Resultat einer Bewegung
Eine völlig misslungene „Geschichte der K-Gruppen“ wirft die Frage nach ihrer Relevanz auf

von Bernard Gösch

12/11

trend
onlinezeitung

Die Aufarbeitung der eigenen Geschichte sagt viel über ihre Protagonisten aus. Dies gilt gerade für die westdeutsche Linke, die ihre eigene Vergangenheit entweder „Dissidenten“ wie Gerd Koenen oder Wolfgang Kraushaar überlässt oder aber sie verklärt und nichts aus dem eigenen Scheitern gelernt zu haben scheint. Wenn nun aus den K-Gruppen der 1970er Jahre selbst der Versuch einer Analyse kommt, der nicht alles verdammt, wie dies Koenen tut, und auch nichts schönreden will, dann ist das grundsätzlich zu begrüßen. Das Resultat indes fällt ernüchternd aus. Anton Stengls „Zur Geschichte der K-Gruppen“ ist unstrukturiert, wirr und ohne theoretisches Konzept.

Stengl gehörte selbst zu den K-Gruppen. Er war Mitglied der KPD/ML, der ersten maoistischen Gründung in der Bundesrepublik zum Jahreswechsel 1968/9. Auch wenn man zweifelsohne nicht von einer Person auf alle schließen kann, so deutet das vorliegende Resultat der eigenen Aufarbeitung der Geschichte darauf hin, dass es mit der Bewegung nicht weit her war. Diese zugegeben äußerst platte Bewertung könnte wiederum aus dem Buch selbst stammen, denn der Autor bleibt oberflächlich. Die Bewertungen bleiben ohne Begründung. So wird Rudi Dutschke eine „theoretische Blässe“ zugeschrieben, an anderer Stelle wird konstatiert, dass (von der KPD/AO) Richtiges gesagt worden, die Richtung aber daneben gewesen sei. Aber warum denn eigentlich? Wenn etwas „daneben“ war, dann sollte man doch zumindest wissen, wie die Richtung richtig ausgesehen hätte. Stengl wirkt somit oft genug wie ein Relikt der K-Gruppen, die es an vielen Stellen einer Analyse ihrer Gegner wie generell ihrer Umwelt vermissen ließen und es bei Plattitüden beließen. Ihre platten Parolen setzen sich bei ihm fort.

Schon die Gründe der Entstehung der neuen Parteien, die sich entweder als neue KPD oder als Weg dorthin verstanden, werden bei Stengl nicht verhandelt. Zwar wirft er bestimmte Ereignisse und Personen in den Raum, lässt Verbindungen zum Aufbruch der Studenten der 1960er Jahre, zu Dutschke, Fritz Teufel, der RAF und der verbotenen KPD der Bundesrepublik erahnen. Eine Analyse bleibt aber aus. Wenn er nicht Verlautbarungen aus den untergegangenen Partei-Versuchen zitieren (und manchmal auch kommentieren) kann, belässt es Stengl oft bei einer reinen positivistischen Ereignisgeschichte nach dem Motto: „1974 wurde er [Ernst Aust, KPD/ML] zum ersten Mal vom Vorsitzenden der Partei der Arbeit Albaniens [...] Enver Hoxha in Einzelaudienz empfangen.“ Dass der Vorsitzende und Gründer einer der wichtigsten K-Gruppen der 1970er Jahre von Hoxha empfangen wurde, war ihm damals wichtig. In der Rückschau sagt es sehr viel aus. An diesem Aspekt ließe sich ein Großteil der Tragik der gescheiterten Parteien darstellen. Leider unterlässt dies Stengl völlig.

