Erste Zusammenfassung der Ereignisse des Aktionstages „Access
all areas - gegen kapitalistische Stadtentwicklung und
Gentrifizierung“. Kundgebungen, Demonstrationen und Aktionen im
Hamburger Stadtgebiet. Proteste und Demonstrationen in
Frankfurt/Main, Köln, Berlin, Wien und Zürich.
Heute, am 17.
Dezember, hat der von vielen Gruppen und Initiativen
unterstützte Aktionstag „Access all areas - gegen
kapitalistische Stadtentwicklung und Gentrifizierung“
stattgefunden. Über den Tag verteilt beteiligten sich im
Hamburger Stadtgebiet ca. eintausend Menschen an
unterschiedlichen Kundgebungen, Demonstrationen und Aktionen. Im
Vorfeld gab es beschränkende Auflagen der Versammlungsbehörde
und am Rande des Aktionstags kam es zu Übergriffen der Polizei.
Auch in
anderen Städten gab es Proteste und Demonstrationen, u.a. in
Köln, Freiburg, Wien, Zürich und Berlin. In Frankfurt/Main
folgten 500 Menschen dem Aufruf des Netzwerks „Wem gehört die
Stadt?“ und demonstrierten unter der Forderung „Wohnraum für
alle!“, in Berlin zogen ca. 20 Bauwagen und Lkw für mehr
Wagenplätze und unkommerzielle Freiräume durch die Stadt.
Der heutige Aktionstag richtete sich gegen Umstrukturierung,
Verdrängung und Vertreibung – und war dabei auch Ausdruck der
Solidarität mit dem nach wie vor umkämpften Projekt Rote Flora.
Die öffentlichen Spekulationen der letzten Wochen um die
Liquidität des formalrechtlichen Eigentümers Kretschmer haben
die Alles-ist-geklärt-Haltung des Senats als den Versuch
demontiert, den Konflikt herunterzuspielen. Der
nicht-kommerzielle Ort wird solange bedroht sein, wie sich das
Gebäude als Immobilie auf dem Markt befindet. Als besetztes
Zentrum begreift die Flora sich in ihrer Unverträglichkeit zudem
als „Störfaktor in der ökonomischen Verwertung des Stadtraumes“.
Die Frage nach der Zukunft des Projekts ist daher eine
gesellschaftliche Frage. Entsprechend stand am Aktionstag auch
nicht die Flora selbst im Mittelpunkt, sondern die Frage nach
den gesellschafltichen Verhältnissen.
Themen & Aktionen
Zum Auftakt des Aktionstages wurde das Feld städtischer
Konflikte von Süden her aufgerollt und startete in Harburg. In
einer „Rebel Art Mob Action“ wurden Leerstände markiert, um der
Forderung der Initiative „Ja zur Nö“ nach einem
selbstverwalteten soziokulturellem Zentrum in der Nöldekestraße
Nachdruck zu verleihen. Die Polizei schikanierte, indem sie das
legal geparkte Auto eines im Stadtteil aktiven Menschen ohne
Grund abschleppte. In Wilhelmsburg folgte eine Aktion der
Initiative „Der Zaun muss weg!“, die die Ursachen und lokalen
Folgen von IBA und IGS ins Visier nahm. Am eingezäunten
Menge-Park, dessen Besuch in Zukunft nur noch zu Tarifen
zwischen 17 und 21 Euro möglich sein soll, äußerten gut 150
Menschen ihren Unmut über die Privatsierung und
Kommerzialisierung öffentlicher Räume – als die Menschen den Ort
des Protests verließen, fehlten dann auch mehrere Meter Zaun. In
St. Georg gab es ein Radioballett gegen die Vertreibung von
Sexarbeiter_innen mit 60 Teilnehmer_innen.
Um 15 Uhr kamen 280 Menschen zu einer ersten zentralen
Kundgebung gegen Vertreibung auf dem Hachmannplatz am
Hauptbahnhof zusammen. Unter dem Motto „Hamburg ist kein
Schreibergarten“ wurde sich solidarisch gegen eine Politik der
Ausgrenzung in St. Georg, am Hauptbahnhof und anderswo
positioniert und zum Sturz des selbsternannten Bezirksfürsten
von Mitte aufgerufen.
Als
Wiederkehr der vermeintlich Verdrängten waren drei Bauwägen des
kürzlich nach Altona verzogenen Platzes Zomia anwesend. Zomia
wertete ein Preisausschreiben zur Suche nach geeigneten Orten
für einen neuen Wagenplatz aus. Das Ergebnis fasst Zomia wie
folgt zusammen: „Als Fläche für den sechsten Wagenplatz in
Hamburg sind 17 verschiedene Flächenvorschläge eingegangen,
davon sechs im Bezirk Mitte bzw. im Hafen (HPA).Die Auswertung
ist noch nicht beendet, aber: auf keiner der Flächen ist ein
Wagenplatz langfristig ohne den (politischen) notwendigen Willen
möglich.“ Einmal mehr ist deutlich geworden, dass die
Durchsetzung von Wagenplätzen eine Frage sozialer und
politischer Kämpfe ist. Flächen gibt es genug.
Zudem gab es
eine Liveschaltung zur zeitgleich in Frankfurt stattfindenden
Demonstration und eine kurze Grußadresse aus Berlin.
Währenddessen enterte die Kampagne für ein Autonomes Zentrum in
Altona den Alma-Wartenberg-Platz. Dort wurden Aufwertungs- und
Verdrängungskonzepte des Zukunftsplans und der Neuen Mitte
Altona kielgeholt und deutlich gemacht, dass es auch hier
selbstverwalteter und selbstbestimmter Räume als Kontrapunkt zu
Quartiersempowerment und simulierter Teilhabe in so genannten
Partizipationsverfahren bedarf.
