Der syrische Präsident Baschar
al-Assad sieht sich der internationalen Unterstützung der
Opposition und einer steigenden Zahl von Deserteuren aus den
Reihen der eigenen Sicherheitskräfte gegenüber. Sie sind nach
Schätzungen nur noch 195.000 Mann stark statt 220.000 zu Beginn
der Unruhen.
8 Monate Repression haben eine
Blutspur hinterlassen. Beobachter der UNO berichten von über
3.500 Toten und einer noch weit höheren Zahl von Verwundeten,
Verschleppten und Gefolterten. Doch das Regime vermochte es
nicht, die Revolution zu unterdrücken.
Nach Monaten des Schweigens von
Seiten der meisten arabischen Staaten scheinen nun das Ausmaß
des Krieges und die zunehmenden Angriffe der neu formierten
Freien Syrischen Guerrillaarmee zu bewirken, dass die
Gemeinschaft der arabischen Länder endlich Stellung zur
syrischen Krise bezieht.
Am 17.11. hat die 22köpfige
Arabische Liga die syrische Mitgliedschaft aufgehoben und dem
Regime 3 Tage Zeit gegeben, die blutige Repression zu stoppen
oder Wirtschaftssanktionen zu riskieren.
Natürlich können die wenigsten
Mitgliedstaaten der Liga selber mit blühender Demokratie oder
Menschenrechtsachtung aufwarten. Ihre Resolution fordert die
Entsendung von 500 Beobachtern nach Syrien, um die Einhaltung
der Auflagen zu überwachen. Assad hat dies brüsk zurück
gewiesen. Nun werden anscheinend die Sanktionen verhängt.
Im abgelaufenen halben Jahr hat die Türkei viele Flüchtlinge
über die syrische Nordgrenze aufgenommen. Premierminister Recep
Tayep Erdogan hat die arabischen Staaten scharf kritisiert, dass
sie die Repression nicht verurteilten und meinte, dass „die
fehlende Reaktion auf die Massaker in Syrien unauslöschliche
Wunden im Bewusstsein der Menschheit hinterlassen hat“.
Erdogan selbst ist jedoch kaum
von demokratischem Idealismus durchdrungen, zumal er gerade
einen Überfall auf nordirakisches Gebiet gegen die Kurden
unternommen hat. Seine gemäßigt islamistische Regierung will
vielmehr seine Einflussphäre in Nahost erweitern und zugleich
den kurdischen Kämpfern den Nachschub abschneiden.
Der westliche Imperialismus denkt an Intervention
Die Westmächte kritisieren Assad ebenfalls seit Monaten. Mitte
August forderte US-Außenministerin Clinton Assad auf, den Weg
frei zu machen. Die EU und die USA haben Sanktionen gegen
führende Regimevertreter verhängt. Ihre gespielte Aufregung über
Menschenrechtsverletzungen ist nichts weiter als Heuchelei, denn
bis vor kurzem benutzten sie Staaten wie Syrien und Ägypten
unter Mubarak als Ort für eine außerordentliche Auslieferung von
3.000 Gefangenen des ‚Krieges gegen den Terrorismus'. Dabei
wussten sie sehr wohl, dass jene von der Geheimpolizei gefoltert
werden und die herausgepressten Informationen an den CIA
weitergegeben würden.
Frankreich als ehemalige
Kolonialmacht in Syrien und Libanon erklärte, es sei Zeit für
internationale Gremien, gegen die syrische Regierung vorzugehen.
Deutschland, Britannien und Frankreich haben eine Entschließung
vor die UNO-Vollversammlung gebracht, worin Syriens
Menschenrechtsverletzungen verurteilt werden. Der britische
Außenminister William Hague trifft sich mit Mitgliedern der
syrischen Opposition in London, um den Druck gegen Assad zu
erhöhen und pro-imperialistische Elemente zu finden, ähnlichen
denen, die in Libyen protegiert worden sind.
Die EU-Staaten könnten beträchtliche ökonomische Hebel ansetzen.
95% der syrischen Ölexporte gehen in EU-Länder, und ein Großteil
der Einfuhren nach Syrien stammt von dort. Obwohl Syrien kein
reiner Ölrentenstaat wie Libyen oder die Golfstaaten ist, machen
die Ölverkäufe, die 2010 bei 2,3 Milliarden US-Dollar lagen,
immerhin ein Viertel der gesamten Staateinkünfte aus.
