Wo bleiben eigentlich Kristina Schröders Gelder?
Gut dotierte Inkompetenz deutscher „Extremismusforscher“
besprochen von Frank Behrmann

12/11

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Ist das antizyklisches Publizieren? Jedenfalls will die Bundeszentrale für politische Bildung jetzt, wo alle Welt über den neonazistischen Terror spricht, über Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland aufklären. Aufklären? Nun ja. Mit Schmutz bewerfen, trifft auf den überwiegenden Teil der Beiträge des gleichnamigen Sammelbandes eher zu – überwiegend verfasst von Professoren, die noch nie in ihrem Leben mit einem Linksradikalen gesprochen, dafür ihre Nasen aber um so tiefer in die Verfassungsschutzberichte versenkt haben. 

Das wäre keine Zeile wert, käme dieser Dreck nicht von einer staatlichen Stelle, die für politische Bildung im Allgemeinen, besonders aber für sog. MultiplikatorInnen, also JournalistInnen, LehrerInnen usw., zuständig ist. Hier wird formuliert, was über die radikale Linke gedacht und verbreitet werden soll. Es geht um nichts weniger als um die Deutungshoheit über politische Ideen. 

Hans-Gerd Jaschke, Prof. für Politikwissenschaft an der FH für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, definiert: „Unter Linksextremismus ließe sich die Idee der radikalen sozialen Gleichheit der Menschen unter Bedingungen einer Einparteien-Herrschaft der Arbeiterklasse und der Verstaatlichung der Produktionsmittel verstehen. (...) Bei allen inhaltlichen, teilweise sehr gravierenden Differenzen gibt es eine Reihe gemeinsamer Merkmale von Links- und Rechtsextremismus. Hierzu gehören der Absolutheitsanspruch der eigenen Auffassungen, Dogmatismus, die Unterteilung der Welt in Freund und Feind, aber auch Verschwörungstheorien und Fanatismus. Extremistische Ideologien sind geschlossene Denkgebäude, die von ihren Anhängern angewandt oder ausgelegt, nicht aber reflektiert und fortentwickelt werden. Sie haben einen quasi-religiösen Status, sie werden nicht diskutiert, sondern geglaubt. (...) Auch die extreme Linke agiert mit einem Führerbild, das jedoch anders legitimiert ist.“ Das mag einstweilen genügen, um die Eingangsbehauptung zu belegen, es ginge nicht um wissenschaftliche Analyse, sondern um die Denunziation Andersdenkender. 

Obwohl Gero Neugebauer, wiss. Mitarbeiter an der FU Berlin, die Linkspartei nicht als extremistisch bezeichnet, wurde sein Text ins Buch aufgenommen. Die demagogische Absicht ist dem Herausgeber wichtig genug, noch einen zweiten Beitrag zum Thema von Eckhard Jesse, Politikprof. an der TU Chemnitz, aufzunehmen. Jesse, gemeinsam mit Uwe Backes Hohepriester der Extremismustheorie, bläst sich ob Gesine Lötzsch´ Kommunismusbeitrag auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz derart auf, dass er, wäre er ein Frosch, platzen würde. 

Politisches Eingreifen z.B. mittels Demonstrationen sei zwar legitim, z.T. sogar notwendig, doziert Armin Pfahl-Traughber, Politikprof. an der FH Brühl, aber nicht, wenn „LinksextremistInnen“ das machen, denn ihnen gehe es nie um die Sache selbst, sondern um die Förderung ihrer staatsfeindlichen Ziele, und den Autonomen um Gewalt, die zu ihrer Ideologie gehöre. Die Polizei hingegen steht hier als stets friedfertiger Hüter der Ordnung da. Pfahl-Traughber argumentiert nach dem alten Muster, DemonstrantInnen in friedliche (die nur das Gute wollen) und linksradikale (die böse sind) zu spalten. Infam wird das bei der VVN-BdA, die von Verfolgten des NS-Faschismus gegründet wurde: „Aktivitäten zur Erinnerung an NS-Verbrechen und Widerstand gegen den Rechtsextremismus dienten und dienen der Organisation einerseits zur Gewinnung von gesellschaftlicher Anerkennung, andererseits zur Ausweitung ihrer Anhängerschaft unter im Verband selbst relativ einflusslosen Demokraten.“ 

