TTIP-TAFTA
Der Ausverkauf unserer Demokratie

von  Susanne Schuster

12-2013

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Ihr habt sicher schon gehört vom neuesten Anlauf, eine Freihandelszone zwischen der EU und den USA zu schaffen, oder? Über das Thema ist in den Mainstreammedien bisher wenig berichtet worden und über den brisanten Inhalt des geplanten Freihandelsabkommens erfahren die europäischen Bürger so gut wie nichts. Wenn man in den alternativen Medien dann mal tiefer bohrt und erfährt, was wirklich auf dem Spiel steht, packt einen eine unbändige Wut. Bei unseren Volksvertretern sollten alle Alarmglocken schrillen, wenn sie ihre Aufgabe ernst nähmen und nur einen Funken Integrität besäßen. Denn dieses „Freihandelsabkommen“ stellt einen Frontalangriff auf unsere Demokratie dar, beziehungsweise, was davon noch übrig ist.
Im Juli dieses Jahres wurden die offiziellen Verhandlungen aufgenommen für das sogenannte „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, abgekürzt TTIP, das Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA. Die erklärte Absicht ist, bis Ende 2014 ein Abkommen zu unterzeichnen, das eine transatlantische Freihandelszone (Transatlantic Free Trade Area, TAFTA) zwischen den USA und der EU begründen wird.

Die offizielle Propaganda besagt, dass mit diesem Abkommen Standards angeglichen werden sollen – wobei Großkonzerne und Investoren bestimmen, wie diese Standards aussehen. Angleichung von Standards heißt im Klartext eine Abwärtsspirale zu den niedrigsten Standards, also dass US-Konzerne ihre Gentechpansche, Chlorhähnchen, Hormonschweine und -rinder auf dem EU-Markt verkaufen können. Werden diese Standards nicht erfüllt, drohen zeitlich unbegrenzte Sanktionen oder aber gigantische Entschädigungsforderungen gegen Staaten. Dazu gleich mehr.

Bei dem „Freihandelsabkommen“ geht es vor allem um den Abbau von allen möglichen noch bestehenden sogenannten „Handelsbeschränkungen“ (die Zölle zwischen den USA und der EU sind schon weitgehend abgeschafft worden), das heißt, für das Großkapital so ärgerliche Dinge wie Arbeitnehmerrechte, Arbeitsschutz- und Sozialgesetze, Lebensmittel- und Produktsicherheitsstandards, Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen, die Finanzmarktregulierung. Kurzum: alles, was das Leben von normalen arbeitenden Menschen erträglich macht.

Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, damit das gemeine Volk nicht mitbekommt, was wirklich auf dem Spiel steht. Andererseits haben 600 offizielle „Berater“ von Großkonzernen privilegierten Zugang zu den Verhandlungen, um ihre Vorstellungen einzubringen.

Lori Wallach hält fest: „Für die Heimlichtuerei gibt es einen einfachen Grund. Ein solches Abkommen würde die nationalen Regierungen bis hinunter zu den Kommunalverwaltungen verpflichten, ihre aktuelle und künftige Innenpolitik dem umfangreichen Regelwerk anzupassen. In diesem Abkommen wären auf diplomatischer Ebene ausgehandelte Gesetzesvorgaben festgeschrieben, die nach dem Wunsch der Unternehmen auch viele nicht handelsbezogene Bereiche beträfen: etwa die Sicherheit und Kennzeichnung von Lebensmitteln, die Grenzwerte chemischer und toxischer Belastung, das Gesundheitswesen und die Arzneimittelpreise, das Recht auf Privatsphäre im Internet, Energieversorgung und kulturelle "Dienstleistungen", Patente und Urheberrechte, die Nutzung von Land und Rohstoffen, die Rechte und die Arbeitsmöglichkeiten von Immigranten, die öffentliche Auftragsvergabe und vieles andere mehr.“(1)

Das wohl Unverschämteste an diesem Abkommen ist, dass Staaten und Behörden, die gegen die Bestimmungen verstoßen, von Konzernen vor einem Schiedsgericht, das von einer kleine Clique von Unternehmensanwälten beherrscht wird, in Grund und Boden verklagt werden können. Die Konzerne können Staaten und Behörden auf Entschädigungszahlungen verklagen, wenn die Gerichte befinden, dass „erwartete künftige Gewinne“ wegen bestimmter Maßnahmen wie Umweltauflagen und soziale Rechte geschmälert werden. Unter US-Freihandelsverträgen sind bereits mehr als 400 Mio. Dollar Steuergelder als Entschädigungszahlungen an Konzerne geflossen, die gegen Verbote giftiger Substanzen, Lizenzregeln, Gesetze über Wasserschutz oder Waldnutzung und andere „investitionsfeindliche" Regelungen geklagt hatten.(2) So wurde die kanadische Regierung vom Hersteller eines krebserregenden Zusatzstoffes in Benzin unter NAFTA (die Nordamerikanische Freihandelszone) auf 250 Mio. Dollar verklagt wegen „verlorener Geschäfte und Behinderung des Handels“, weil sie den Zusatz verboten hatte. Die kanadische Regierung hat aus Furcht, die Klage zu verlieren, das Verbot aufgehoben, den Zusatzstoff für „sicher“ erklärt und dem Hersteller 10 Mio. Dollar als Entschädigung gezahlt.(3)