Die USA hätten zwar nichts gegen
Assads Sturz, fürchten aber Maßnahmen, die die Region um Israel
destabilisieren könnten. Ein neues Regime müsste zumindest so
harmlos wie das von Vater und Sohn Assad gegenüber dem
zionistischen Kettenhund. sein. Eine neue Regierung, die die
Unterstützung für die Hisbollah, Hamas und die Palästinenser
herunterfahren und die Verbindungen zum Iran kappen würde, wäre
natürlich noch angenehmer. Aber die ägyptischen Ereignisse
zeigen, dass damit nicht zu rechnen ist.
Die USA will folglich zur Zeit
kein militärisches Engagement auf sich nehmen. CIA-Chef Leon
Panetta hat NATO-Luftangriffe gegen Syrien ausgeschlossen. Die
Israelis haben ihre Befürchtung durchblicken lassen, dass mit
dem Sturz der Regierung als Ergebnis der Revolution Schlimmeres
käme. Diese Haltung vertraten sie auch während des ‚arabischen
Frühlings'. Die Zionisten ziehen berechenbarere Gegner vor.
Allerdings ist die Idee mancher
Linker, die Erhebung in Syrien sei eine von Imperialisten
angezettelte Verschwörung, um ein antiimperialistisches Regime
zu Fall zu bringen, völlig abwegig. Wer hier nur Regierungen
gegenüberstellt, unterstützt letztlich jede Tyrannei und würde
die syrische demokratische Bewegung geradewegs in die Arme der
USA und die ‚Helden' der libyschen Intervention, Sarkozy und
Cameron, treiben.
Assads regionale und imperialistische Unterstützer
Das syrische Regime wird immer noch von einigen Kräften in der
arabischen Welt gestützt. In der palästinensischen Bewegung
sehen viele fälschlicherweise in Syrien und Iran verlässliche
Verbündete gegen den Zionismus. Die Dominanz der Verbündeten und
Bediensteten des Damaskus-Regimes in Gasa und Westbank
verhindert teilweise das Zustandekommen einer neuen Intifada.
Der Bruch mit den Regierungen in Syrien, Libanon, Iran oder auch
Irak wäre wegweisend für einen Neuaufbau der palästinensischen
Bewegung als unabhängiger revolutionärer Ausdruck der arabischen
Revolution.
Doch der ausschlaggebende
Rückhalt für die Ba'ath-Diktatur kommt aus Russland und China.
Sie werden erst von Assads Seite weichen, wenn sich wie in
Libyen dessen Herrschaft völlig auflöst.
Eine der bedeutsamsten
Veränderungen in der historischen Krise des globalisierten
Kapitalismus ist der zu Tage tretende Beweis, dass der
Imperialismus kein Monolith ist. Während des kalten Kriegs und
noch in den 90er Jahren, meinten MarxistInnen, wenn sie vom
Imperialismus sprachen, die USA und die untergeordneten Mächte
in Westeuropa sowie Japan in Fernost. Die Hegemonie der USA war
so stark, dass sie nur in Nebensächlichkeiten oder Randregionen
geopolitisch hinterfragt werden konnte. Heute kann ein solches
Verständnis in einer revolutionären Analyse und politischen
Orientierung nicht mehr angewendet werden.
Der Niedergang der USA und der
Aufstieg des dynamischen Kapitalismus in China und das
Wiedererstarken von Russland zeigt eine klare
innerimperialistische Konkurrenzsituation. Im Oktober stimmten
beide gegen eine Resolution im UN-Sicherheitsrat, die Sanktionen
gegen Syrien vorsah. Russland wiederholte die
Propagandaargumente aus Damaskus. Außenminister Sergej Lawrow
sagte: „Es ist kein Geheimnis, dass sich unter die friedlichen
Demonstranten, deren Bestrebungen und Forderungen wir
unterstützen, zunehmend bewaffneten Gruppen gemischt haben,
deren Ziele völlig andere als Reform und Demokratie in Syrien
sind (...) Ihre Ziele verfolgen ethnische und Stammesinteressen,
und diese Leute haben Waffen erhalten und werden weiter
beliefert von Nachbarstaaten und müssen dies nicht einmal
besonders verbergen“.
Russland muss seinerseits auch
nicht verhehlen, dass es Assads Truppen mit russischer
Artillerie und Panzern, Sturmgewehren und Munition ausgerüstet
hat. Mit ihnen werden unbewaffnete Zivilisten getötet.
