Nur ein Penner“
Vorstellung des Buches „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus“ des Autors Lucius Teidelbaum

von Anne Seeck

12-2013

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onlinezeitung

Das kleine im Unrast erschienene Buch (80 Seiten) gibt einen guten Überblick über die Ausgrenzung und Verfolgung Obdachloser. Besonders erschreckend die Brutalität der Täter, die „Assis aufklatschen“ wollen und Obdachlose töten.

Das Buch beginnt mit einer Bestandsaufnahme zum Thema Obdachlosigkeit. Der nächste Abschnitt ist sozialdarwinistischen Zuständen gewidmet, dem folgt ein geschichtlicher Rückblick und das Kapitel Sozialdarwinismus heute. Anschließend werden Ursachen und Motive, TäterInnenprofile und Tatverläufe genannt. Zum Schluß schreibt der Autor über die extreme Rechte und Obdachlosigkeit und Maßnahmen gegen Sozialdarwinismus.

Zunächst ein paar Fakten:

„Nur ein Penner“, so heißt es abwertend nicht selten, wenn Gewalt gegen Obdachlose ausgeübt wird, denn der „Penner“ ist in der sozialen Hierarchie ganz unten angesiedelt.

Von 1989 bis 2010 gab es nach der Statistik der Amadeu Antonio Stiftung mindestens 28 ermordete Obdachlose. Nach Informationen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe wurden 167 Wohnungslose getötet.

2012 waren es 284 000 Wohnungslose, 2010 noch 248 000, von denen 22 000 auf der Straße lebten.

Oftmals ist es eine Zäsur im Leben, die in die Wohnungslosigkeit führt, Scheidungen, Unfälle, Arbeitslosigkeit, Todesfälle, Pleiten, Schulden und eine Entlassung aus dem Gefängnis. Bei Straßenkindern sind es Konflikte in der Familie, Misshandlungen etc.

Nur eine kleine Minderheit sind echte AussteigerInnen, die bewußt auf der Straße leben. Die meisten konnten ihre Miete nicht mehr zahlen, wegen hoher Mieten, Fehlentscheidungen bei Hartz IV und Verarmung.

Im Durchschnitt sind Obdachlose alleinstehende Männer im Alter zwischen 35 und 48 Jahren. Laut Spiegel 51/2010 lag die Lebenserwartung bei Obdachlosen bei 46,5 Jahren.

Von 1991 bis 2004 gab es mindestens 189 erfrorene Wohnungslose in Deutschland. Im Winter 2009/10 erfroren 15 Obdachlose.

Sozialdarwinismus

Der Sozialdarwinismus richtet sich gegen TransferleistungsbezieherInnen, soziale Randgruppen und AußenseiterInnen der Gesellschaft, somit auch gegen Obdachlose. Der Autor zitiert an dieser Stelle Politiker wie Landowsky, Metzger, Sarrazin, Müntefering, Westerwelle etc., deren Sprüche bestens bekannt sind. Auch Wilhelm Heitmeyer hat in der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ die Abwertung von Obdachlosen untersucht. Laut der Studie äußerten sich 2007 38,8 Prozent negativ über Obdachlose und 34 Prozent sprachen sich dafür aus, Bettelnde aus den Fußgängerzonen entfernen zu lassen. Auch BettlerInnen dienen oftmals als Feindbild, z.B. „Bettel-Roma“.

Ein Blick in die Geschichte

Teidelbaum geht auch in die Geschichte zurück. Interessant ist vor allem die VagabundInnen- Bewegung in der Weimarer Republik. Von 1927 bis 1933 gab es eine Selbstorganisation von Obdachlosen mit links-politischem Verständnis. Anfangs stand die Bruderschaft dem Anarchismus nahe und lehnte sich an die FAUD an.. Als „König der Vagabunden“ wurde Gregor Gog bezeichnet, der seine anarchistische Schrift so beginnt:“Lieber ein ganzes Leben zu gottverfluchtem Dasein in der Gosse, als einen einzigen Tag Bürger sein!“ 1927 wurde das Blatt Der Kunde gegründet, für das auch Erich Mühsam schrieb. 1928 gründete sich eine Künstlergruppe der Bruderschaft. 1929 wurde der Film „Der Vagabund“ gedreht. Und 1929 gab es sogar einen Vagabundenkongress mit 300 bis 600 TeilnehmerInnen. In einem Aufruf des Kongresses heißt es: „Der Vagabundismus anerkennt keinen Staat, keine Heeresdienstpflicht und keine Arbeitsdienstpflicht.“

Bis 1933 stieg die Obdachlosenzahl auf etwa 450 000. Obdachlosigkeit wurde zum Massenphänomen. Die Vagabundenbewegung befand sich im Niedergang und viele Obdachlose wurden Mitglied der SA, die für eine soziale Absicherung sorgte. (z.B. durch Suppenküchen)

Gleichzeitig fand im September 1933 eine Bettlerrazzia statt, bei der Tausende Vagabunden verhaftet wurden. Im Jahre 1938 folgte eine weitere Repressionswelle, mit der Aktion Arbeitsscheu Reich.

