Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Bedrohtes Stahlwerk in Florange (Lothringen)
Gewerkschaften RICHTIG sauer über die französische Regierung

12-2012

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Auch Gewerkschafter der sozialdemokratischen CFDT können sich aufregen und laute Töne über die Gegenseite (Regierende oder „Arbeitgeber“) spucken. Doch, doch, wirklich wahr. „Entweder ist Ayrault“ – Jean-Marc Ayrault, der amtierende französische Premierminister – „ein Idiot, oder er ist Komplize“ hörte man so am gestrigen Tage aus dem Mund eines CFDT-Gewerkschafters. Und es war nicht als Kompliment gemeint. Auch dieses hier war kein Kompliment: „Wir haben jetzt zwei Feinde, Mittal und die Regierung!“ Diesbezüglich sprach die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ von einer „Kriegserklärung“.1

Der da spricht, ist Edouard Martin, der örtliche Anführer der bei der CFDT organisierten Metallarbeiter von ArcelorMittal im lothringischen Florange. Seit Monaten bereits währt der Kampf um den Erhalt des dortigen Stahlwerks, das zwar im Prinzip schwarze Zahlen schreibt, das der anglo-niederländisch-britische Eigentümer – der Weltkonzern und internationale Stahlgigant MittalSteel – aber gerne gegen die Wand fahren möchte: „Abbau von weltweiten Überkapazitäten“. MittalSteel, dem von Westeuropa (Frankreich, Lüttich/Liège in Belgien, Luxemburg ...) über Algerien (Al-Hadjar in Annaba) bis nach Indien zahlreiche Niederlassungen der Stahlindustrie gehören, möchte die Produktion gern international auf einige seiner Standorte konzentrieren. Im Jahr 2006 hatte Mittal mittels einer feindlichen Übernahme den westeuropäischen Stahlriesen Arcelor (Spanien, Frankreich, Belgien, Luxemburg) übernommen.2

Im Frühjahr 2012 hatte sich der Kampf um den Erhalt des, akut von der endgültigen Schließung bedrohten, Stahlwerks in Florange zugespitzt. Der damalige Präsident und Kandidat für seine Wiederwahl, Nicolas Sarkozy, brüstete sich mit einer angeblichen Zusage von MittalSteel, 17 Millionen – eine vergleichsweise geringfügige Summe – am „Standort“ Florange investieren zu wollen3. Doch allein, es fehlte am Glauben an die Ernsthaftigkeit solcher Versprechungen. Ende Juni dieses Jahres blockierten die Metallarbeiter dann das Werk in Florange vollständig, und sorgten dadurch frankreichweit für Schlagzeilen4.

Die neue sozialdemokratische Regierung sah sich gezwungen, eine Lösung für die bedrohten Arbeitsplätze zu finden, oder jedenfalls so zu tun als ob. Im Oktober 2012 drohte sich der Konflikt erneut zu radikalisieren, nachdem der kurz vor seiner Ernennung stehende Präsident der neuen „Bank für öffentliche Investitionen“ – Jean-Pierre Jouyet – sich zynisch und herablassend zur Sache geäußert hatte: Florange sei (so Jouyet wörtlich) „eine lahme Ente“, die man also ruhig abschießen dürfe... 5. Präsident François Hollande und Premierminister Ayrault sahen sich gezwungen, diese Aussprüche des künftigen Chefs der neuen „Bank für öffentliche Investitionen“, deren Einrichtung auf ein Wahlkampfversprechen Hollands zurückgeht, zu dementieren.

Ab diesem Zeitpunkt setzte eine breite Debatte um eine vorübergehende „Nationalisierung“ (der Begriff bedeutet, je nach Auslegung, Verstaatlichung oder Vergesellschaftung) des Werks von Florange ein. Auch relevante Teile des sozialdemokratisch-grünen Regierungslagers wurden durch diese Diskussion erfasst. Eine „vorübergehende Nationalisierung“, die den Betrieb dem Zugriff des Metallgiganten Mittal entziehen würde und es der Politik erlauben würde, Pläne für seine mögliche Zukunft aufzulegen, wurde als eine gangbare Lösung erörtert6.

Dagegen setzte eine rein ideologisch motivierte Kampagne u.a. seitens des Arbeitgeberverbands MEDEF (ungefähr vergleichbar mit BDI/BDA in Deutschland), der Wirtschaftspresse und insbesondere der wirtschaftsnahen Tageszeitung Les Echos (ungefähr vergleichbar mit dem Handesblatt) sowie von Teilen der Rechtsopposition dagegen ein. Von Teilen der Rechten mit Ausnahme des neofaschistischen Front National, der sich aus sozialdemagogischen Gründen seinerseits für eine Verstaatlichung plus „Oligarchenbekämpfung à la Vladimir Putin“ aussprach7.

