Deutsche Zustände V
Der tiefe Staat in Deutschland oder wenn  die Neonazis nicht vom Verfassungsschutz zu unterschieden sind und die außerparlamentarische Linke genau so wie alle anderen versagt

von Peter Nowak

12/11

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Nun wird Deutschland auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen, wie es die Politikaster aller Parteien so schon sagen. Da stellte sich heraus, dass in Deutschland seit einem Jahrzehnt ein terroristischer Naziuntergrund existierte, der immer staatlicherseits bestritten worden war. Staat und Medien  haben bisher alles getan um jeden Hinweis auf einen rechten Hintergrund zu verhindern. Wer wollte auch immer wieder als Gutmensch und Mahner durchgehen. So lauteten noch die harmloseren Bezeichnungen für Menschen, die  auch dann noch von rechten Aktivitäten sprachen, wo nun aber auch niemand etwas davon hören wollte. Erinnern wir uns noch, wie der ungeklärte Tod eines  Jungen in Sebnitz zum Anlass genommen wurde,  alle diejenigen, die  rechte Jugendliche gesehen haben, die das Kind unter Wasser gedrückt haben, für unzurechnungsfähig zu erklären.. Davon war die Mutter ebenso betroffen, wie mehrere Zeug_innen, die genau diesen Hergang schilderten und danach unter Druck gesetzt wurden. Schließlich blieb der Tod des Jungen unaufgeklärt, die Eltern mussten Sebnitz verlassen und seitdem war das Thema rechte Gewalt an den Rand gedrückt. Hier liegt einer der Gründe, warum niemand diese Fährte aufnahm, als im Laufe der Jahre immer wieder Menschen ermordet wurden, deren einzige Gemeinsamkeit darin bestand, nicht in Deutschland geboren zu sein. Dass sie damit etwas gemeinsam haben, was sie in den Augen von Rechten verdächtig machte,   blieb ausgespart. Lieber suchte man unter den Opfern die Täter, weil sie ja eben nicht aus Deutschland kamen, waren sie verdächtigt. Nirgends lässt sich besser als hier ablesen, warum  der rechte Untergrund in Deutschland keine Bekennerschreiben verfassen muss,  wenn er mordet. Er wird von einem Großteil der Bevölkerung auch so sehr gut verstanden. Allein die  rassistische Bezeichnung  von den  Dönermorden muss dem Mördertrio gefreut haben. Nach der Enttarnung fällt sogar manchen konservativen Zeitungen auf, dass die Bezeichnung  eigentlich auf einer rassistischen Grundlage beruht. Aber was wäre für ein mediales Trommelfeuer    von den selben Medien auf alle niedergegangen, die vor einigen Jahren gegen diese Bezeichnung mobil gemacht hätten. So können auch die Antifastrukturen am Ende nur fragen, warum haben wir bei der Mordserie nicht die rechte Spur gesucht? Sonst sind die oft über die rechte Szene am besten im Bilde, aber die Hinwendung der  Antifaarbeit zur Zivilgesellschaft fordert ihren Preis. Wer auf   staatliche Gelder angewiesen, kann zumindest nicht offen fragen, ob der tiefe Staat auch in Deutschland seine Rechten selber heranzieht, finanziert und dann beobachtet.  

Dabei wäre eine solche Frage recht plausibel. Schließlich gab es seit Gründung der BRD rechte Gruppen, die von einigen staatlichen Strukturen zumindest an der kurzen Leine gehalten wurden.    In Zeiten des kalten Krieges waren die Gladio-Strukturen in vielen Ländern durchsetzt mit bekennenden Faschisten aller Couleur. Während in manchen Ländern viele Dokumente darüber bekannt wurden, blieben in Deutschland die Archive verschlossen. So bleiben die wenigen, die darüber forschen, immer im engen Umfeld von Verschwörungstheorien. Daher ist es auch wichtig, sehr genau zu differenzieren. Nicht der Staat hat Nazis ausgehalten, wohl keine Parlamentarer_innen oder Minister müssen darin involviert sein.

