Betrieb & Gewerkschaft

Einzelhandelsabschluss in Baden-Württemberg
Ver.di rettet den Weihnachtsprofit

von Peter Lenz

12-2013

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Am 5. Dezember gab ver.di bekannt, dass im Einzelhandel in Baden-Württemberg eine Einigung erzielt wurde: 3% mehr Lohn rückwirkend ab 1.7.13 und ab 1.4.14 weitere 2,1%. Dazu kommt noch eine „überproportionale Anhebung“ der Ausbildungsvergütungen. Für die „Auffüller“, die zur Zeit in Werkverträgen „ausgegliedert“ sind, sei eine neue Lohngruppe vereinbart worden, mit einem Stundenlohn knapp unter 10 Euro. Der Manteltarifvertrag ist wieder in Kraft gesetzt worden.

Dem Tarifergebnis hat am Freitag, dem 6. Dezember, noch die Große Tarifkommission von ver.di zugestimmt - ohne Gegenstimme. Am Montag, dem 9.12., hat auch Bayern abgeschlossen. Das ist im Wesentlichen das Ergebnis, das auch im Groß- und Einzelhandel abgeschlossen wurde und geht weit an den Forderungen der KollegInnen vorbei.

Das waren die Forderungen, für die die KollegInnen in Baden-Württemberg gestreikt haben (in den anderen Bezirken waren die Forderungen ähnlich, wenn auch meist niedriger):

- Erhöhung der Löhne und Gehälter um einen Euro pro Stunde;
- tarifliches Mindesteinkommen: 1.800 Euro;
- Erhöhung der Vergütungen für Auszubildende um 90 Euro;
- Laufzeit: 12 Monate.

Man muss kein großer Rechenkünstler sein, um festzustellen, dass kaum die Hälfte der Forderungswerte durchgesetzt wurde. Besonders ärgerlich, dass die Festgeldforderung von einem Euro pro Stunde fallen gelassen wurde, waren es doch gerade die schlecht Verdienenden, die im Wesentlichen den Kampf getragen haben.

Wer in einem Vollzeitjob im Einzelhandel etwa 1.600 Euro Brutto verdient, hat ab 1.4.14 etwa 80 Euro vor Steuern monatlich mehr. Die Ein-Euro-Forderung entspricht etwa 180 Euro pro Monat bei einem Vollzeitjob.
Ob nun für den „Mantel“ eine „Prozessvereinbarung“ getroffen wurde, dazu gibt es bisher keine Informationen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die ver.di-Bürokratie 2014 neue Verhandlungen mit den Handelskapitalisten aufnehmen wird. Ein weiterer Hinweis darauf, dass „Nebenvereinbarungen“ getroffen wurden, geben uns diese Sätze: „Ein Knackpunkt des ungewöhnlich langen Tarifkonfliktes sei die von den Arbeitgebern angestrebte Flexibilisierung der Arbeitszeit gewesen, sagte Aigner (Verhandlungsführer der Kapitalisten, Anm. des Verf.) Hier habe man nun Änderungen über eine Protokollnotiz geregelt. Für Arbeitnehmer, die über Werkverträge in der Warenverräumung und beim Auffüllen von Regalen tätig sind, wurden laut Verdi Verbesserungen in der Beschäftigung und Bezahlung vereinbart.“ (  www.focus.de )
Die ver.di-Unterhändler preisen v.a. als großen Erfolg, dass die „Auffüller“ wieder in den Tarifvertrag gekommen sind. Sicher bringt das für etliche KollegInnen eine wichtige Verbesserung. Aber die Einführung einer neuen, niedrigsten tariflichen Lohngruppe hat auch einen Haken. Die Unternehmen werden nämlich versuchen, diese zur Lohngruppe für alle neu „einsteigenden“ KollegInnen zu machen und so wieder an der Einkommensschraube zu drehen.

Es war eine sehr intensive Tarifrunde, in der viele GewerkschafterInnen sehr viel Engagement gesteckt, viel Risiko und Stress auf sich genommen haben. Gemessen daran ist dass Ergebnis sehr mager.

Krise und Handel

Wenn das Industriekapital mit Überakkumulationskrisen zu tun hat, bleibt davon auch das kaufmännische bzw. Handelskapital nicht unberührt. So haben wir in einigen Artikeln Anfang 2013 grundlegende Entwicklungen im Einzelhandel dargestellt und gezeigt, wie das Handelskapital versucht, durch eine Umstrukturierung der Krise entgegen zu wirken. ( http://www.arbeitermacht.de/ni/ni177/einzelhandel.htm ).