Wjatscheslaw Djerkain, ein Befehlshaber der russischen Dienste
für militärische Zusammenarbeit sagte vor kurzem, es gäbe keine
Beschränkung für Waffenlieferungen nach Syrien. Soweit zur
Unterstützung für die Bestrebungen und Forderungen syrischer
Demokraten.
Gewiss hat Russland wenig
Sympathie für ethnische und Stammesinteressen, mehr jedoch für
ihre diktatorischen Unterdrücker. Zwei blutige Kriege in
Tschetschenien und der erste ‚Krieg gegen den Terrorismus' in
Russland halfen, das reaktionäre russische Regime zu
stabilisieren. Das Erbe eines hochindustrialisierten Landes,
eine massive Militärkraft mit Nuklearkapazität sowie die
riesigen natürlichen Ressourcen der russischen Föderation (Öl,
Gas, wertvolle Mineralien) und der Gürtel von zentralasiatischen
Halbkolonien gestattete Russland den Eintritt in den Kreis der
imperialistischen Mächte nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch
1991.
Als neuer Imperialismus ist
Russland bestrebt, seine Position in der ölreichsten und
geostrategisch wichtigsten Weltregion zu halten. 2006 hat
Russland dreiviertel der Schulden Syriens (9,6 Milliarden)
erlassen, ist weiterhin der Hauptwaffenlieferant des Landes und
will seine Schiffspräsenz am Mittelmeer ausbauen. Der syrische
Hafen Tartus steht derzeit als einziger Mittelmeerhafen der
russischen Flotte rund um die Uhr zur Verfügung. Ohne ihn müsste
die russische Seemacht im Umweg über die türkische Meerenge nach
Odessa Nachschub und Wartung bewerkstelligen.
Der syrische Widerstand
Teile der syrischen Armee bröckeln ab. Das ist ein gutes
Zeichen. Die Schaffung von bewaffneten Verteidigungseinheiten
für die Massenmobilisierungen könnten Assads Streitkäfte für die
Repression des Widerstands büßen lassen und das Regime
unterhöhlen. Sie haben zweifelsohne eine Rolle bei den lang
anhaltenden Massenmobilisierungen gespielt.
Mit Angriffen auf verschiedene
Ziele im Land hat die Freie Syrische Armee (FSA) von sich reden
gemacht. Angeblich gehören ihr 10 bis 15.000 Mitglieder an,
wahrscheinlich aber weniger. Sie hat jüngst damit begonnen,
wichtige Einrichtungen des Regimes in mehreren Städten
anzugreifen, z.B. am 16.11. den Luftstützpunkt am Rand von
Damaskus. Das war ein hochsymbolischer Akt, zumal die Machtbasis
von Baschars Vater Hafes al-Assad, der 1970 die Regierungsgewalt
übernahm, in der Luftwaffe lag.
Trotz dieser waghalsigen
Guerrillaaktionen der FSA, die meist nur mit Sturmgewehren
bewaffnet waren, wird damit nicht die Streitmacht des Regimes
mit ihren 4.000 Panzern und 8 gut ausgerüsteten Divisionen
militärisch besiegen können. Aber der Glaube an die Festigkeit
der eigenen Reihen und demgegenüber die Wahrnehmung der
Unerschütterlichkeit des Widerstands wird die Regimetreue der
Truppen maßgeblich beeinflussen. Angesichts von massenhafter
politischer Agitation, der Formation einer koordinierten
Massenbewegung und eines Generalstreiks der Arbeiterschaft
können auch ganze Einheiten und Bataillone meutern und zum
Widerstand überlaufen.
Die so hoch gelobte - scheinbare
- Strategie der Gewaltlosigkeit als Prinzip bei den tunesischen
und ägyptischen Revolutionen im Januar und Februar 2011 ist von
den Bürgerkriegsereignissen in Libyen, Jemen und Syrien klar
überholt worden. Aber auch die Guerrillataktik kann nicht zur
Strategie erhoben werden. Viele tausend Deserteure aus der Armee
sind zu örtlichen Widerstandseinheiten übergewechselt und
liefern so viel Schutz und Beistand, wie es ihre Ausrüstung
erlaubt. Massenaktionen mit bewaffneter Selbstverteidigung wie
auch wiederholte Versuche, größere Einheiten oder gar Divisionen
auf die Seite der Bevölkerung zu ziehen, sind entscheidend.
