Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Paris: Der Prozess gegen ,Carlos’ zeigt eine quasi-faschistische Variante des Antiimperialismus

12/11

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Er sei „Berufsrevolutionär“, stellt sich der untersetzte Mann mit dem weißen Vollbarten seinen Richtern vor. Und ferner so: „Ich bin ein Gefühlsmensch, aber im Kampf bin ich von unglaublicher Kaltblütigkeit“. Am Montag, den 07. November 11 begann in Paris der Prozess gegen den einst auf Fahndungsplakaten so genannten „Staatsfeind Nummer Eins“, der in den frühen achtziger Jahre in Frankreich eine Serie von Attentaten mit meist zivilen Zielen verübte. Das Verfahren ist bis zum 16. Dezember des Jahres angesetzt. 

Statt zu versuchen, seine Verantwortung zu leugnen oder herunterzuspielen, ging der 62jährige Terrorist im Zwangsruhestand namens Ramirez Illich Sanchez, genannt „Carlos“, an den Tagen vor Prozessbeginn in die Offensive. Am Wochenende vor dem Auftakt des auf sechs Wochen terminierten Verfahrens gab der Mann aus seiner Zelle in der Haftanstalt Poissy – westlich von Paris – der in Venezuela erscheinen Tageszeitung El Nacional ein Interview. Darin bekannte er sich freimütig zu seinen Opfern. Auf die Frage nach Unschuldigen, die zu Tode gekommen seien, antwortete er frei von der Leber weg: „Ich habe nachgerechnet, und man kommt auf keine zehn Prozent. Unter den 1.500 bis 2.000 Toten“, für welche er nebenbei die Verantwortung übernimmt, seien „nicht mehr als 200 unschuldige Zivilisten gewesen“, behauptete er. Bei Prozessbeginn bezeichnete er diese nun als „Kollateralschäden“. Bei den Attentaten auf französischem Boden, zum Beispiel auf den Bahnhof von Marseille (1983) und auf einen Schnellzug Paris-Toulouse, wollte „Carlos“ in den Jahren ab 1982 seine deutsche Geliebte Magdalena Kopp und seinen Komplizen Bruno Bréguet freipressen. Diese waren damals in Frankreich inhaftiert.  

Kaltblütigkeit lässt sich ihm tatsächlich nachsagen. „Revolutionär“ zu sein jedoch weitaus weniger: Der gealterte Terrorist und gebürtige Venezolaner war in Wirklichkeit zeitlebens eher ein Söldner denn ein Kämpfer für eine irgendwie geartete emanzipatorische Umwälzung, eher ein Desperado denn ein politischer Militanter. Als militaristischer Haudrauf stand er ab den frühen siebziger Jahren im Dienste mehrerer arabischer Diktaturen, die sich vordergründig auf die Entkolonialisierung beriefen und sich als Träger einer Befreiungsidee darzustellen versuchten, zu dem Zeitpunkt jedoch längst autoritäre Herrschaftsstrukturen waren. Insbesondere diente „Carlos“ damals zeitweilig den Regimes zweier rivalisierender Flügel der Ba’ath-Partei, im Syrien und im Irak.  

Auf Rechnung von letzterem verübte er etwa den Anschlag auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975. Regimes wie das im Irak, die einen vordergründig staatssozialistischen Anspruch erhoben und den Ölpreis – zum Teil für soziale Ausgaben, vor allem fur Waffenkäufe – hochtreiben wollten, waren damals mit den konservativen Golfmonarchien verfeindet. Letztere hatten ihre Reichtümer im Westen angelegt und wollten letzterem eine Dämpfung der Ölpreise garantieren. Carlos lebte seit Anfang der Siebziger im Nahen Osten und hatte sich 1975 formal zum Islam bekehrt, was ihn nicht daran hinderte, als Säufer und Lebemann aufzufallen. Später, mit dem Niedergang des Elans arabisch-nationalistischer Regime, bezog er sich allerdings auch auf Djahidismus und bezeichnete ihn als „revolutionären Islam“ – auch wenn ihm dessen Werte weitgehend fremd sein dürften.  

Politisch interessant sind jedoch die ideologischen Signale, die Carlos setzt, seitdem er selbst in Frankreich gefangen ist – 1994 lieb der damalige Innenminister Charles Pasqua ihn im Sudan entführen, nachdem alle arabischen Diktaturen ihn zum Ende des Kalten Krieges fallen lieben. Seinen ersten Prozess wegen anderer terroristischer Straftaten hatte Carlos im Dezember 1997 in Paris, damals wurde er bereits zu lebenslänglich verurteilt. In seinen allerersten Einlassungen vor den Richtern wetterte „Carlos“ damals gegen den Prozess, der zur selben Zeit dem Nazi-Kollaborateur Maurice Papon in Bordeaux gemacht wurde, angeblich „auf Verlangen der Zionisten“. Und er lobte den „Mut der nationalen Rechten“. Dies kam für Beobachter reichlich unerwartet. Vgl. dazu auch http://www.lemonde.fr/(Artikel vom 14. Dezember 1997) 

2011 geht es mit dem rot-braunen Querfrontspiel weiter. In einem Interview aus der Zelle, das die Pariser Tageszeitung Libération am 19. Oktober dieses Jahres abdruckte (vgl. http://www.liberation.fr/ ), wurde „Carlos“ gefragt, wen er unterstützen würde, falls er je in Frankreich politisch aktiv. Er erklärte, er würde in diesem Fall bei den Wahlen von 2012 für Linksparteien stimmen, „weil Jean-Marie Le Pen nicht antritt“. Ansonsten hätte er wohl diesen unterstützt, seine Tochter aber ist ihm zu pro-westlich im Auftreten.  

Zum Auftakt des jüngsten Prozesses in Pariser Justizpalast am 07. November 11 erschien unterdessen ein (in den letzten Jahren) ideologisch einschlägig hervorgetretener Aktivist im Gerichtssaal; vgl. http://www.lefigaro.fr/ Nämlich der seit den Jahren 2004/05 immer stärker als Antisemit hervortretende, schwarze französische Theatermacher Dieudonné M’bala M’bala (welcher unter seinem Vornamen, den er als Künstlernamen benutzt, bekannt ist). Der Sohn eines Kameruners und einer französischen Soziologin erklärte, den Kampf des „Revolutionärs“ zu würdigen, auch wenn er „den gewaltförmigen Beitrag Carlos dazu persönlich ablehne“. Bei einer Veranstaltung der 2009 durch „Dieudonné“ und Alain Soral zur Europaparlamentswahl aufgestellten, und sehr erfolglosen, „Antizionistischen Liste“, hatte Carlos damals seinen Beitrag geliefert: Auf einem Video, das aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde, wandte er sich an die Teilnehmer. Besonders ermutigte er in dem Kurzfilm die, vor 20 Jahren als Auschwitzleugnerin aus den Grünen ausgeschlossene und sich noch immer für eine Rebellin haltende, Ginette Skandrani. Diese kandidierte auf der Liste. Neben ihr fanden sich mehrere Vertreter des rebellisch, nicht konservativ, auftretenden Teils der extremen Rechten. Vgl. dazu u.a. http://www.visa-isa.org/node/377  

Jenseits der auf den ersten Blick verwirrenden Querfronten lässt sich konstatieren, dass der Kampf um die Entkolonialisierung in den frisch unabhängigen Staaten um die Mitte des 20. Jahrhunderts ein berechtigter war – dass die damals erstarkten Nationalbewegungen aber offenkundig auch faschistische Gestalten angezogen haben. Carlos zählt zu ihnen.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.