Nun wird
Deutschland auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen, wie es
die Politikaster aller Parteien so schon sagen. Da stellte sich
heraus, dass in Deutschland seit einem Jahrzehnt ein
terroristischer Naziuntergrund existierte, der immer
staatlicherseits bestritten worden war. Staat und Medien haben
bisher alles getan um jeden Hinweis auf einen rechten
Hintergrund zu verhindern. Wer wollte auch immer wieder als
Gutmensch und Mahner durchgehen. So lauteten noch die
harmloseren Bezeichnungen für Menschen, die auch dann noch von
rechten Aktivitäten sprachen, wo nun aber auch niemand etwas
davon hören wollte. Erinnern wir uns noch, wie der ungeklärte
Tod eines Jungen in Sebnitz zum Anlass genommen wurde, alle
diejenigen, die rechte Jugendliche gesehen haben, die das Kind
unter Wasser gedrückt haben, für unzurechnungsfähig zu
erklären.. Davon war die Mutter ebenso betroffen, wie mehrere
Zeug_innen, die genau diesen Hergang schilderten und danach
unter Druck gesetzt wurden. Schließlich blieb der Tod des Jungen
unaufgeklärt, die Eltern mussten Sebnitz verlassen und seitdem
war das Thema rechte Gewalt an den Rand gedrückt. Hier liegt
einer der Gründe, warum niemand diese Fährte aufnahm, als im
Laufe der Jahre immer wieder Menschen ermordet wurden, deren
einzige Gemeinsamkeit darin bestand, nicht in Deutschland
geboren zu sein. Dass sie damit etwas gemeinsam haben, was sie
in den Augen von Rechten verdächtig machte, blieb ausgespart.
Lieber suchte man unter den Opfern die Täter, weil sie ja eben
nicht aus Deutschland kamen, waren sie verdächtigt. Nirgends
lässt sich besser als hier ablesen, warum der rechte Untergrund
in Deutschland keine Bekennerschreiben verfassen muss, wenn er
mordet. Er wird von einem Großteil der Bevölkerung auch so sehr
gut verstanden. Allein die rassistische Bezeichnung von den
Dönermorden muss dem Mördertrio gefreut haben. Nach der
Enttarnung fällt sogar manchen konservativen Zeitungen auf, dass
die Bezeichnung eigentlich auf einer rassistischen Grundlage
beruht. Aber was wäre für ein mediales Trommelfeuer von den
selben Medien auf alle niedergegangen, die vor einigen Jahren
gegen diese Bezeichnung mobil gemacht hätten. So können auch die
Antifastrukturen am Ende nur fragen, warum haben wir bei der
Mordserie nicht die rechte Spur gesucht? Sonst sind die oft über
die rechte Szene am besten im Bilde, aber die Hinwendung der
Antifaarbeit zur Zivilgesellschaft fordert ihren Preis. Wer
auf staatliche Gelder angewiesen, kann zumindest nicht offen
fragen, ob der tiefe Staat auch in Deutschland seine Rechten
selber heranzieht, finanziert und dann beobachtet.
Dabei wäre eine
solche Frage recht plausibel. Schließlich gab es seit Gründung
der BRD rechte Gruppen, die von einigen staatlichen Strukturen
zumindest an der kurzen Leine gehalten wurden. In Zeiten des
kalten Krieges waren die Gladio-Strukturen in vielen Ländern
durchsetzt mit bekennenden Faschisten aller Couleur. Während in
manchen Ländern viele Dokumente darüber bekannt wurden, blieben
in Deutschland die Archive verschlossen. So bleiben die wenigen,
die darüber forschen, immer im engen Umfeld von
Verschwörungstheorien. Daher ist es auch wichtig, sehr genau zu
differenzieren. Nicht der Staat hat Nazis ausgehalten, wohl
keine Parlamentarer_innen oder Minister müssen darin involviert
sein.
Wie
Geheimdienst und Neonazis einen linken Gewerkschafter
ausschalteten
Es reicht,
wenn es eine Struktur im Geheimdienst gibt, die wie Helmut
Roewer vom thüringischen Verfassungsschutz, jener wohl
erfolgreichste Rechte auf den Marsch durch die Institutionen,
eine Neonazizelle aufbaute, die erfolgreich einen linken
Gewerkschaftler ausschalten. Es ging um Angelo Lucifero, der in
Hessen schon beim Kampf um die 35 Stunden-Woche in den 80er
Jahren engagiert war. In Thüringen machte er nicht nur als
engagierter Antifaschist von sich reden, als aktiver
Gewerkschafter, der mittlerweile in verdi aufgegangenen
Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen war er auch
erfolgreich beim Organisieren von Beschäftigten im Einzelhandel.
