Zur Aktualität der Arbeiter_innenbewegung
Der Historiker Ralf Hoffrogge liefert einen Zugang zur Geschichte der frühen Arbeiter_innenbewegung jenseits von Verklärung und Totalverriss

 von Peter Nowak

12/11

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Die Arbeiterbewegung wird häufig auch in linken Kreisen als  toter Hund belächelt. Die meisten Gruppen der außerparlamentarischen Linken  betonen eher die Distanz als die Gemeinsamkeiten. Der Historiker Ralf Hoffrogge, der sich mit der Wiederentdeckung des führenden Aktivisten der Revolutionären Obleute Richard Müller Verdienste erworben hat, veröffentlichte in der Reihe theorie.org im Schmetterling-Verlag ein Buch, dass einen völlig anderen Zugang zu der Arbeiter_innenbewegung vermittelt. Hoffrogge skizziert die  Geschichte der Arbeiter_innenbewegung in Deutschland im Kontext ihrer Zeit.

 Sie beginnt mit den  Bewegungen der  Maschinenstürmer  und  des Handwerkerkommunismus, deren Theorie und Praxis heute nur noch fragmentarisch bekannt ist. Dabei betont Hoffrogge, auch gegen die Lesart der späteren Arbeiter_nnenbewegungshistoriker_innen, dass   die Maschinenstürmer rational handelnde Handwerkeraktivist_innen waren, die keineswegs rückwärtsgewandte Ziele hatten. Ausführlich geht Hoffrogge darauf ein, wie Marx und Engels zur Arbeiter_innenbewegung gestoßen sind. Die erfolgreiche Verbindung von Marxismus und Arbeiter_innenbewegung, die keineswegs selbstverständlich war, kann als historischer Glücksfall bezeichnet werden. Damit wurde auch verhindert, dass konkurrierende, reaktionäre Strömung wie die antisemitische christoziale Bewegung oder noch weiter rechts angesiedelte völkische Strömungen schon in der Frühphase unter den Proletarier_innen dominant werden konnten.

   Hoffrogge zeigte auch, dass die Verbindung zwischen Marxismus und Proletariat ein schwieriger, langfristiger Prozess war, der erst 40 Jahre nach der Veröffentlichung des Kommunistischen Manifests gesichert war. Wäre beispielsweise der nichtmarxistische Ferdinand Lassalle nicht jung bei einem Duell getötet worden, hätte es der Marxismus noch schwerer gehabt, sich durchzusetzen. Hoffrogge vermeidet allerdings, Lassalle als Ahnherr des Reformismus zu bezeichnen, sondern er betont die Gemeinsamkeiten mit der Gruppe um August Bebel, die  bald eine führende Rolle in der SPD einnehmen sollte. „Genau so, wie Lassalle wegen seiner Wahlrechtsreform für den Reformismus in Anspruch genommen wurde, könnte man ihn auch wegen seiner Neigung zu Autoritarismus und Obrigkeitsstaat zum Vorreiter des autoritären Staatssozialismus erklären“, meint er.

Auch  bei der Einordnung der Bismark’schen  Sozialgesetzgebung zeigt sich Hoffrogge dialektisch. Es sei sicher eine Maßnahme gewesen, um die Arbeiter_innenbewegung zu integrieren, aber es auch ein Seismograph für das Erstarken der proletarischen Bewegung gewesen.  

Abspaltungen in der SPD vor 1914 

Wir sind es gewöhnt, das Jahr 1914 als Datum für den entscheidenden Bruch in der SPD zu sehen. Tatsächlich spaltete sich mit Beginn des 1. Weltkriegs in allen Ländern die Bewegung an der Frage zum imperialistischen Krieg.

