vom Zugang zum Präsidentenamt fern zu  halten. Er stammt aus dem Norden, seine Mutter aus Burkina-Faso, und er soll in der Vergangenheit beim Arbeiten auch den Pass des letztgenannten Landes benutzt haben. Im Jahr 2000 wurde Ouattara so aus vorgeblich ethnischen Gründen von der Wahl ausgeschlossen. Dies sollte vermeintlich dem Kandidaten der früheren Einheitspartei unter Houphoët-Boigny, Henri-Konan Bédié, den Wahlsieg sichern. (Bédié war Staatspräsident während der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, von 1993 bis 99, und wurde an deren Ende durch einen Militärputsch am Weihnachtstag 1999 gestürzt. Die Putschisten zogen sich daraufhin jedoch in die Kasernen zurück, nachdem sie die Garantie für die Abhaltung von Wahlen erhalten hatte. Während des Armeeputschs hatte sich in Frankreich der bürgerliche Präsident Jacques Chirac für die Entsendung von Fallschirmjägertruppen ausgesprochen, um das Regime Bédiés zu retten – sein sozialdemokratischer Premierminister Lionel Jospin hatte sich jedoch dagegen stark gemacht.) Dieser hatte sich vermeintlich die besten Wahlchancen gesichert, und Bédié rechnete mit einem sicheren Wahltriumph. Real profitieren konnte von den Ausschluss-Regeln dann aber Laurent Gbagbo, der frühere sozialdemokratische Oppositionelle unter dem Houphouët-Regime - der seine Stunde gekommen sah und als opportunistischer Trittbrettfahrer auf den rollenden Zug des Ethno-Nationalismus hinten mit aufsprang. 

Die Sache wird jedoch dadurch kompliziert, dass in Frankreich (also bei der post- und neo-kolonialen Hegemonialmacht der Region) zumindest die, damals und heute regierende, konservative Rechte eindeutig Alassane Ouattara den Vorzug gibt. Dieser ist unter anderem mit Nicolas Sarkozy, der ihn während seiner Amtszeit als Bürgermeister des Pariser Millionärsvororts Neuilly-sur-Seine – wo er von 1983 bis 2007 amtierte – dort mit einer Französin traute, persönlich befreundet. In Paris wie in Washington gibt man Ouattara auch deswegen den Vorzug, weil dieser in den achtziger und neunziger Jahren in internationalen Finanzinstitutionen arbeitete und es bis zum Vizedirektor sowie Leiter der Afrika-Abteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF) brachte. In dieser Eigenschaft war er unzweideutig an politischen Entscheidungen beteiligt, die Hunger und Elend über Teile des afrikanischen Kontinents brachten. Er wirbt jedoch heute mit seinem „wirtschaftlichen Sachverstand“ für sich, die ihm sowohl von Teilen der ivoirischen Bevölkerung – die der zehnjährigen Amtsführung des bisherigen Präsidenten Laurent Gbagbo müde sind und von einem Wechsel Verbesserungen erwarten – als auch in den westlichen Hauptstädten zuerkannt werden. 

Komplikationen gibt es allenfalls noch für die französische Sozialdemokratie, da Laurent Gbagbo in seiner Zeit als Exilpolitiker in den achtziger Jahren bei ihr Parteimitglied war und nach wie vor gute Kontakte in ihren Apparat hinein aufweist. Einzelne französische Sozialdemokraten, wie Ex-Kulturminister Jack Lang und der Beauftragte der Partei für internationale Beziehungen, Jean-Christophe Cambadélis, reisten in jüngster Zeit in die Côte d’Ivoire, um ihren Freund zu unterstützen. Derzeit, nachdem Gbagbo sich anscheinend durch Wahlmanipulation gegen seinen Rivalen im Amt zu behaupten sucht, ist die Parteiführung jedoch offiziell auch auf einen Kurs der Unterstützung des „demokratisch legitimierten Präsidenten“ Ouattara eingeschwenkt. 