Udo Baron vom niedersächsischen Verfassungsschutz weiß über die Autonomen zu berichten, dass die „Öfffentlichkeit (sie) in erster Linie über ihre hohe Gewaltbereitschaft“ wahrnehme. Da will er nicht zurückstehen und resümiert: „Die Hauptgefahr für den demokratischen Rechtsstaat geht (...) von der hohen Gewaltbereitschaft der Autonomen aus.“ Noch Fragen? 

Aber, zugegeben, es gibt auch Beiträge, deren Autor sich besser auskennt – und der auch nicht mit Schaum vor dem Mund am PC saß, um seine Gespenster der Nacht verbal durchzuprügeln. So z.B. der von Hubert Kleinert, Prof. an der HS für Polizei und Verwaltung Gießen, mit einem kursorischen, aber recht zutreffenden Überblick über die „Geschichte des linken Radikalismus 1945-1990“. Nach seiner Schlussfolgerung bleibt für unsere Linksextremisten-JägerInnen eigentlich nicht mehr viel zu tun, das hätten schon die Grünen besorgt: „So sind es vor allem die Grünen gewesen, über die die späte Integration früherer Linksradikaler ins demokratische System gelang. Mit ihrem Erfolg hat sich eine ganze Generation mit dem demokratischen System ausgesöhnt, und so ist der politische Linksradikalismus wieder zu einer marginalisierten Randerscheinung geworden. Ein Übriges ist von den weltgeschichtlichen Umbrüchen der Jahre 1989/90 besorgt worden.“ 

Ein zweiter Beitrag Pfahl-Traughbers setzt sich mit dem vermeintlichen Antisemitismus in der Linken ernsthaft auseinander. Er konzentriert sich „auf die Motive für die Feindschaft gegenüber Israel“, weil KritikerInnen aus der häufig „einseitige(n) Positionierung im Nahostkonflikt, die in der distanzlosen Parteinahme zugunsten der Feinde des Judenstaates zum Ausdruck kommt“ sowie in „der Agitation gegen das Finanzkapital“ „Belege für bestehenden Antisemitismus“ sehen wollen. Dieses genauere Hinsehen sei erforderlich, denn Antisemitismus habe „im politischen Selbstverständnis (Linker) keinen Platz“. Deswegen sei bei der Ablehnung Israels eine Unterscheidung zu treffen: „Bildet eine judenfeindliche Auffassung die Basis, handelt es sich um Antisemitismus; bildet eine menschenrechtliche Auffassung die Grundlage, kann nicht von Antisemitismus gesprochen werden.“ Des Öfteren fände sich in linken Texten „eine einseitige Diffamierung der Politik Israels und eine inhaltliche Ignoranz gegenüber den Handlungen der anderen Seite“ – aber, mit Ausnahmen, erkläre sich dies „aus einer ´antiimperialistischen´ Grundposition, die den politischen Gesamtkontext des Konfliktes zugunsten einer einseitigen Parteinahme irgnoriert“. 

Zwischen diesem Artikel und dem von Carsten Koschmieder, wiss. Mitarbeiter an der FU Berlin, liegen Welten. Er nimmt sich heraus, die Pöbeleien Antideutscher über andere Linke ungeprüft nachzuplappern. Kostprobe? Die Antideutschen wenden sich „gegen den gerade in der deutschen Linken als ´Antizionismus´ getarnten Judenhass“, der verbunden sei mit einem „´strukturelle(n)´ Antisemitismus, wenn beispielsweise gegen die Manager oder die Kapitalisten ´strukturell´ ähnlich argumentiert wird wie beim klassischen Antisemitismus gegen die Juden“. 