Wie Geheimdienst und Neonazis einen linken Gewerkschafter ausschalteten 

 Es reicht, wenn es eine Struktur im Geheimdienst gibt, die wie Helmut Roewer vom thüringischen Verfassungsschutz,  jener wohl erfolgreichste Rechte auf den Marsch durch die Institutionen, eine Neonazizelle aufbaute, die erfolgreich einen linken Gewerkschaftler ausschalten. Es ging um Angelo Lucifero, der in Hessen schon beim Kampf um die 35 Stunden-Woche in den 80er Jahren engagiert war. In Thüringen machte er nicht nur als engagierter Antifaschist von sich reden, als  aktiver Gewerkschafter, der mittlerweile in verdi aufgegangenen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen war er auch erfolgreich beim Organisieren von Beschäftigten im Einzelhandel. Lucifero gehört keiner Partei ein, ließ sich nicht in Kungelrunden einbinden und  hielt mit seiner Kritik an der Politik aber auch an der Beschaffenheit der Gewerkschaften     nicht hinter dem Berg. Er war für Rechte aller Couleur ein Feindbild, also gab es  bald eine Arbeitsteilung. Nazis, die  unter Roewer eine Kampagne gegen Lucifero starteten. Er wurde von Rechten immer wieder angegriffen, legte sich zum Selbstschutz eine Knarre zu, die er auch zur Drohung bei einen rechten Übergriff gezogen hat. Dann ging die Kampagne gegen ihn erst recht los. Auch seine Gewerkschaft ließ ihn fallen und er hielt den Druck psychisch nicht aus. Heute soll man ihn möglichst in Ruhe lassen, hieß es kürzlich im ND.     So hat der VS mit Hilfe von Nazis einen  linken Gewerkschafter abgeschossen. Wer garantiert, dass es nicht noch viel mehr solcher Fälle gab? Lucifero war einer größeren Öffentlichkeit bekannt, er redete auf antifaschistischen Veranstaltungen, er gab Interviews. Trotzdem war es selbst bei ihm möglich, ihn ohne große öffentlichen  Proteste auszuschalten. Bei weniger bekannten Personen dürfte es ungleich einfacher sein.  

Und wo war die radikale Linke?

Wenn nun alle nach der Aufdeckung des Naziuntergrunds Asche auf ihr Haupt schütten und sich fragen, warum haben sie nichts gemerkt, ist viel Heuchelei dabei.  Solange keine Geheimdienstzentralen blockiert und die Auflösung dieser Institutionen zu einer Massenbewegung wird, dienen diese ganzen Übungen in Bedauern nur zur Stabilisierung der Herrschaft. Vielleicht wird    als Bauernopfer ein neuer Antrag auf ein NPD-Verbot dabei herauskommen, während  dann schon längst Ersatzorganisationen aufgebaut wurden, wo die Kooperation zwischen Teilen des Staatsapparates und den Rechten weiter geht.  Dass es diese Kontakte gibt, kann nur sehr Naive verwundern. Die Frage ist, wie reagiert die radikale Linke darauf. Diese  Frage müssen sich vor allem diejenigen stellen, die sich mit dem Adjektiv antideutsch versahen und damit eigentlich verdeutlichen müssten, dass sie dem deutschen Staat manches zutrauen.  Tatsächlich hatte diese Strömung zwischen 1989 und 1998 einige Mobilisierungen gegen rechte Übergriffe hingekriegt. Die punktuelle Zusammenarbeit mit migrantischen Jugendorganisationen und antideutscher Linke war nur von kurzer Dauer. Dafür sorgte eine Repression gegen Gruppen wie die Antifa Genclik in Berlin in den frühen 90er Jahren. Dafür sorgte aber auch schon bald der Wandel in der antideutschen Szene. Wo anfangs die Feindschaft gegen das Deutschtum gestern und heute im Mittelpunkt stand, gab es bald die Hinwendung zu einem Prowestlertum, das nach 2001 bei einigen der Gruppen seine volle Entfaltung fand. Diese Entwicklung hatte auch auf die Haltung zu Deutschland Auswirkungen. Für einige Gruppen war das Deutschtum in den arabischen Raum ausgewandert und deshalb waren die aktuellen Nazis auch nicht mehr in Deutschland. Hatten noch Ende der 90er Jahre nach dem Anschlag gegen ein Flüchtlingsheim in Lübeck antideutsche und antifaschistische Gruppen eine Solidaritätskampagne mit Safwan Eid gemacht, einen Flüchtling, der für die Brandstiftung verantwortlich      gemacht und dann nach langen politischen und juristischen Kampf freigesprochen werden musste, so spielten solche Aktivitäten bald  kaum noch eine Rolle   in diesem Spektrum. Auch im Fall Safwan Eid sollte das Opfer zum Täter gemacht werden. Dagegen setzten die linken Gruppen die Parole, wenn in Deutschland Ausländer umkommen, dann waren  Nazis die Täter. Dass mag in der Allgemeinheit vielleicht fragwürdig sein, eine solche Haltung hat aber im Fall von Safwan Eid eine gesellschaftliche Bedeutung bekommen und führte letztlich   auch zu seinem Freispruch. Doch die Nazijugendlichen, die sogar am Tatort gesehen wurden, kamen auch damals schon straffrei davon. Einige Jahre später hätten einige der an der Kampagne beteiligten Gruppen, Safwan Eids  moslemischen Glaubens zumindest  thematisiert.  