Die syrische Opposition ist sehr
vielfältig und unterschiedlich. Große Meinungsverschiedenheiten
bestehen zwischen langjährigen Exilgruppen, die von Britannien
und Frankreich hofiert werden und die sie zu einer Regierung auf
Abruf zusammenstellen möchten, und den Führungen innerhalb
Syriens, die sich in verschiedenen Orten im Kampf gegen die
unterdrückerische Politik des Regimes gebildet haben.
Außerdem ist die Opposition in
ihrer Haltung zu ausländischem Eingreifen gespalten - genau so
wie in der Frage von Verhandlungen mit dem Regime und der
Einstellung zu bewaffnetem oder unbewaffnetem Widerstand. Einige
Gruppen fordern die Westmächte auf, Sicherheitszonen in Syrien
zu errichten. Das ist eine gefährliche Abgleitfläche hin zum Ruf
nach NATO-Luftangriffen auf Syrien, die als ‚Flugverbotszone'
verklausuliert werden.
Doch eine westliche
imperialistische Intervention wird dem Kampf für Demokratie
nicht nur nicht gut tun, sondern ihm sogar schaden. Die EU und
die USA haben trotz ihrer hochtrabenden Reden über
Menschenrechte nur eins im Sinn: ihre eigenen ökonomischen und
strategischen Ziele in der Region zu verfolgen. Sie werden die
Bildung einer reaktionären Regierung unterstützen, die wie in
Libyen noch immer durch eine Revolution gestürzt werden muss. Es
ist notwendig, dass die linken Kräfte sich davon absetzen und
alle Forderungen nach militärischer Beteiligung von EU/NATO
politisch bekämpfen.
Der Weg zur Arbeiter- und Bauernmacht
Wie sollen nun revolutionäre SozialistInnen,
AntiimperialistInnen, AntizionistInnen und aufrechte
DemokratInnen einen Kurs finden zwischen den widerstreitenden
Imperialisten, den Hegemonialbestrebungen von Regionalmächten
wie der Türkei oder Iran sowie den reaktionären sozialen Käften
des politischem Islamismus, die das Sektierertum fördern, die
Unterdrückung der Frauen und den Abbau hart erkämpfter
demokratischer Rechte durchsetzen wollen, wie dies in Libyen,
Ägypten und Tunesien geschieht?
Zum einen durch die Vorlage
eines internationalistischen revolutionären Programms, dessen
Schlüssellosungen und -forderungen bei den Massen ankommen und
andererseits die Etablierung der Arbeiterklasse als führende
Kraft beim Sturz der ba'athistischen Tyrannei.
In einem Land wie Syrien ist es
ausschlaggebend, sich als Ziele des Kampfes Demokratie und
Säkularismus zu setzen. Die Opposition hat die Anschuldigungen
des Regimes zurück gewiesen, sie seien sunnitische
Fundamentalisten und würden Alawiten, Drusen u.a. Minderheiten
verfolgen wollen.
Die Ba'ath Partei geht auf
Wurzeln eines weltlichen Nationalismus zurück und die hohe Zahl
von Minderheiten macht sie anfällig gegen die salafistische
(ultrareaktionär islamistische) Demagogie. Aber dies ist ein
Grund mehr für den Widerstand, dies entschieden und klar zu
bekämpfen.
Die Intelligenz, StudentInnen
und die erwerbslose Jugend, die an der Spitze der Erhebungen
stehen, müssen massenhaften Rückhalt in der Arbeiterklasse
finden, in der gesellschaftlichen Kraft, die das Regime durch
Generalstreik und Massenaufstand stürzen kann.
Wie in Ägypten und anderswo ist
der Aufbau von Fabrikausschüssen und Arbeiterräten vorrangig
dafür und auch, dass nicht die Errungenschaften der Revolution
wie in Tunesien und Ägypten drohen, verloren zu gehen. Es darf
nicht geschehen, dass die Figuren an der Spitze, die
Assad-Familie, zwar entfernt werden, aber die Grundpfeiler der
Diktatur unangetastet bleiben. Wie in diesen Ländern muss die
Revolution ohne Unterbrechung weiter gehen, die Bevölkerung
bewaffnet werden und die Macht in die Hände der arbeitenden
Massen gelegt mit einer Arbeiter- und Bauernregierung, die ihnen
jederzeit verantwortlich ist.
Editorische Hinweise
Wir erhielten den Artikel von:
ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 593
8. Dezember 2011
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