Doch Hoffrogge erinnert an die fast vergessenen Spaltungen in den Jahrzehnte davor. So gab es auch am linken Rand der SPD eine Strömung, die durch die Illegalisierung der Partei unter Bismarck. mit einer Strategie mit revolutionärer Gegengewalt reagierten wollte. Dafür standen die bald ausgeschlossenen Reichstagsabgeordneten Wilhelm Hasselmann und Johann Most, die sich später anarchistischen Strömungen anschlossen. Die Mehrheit der Partei wollte den Weg der Gesetzlichkeit nicht verlassen. Schließlich blieb auch in der Zeit des Sozialistengesetzes die Reichstagsfraktion.  erhalten und legal. Dass war nicht nur ein Zugeständnis des Regimes, damit die Proletarier Dampf ablassen konnten,  die Fraktion wurde bald  zum Vorantreiber des Reformismus. Allerdings sorgte das Sozialistengesetz auch dafür, dass sich der Marxismus endgültig in der Partei durchsetzte und es eine Radikalisierung gab.

Positiv würdigt Hoffrogge auch die zahlreichen theoretischen Interventionen von Marx und Engels, zum Beispiel dessen Anti-Dühring: „Engels Kampf  gegen Dühring ersparte der Arbeiterbewegung zudem einen fatalen Irrtum. Dühring vertrat nicht nur eine positivistische Philosophie.sondern war auch einer der ersten Vertreter eines modernen Rasse-Antisemitismus“.      

In einen eigenen Kapitel beschäftigt sich Hoffrogge mit der Positionierung der Arbeiter_innenbewegung zu Rassismus, Feminismus, Antisemitismus, Homophobie. Nicht ohne Grund. In großen Teilen der außerparlamentarischen Linken, die sich nicht auf die Arbeiter_innenbewegung beziehen, wird die These vertreten, dass sie in diesen Fragen keine Antworten gefunden habe, die heute noch aktuell und von Interesse sein können. Dieser These widerspricht Hoffrogge, die Arbeiter_innenbewegung habe  sehr wohl fortschrittliche Positionen im Kontext ihrer Zeit gehabt. Gleichzeitig betont der Autor, dass die Partei in ihrer Praxis oft weit dahinter zurück gefallen ist.  

Gegen jede Ausbeutung

Besonders hebt Hoffrogge den letzten Absatz des theoretischen  Teils des Erfurter Programms hervor, dass sich die SPD nach dem Fall des Sozialistengesetzes vor nunmehr 120 Jahren gegeben hat. Dort heißt es: „Die SPD kämpft also nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und Pflichten ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung. Von dieser  Anschauung bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht nur  die Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richtet sie sich gegen eine Klasse, ein Geschlecht oder eine Rasse“. Natürlich war diese Definition nach den heutigen Maßstäben kritikwürdig, wenn beispielsweise von der Existenz von Rassen  ausgegangen wird. Aber Hoffrogge hat völlig Recht, dass dieser Ansatz nicht nur vor 120  Jahren eine progressive Stoßrichtung hatte, sondern im Kern  noch immer aktuell  ist. Mit Bini Adamczak könnte man sagen, damit ist der Anspruch in der Welt, keine Ausbeutung mehr zu dulden, gegen niemand und nirgendwo. Und dieser Anspruch ist trotz auch oft fataler sozialistischer Praxis bis heute unabgegolten. So ist die Arbeiter_innenbewegung doch nicht so unaktuell, wie manche auch in der linken Bewegung meinen. Um diese Frage wird sich auch der nächste Rote Abend der Internationalen Kommunist_innen  am 4.1.2012 im Zielona Gora. Drehen. Dort wird Ralf Hoffrogge seine Thesen zur Diskussion stellen. Ein zentrales Augenmerk wird dabei die Arbeiter_innenbewegung, der Feminismus, der Kampf gegen Antisemitismus und Homophobie sein.  Der Autor hat in  den einzelnen Kapiteln viele Informationen zusammengetragen, die den Kauf des Buches empfehlenswert machen

Ralf Hoffrogge
Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland, Von den Anfängen bis 1914


Schmetterling Verlag,

216 Seiten, Stuttgart 2011, 10 Euro, ISBN 3-89657-655-0


Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text als aktuelle Buchvorstellung vom Rezensenten.