Kapitalistischer Stadtumbau & Stadtteilkämpfe

Eröffnungsrede auf der Konferenz
“Nichts läuft hier richtig – Konferenz zum sozialen Wohnungsbau in Berlin”

von
Kotti & Co am 13.11.2012

12-2012

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Wir begrüßen alle Anwesenden herzlich zu dieser Konferenz.

Wer wir sind – Kotti & Co – das brauchen wir hier wohl den wenigsten zu erzählen. Wir sind Nachbarn aus Kreuzberg, die sich zusammengefunden haben um für ihr Recht auf Stadt zu kämpfen – einige von uns sieht man hier im Saal verteilt und auf den Fluren.

Wir haben diese Konferenz mit unserem Protest-Camp am Kottbusser Tor errungen und gemeinsam mit anderen Unterstützenden Experten und Expertinnen lange dafür gearbeitet. Wir danken an dieser Stelle allen, die diese Konferenz ermöglicht haben, insbesondere Herrn Holm.

Die Konferenz ist nur eine von unseren Forderungen, für deren Erfüllung wir weiterhin auf der Strasse protestieren.
Seit Ende Mai diesen Jahres sind wir Nachbarinnen und Nachbarn und UnterstützerInnen rund um die Uhr in unserem Protest-Gecekondu am Kottbusser Tor präsent. Wir haben unglaublich viel Solidarität, Zuspruch und Unterstützung erfahren, | weil alle wissen, dass unser Protest für bezahlbare Mieten alle etwas angeht – dass es hier nicht nur um Mieten, sondern um die Stadt von Morgen geht.

Die hohen Mieten treffen als erstes die Nachbarn mit geringen Einkommen – mittlerweile jedoch auch Teile der Mittelschicht.

Selbst viele, die unsere Sorgen nicht direkt teilen müssen, kommen zu uns ans Kottbusser Tor, ans Kotti, wie wir es liebevoll nennen, trinken einen Tee mit uns, kleben Plakate, übernehmen eine Schicht, kommen auf die Demonstrationen und Veranstaltungen, backen Kuchen oder spenden Geld. Kurz: die Beteiligung am Protest war und ist überwältigend und das Co von Kotti wird immer größer- Mittlerweile auch über die Landesgrenzen hinaus.
Wir danken allen, die uns unterstützt haben – allen Nachbarn, allen Gewerbetreibenden und allen Medienvertreterinnen, allen Wissenschaftlerinnen und Künstlern. Den Bezirksverordneten Friedrichshain Kreuzbergs, die das Problem erkannt haben. Allen Aktivistinnen und allen Kiezinitiativen, allen Sportvereinen und Schulen und Kitas. Und allen Ungenannten, die sichtbare und unsichtbare Arbeit gemacht haben, um den Protest zu unterstützen.

Bereits seit März 2011 versuchen wir, unsere unbezahlbaren Mieterhöhungen abzuwenden. Wir mussten lernen, dass es für den sozialen Wohnungsbau in Berlin keine Richtsatz-Miete gibt, keine Obergrenzen, die Mietsteigerungen verhindern. Wir mussten außerdem lernen, dass die Häuser des sozialen Wohnungsbaus in den 1970er Jahren als Abschreibungsobjekte bei Geldanlegern beliebt waren und dass Banken und Eigentümer sehr viel Geld damit verdienen durften. Wir haben uns gewundert und nach der Rolle der Politik darin gefragt und mussten lernen, dass die Politik in Berlin dieses System nicht nur erlaubt, sondern gefördert hat. Zudem mussten wir lernen, dass die Politik, als es dann klar wurde, dass hier Milliarden unserer Steuergelder an private Banken und Eigentümer gingen, einfach ausgestiegen ist, ohne sich um den Erhalt der Sozialwohnungen und die darin wohnenden Mieter und Mieterinnen zu kümmern.
150.000 Sozialwohnungen gibt es noch. Weitere 28.000 sind schon aus der Anschlussförderung gefallen. In wievielen davon die Mieterinnen und Mieter die verlangte Miete nicht zahlen können, wissen wir nicht. Bei uns am Kottbusser Tor jedenfalls verschickt das Jobcenter massenhaft Aufforderungen, die „Kosten der Unterkunft“ zu senken. Hier sparen auch die Erwerbstätigen um ihre Mieten zu bezahlen. Gleichzeitig gibt es keine anderen Wohnungen in Kreuzberg, – ja der gesamten Innenstadt, Zahlreiche Studien belegen die real existierende Wohnungsnot.
Wir sind am 25.Mai an die Öffentlichkeit und auf die Strasse gegangen, weil wir wussten, dass wir mit unseren Problemen der unbezahlbaren Mieten nicht alleine sind. Aber auch, weil die herkömmlichen und vermeintlichen Vertreter unserer Interessen – die Politik und die Mietervereine uns bis dahin nicht unterstützen konnten oder nicht wollten.

