Geschlossene Abteilung mit Offenen Fragen
Über Harald Werners neues Buch
von Richard Albrecht

12/11

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„Ausgehend von einer dramatischen Konfrontation an der Schule zur Funktionärsausbildung in Berlin-Biesdorf schildert Harald Werner die tiefen inhaltlichen und persönlichen Konflikte, die Ende der 80er Jahre die DKP erschütterten. Als einer der Köpfe der damaligen Erneuererbewegung verknüpft er diese Auseinandersetzungen mit seiner eigenen politischen Biografie, die in der außerparlamentarischen Opposition der 1960er Jahre beginnt, ihn über den zweiten Bildungsweg an die Universität bringt, schließlich zur DKP führt und nach dem Berufsverbot in die Hauptamtlichkeit mündet…“ (Aus der Produktbeschreibung bei bücher.de)

Harald Werner ist ein gediegener marxistischer Subjektwissenschaftler.[1] Seine als Buch erschienene Teilautobiographie habe ich gelesen. Dort geht es vordergründig um die Deutsche Kommunistische Partei der 1980er Jahre in der Alt-BRD. Und noch vordergründiger um ein Jahr „Parteilehrgang“ 1987 in Berlin-Biesdorf. Dabei hält sich HW als Erneuerungsströmler im Windschatten damaliger Glasnost & Perestroijka keineswegs politpublizistisch bedeckt. Sondern nennt auch Freund & Feind und Roß & Reiter. Und hält sich doch zurück und denunziert nicht, etwa den „Frieder“ genannten Denunzianten. Insofern wäscht der Autor (auch wohl aber) nicht nur (mich auch hier nicht interessierende) schmutzige Politwäsche.

Zweites Positivum dieser doppelgleisig-kontrapunktischen Teilbiographie mit fortschreitender Biesdorf-Erzählung und rückblendenden Bildungs“karriere“-Schritten des Autors mit den im fünften (Schluß-) Kapitel zusammengefügten beiden Erinnerungs- und Erzählsträngen ist die wirklichkeitsnahe und entgegen des „Rebecca-Mythos“ keineswegs altersverklärend-beschönigende Erinnerungsfähigkeit: der 1940 geborene ehemalige Berliner Stahlbauschlosser kommt in den 1960er Jahren als sozialdemokratischer Tageszeitungsredakteur ins Oldenburg´sche Land, wird dort 1968/70 als „roter Harald“ bekannt, schließlich gekündigt und entlassen, über den „zweiten Bildungsweg“ Studie an der niedersächsischen „Reformuni“ Oldenburg und der (meines Wissens) deutschlandweit bisher einzige studentische „Prorektor“, paar Jahre später dank gewerkschaftlichen Stipendiums mit Bestnote promovierter Sozialwissenschaftler und, weil inzwischen als Kommunist bekannt, weder als Dozent berufen noch sonst angemessen „akademisch“ beschäftigt, folglich erwerbslos, als „Lehrbeauftragter“ zugleich viel- und unterbeschäftigt und, historisches Novum, als solcher im Bundesland Niedersachsen berufsverboten und schließlich als DKP-Kreisvorsitzender in Oldenburg Parteiangestellter. Was zutreffend „aussonderndes Erlebnis“[2] genannt wurde, erinnert HW in zwei Hauptformen: „Die … Stiftung Mitbestimmung hatte mir nicht nur mein Studium von ersten Semester bis zur Promotion finanziert, sie suchte unter den Stipendiaten ständig auch nach geeigneten Funktionären. Besonders geeignet schienen natürlich ehemals ehrenamtliche Funktionäre und Stipendiaten, die regelmäßig gewerkschaftliche Bildungsveranstaltungen durchführten. Ich war beides und die Nachfragen, was ich wohl nach dem Studium anfangen wolle, kamen früh, um dann allerdings gänzlich auszubleiben. Wolfgang Schulze, DGB-Landesvorsitzender in Niedersachsen, klärte mich am Rande einer Sitzung über die Ursache auf: ´Erst haben wir ja gedacht, der Eintritt in die DKP sei eine Art Jugendsünde, aber das scheint sich ja verfestigt zu haben. Du musst aber wissen, dass deine politische Überzeugung nicht mehrheitsfähig ist. Deshalb wirst du bei uns nie hauptamtlich werden. Du machst eine hervorragende Bildungsarbeit, besser als unsere meisten sozialdemokratischen Kollegen, deshalb werden wir dich auch bis zum Ende deines Studiums fördern und hoffen, dass du als Ehrenamtlicher der Bildungsarbeit treu bleibst. Aber das war’s denn auch.´“
Klare sozialdemokratische Ansage. Mit der auch HW umgehen konnte. Die zweite Ausgrenzungsvariante war und ist die der denunziatorisch-verlogenen Existenzvernichtungspraxis. Ich kenne sie seit der ersten Hälfte der 1970er Jahre im „links“-akademischen Karrieremilieu.[3] Und durfte sie noch einmal gesamtdeutsch Anfang der 1990er Jahre bei der Westlandnahme eines Lehrstuhls an der Humboldt-Universität Berlin (HUB)[4]) erfahren. HW erinnerte sie in der Alt-BRD so: „An der Carl-von-Ossietzky-Universität, die sich damals noch als linke Reformuniversität verstand, stieß ich nur noch auf verschlossene Türen. Wobei auch dies weniger an den Rechten lag als an den sich undogmatisch nennenden Linken. Sie achteten eifersüchtig darauf, dass ihre eigenen Leute berufen wurden und sich die in der Studentenschaft bestehende Mehrheit aus MSB und SHB nicht im Lehrkörper fortsetzte. Und im Laufe der Zeit sollte sich erweisen, dass sie damit deutlich erfolgreicher waren als die Politik der Berufsverbote.“