Alassane Ouattara kann auch auf die Unterstützung Blaise Compaorés bauen. Und das von ihm eingefädelte „Abkommen von Ouagadougou“ im Jahr 2007 begünstigte ferner den Oppositionspolitiker: Es sieht eine Zusammensetzung der Wahlkommission vor, in der den Warlords der früheren Rebellen und jetzigen ‚Forces Nouvelles’ ein erhebliches Gewicht zukam. Letztere sollten infolge der Vereinbarungen (und noch bis vor kurzem) mit Guillaume Soro den Premierminister unter Laurent Gbagbo, welcher nun nach erfolgter Wahl zum rivalisierenden „gewählten Präsidenten“ Alassane Ouattara überlief (und von ihm zu seinem eigenen Premier ernannte wurde). Die Ex-Rebellen gründeten drei – künstlich getrennte - angebliche politische Parteien, von denen einer jeden jeweils zwei Sitze in der Kommission zuerkannt wurden. 

Ferner ist diese Wahlkommission nach einem Schlüssel zusammengesetzt, der den früheren Anhängern des alten Präsidenten der Oligarchie, Félix Houphouët-Boigny, Staatschef von der Unabhängigkeit bis zu seinem Tod 1993, eine wichtige Rolle beimisst. Die Parteien, die aus den Anhängern des pro-französischen Potentanten Houphouët-Boigny bestehen, unterstützten bei der diesjährigen Wahl ebenfalls Ouattara, der als Präsidentschaftsbewerber der „Sammlung der Houphoët-Anhänger für Demokratie und Frieden“ (RHDP) antrat, obwohl er historisch über eine eigene Partei (die „Sammlung der Republikaner“, RHDP) verfügt. Zwischen den beiden Wahlgängen schloss Ouattara sich zudem mit dem früheren Houphoët-Politiker Henri-Konan Bédié, der bei der Präsidentschaftswahl als dritt-bestplatzierter Kandidat abschnitt, zusammen. Bédié trug ihm seine Unterstützung zu und rief seine Anhänger zur geschlossenen Stimmabgabe für Alassane Ouattara auf. 

Alles hätte also darauf hinauslaufen können, dass Ouattara ganz legal die Wahl gewinnt und ihm dies durch die zuständige Kommission auch bescheinigt wird. Ob dies wirklich der Fall ist, kann nur schwer beurteilt werden: Es hat sicherlich Unregelmäbigkeiten gegeben, zum Teil aber auch zugunsten von Ouattara, der sich nun um seinen Sieg betrogen sieht. In der Nordhälfte des Landes wurden viele Wahllokale ausschlieblich durch die Ex-Rebellen kontrolliert und gaben Ouattara zum Teil „quasi-sowjetische“ Ergebnisse. In den Tagen nach der Stichwahl vom 28. November 10 konnte die Wahlkommission – die zwischen Gbagbo- und Ouattara-Anhänger gespalten war – sich jedoch auf keinerlei gemeinsames Endergebnis einigen. Die gesetzliche Frist für die Verkündung der Wahlergebnisse, um Mitternacht am Mittwoch nach dem Wahlsonntag, verstrich ungenutzt. Eine Stunde später trat der Präsident der Wahlkommission vor die Mikrophone und verkündete, Alassane Dramane Ouattara habe die Wahl mit offiziell 54 % der Stimmen gewonnen. Der Mann hatte sich zuvor Garantien zusichern lassen: Die UN-Truppe für die Côte d’Ivoire (ONUCI) geleitete ihn umgehend sicher zum Flughafen, und unmittelbar darauf wurde er an einen unbekannten Ort - mutmablich ins westliche Ausland – ausgeflogen. 

Daraufhin vollug Laurent Gbabgo seinerseits einen faktischen Putsch, indem er die Wahlkommission entmachtete und sich durch das – von ihm kontrollierte – Verfassungsgericht kurzerhand zum Sieger erklären lieb. Dadurch hat er die Debatte um die Wahlergebnisse und ihre Legitimität kurzerhand abgebrochen. Fakt dürfte sein, dass je nach Landesteil (Norden oder Süden) „in beide Richtungen“ betrogen worden ist; und dass die Legitimität einer Wahl ohnehin in Frage steht, sofern unterschiedliche bewaffnete Gruppen verschiedene Landesteile unter ihrer Kontrolle hatten. Denn das Abkommen von Ouagadougou hatte die Frage der Entwaffnung der Milizen sträflich unangepackt gelassen. Mutmablich, weil Burkina-Fasos Präsident mit einer von ihnen – den Ex-Rebellen der „Neuen Kräfte“ (FN) – relativ enge Verbindungen aufwies. 