So bekamen wir von der Berliner Mietergemeinschaft zu hören, wir sollten uns lieber eine andere Wohnung suchen, da man für den Sozialen Wohnungsbau nichts mehr tun könne. Auch beim Berliner Mieterverein erklärten sie uns, dass sie sich mit dem Sozialen Wohnungsbau wie mit einem Krebspatienten fühlen, für den man nichts mehr tun könne, außer Händchen halten. Das hat sich glücklicherweise mittlerweile geändert.

Wir waren sehr froh, dass wir andere Mieterinnen und Mieter getroffen haben, die, wie wir, nicht bereit und nicht in der Lage waren, aufzugeben und umzuziehen – sondern statt dessen entschlossen, für ihr Bleiben, für ihr Zuhause, ihren Kiez, ihre Heimat zu kämpfen.

Und die außerdem bestens informiert waren und nicht alles glaubten, was die großen Interessensvertretungen sagten. Sebastian Jung von sozialmieter.de ist wohl der bestinformierte Mieter im sozialen Wohnungsbau, den wir uns wünschen konnten. Es war ein Glück aber kein Zufall, dass wir uns kennenlernten. Und genauso war es mit den vielen anderen Initiativen von Mieterinnen und Mietern, mit denen wir vor ca einem Jahr gemeinsam das Mietenpolitische Dossier verfassten. Die 23 verschenkten Häuser der GSW, die Fulda-Weichsel-Initiative, die Palisaden-Panther, die Steglitzer Onkel-Tom-Siedlung, die Schöneberger Barbarossa-Strasse, wo 116 preiswerte Wohnungen jetzt abgerissen werden, um Eigentumswohnungen zu bauen – diese und viele andere Mieterinitiativen haben sich in der letzten Zeit gegründet, weil sie sich nicht abfinden damit, dass bezahlbarer Wohnraum aufgrund von politischen Fehlentscheidungen und aufgrund von Rendite-Interessen der Eigentümer den Mietern und der Stadt weggenommen wird.

Wir alle wissen, dass es in dieser Stadt derzeit keinen preiswerten Wohnraum mehr gibt. Die Angebotsmieten sind astronomisch hoch und die Löhne und Transferleistungen abgründig niedrig. Für uns ist das keine abstrakte Angelegenheit sondern Alltag. „Soziale Härten nehme ich in kauf“ sagte noch vor kurzem Senator Müller. Sind nicht wir es, die diese soziale Härte in Kauf nehmen müssen? Und sind „soziale Härten“ nicht eher das Scheitern der Politik des Senates? Die Politik trägt durch ihre Distanz zur Spaltung der Gesellschaft bei. Herr Gothe – heute sprechen Sie in einem Interview von sozialverträglichen Mieten bei 7Euro/nettokalt. Das macht uns fassungslos. Verträglich sind – so sieht das anscheinend auch das Jobcenter – 4,-€ – nicht mehr. Sozial würde heißen, dass Wohnraum gar keine Ware mehr ist.

Am Kottbusser Tor leben viele aufgrund der hohen Mieten im sozialen Wohnungsbau von weniger als 200,-€ im Monat. Sehr geehrte Politikerinnen und Politiker – stellen Sie sich das bitte einen Moment lang vor, was das bedeutet! Viele sparen an allem, am Essen, am Urlaub. Wir werden arm und diese Armut ist ein Armutszeugnis für die Politik. Denn mithilfe der unangemessenen Sätze der Kosten der Unterkunft und mithilfe der Mietsteigerungen im sozialen Wohnungsbau, werden hier Menschen in die Armut und in die Schulden getrieben, Menschen die Berlin und seine Kieze aufgebaut und lebenswert gemacht haben. Und dies trifft auch Teile der Mittelschicht.

Unsere Mieten erhöhen sich jährlich – unsere Löhne und die Jobcentersätze nicht.

Unsere Mieterhöhungen sind gesetzlich vorgeschrieben – hieran können Sie direkt etwas ändern. Eine andere Politik ist notwendig, die Parallelgesellschaft der Berufspolitik muss sich mit den Menschen befassen. Sie wissen: die Probleme sind komplex und müssen ressort-übergreifend – die Wissenschaft würde sagen, interdisziplinär – angegangen werden.
Sie können den Verdrängungsprozess aufhalten, wenn Sie Prioritäten verschieben. Unsere Mieterhöhungen fließen direkt in die Tilgung der Darlehen unserer Vermieter beim Land Berlin – sie fließen in den Landeshaushalt!! Und an dieser Stelle muss der Flughafen erwähnt werden – der immer mehr Geld verschlingt, während wir jeden Groschen dreimal umdrehen müssen.