Was HW erlebte, hat - fünfzig Jahre vor ihm - Wolfgang Langhoff als in die Emigration treibende soziale Exklusion oder gesellschaftlichen Ausschluß dicht beschrieben: „Es mußte mir doch gelingen … irgendwo unterzukommen! ... Ich wußte, was ich [als Schauspieler und Regisseur] wert war und vertraute meiner Kraft und meinem Optimismus. Überall, wo ich hinkam, mißtrauische, zurückhaltende Gesichter ... Ich versuchte, private Beziehungen zu Bühnenleitern wieder aufzunehmen. Umsonst. Es ist unmöglich, ein Engagement zu bekommen. Auch beim Film ist nichts zu machen ..."[5]
HWs Bändchen klingt aus mit Hinweisen des Autors und seines politisch-persönlichen Freundes und Weggenossen Wolfgang Gehrcke (*1943) als bis 1988 führendem DKP-Erneuerungsfunktionär. Hier spricht HW etwas Drittes und Weiterführendes im Vergleich DKP (West) – PDS (Ost) bzw. Linkspartei/PdL an: „Die DKP war … politisch wie theoretisch sehr viel enger, zumindest in den 1980er Jahren, und über ihre peinlichen Wahlergebnisse muss man gar nicht erst reden, aber sie war paradoxerweise lebendiger. Sie spielte eine größere Rolle an den Universitäten, war stärker in den Betrieben verankert, war mehr auf der Straße zu sehen und hatte in der alten BRD fast doppelt so viele Mitglieder wie heute die LINKE. Und das trotz Berufsverboten. Hauptgrund war natürlich, dass die DKP das Erbe der 68er-Bewegung angetreten hatte und die Linkskräfte insgesamt stärker waren. Was mich an den zwei Jahrzehnten in der PDS und in der LINKEN ärgerte, war die Unwilligkeit, wenn nicht sogar Unfähigkeit, aus der politischen Kultur und auch aus den Arbeitsformen der Westlinken zu lernen.“