Wenn dieses Abkommen in Kraft tritt, dann ist klar: Investorenrechte werden über den Gesetzen zum Schutz unserer Gesundheit, der Umwelt und von sozialen Rechten stehen. Die Rechte von Unternehmen werden höher eingestuft werden als die Souveränität von Staaten. Mit anderen Worten: die letzten Reste von Demokratie werden abgeschafft.

Michael Parenti fasst es perfekt zusammen im Hinblick auf bereits existierende Abkommen: „Man muss es nochmal sagen: Was ebenfalls abgeschafft wird, ist das Recht, solche Gesetze zu haben. Das ist der wichtigste Punkt von allen und wird von Personen des gesamten politischen Spektrums am häufigsten übersehen. Unter den Freihandelsverträgen wurden den Investorenrechten von Konzernen eine imperiale Vormachtsstellung eingeräumt, damit können sie Vorrang vor allen anderen Rechten einnehmen, darunter das Recht auf eine saubere, lebenswerte Umwelt, das Recht auf erschwingliche öffentliche Dienstleistungen und das Recht auf das kleinste Stück politisch-wirtschaftlicher Demokratie. Unter dem Banner des 'Freihandels' werden Eigentumsrechte von Konzernen über alle demokratischen Rechte gestellt.“(4)

Und wozu? Die Schaffung der transatlantischen Freihandelszone wird mit dem ewiggleichen und unbewiesenen Mantra von Wirtschaftswachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen sowie Wohlstand für alle begründet. Doch der prognostizierte ökonomische Nutzen ist verschwindend gering. Basierend auf den – optimistischen und wohl aus der Luft gegriffenen – Schätzungen der EU-Kommission stünden einem durchschnittlichen EU-Haushalt dann jährlich 500 Euro mehr zur Verfügung(5), das sind 42 Euro pro Monat, was sicher sofort von steigenden Lebenshaltungskosten aufgefressen wird. Ein Witz!

Hinter dem Abkommen stecken ganz andere Interessen. Für viele privatwirtschaftliche Produkte und Dienstleistungen sind die Märkte gesättigt. Beispielsweise ist für Monsanto der US-Markt für Gensoja und Genmais fast ausgereizt. Woher soll denn das ständige Profitwachstum kommen, um die Renditeerwartungen gieriger Anteilseigner zu befriedigen? Von neuen Märkten natürlich und wenn mehr Zeug verkauft wird. Das Kapital muss sich ständig neue Anlagemöglichkeiten schaffen, bis es alle Ecken der Welt durchdrungen und in eine Ware verwandelt hat. Für die Masse der Weltbevölkerung und die Umwelt wäre das eine Katastrophe von gigantischen Ausmaßen. Wir können diese Entwicklung nur aufhalten, wenn wir uns diese drohende Katastrophe vollkommen bewusst machen – uns sozusagen ent-täuschen – und entschlossenen und energischen Widerstand leisten. Wir müssen den – uns noch verbleibenden – öffentlichen Raum und öffentliche Güter und Dienstleistungen wertschätzen und mit Klauen und Zähnen verteidigen. Es geht ums Ganze, also kämpfen und protestieren wir.

Quellen:

1) Lori Wallach, TAFTA – die große Unterwerfung, Le Monde Diplomatique, 8.1.2013 http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/11/08/a0003.text
2) Lori Wallach, TAFTA – die große Unterwerfung, Le Monde Diplomatique, 8.1.2013 http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/11/08/a0003.text
3) Michael Parenti, The Face of Imperialism, Paradigm 2011, S. 64
4) a. a. O. S. 71
5) Silvia Liebrich, Es geht um mehr als nur Zölle, Süddeutsche Zeitung, 11.11.2013 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/freihandelsabkommen-zwischen-usa-und-eu-es-geht-um-mehr-als-nur-zoelle-1.1815472

Weitere Informationen:


Editorische Hinweise  

Der Artikel wurde am 23.11.2013 bei TLAXCALA veröffentlicht. Wir spiegelten von dort.