Heute sind wir hier, um gemeinsam nach Lösungsansätzen zu suchen.

Wir – nicht die Politik – haben diese Konferenz organsiert.

Wir haben Expertinnen und Experten eingeladen, uns, der Zivilgesellschaft und der Politik dabei zu helfen. Dass wir dies im Berliner Abgeordnetenhaus tun, ist einem hoffentlich zukünftigen gemeinsamen Interesse geschuldet. Hier geht es auch um eine neue Form der Stadtpolitik, die sozialer Segregation entgegenwirkt. Es sei an dieser Stelle auch auf die Auseinandersetzung um die Liegenschaftspolitik des Landes verwiesen.

Wir haben über 6 Monate auf der Strasse protestiert und hatten uns über diese Zeit mit einer Politik auseinanderzusetzen, die sich unglaublich langsam bewegt. Wir haben diese Zeit nicht.

Da es scheint, dass unsere Realität bei Ihnen nicht ankommt, bringen wir Ihnen heute hier unsere Realität mit – unseren Kaffee und Tee, den man so auch im Protest-Camp bekommt und unsere Spendendosen. Und wir bringen unsere Vorschläge hier ein, wie man den Sozialen Wohnungsbau in Berlin im Sinne seiner Mieterinnen und Mieter gestalten kann. Wir wollen gemeinsam nachhaltige Lösungen suchen.

Wir bringen hier den Volksvertreterinnen und –Vertretern Expertise, Ideen, und die Chance, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Dafür brauchen wir allerdings auch etwas – und das ist sehr simpel:

Wir brauchen Sofortmaßnahmen, um die Verdrängung zu stoppen:

1) Eine temporäre Senkung der Mieten – wir brauchen die Senkung aus 4euro/nettokalt – eine Brückenlösung.
2) Wir brauchen eine Anerkennung und Übernahme der realen Kosten der Miete durch die Jobcenter.
3) Nachhaltige Lösungen für den sozialen Wohnungsbau um die Mieter und das Land Berlin zu schützen.

Wir können und werden nicht umziehen – der Wohnungsmarkt ist überspannt. Unser Zuhause werden wir nicht verlassen. Fast wöchentlich erreichen uns jetzt Hilfeersuchen wegen drohender Zwangsräumungen. Die damit zusammenhängenden Tragödien für Eltern und Kinder, sind soziale Härten, die wir nicht in Kauf nehmen werden. Wir werden weiter protestieren, am Kottbusser Tor und an anderen Orten, wenn die Politik nicht handelt. Wir haben uns auf den Winter bereits eingestellt – und wir sind entschlossen, weiter zu kämpfen und unseren Protest auszuweiten – wie es schon in den letzten Monaten geschehen ist. Das ist keine Drohung – das ist einfach die Logik des sozialen Druckes.

Wir sind wütend, dass es so lange dauert, bis wir unser Recht auf bezahlbaren Wohnraum erlangen. In diesem Sinne fordern wir alle Beteiligten dieser Konferenz auf, umgehend nach Wegen zu suchen, wie Verdrängung, Zwangsumzüge und soziale Spaltung gestoppt werden können.

Wir fordern den Senat auf, einen unmissverständlichen Vorschlag zu machen, wie die explodierenden Mieten im sozialen Wohnungsbau HEUTE gesenkt werden können.

Diese Konferenz ist noch keine Lösung – sie ist ein Baustein für ein Umdenken der Stadtpolitik. Auf dem Weg dahin muss bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit kleinem Einkommen stehen. In der Innenstadt. In dem bestehenden sozialen Wohnungsbau!!

Und Neubauprogramme, die das Geld aus dem Bestand ziehen und die wiederum privaten Investoren Geld geben, sind keine neue Politik, sondern eine Fortsetzung des alten Berliner Sumpfes.

Für ein wirkliches Umdenken brauchen wir am Ende dieses Tages einen Fahrplan, der sich aus jeder Arbeitsgruppe ergibt. Für diese Arbeitsgespräche wünschen wir Ihnen und Euch allen viel Energie und Kraft.

Wir bedanken uns bei allen die sich heute die Zeit genommen haben, um diesen Weg mit uns – und für diese Stadt zu gehen. Die Stadt von Morgen beginnt heute.

Dankeschön.

Kotti & Co – Die Mietergemeinschaft am Kottbusser Tor und darüber hinaus

Editorische Hinweise

Wir spiegelten die Rede von der Kotti & Co. Website, wo es etliche Videos vom Verlauf der Konferenz gibt.