Zu diesen Mitteln gehören wachsende Verkaufsflächen, Auspressung von Vorlieferanten, direkte Überwachung der Produktion von Nahrungsmitteln usw.

Weiterhin bleibt die Zerschlagung von tariflichen Strukturen, Betriebsräten (siehe die Über-Nacht-Zerschlagung von XXLLutz in München) und gewerkschaftlicher Organisierung Ziel der Unternehmer. Innerhalb von nur 10 Jahren ist der Anteil tarifgebundener Handelsbetriebe von 98% auf 38% gesunken.

Diese grundlegende Umstrukturierung im Handel hat schon viele Opfer unter den ArbeiterInnen gefordert, so bei Schlecker, Neckermann und Quelle. Die Beschäftigten bei Karstadt kämpfen weiter um ihre Arbeitsplätze und gegen die Machenschaften des „Investors“ Nicolas Berggruen. Die jüngsten Opfer waren die Beschäftigten von Praktiker und Max Bahr.

Der Ausbau von Verkaufsflächen hat sich zwar verlangsamt, aber der Trend ist ungebrochen. So wird sich in den nächsten Jahren ein erbitterter Preiskampf fortsetzen.

Der Einzelhandel beklagt sich über die Konkurrenz aus dem Internet, die Online-Shops. Dabei mischt hier das Handelskapital selbst schon kräftig mit. So steckt der Mehrheitseigner von Tengelmann hinter Zalando, dem zweitgrößten Online-Händler.

Die „Modernisierung der Tarifverträge“, sprich Verschlechterung der Manteltarifverträge, wird aber eine Schlüsselfrage für das Einzelhandelskapital bleiben, gerade im Nahrungsmittel-Sektor, dem umsatzstärksten Bereich.

Fazit der Tarifauseinandersetzung

Da die Tarif-Auseinandersetzungen sich noch bis Anfang Dezember 2013 in allen Bezirken hinziehen, können wir nur teilweise ein Fazit ziehen. Die Abschlüsse in den anderen Tarifbezirken stehen noch aus, aber durch die Einigung in Baden-Württemberg werden jetzt wohl schnell die anderen, oft weniger starken Tarifbezirke nachziehen. Dass die Tarifrunde so lange nicht zu einer Einigung geführt hat, deutet zum einen auf die „harte“ Haltung der Kapitalisten hin, zum anderen auch darauf, dass die Mobilisierung in einigen Bezirken so massiv ist, dass die überwiegende Mehrheit der ver.di-Mitglieder einen Kniefall vor dem Handelskapital nicht akzeptieren würde.

Ver.di hat massiv an Mitgliedern im Handelsbereich gewonnen - aber auch Erwartungen geweckt. Die Bürokratie wird mit aller Macht versuchen, den Abschluss in Baden-Württemberg schön zu reden. Es wäre aber absolut falsch, wenn sich die vielen neu gewonnenen Gewerkschaftsmitglieder deshalb aus Enttäuschung wieder von einer Organisierung abwenden.

Viele Aspekte unserer Kritik an der ver.di-Führung haben sich bewahrheitet, es hat aber auch viele positive Lehren und Erfahrungen gegeben, wenn sie auch nicht bestimmend für den gesamten Tarifkonflikt waren.
Ein Problem bleibt weiterhin die Zersplitterung der Kämpfe. Hier haben die Bezirke (Bundesländer) teilweise sehr zeitversetzt vor sich hingewurstelt. Andere DGB-Gewerkschaften haben nur sehr partiell und dann auch oft nur rein symbolisch die Tarifbewegung im Einzelhandel unterstützt.

Leider haben sich relativ wenige Initiativen zur Unterstützung der Streikenden aus außergewerkschaftlichen Bereichen entwickelt. Auch Soli-Komitees aus der Bevölkerung, der „Kundschaft“, gab es nur in Ansätzen. Und Buttons mit Slogans wie „Zufriedene Kunden gibt es nur mit Tarifvertrag“ reichen da nicht aus.