Dabei stellte die Kampagne von rechts, die stark als ideologische Prinzipiendebatte daher kam, das „Rechts des Eigentümers“ – ArcelorMittal bzw. MittalSteel – in den Vordergrund und erhob den Streit zur Grundsatzfrage. Arbeitgeberpräsidentin (MEDEF-Chefin) Laurence Parisot erklärte es öffentlich zum „Skandal“, über eine „Nationalisierung“ des Werks von Florange auch nur nachzudenken8. Sie fügte hinzu: „Es liegt nicht am Staat, anzufangen, diesem oder jenem Unternehmen zu sagen: ,Dies ist Eure Strategie’. Allein der Unternehmer kann wissen, was sich rentiert und was nicht.“9

Umgekehrt meldete sich aus dem Regierungslager der – aufgrund seiner verbalen, und manchmal mit nationalistischen Tönen unterlegten, Ankündigungspolitik eher umstrittene – sozialdemokratische „Minister für die Wiederaufrichtung der Produktion“ (de facto zuständig für den Versuch des Erhalts industrieller Arbeitsplätze) Arnaud Montebourg zu Wort. Ihm platzte nunmehr prompt der Kragen. Und er kündigte an, „Mittal nicht mehr in Frankreich sehen“ zu wollen/ zu können10. Diese Worte befeuerten die verbale Auseinandersetzung noch. Gleichzeitig wurden aus der Gesellschaft heraus mittels Petitionen Unterschriften für eine „Nationalisierung“ des Werks in Lothringen gesammelt11.

Und dann kam, am 30. November d/.J./, die vermeintliche Auflösung des Konflikts: Regierungschef Jean-Marc Ayrault kündigte an, er habe einen Kompromiss mit MittalSteel gefunden. Der Stahlgigant investiere erneut – und dieses mal 150 Millionen – in Florange. Allerdings ging es dabei nicht um die Rettung des bedrohten Stahlwerks, sondern um ein anderes Projekt, nämlich einen mit EU-Mitteln geförderten Versuch der Einlagerung von (mittels Filtern absorbiertem) CO2 in einer Anlage. Nichts ist im Kern gegen eine solche Methode beim Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel einzuwenden. Nur war es keine wirkliche Antwort auf die Frage nach den bedrohten Arbeitsplätzen in dem umkämpften Werk; Ayrault sprach zwar davon, es werde „keinen Sozialplan“ (also keine Massenentlassungen) geben, aber Mittal verpflichtete sich in keiner Weise zum Erhalt der bedrohten Arbeitsstellen. Die Gewerkschaften erklärten zunächst in ersten Reaktionen ihre „Vorsicht“12. Unterdessen kam es innerhalb des Regierungslagers zu Verwerfungen. Der sozialdemokratische Minister Arnaud Montebourg dachte ein Wochenende lang über seinen Rücktritt nach, entschied sich dann jedoch gegen einen solchen Schritt13.

Dann kamen zwei Donnerschläge. Zum Ersten publizierte die Pariser Abendzeitung Le Monde den Text des Abkommens zwischen der französischen Regierung und Mittal; die Zeitung hatte zuvor geschrieben: „Ein Abkommen, so geheim, dass es verdächtig wirkt“14. Und es stellte sich dann dabei heraus, dass das Unternehmen sich im Prinzip gegenüber den Lohnabhängigen zu nichts verpflichtete. Am letzten Donnerstag, den 06. Dezember 12 zeichnete einer der beiden Karikaturisten der Zeitung seine mittlerweile berühmte Pinguinfiguren, von denen die eine feststellt: „Da steht ja gar nichts drauf!“ Worauf die andere antwortet: „Dann dreh das Papier um und lies auf der anderen Seite!“ Woraufhin die erstgenannte wiederum feststellt: „Auch die Rückseite ist leer...“

Daraufhin sprachen Gewerkschafter vor Ort bereits, wörtlich, von „Verrat“ durch den Regierungschef15. Premierminister Ayrault erklärte jedoch, die Kritik durchstehen (aussitzen?) zu wollen16.

Am selben Donnerstag erfolgte dann der zweite Paukenschlag: Mittal zog sein angekündigtes Projekt „Lucos“ – das Verfahren zur CO2-Einlagerung betreffend – ersatzlos zurück, „aufgrund technischer Schwierigkeiten“17, wie die EU-Kommission an Stelle des Unternehmens erklärte. Das Regierungslager steht nun wirklich mit leeren Händen da, während Teile der Presse von einer „Niederlage“ seinerseits sprechen18.

  • Die (vor allem örtlichen) Gewerkschaften sind nun wirklich aufrichtig sauer. Am Donnerstag Abend kündigten sie eine Besetzung des Werks und seiner Hochöfen durch die Lohnabhängigen an19. Fortsetzung folgt in Bälde!

Anmerkungen

15 Vgl. http://actu.orange.fr/une/florange-le-compromis-diversement-accueilli-montebourg-conteste-afp_1222184.html ; der Artikel ist entschärft worden. In einer Fassung sprach die Überschrift davon, dass die Beschäftigten « das Gefühl (hätten), verraten worde zu sein ».

 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.