Abschließend folgt noch ein Streitgespräch zwischen dem Parteienforscher Richard Stöss, FU Berlin, und dem bereits erwähnten Backes, Hannah-Arendt-Institut der TU Dresden. „Worin besteht der Erkenntnisgewinn des Extremismus-Konzepts?“, also einer analytischen Reduktion auf die jeweilige Haltung zur FDGO, fragt Stöss. Darauf weiß Backes keine wirkliche Antwort – es scheint bei ihm durch, dass die Auseinandersetzung mit den Zielen linksradikaler Politik eben nicht gewünscht ist. Sein Wissen z.B. über die Autonomen ist gering. „Das hängt damit zusammen, dass es eine verbreitete Explorationsverweigerung in dieser Szene gibt.“ Es gelte, auf „linksextreme() Jugendliche() und deren Umfeld zuzugehen, mit den jungen Leuten das Gespräch zu suchen“. Wenn´s bei den jüngeren LeserInnen demnächst klingelt, und ein seltsamer Mann steht vor der Tür, könnt´s der Backes sein! 

Einen gemeinsamen Tenor haben alle Beiträge: So wie es in Deutschland ist, ist es gut – so soll es bleiben. Wer da grundsätzlich anderer Meinung ist, ist ExtremistIn! Die an allen Ecken und Enden spürbaren definitorischen Schwierigkeiten, über die man sich mit der Fixierung auf Gewalt der Autonomen oder Einparteienherrschaft der LeninistInnen hinweg zu helfen versucht, resultieren daraus, dass es Aufgabe der „Anti-Extremisten“ ist, einer humanen Sache antihumanistische Absichten unterzujubeln. 

Vor einem Jahr gab es von der Bundeszentrale schon einen Anlauf des Themas Herr zu werden. In Aus Politik und Zeitgeschichte (44/10), einer Beilage zu der vom Bundestag herausgegebenen Zeitung Das Parlament, war damals das Publikationsziel die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus. Schon seinerzeit fiel auf, dass zwischen der Qualität der Beiträge über „Linksextremismus“ einerseits und denen über Rechtsextremismus und Islamismus andererseits Abgründe klaffen. Offensichtlich ging es bei der Artikelauswahl vornehmlich darum, diesen so unterschiedlichen politischen Strömungen den gemeinsamen Stempel „Extremismus“ aufdrücken zu können. Auffällig war auch damals die Ahnungslosigkeit der AutorInnen, die zum Thema „Linksextremismus“ schrieben. Es wurde z.B. kein einziges Originalzitat aus einer linken Publikation verwandt! Höhepunkt dieser ideologischen Geisterfahrt war die Behauptung, „dass es innerhalb der Autonomenszene beispielsweise auch autonome Nationalisten gibt“. Der dies schrieb, Ulrich Dovermann, ist Leiter des Fachbereichs „Extremismus“ der Bundeszentrale und Herausgeber des vorliegenden Machwerks über „Linksextremismus“! 

Die in den Band aufgenommenen weniger aggressiven Beiträge sind deutlich näher an der Realität orientiert als die der lauten Marktschreier. Damit sind sie aber auch gefährlicher. Anders gesagt: Das Geschwätz einiger AutorInnen kann keinerlei Wirkung auf Menschen entfalten, die sich mit linker Politik auseinandersetzen. Trotzdem bleibt resümierend festzuhalten: Emanzipatorische Politik, die nicht bei Einzelphänomenen kapitalistischer Herrschaft stehen bleiben möchte, sondern das Übel bei der Wurzel packen will, soll diskreditiert werden. So lächerlich das besprochene Buch in vielen seiner Facetten auch sein mag, es ist ein Angriff auf uns alle! 

Ulrich Dovermann (Hrsg.)
Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland

Bundeszentrale für politische Bildung
Bonn 2011

Bereitstellungspauschale: 4,50 EUR


Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text als aktuelle Buchvorstellung vom Rezensenten.