Die KPD/ML unter Führung von Ernst Aust entstand als Antwort auf die politische Praxis der KPdSU, der Sowjetunion, der DDR sowie der blinden Gefolgschaft der (noch illegalen) westdeutschen KPD. Den Genossen um Aust wurde es gerade auch in der Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung klar, wie sehr sich der Ostblock vom eigentlichen Ziel des Sozialismus abgewandt hatte und so suchten sie neue Bezugsrahmen. Mao, die Kulturrevolution, aber auch der zunächst mit China verbundene eigene Weg Albaniens waren da neben der „originären“ kommunistischen Geschichte der KPD der Weimarer Zeit die Vorbilder. Damit waren die KPD/ML wie auch die anderen meist aus der Studentenbewegung entstandenen K-Gruppen wie die KPD/AO (Aufbauorganisation), der KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschlands) oder der KB (Kommunistischer Bund) zwar eine Folge der Kritik am „modernen Revisionismus“. Unter dem wurden gemeinhin SED, DKP und KPdSU subsumiert. Die K-Gruppen blieben aber in erster Linie Gefolgsleute, wenngleich sie neue Vorbilder hatten. Die Einladung zu Parteitagen der Bruderparteien war den „Parteiführern“ immer wichtiger als die permanente Kritik und Selbstkritik, die eine kommunistische Bewegung nach Marx ausmacht. So dogmatisierten sie sich in der Gefolgschaft, verloren durch Opportunismus ihre inhaltliche Substanz und gingen logischerweise in großen Teilen prinzipienlos in Anti-AKW-, Umwelt- oder Friedensbewegung auf.

Wie wenig Stengl die Notwendigkeit von Kritik und Selbstkritik verstanden hat, zeigt sich bei seiner (wiederum platten) Bewertung des Systems der „proletarischen Denkweise“ der MLPD als „völlig rätselhaft“. Nun bietet die einzige heute noch ansatzweise relevante einstige K-Gruppe genügend viele Ansatzpunkte für Kritik. Sie hat es allerdings auch geschafft, auf Grundlage der Analyse des „subjektiven Faktors“ in den Bewegungen sowie in der Gesellschaft allgemein, ein Instrument zu entwickeln, mit der sie die Geschichte der kommunistischen Bewegung verständlich machen kann. Dies kann man bei allen politischen Differenzen zunächst einmal anerkennen. Mit der Gegenüberstellung von „proletarischer“ und „kleinbürgerlicher Denkweise“ in der Arbeiterbewegung und den Schlussfolgerungen für die eigene organisatorische Praxis konnte sie nicht nur überleben. Sie ist heute wohl auch als einzige linke Organisation in Deutschland in der Lage, als Partei in einer gemeinschaftlichen Anstrengung die eigene Geschichte zu erklären und gleichzeitig auf Basis einer umfassenden von Marx angeleiteten sozio-ökonomischen Analyse die sonstigen Bewegung bis hin zur Anti-Globalisierungsbewegung oder der Multitude von Hardt verständlich zu machen. Übrigens: Dadurch, dass die Arbeit ein Gemeinschaftsprodukt ist, erklärt sich auch der oft schematisch anmutende Stil der Arbeiten.

Das jüngste Resultat dieser Bemühungen, als „Morgenröte der internationalen Weltrevolution“ von Parteichef Stefan Engel veröffentlicht, bietet selbst demjenigen, der dem weiterhin vertretenen (und dem Konzept der „proletarischen Denkweise“ meines Erachtens in letzter Konsequenz auch widersprechenden) Ziel eines bewaffneten Umsturzes keineswegs folgen kann, viele streitbare und interessante Erkenntnisse. Gerade für diejenigen, die sich mit der MLPD auf Montagsdemonstrationen oder bei anderen Gelegenheiten auseinandersetzen wollen, lohnt sich die Beschäftigung. Auf jeden Fall zeigt dieses konkrete Ergebnis der langjährigen politischen Arbeit – die MLPD entstammt letztlich der KPD/ML, auch wenn die Trennung bereits Anfang der 1970er Jahre vollzogen war – dass die K-Gruppen nicht nur wirre Dogmatiker, sondern zumindest einige von ihnen zur Selbstkritik fähig waren.
 

Anton Stengl
Zur Geschichte der K-Gruppen.
Marxisten-Leninisten in der BRD der Siebziger Jahre


Zambon Verlag
212 Seiten, 10 Euro.

Stefan Engel
Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution

Verlag Neuer Weg
620 Seiten, 28 Euro.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text als aktuelle Buchvorstellung vom Rezensenten.