Dieser Hinweis ist nicht rückschauend[6]. Sondern zukunftsbezogen. Er entspricht auch den Ansätzen anderer reflexivhistorisch arbeitender Autor(inn)en[7], die sich seit Jahren, im Vergleich mit HW weniger politpublizistisch als vielmehr dokumentarliterarisch, um das bemühn, was kulturell von westlinken Arbeitsformen „zu lernen ist“, was HW als weithin sichtbare Großtransparentanbringung für die Carl-von-Ossietzky-Uni am Blauen Turm 1974 beispielhaft erinnert und was palmströmschen Morgensternlogikern („Weil, so schließt er messerscharf, / nicht sein kann, was nicht sein darf“[8]) aller politischen Farben, Formate und Regionen unzugänglich war und ist und bleiben muß.

Anmerkungen

[1] Harald Werner, Individualität, Bewußtsein, politische Kultur. Einführung in die Sozialpsychologie revolutionärer Politik. Marburg: Arbeiterbewegung & Gesellschaftswissenschaft, 1988; 1989², 166 p.; ders., Das historische Subjekt der Umbruchsperiode und die Handlungsfähigkeit der Arbeiterklasse; in: LILI-Korrespondenz. Hg. PDS/LL Rheinland Pfalz, 1 (1991) 5: 18-43; ders., Mythos und Realität der Erwerbsarbeit. Mainz 2002 (= podium progressiv 10. Hg. PDS/LL Rheinland-Pfalz), 89 p.
[2] Ernst Grünfeld: Die Peripheren. Ein Kapitel Soziologie. Amsterdam: N. V. Noord-Hollandsche, 1939: 79: "Das Merkmal des aussondernden Erlebnisses wird sobald nicht aus der Seele des Peripheren getilgt werden können."
[3] „Dieter Otten … wurde 1972 an der Universität Münster … promoviert und war bis 1973 an der Gründung der Universität Osnabrück beteiligt (Schwerpunkt: einphasige Lehrerausbildung), an die er 1974 als Professor für Soziologie berufen wurde“: http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Otten [010911]
[4] Richard Albrecht, KAMPF ZWEIER LINIEN: ERINNERUNGSSPLITTER (1) DER SCHLIMMSTE LUMP IN STADT UND LAND oder: LINKS BLINKEN – RECHTS ÜBERHOLEN. Subjektive Erinnerung an zwei deutsche Professoren [und] Nichtberufung: Ein Briefwechsel; in: FLASCHEN POST. Beiträge zur reflexivhistorischen Sozialforschung [-> http://gegen-den-strom.org ]. Bad Münstereifel: VerKaaT, 2011: 87; 89-92
[5] Wolfgang Langhoff, Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager [1935; ²1946]; dazu ausführlich Richard Albrecht, "Zirkus Konzentrazani": eine Modellanalyse; in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 9 (1984) 1/2: 183-190; Zitat 188/Anmerkung 3
[6] http://www.neues-deutschland.de/artikel/158041.gespalten-zerstritten-und-fast-bankrott.html 
[7] Wilma Ruth Albrecht, Bildungsmisere in Deutschland; in: dies., Bildungsgeschichte/n: Texte aus drei Jahrzehnten. Aachen: Shaker, 2006: 157-192; dies., HALMA; in: FLASCHEN POST: 35-38; mit Aktionsbeispielen dies., SPARTAKISTEN; in: ebenda: 79-86; Richard Albrecht, WARMER WINTER BLAUE BLUME; in: ders., HELDENTOD. Kurze Texte aus langen Jahren. Aachen: Shaker Media, 2011: 7-14
[8] http://de.wikisource.org/wiki/Die_unm%C3%B6gliche_Tatsache

Harald Werner
Offene Fragen in der geschlossenen Abteilung.
Das erfolgreiche Scheitern einer Kaderperspektive.


Köln: PapyRossa, 2011

160 p., 14,00 [D]€ / 14,40 [A] € / 20,90 Stutz;
ISBN 978-3-89438-478-4

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text als aktuelle Buchvorstellung vom Rezensenten.
Kontakt zu Richard Albrecht ->
eingreifendes.denken@gmx.net