Lucifero gehört keiner Partei ein, ließ sich nicht in
Kungelrunden einbinden und hielt mit seiner Kritik an der
Politik aber auch an der Beschaffenheit der Gewerkschaften
nicht hinter dem Berg. Er war für Rechte aller Couleur ein
Feindbild, also gab es bald eine Arbeitsteilung. Nazis, die
unter Roewer eine Kampagne gegen Lucifero starteten. Er wurde
von Rechten immer wieder angegriffen, legte sich zum
Selbstschutz eine Knarre zu, die er auch zur Drohung bei einen
rechten Übergriff gezogen hat. Dann ging die Kampagne gegen ihn
erst recht los. Auch seine Gewerkschaft ließ ihn fallen und er
hielt den Druck psychisch nicht aus. Heute soll man ihn
möglichst in Ruhe lassen, hieß es kürzlich im ND. So hat der
VS mit Hilfe von Nazis einen linken Gewerkschafter
abgeschossen. Wer garantiert, dass es nicht noch viel mehr
solcher Fälle gab? Lucifero war einer größeren Öffentlichkeit
bekannt, er redete auf antifaschistischen Veranstaltungen, er
gab Interviews. Trotzdem war es selbst bei ihm möglich, ihn ohne
große öffentlichen Proteste auszuschalten. Bei weniger
bekannten Personen dürfte es ungleich einfacher sein.
Und wo war
die radikale Linke?
Wenn nun alle
nach der Aufdeckung des Naziuntergrunds Asche auf ihr Haupt
schütten und sich fragen, warum haben sie nichts gemerkt, ist
viel Heuchelei dabei. Solange keine Geheimdienstzentralen
blockiert und die Auflösung dieser Institutionen zu einer
Massenbewegung wird, dienen diese ganzen Übungen in Bedauern nur
zur Stabilisierung der Herrschaft. Vielleicht wird als
Bauernopfer ein neuer Antrag auf ein NPD-Verbot dabei
herauskommen, während dann schon längst Ersatzorganisationen
aufgebaut wurden, wo die Kooperation zwischen Teilen des
Staatsapparates und den Rechten weiter geht. Dass es diese
Kontakte gibt, kann nur sehr Naive verwundern. Die Frage ist,
wie reagiert die radikale Linke darauf. Diese Frage müssen sich
vor allem diejenigen stellen, die sich mit dem Adjektiv
antideutsch versahen und damit eigentlich verdeutlichen müssten,
dass sie dem deutschen Staat manches zutrauen. Tatsächlich
hatte diese Strömung zwischen 1989 und 1998 einige
Mobilisierungen gegen rechte Übergriffe hingekriegt. Die
punktuelle Zusammenarbeit mit migrantischen Jugendorganisationen
und antideutscher Linke war nur von kurzer Dauer. Dafür sorgte
eine Repression gegen Gruppen wie die Antifa Genclik in Berlin
in den frühen 90er Jahren. Dafür sorgte aber auch schon bald der
Wandel in der antideutschen Szene. Wo anfangs die Feindschaft
gegen das Deutschtum gestern und heute im Mittelpunkt stand, gab
es bald die Hinwendung zu einem Prowestlertum, das nach 2001 bei
einigen der Gruppen seine volle Entfaltung fand. Diese
Entwicklung hatte auch auf die Haltung zu Deutschland
Auswirkungen. Für einige Gruppen war das Deutschtum in den
arabischen Raum ausgewandert und deshalb waren die aktuellen
Nazis auch nicht mehr in Deutschland. Hatten noch Ende der 90er
Jahre nach dem Anschlag gegen ein Flüchtlingsheim in Lübeck
antideutsche und antifaschistische Gruppen eine
Solidaritätskampagne mit Safwan Eid gemacht, einen Flüchtling,
der für die Brandstiftung verantwortlich gemacht und dann
nach langen politischen und juristischen Kampf freigesprochen
werden musste, so spielten solche Aktivitäten bald kaum noch
eine Rolle in diesem Spektrum. Auch im Fall Safwan Eid sollte
das Opfer zum Täter gemacht werden. Dagegen setzten die linken
Gruppen die Parole, wenn in Deutschland Ausländer umkommen, dann
waren Nazis die Täter. Dass mag in der Allgemeinheit vielleicht
fragwürdig sein, eine solche Haltung hat aber im Fall von Safwan
Eid eine gesellschaftliche Bedeutung bekommen und führte
letztlich auch zu seinem Freispruch. Doch die
Nazijugendlichen, die sogar am Tatort gesehen wurden, kamen auch
damals schon straffrei davon. Einige Jahre später hätten einige
der an der Kampagne beteiligten Gruppen, Safwan Eids
moslemischen Glaubens zumindest thematisiert.