Die Entschädigung von „Asozialen“ erfolgte erst sehr spät, bis 2008 wurden 205 Menschen entschädigt. Weitere Infos: www.marginalisierte.de

Obwohl es in der DDR kaum Obdachlose gab, wurden auch dort Unangepasste verfolgt. So gab es ein Asozialengesetz, mit dem „Arbeitsscheue“ kriminalisiert werden konnten.

Sozialdarwinismus heute

Heute hält die Diskriminierung sozial Marginalisierter an, sie werden oft aus dem öffentlichen Raum und Innenstädten verdrängt, um Armut unsichtbar zu machen. Es gibt Platzverweise, Alkohol- und Bettelverbote. Auch Behörden, wie Arbeitsämter, Ausländerbehörden und Gerichte, üben institutionelle Gewalt aus. Polizeiübergriffe finden gegenüber Obdachlosen, Alkoholkranken und Punks statt. Längere Zeit wurden Obdachlose aufgegriffen und am Stadtrand ausgesetzt. Dabei starben Obdachlose.

Bei der sozialdarwinistisch motivierten Diskriminierung von Marginalisierten finden sich oft Überschneidungen zu weiteren menschenfeindlichen Einstellungen, wie Rassismus, Antiziganismus, Antisemitismus, Homophobie und Ableism. Outen sich Obdachlose als politische Gegner, führt das häufig zu Übergriffen.

Täter, Tatverläufe, Tatorte

Meistens sind es Tätergruppen, seit 1998 kaum noch Einzeltäter. Die Täter inszenieren sich als Ordnungskräfte, im Glauben an die Legitimation durch eine Bevölkerungsmehrheit sorgen sie für Ordnung. Erschreckend ist vor allem die Brutalität der Übergriffe. Meistens sind die Taten situativ, sie suchen und finden Opfer. Die Tatorte sind offen, z.B. Parkbänke und Hausruinen.

Obdachlose fungieren bei den extrem Rechten sowohl als Feindbild (Obdachlose als Opfer rechter Gewalt) als auch als Propagandaobjekt (letztere müssen deutsch sein). „Wohnraum und Arbeit zuerst für Deutsche“

Linke würden soziale Randgruppen oft ignorieren. Teidelbaum schreibt: „Grund hierfür mag auch der Überhang an AkademikerInnen sein, die kaum über ihr eigenes Umfeld hinausblicken und eher selten ihre Herkunft, Sozialisation und die damit einhergehenden Privilegien reflektieren. Daneben gibt es auch unter Linken z.T. ein stereotypes und teilweise abwertendes Reden über Randgruppen. Das belegen verwendete Begriffe wie beispielsweise: 'Junkie' oder 'Alki'.“ (S.79)

Allerdings gibt es in Berlin zwei Initiativen:

„Niemand ist vergessen!“ Zum Gedenken an Dieter Eich | www.niemandistvergessen.blogsport.eu 

Am 25. Mai 2000 wurde der Sozialhilfeempfänger Dieter Eich in Berlin-Pankow ermordet. Er hatte lange in einer Laube gelebt. Die Täter wollten einen „Assi aufklatschen“. Der Mörder wurde von einem Mittäter gelobt: „Das hast du gut gemacht. Der musste weg, das war asozialer Dreck.“

Der obdachlose Günter Schwannecke (58), ein zeitgenössischer Kunstmaler, wurde am 29. August 1992 von einem Neonazi in Berlin- Charlottenburg erschlagen.

Auch zu seinem Gedenken gibt es eine Initiative in Berlin: http://guenterschwannecke.blogsport.eu/

Opfer rechter Gewalt: http://www.opfer-rechter-gewalt.de/opfer/

Weitere (tödliche) Übergriffe auf Obdachlose

Im Juni 2012 folterten und ermordeten drei junge Männer Klaus-Peter Kühn (59) in seiner Einraum-Wohnung in einem Plattenbau in Suhl (Thüringen) Die Täter hielten ihr Opfer für einen Penner und zeigten keine Reue.

Ein 68jähriger Rentner übergoss im Juni 2011 im Essener Westpark einen schlafenden Obdachlosen (58) mit einem Liter Benzin und zündete ihn an.