An
verschiedenen Orten in Ottensen tauchte zudem immer wieder ein
Ernie & Bert Flashmob auf, prüfte den Weihnachtsmarkt sowie im
Einkaufzentrum Mercado die Rolltreppen auf ihre
Demonstrationstauglichkeit und Parolenfestigkeit, lud in einem
Schuhgeschäft zur Anprobe. Eine eilig herbeigerufene
Hundertschaft der Polizei durchsuchte den Laden, konnte aber nur
einige Schuhe sicherstellen.
Ab 16 Uhr startete in Altona, St. Pauli und der City mit „Hells
Bells“ das Topfschlagen gegen Wohnungsnot und steigende Mieten.
Durch die Innenstadt zogen topfschlagende Kleingruppen und
verteilten Flugblätter gegen kapitalistische Stadtentwicklung.
Auf der Reeperbahn startete die Stadtteilversammlung „SOS St.
Pauli“ eine Unterschriftenkampagne
für ihren „12-Punkteplan
als Notreißleine gegen Gentrifizierung“ und für die
Entkriminalisierung von Besetzungen.
In der Innenstadt ging es ab 16.30 Uhr weiter mit einer
Kundgebung gegen Senatspolitik, Wohnungsnot und
Innenstadtverbote an der Börse hinterm Rathaus und damit im
Rücken der politisch Verantwortlichen. In unterschiedlichen
Redebeiträgen wurde Position gegen die Krisenverwaltung der
etablierten Politik bezogen. Die Flora warb für ihre
Unverträglichkeit, Unterstützer_innen des Piratenprozesses
kritisierten die herrschende Wettbewerbsordnung in ihrer
rassistischen und globalen Dimension und ein Vertreter des
Bündnisses „Mietenwahnsinn stoppen“ forderte die
Vergesellschaftung von Wohnraum.
Im Fokus der
Kritik stand zudem die langjährige Hamburger Tradition,
unliebsame linke Demonstrationen mit politischen
Innenstadtverboten zu belegen. Entweder durch die Konstruktion
vermeintlicher Bedrohungsszenarien und Auflagen im Vorfeld oder
durch polizeiliche Willkür im Einsatz, wie zuletzt am 5.11. bei
der Zomia-Demonstration, die aufgrund massiver Repression noch
vor Erreichen einer relevanten Öffentlichkeit aufgelöst werden
musste.
Doch Innenstadtverbote führen nicht zur Auflösung von
Widersprüchen, sondern ziehen kreative Lösungen nach sich, die
eine solche verordnete Friedhofsruhe unterlaufen. Protest ist
nichts Statisches, sondern entwickelt sich mit den Verhältnissen
– und Aktionstage wie der heutige befördern diese Dynamik. Heute
Nachmittag bekamen die behandelten Themen Hände und Füße und
präsentierten sich im innerstädtischen Weihnachtstrubel durch
eine Vielzahl von Aktionen und Protestnoten. Konfetti- und
Flugblattaktionen vervielfältigten die Kritik, hunderte
Demonstrant_innen kaperten lautstark die Weihnachtsmärkte und
mehrere Spontandemonstrationen zogen durch die Straßen und
Passagen.
Die Polizei
stürmte daraufhin durch die Menschenmengen, verursachte Panik
und schlug auf Umstehende mit Knüppeln ein. Mehrere
Demostrant_innen wurden eingekesselt und erhielten für ihren
legitimen Protest Platzverweise für die Innenstadt. Ein Mensch
wurde wahllos in Gewahrsam genommen.
Perspektiven
Zum Abschluss des Aktionstages zeigte schließlich ab 18.30 Uhr
auf der Reeperbahn eine Kundgebung gegen den Abriss der
Esso-Häuser und Umstrukturierung mit gut 300 Beteiligten und
Livemusik, dass St. Pauli mehr und etwas ganz anderes ist als
eine Visitenkarte Hamburgs. Nämlich ein Stadtteil, in dem
Menschen leben, die von Umstrukturierung, steigenden Mieten und
Verdrängung massiv betroffen sind und die sich in einer Vielzahl
von Initiativen zur Wehr setzen. Begleitet von den Klängen
zweier Hiphop- und Electro-Acts wurden die Ereignisse des Tages
zusammengetragen und bei einem Becher Glühwein machte sich die
Gewissheit breit, dass die Zukunft der Städte und der
Gesellschaft eine Frage sozialer und politischer Bewegungen ist
und bleibt.
Wie der Tag hat gezeigt hat, läuft der immer häufiger zu
hörenden Pauschalvorwurf des Senates an politische Initiativen,
lediglich Partikularinteressen zu vertreten, ins Leere. Ein
Aktivist der Kampagne „Flora bleibt unverträglich“ dazu: "Im
Gegensatz zur etablierten Politik, die vor allem
privatwirtschaftliche Interessen vertritt, entwickeln wir
gesamtgesellschaftliche Fragen und Antworten zu Krise,
Neoliberalismus und Kapitalismus weiter. Die selbstbestimmte
Aneignung des öffentlichen Raumes sowie die Forderungen nach
einer Vergesellschaftung von Wohnraum und einer
Entkriminalisierung von Besetzungen als Mittel gegen Leerstand
sind Beispiele hierfür."
Eine nächste Wegmarke ist dabei bereits gesetzt: Wir rufen auf
zur Teilnahme an der Kundgebung „Die Stadt gehört allen“ am 12.
Januar 2011 um 18 Uhr am Mönckebrunnen in der Innenstadt.
Kampagne „Flora bleibt unverträglich“
Vorbereitungsbündnis zum Aktionstag
Editorische Hinweise
Wir spiegelten den Bericht von
Indymedia, wo er am 17.12. erschien.