Affirmation statt Deutschland-Kritik 

Die zunehmende Konzentration auf die Islamkritik hat schließlich einer kritischen Haltung zu Deutschland die Zähne gezogen. Dass kann man an vielen Texten nachweisen. Ich nehme nur exemplarisch einen Beitrag aus der Phase 2 vom April 2011, die sich mit der Islamkritik befasst. Dort befasst sich ein Magnus Henning von der Humboldt-Antifa Hummel mit einer emanzipatorischen Islamkritik. Während ihm die Distanz zu rechten Gruppen einigermaßen gelingt, kommt es zur Affirmation des Staates. So will Henning die islamische Ideologie „notfalls auch mit staatlichen Verboten und bildungspolitischen  Maßnahmen“ bekämpfen.  Noch konkreter  wird Henning im Anschluss: „Um  auch den nach Deutschland eingewanderten oder hier in zweiter und dritter Generation lebenden Menschen, egal woher sie kommen, die   Rechte und  Freiheiten zu garantieren, ....., die allen  WesteuropäerInnen so selbstverständlich zugestanden werden, ist es notwendig, dass der Staat dort eingreift, wo innerfamiliäre Verhältnisse diese bedrohen“. Hier fehlt jede kritische Distanz zum Staat m Allgemeine und zum Staat in seiner deutschen Verfasstheit im Besonderen. Dem deutschen Staat werden vielmehr Eingriffsmöglichkeiten gegen Familien  zugestanden, die nicht aus Deutschland kommen. Mit keinen Wort wird der Rassismus auch nur erwähnt und die Elegie über die vielen Freiheiten, die wir alle angeblich haben,  verkennt, dass wir in einer patriarchalen Klassengesellschaft  leben und es keineswegs diese Freiheiten für alle gibt.

Während hier jede Deutschlandkritik verschwunden ist haben die Verfasser_innen des Aufrufs „Imagine there’s no Deutschland“, mit dem sie am 3.10.2011 zum eigenen Block auf der Demo gegen die Einheitsfeierlichkeiten in Bonn mobilisierten, zumindest den Anspruch, eine antideutsche Kritik zu leisten. Doch schon im ersten Satz verkennen sie die historische Situation, wenn sie davon sprechen,     dass mit dem Fall der Mauer die Nachkriegsära eingeläutet wurde. Nein, da wurde sie beendet, eingeläutet wurde sie schon in den 50er Jahren. Im Anschluss versuchen sie sogar die Agenda 2010 aus dem spezifischen deutschen  Arbeitsbegriff herzuleiten und nicht aus den kapitalistischen Zwängen nach Senkung des Preises für die Ware Arbeitskraft, wie es sinnvoll wäre, denn ähnliche Bestrebungen gibt es ja in allen kapitalistischen Staaten. Doch auch in dem Text gibt es keinen Hinweis, dass die Verfasser_innen Mord an  Menschen, die nicht ins deutsche Weltbild passen, heute noch für möglich halten.  Diese Einschätzung teilen sie mit vielen linken und antifaschistischen   Gruppen, die beispielsweise Flüchtlinge kritisiert haben, die beim ungeklärten Tod von Oury Yalloh   in einer Dessauer Polizeizelle von Mord  sprachen.  Weil die Kritik an der  spezifischen  Ideologie ersetzt wurde durch Prowestlertum, war auch die genau so überrascht über die Enthüllungen aus Thüringen wie alle anderen Linken.

So  haben die staatlichen Stellen eine gute Möglichkeit weitgehend ungestört von Protesten daran zu arbeiten, dass auch aus dieser Krise Deutschland gestärkt hervorgeht. Schon gibt es die ersten Berichte über die „armen Zwickauer“, die nicht verdient hätten, dass ihr Städtchen, dass alternativen Jugendlichen nicht einmal erlaubt, ein seit Jahren leerstehendes Gebäude zu besetzen, mit dem Nazitrio in Verbindung gebracht wird. Schon längst sind also die  Deutschen wieder  Opfer und die Mordopfer werden spätestens nach einem Trauerakt der Politik wieder vergessen sein.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Peter Nowak schreibt in TREND in unregelmäßigen Abständen über "Deutsche Zustände".