Gbagbo sucht sich als „Volkstribun“ zu profilieren; Ouattara als durch die „internationale Gemeinschaft“ anerkannter „legitimer Präsident“

Er sucht seine Legitimität letztendlich nicht in den Wahlurnen, wie er bereits vorab in Interviews für ,Jeune Afrique’ zwischen den Zeilen erkennen lieb. Er baut nun vielmehr auf eine Mobilisierung „der Massen“, wie es in der Vergangenheit gab: Auf ihrem Höhepunkt, im Herbst 2004, eröffneten damals französische Soldaten in der Wirtschaftsmetropole Abidjan das Feuer auf Demonstranten. In der Mobilisierung mischen sich dabei ein populistischer Nationalismus, der sich sowohl gegen „den (muslimischen) Norden“ als auch die internationalen Grobmächte – besonders Frankreich und die USA – richtet, teilweise religiös (christlich) eingefärbte Motive und antikolonial klingende Argumente.

In dieser Rolle des Volkstribunen fühlt Laurent Gbagbo, der in seiner Rede zum Amtseid die „internationale Einmischung“ anprangerte, am wohlsten. Ob er sich allerdings auf Dauer an der Macht halten können, während Paris, Washington, eine Mehrheit im UN-Sicherheitsrat – wo Russland jedoch bremst – und inzwischen auch die Afrikanische Union klar Alassane Ouattara unterstützen, bleibt fraglich.

Frankreich und die USA stellten Laurent Gbagbo ein Ultimatum: Er solle sich bis am gestrigen Sonntag Abend (19. Dezember) von der Macht zurückziehen. Gbagbo lieb dieses Ultimatum jedoch ungenutzt verstreichen. Seinerseits rief er Frankreich und die Vereinten Nationen – in deren Truppe für die Côte d’Ivoire, der ONUCI (französische Abkürzung für „Opération der UN in der Elfenbeinküste“), die Franzosen mit Abstand das gröbte Kontingent stellt – dazu auf, ihre Soldaten aus dem Land abzuziehen. Dies wurde durch die entsprechenden Instanzen in Paris und New York jedoch zurückgewiesen. Der frühere Premierminister unter Laurent Gbagbo – und jetzige Premier des „Gegenpräsidenten“ Alassane Ouattara, Guillaume Soro von den Ex-Rebellen der ,Forces Nouvelles’ – seinerzeit erklärte diese Forderung nach Abzug der französischen Armee sowie der UN-Truppe am Wochenende für „lächerlich“: Gbagbo sei abgewählt worden und habe nichts mehr zu bestellen, deswegen sei sie null & nichtig.

Die ONUCI war insofern in den vergangenen Tagen Partei im inner-ivoirischen Konflikt, als sie das „Hôtel du Golf“ schützend umstellt, in welchem „Gegenpräsident“ Ouattara residiert und sich mit den Seinen verschanzt hat. Der durch die Ton angebenden westlichen Mächte protegierte „Gegenpräsident“ steht also unter dem unmittelbaren Schutz der UN-Truppe. Am Donnerstag kam es zu Kämpfen zwischen Outtara-Anhängern und der (bislang) zu Gbagbo loyal stehenden Armee – den Streitkräften unter dem Namen FDS („Sicherheits- und Verteidigungskräfte“) -, nachdem Alassane Ouattara seine Sympathisanten dazu aufgerufen hatte, an diesem Tage zur staatlichen Fernsehstation zu marschieren. Das Ziel sollte es dabei sein, das als Pro-Gbagbo-Propagandasender verstandene Staatsfernsehen einzunehmen. Die Armee eröffnete das Feuer, das von bewaffneten Angehörigen der Ex-Rebellen unter den Outtara-Anhängern anscheinend erwidert wurde. Die Seite Laurent Gbagbos spricht danach von 20 Toten, jene des Gegenpräsidenten Alassane Ouattara von 30 Opfern. Die Europäische Union ihrerseits forderte die ivoirische Armee dazu auf, sich der Autorität Alassane Ouattaras zu unterstellen, was deren Führungsspitze jedoch ablehnte. In welchem Ausmab die Armee in ihrem Inneren gespalten ist, kann derzeit noch nicht beurteilt werden.

Über die weitere Entwicklung in der Côte d’Ivoire, die am Rande eines neuen Bürgerkriegs zu stehen droht – deren Bevölkerung aber nach fünf Jahren bewaffneten Konflikts im zurückliegenden Jahrzehnt mehrheitlich kriegsmüde sein dürfte – werden wir unsere Leser/innen in naher Zukunft ausführlicher auf dem Laufenden halten.

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.