Zweifellos gab es auch viele wichtige positive Kampferfahrungen (siehe Kasten). Die lange Laufzeit und die schon in der Tarifrunde angekündigte Offerte der ver.di-Oberen, über eine „Reform“ des Tarifvertrags auch reden zu wollen, können zum Einfallstor nächster Verschlechterungen werden. Die lange Laufzeit bedeutet, dass für fast 2 Jahre Ruhe an der Tariffront ist, dass in dieser Zeit auch andere Angriffe wie Umstrukturierungen, Schließungen usw. schwerer bekämpft werden können. Zweitens droht, dass die Gewerkschaftsbürokratie in den nächsten Monaten ohne jede Kontrolle, ohne jede Rechenschaftspflicht Verhandlungen mit den Kapitalisten aufnimmt - wo „natürlich“ ganz „partnerschaftlich“ über den „Mantel“ geredet wird.

Eine solche mögliche Entwicklung gilt es zu bekämpfen - indem aktive gewerkschaftliche Strukturen in den Unternehmen aufgebaut, vernetzt und koordiniert werden und jede Geheimverhandlung hinter ihrem Rücken bekämpft wird.

Anhang: Beispiele für positive Erfahrungen

Trotz der Kritik am Abschluss darf nicht übersehen werden, dass in der Tarifrunde auch viele positive Kampferfahrungen in einem Bereich gesammelt wurden, der schwer organisierbar ist – und die für zukünftige Kämpfe nutzbar sind.

Baden-Württemberg

Durch differenzierte und variable Streiktaktik wurden die Kapitalisten immer wieder unvorbereitet getroffen, gerade die KollegInnen von ver.di-Stuttgart haben sich viel einfallen lassen.
Es wurde bewiesen, dass auch prekär Arbeitende sich organisieren und kämpfen können. Es war v.a. ein Kampf von Frauen. Sie haben unter der Lage im Handel besonders zu leiden. In Stuttgart gibt es über 80.000 sogenannte Multi-Jobber, die mehr als einen Job zum Überleben brauchen. Mehr als 1,5 Milliarden mussten an Hartz-Aufstockmitteln gezahlt werden. Trotzdem stecken viele jüngere Menschen in der Verschuldungsfalle.
Es hat sich 2013 eine neue Schicht radikalisierter GewerkschafterInnen herausgebildet. Es gibt viele Verbindungen zwischen den GewerkschafterInnen der verschiedenen Betriebe, es wird wichtig werden, diese auszubauen.

Versammlungen der Streikenden wurden, wenn auch nicht täglich, aber zumindest jede Woche abgehalten. Hier spielt sich ein Austausch ab von Erfahrungen, hier werden weitere Aktionen geplant. So wurden auch variable Taktiken gegen den Einsatz von Streikbrechern gefunden. Wenn ein Betrieb bestreikt wurde, versuchten die Kapitalisten, kurzfristig StreikbrecherInnen anzuheuern. Tauchten diese nun im Betrieb auf, kehrten dann auch die Streikenden zurück und boten ihre Arbeitskraft an. Nun hatte der Betrieb die doppelten Lohnkosten.

Das Stuttgarter Gewerkschaftshaus ist wieder zu einem Offenen Haus, zu einem Haus der Streikenden geworden (wenn das auch einigen Hauptamtlichen nicht gepasst hat). Die KollegInnen konnten jederzeit kommen, ohne einen Termin zu haben.

In diesem Bezirk gehen die Erfolge aber auch darauf zurück, dass im letzten Jahrzehnt effektive Strukturen geschaffen wurden, u.a. durch den Aufbau von Betriebsräten.

Aber auch das Selbstbewusstsein aus den Kämpfen gegen Stuttgart 21 hat sich wohl positiv ausgewirkt.

Sachsen

In die Streiks im Einzelhandel Ende November wurde auch Amazon Leipzig einbezogen. Die KollegInnen bei Amazon wollen in den Einzelhandelstarif einbezogen werden, die Amazon-Kapitalisten verweigern sich bisher Verhandlungen.

Bayern

Es gab eine Einbeziehung anderer ver.di-Bereiche im Juli 2013. So waren Teilnehmer eines ver.di-Seminars (u.a. Fachbereich 8, Medien, Kunst und Kultur, Druck und Papier, industrielle Dienste und Produktion) in aller Frühe in umliegende Städte wie Rosenheim gefahren, um dort die KollegInnen aus den Betrieben zu holen. Viele haben sich daraufhin zur zentralen Streikdemo in München begeben. Dabei wurde auch deutlich, wie wenig selbst Betriebsratsmitglieder über ihr Streikrecht informiert waren.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 719
13. Dezember 2013

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