Affirmation
statt Deutschland-Kritik
Die zunehmende
Konzentration auf die Islamkritik hat schließlich einer
kritischen Haltung zu Deutschland die Zähne gezogen. Dass kann
man an vielen Texten nachweisen. Ich nehme nur exemplarisch
einen Beitrag aus der Phase 2 vom April 2011, die sich mit der
Islamkritik befasst. Dort befasst sich ein Magnus Henning von
der Humboldt-Antifa Hummel mit einer emanzipatorischen
Islamkritik. Während ihm die Distanz zu rechten Gruppen
einigermaßen gelingt, kommt es zur Affirmation des Staates. So
will Henning die islamische Ideologie „notfalls auch mit
staatlichen Verboten und bildungspolitischen Maßnahmen“
bekämpfen. Noch konkreter wird Henning im Anschluss: „Um auch
den nach Deutschland eingewanderten oder hier in zweiter und
dritter Generation lebenden Menschen, egal woher sie kommen,
die Rechte und Freiheiten zu garantieren, ....., die allen
WesteuropäerInnen so selbstverständlich zugestanden werden, ist
es notwendig, dass der Staat dort eingreift, wo innerfamiliäre
Verhältnisse diese bedrohen“. Hier fehlt jede kritische Distanz
zum Staat m Allgemeine und zum Staat in seiner deutschen
Verfasstheit im Besonderen. Dem deutschen Staat werden vielmehr
Eingriffsmöglichkeiten gegen Familien zugestanden, die nicht
aus Deutschland kommen. Mit keinen Wort wird der Rassismus auch
nur erwähnt und die Elegie über die vielen Freiheiten, die wir
alle angeblich haben, verkennt, dass wir in einer patriarchalen
Klassengesellschaft leben und es keineswegs diese Freiheiten
für alle gibt.
Während hier
jede Deutschlandkritik verschwunden ist haben die
Verfasser_innen des Aufrufs „Imagine there’s no Deutschland“,
mit dem sie am 3.10.2011 zum eigenen Block auf der Demo gegen
die Einheitsfeierlichkeiten in Bonn mobilisierten, zumindest den
Anspruch, eine antideutsche Kritik zu leisten. Doch schon im
ersten Satz verkennen sie die historische Situation, wenn sie
davon sprechen, dass mit dem Fall der Mauer die
Nachkriegsära eingeläutet wurde. Nein, da wurde sie beendet,
eingeläutet wurde sie schon in den 50er Jahren. Im Anschluss
versuchen sie sogar die Agenda 2010 aus dem spezifischen
deutschen Arbeitsbegriff herzuleiten und nicht aus den
kapitalistischen Zwängen nach Senkung des Preises für die Ware
Arbeitskraft, wie es sinnvoll wäre, denn ähnliche Bestrebungen
gibt es ja in allen kapitalistischen Staaten. Doch auch in dem
Text gibt es keinen Hinweis, dass die Verfasser_innen Mord an
Menschen, die nicht ins deutsche Weltbild passen, heute noch für
möglich halten. Diese Einschätzung teilen sie mit vielen linken
und antifaschistischen Gruppen, die beispielsweise Flüchtlinge
kritisiert haben, die beim ungeklärten Tod von Oury Yalloh in
einer Dessauer Polizeizelle von Mord sprachen. Weil die Kritik
an der spezifischen Ideologie ersetzt wurde durch
Prowestlertum, war auch die genau so überrascht über die
Enthüllungen aus Thüringen wie alle anderen Linken.
So haben die
staatlichen Stellen eine gute Möglichkeit weitgehend ungestört
von Protesten daran zu arbeiten, dass auch aus dieser Krise
Deutschland gestärkt hervorgeht. Schon gibt es die ersten
Berichte über die „armen Zwickauer“, die nicht verdient hätten,
dass ihr Städtchen, dass alternativen Jugendlichen nicht einmal
erlaubt, ein seit Jahren leerstehendes Gebäude zu besetzen, mit
dem Nazitrio in Verbindung gebracht wird. Schon längst sind also
die Deutschen wieder Opfer und die Mordopfer werden spätestens
nach einem Trauerakt der Politik wieder vergessen sein.
Editorische Hinweise
Wir erhielten den
Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Peter Nowak schreibt in
TREND in unregelmäßigen Abständen über "Deutsche Zustände".