Am 1. Juni 2011 verstarb der 50-jährige Obdachlose Andre K. In einem Leipziger Krankenhaus an den Folgen eines Angriffs. Ein Täter sagte, Andre K. stinke und habe kein Zuhause.

Am 27. März 2011 wurde in der Obdachlosenunterkunft in Neuss (NRW) ein aus Vietnam stammender 59jähriger Obdachloser ermordet. Ein Täter stammte aus der Nazi-Szene und bezeichnete vor dem Gericht Ausländer als „Kanacken“.

Am 5. Juli 2010 wurde ein Brandanschlag auf ein Obdachlosenheim in Velbert verübt. Niemand wurde verletzt.

Ein 51jähriger Obdachloser starb am 18.Februar 2005 alkoholisiert auf einer Polizeiwache in Magdeburg vermutlich an Unterkühlung.

Am 20. April 2003 wurde in Stauchnitz bei Riesa (Sachsen“ der 35jährige Arbeitslose und Suchtkranke Günter T. ermordet. Nach Ansicht der Bewohner sei er „ja nur ein Trinker gewesen“, die Täter, die Hitlers Geburtstag gefeiert hatten, seien dagegen „voll im bürgerlichen Leben integriert“.

Zwei Stralsunder Polizeibeamte (26 und 46) setzten am 7. Dezember 2002 einen 35jährigen Obdachlosen bei zwei Grad Minus am Stadtrand aus. Er starb an Unterkühlung und Alkoholvergiftung.

Am 31.Juli 2002 wurden in Murrhardt (Rems-Murr-Kreis) zwei leere, für Obdachlose bestimmte, Wohncontainer besprüht und angezündet.

Im November 2001 alarmierten in Bad Homburg Geschäftsleute die Polizei, ihnen sei ein 49jähriger Wohnungsloser wegen „ungebührlichen Verhaltens“ aufgefallen. Ein Polizeibeamter verletzte den Obdachlosen mit Tritten ins Gesicht, nur dank schneller Hilfe konnte er gerettet werden.

Am 25. November 2001 wurde der 42jährige Eckhardt Rütz in Greifswald (Meck Pomm) von Nazi-Skinheads getötet. Er „liege dem Steuerzahler auf der Tasche“.

Der obdachlose Glasdesigner Bernd Schmidt (51 oder 52) wurde am 31. Januar 2000 in einer Baracke in Weißwasser (Sachsen) von zwei 15jährigen und einem 16jährigen Jugendlichen innerhalb dreier Tage zu Tode geprügelt. Ein Täter sagt, er sei „menschlicher Schrott“ gewesen.

Extreme Rechte verübten am 3. Dezember 1998 einen Brandanschlag auf ein Obdachlosenheim in Berlin-Schöneberg. Ein Heimbewohner starb, andere erlitten Rauchvergiftungen.

Der 59jährige Frührentner Josef Anton Gera wurde am 17. Oktober 1997 auf dem Bochumer Kruppgelände wahrscheinlich wegen seiner Homosexualität von zwei Rechten ermordert. Die Täter prahlten es „einem Schwulen gezeigt zu haben“.

Am 5. Februar 1995 wurde der 65jährige Obdachlose Horst Pulter im Herminghauspark, dem Stadtpark von Velbert (NRW) von sieben rechten Jugendlichen ermordert. Sie beschimpften ihn als „Scheiß Juden“ und „Penner“.

Am 7. November 1992 wird der Obdachlose Rolf „Rolli“ Schulze (52) aus Zossen von drei Nazi- Skinheads ermordert. Die Täter übergossen ihn mit Benzin und zündeten ihn an. Sie wollten „Penner verscheuchen“ und „Frust ablassen“.

Nachdem am 19. März 1992 am Flensburger Hafen (Schleswig-Holstein) der 21jährige Nazi-Skinhead Sascha D „Ausländer raus“ gerufen hatte, gab sich ihm der Obdachlose Ingo Finnern (31 oder 32) als Sinto zu erkennen. Er wurde von dem Täter ins Hafenbecken gestoßen und ertrank.

Der Obdachlose Erwin Tinz (57) wurde im Dezember 1980 von der Polizei auf einem Feld ausgesetzt. Er starb an Herzversagen.

Ein Artikel des Autors zu Sozialdarwinismus: http://www.linksnet.de/de/artikel/28826

Weitere Infos zur Obdachlosendiskriminierung: http://de.wikipedia.org/wiki/Obdachlosendiskriminierung

 

 
Lucius Teidelbaum
Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus

ISBN 978-3-89771-124-2

Seiten: 80
UNRAST VERLAG
Reihe: transparent - rechter rand
Band: 13

Ausstattung: softcover 7,80 €