Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische Jihadisten kämpfen in Syrien und im Iraq (Irak)

12-2014

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Und sie tun es doch…! Ein Satz wurde in diversen französischen Medien in den letzten Tagen wiederholt auf ironische Weise zitiert, nachdem sich herausgestellt hatte, dass mutmaßlich zwei französische Staatsbürger in dem jüngsten Enthauptungsvideo auftauchen, das die Organisation „Islamischer Staat“ (IS) am Sonntag, den 16. November 14 im Internet publiziert hat. Darin ist zu sehen, wie Jihadisten aus den Reihen der Terrororganisation insgesamt achtzehn Soldaten des syrischen Regimes sowie der US-amerikanischen Geisel Peter Kassig vor laufenden Kameras die Kehle durchschnitten.

Der Satz dazu lautet: „Jihadkämpfer wachsen nicht auf den normannischen Wiesen heran.“ Ihn hatte die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen im Juni dieses Jahres ausgesprochen1. Und damit gemeint, dass das in den letzten beiden Jahren viel diskutierte Jihadisten- und mögliche künftige Rückkehrerproblem ein reines „Ausländer-“ und „Zuwanderungsproblem“ sei. Zum x-ten Male hatte Le Pen in ihrem damaligen Interview beim Radiosender France Info behauptet, es bestehe ein Zusammenhang mit „massiver Immigration“, doch es gebe keinerlei Verbindung zwischen der Radikalisierung von jungen Männern zu Jihadisten und der Verbreitung ideologischer Inhalte im Internet. Grundlage des Streitgesprächs zum Thema in dem Rundfunkinterview war das Plädoyer Marine Le Pens für ein absolut unzensiertes und unmoderiertes „freies Internet“. Ein Wunsch, der wiederum an die Ablehnung der Bekämpfung rassistischer, geschichtsrevisionistischer und ähnlicher Inhalte im Netz gekoppelt ist.

Und nun stellt sich heraus, dass Jihadisten eben manchmal doch in normmanischen Wiesenlandschaften aufwachsen. Hätte es eines Beweises bedurft, er wäre nun erbracht. Denn mit zweifelsfreier Sicherheit identifiziert werden konnte jedenfalls einer der beiden – möglichen – französischen Staatsbürger, die in dem IS-Video mit unverhülltem Gesicht zu sehen sind. Es handelt sich um den 22jährigen Maxime Hauchard, den man dabei sehen kann, wie er ein Schlachtermesser am Hals eines Piloten der syrischen Luftwaffe ansetzt. Er wuchs in einem Kleinstädtchen in der Normandie mit 3.200 Einwohnern auf, das auf den Namen Bosc-Roger-en-Roumois hört und rund 30 Kilometer südlich der Regionalhauptstadt Rouen liegt2. Eine Ortschaft, von der ein Großteil der Französinnen und Franzosen noch nie in ihrem Leben gehört haben dürfte – bis zum Anfang der vergangenen Woche. Zu dem Zeitpunkt liefen sich dort dann die Kamerateams gegenseitig über die Füße, und die Eltern und näheren Angehörigen Maxime Hauchards flohen zunächst aus ihrem ständig gefilmten Reihenhaus an einen unbekannten Ort.

Nichts prädestinierte den als schüchtern beschriebenen jungen Mann, zum Salafisten und später zum selbsternannten Jihadkämpfer zu werden. Im Jahr 2011 radikalisierte er sich im Eiltempo und weitgehend allein, dank diverser Lektüren aus dem Internet. Allenfalls frequentierte er eine neun Kilometer entfernte kleine Moschee, nachdem er aus den meisten moslemischen Gemeindehäusern der Umgegend hinauskomplimentiert worden war. Im darauffolgenden Jahr besuchte er dann sieben bis acht Monate lang eine Koranschule im westafrikanischen Mauretanien, kehrte von dort jedoch enttäuscht zurück, denn in seinen Augen erschien ihm dort alles zu schlapp und langweilig. Im August 2013 brach er zum Bürgerkriegsschauplatz in Syrien auf. Dort legte er sich den Kriegsnamen Abu Abdallah Al-Faransi (für „Der Franzose“) zu. Am Montag dieser Woche forderte Marine Le Pen für Hauchard „die Guillotine“.

Was einen weiteren französischen Staatsbürger betrifft, den manche Quellen ebenfalls in dem blutrünstigen IS-Video gesichtet haben wollen, sind unterdessen Zweifel laut geworden. Der ebenfalls 22jährige Mickaël Dos Santos3, Sohn und Enkel einer portugiesischen Putzfrau, der im Vorort Champigny-sur-Marne südöstlich von Paris aufwuchs und bei seiner Volljährigkeit französischer Staatsbürger wurde, hält sich ohne jeden Zweifel in Syrien auf. Ob er jedoch tatsächlich auch in dem Videofilm auftaucht, wird inzwischen massiv in Frage gestellt.

Erkannt haben wollte ihn zuerst seine eigene Mutter, die sich zum französischen Inlandsgeheimdienst DGRI begab, um ihn zu identifizieren. Doch inzwischen hat sie ihre Aussage widerrufen und gibt an, es könne sich doch nicht um ihren Sohn handeln – sie erkenne ihn nicht wieder, das Gesicht in dem Videofilm sei länger als das von Mickaël, und der Blick sei nicht der ihres Sohnes4. Nun wäre es zwar durchaus plausibel, dass sich Menschen – etwa aufgrund von zeitweiligen Entbehrungen – körperlich verändern, und aufgrund der Konfrontation mit extremen Gewalterfahrungen auch psychisch verändert oder verstört wirken. Allerdings sind zusätzliche Zweifel dadurch genährt worden, dass der junge Mann, der sich in dem Video in Szene setzt, ein perfektes Arabisch mit syrischem Akzent zu sprechen scheint. Aufgrund der Komplexität der Sprache gilt es als unwahrscheinlich, dass Dos Santos, der ebenfalls im August vorigen Jahres nach Syrien aufgebrochen ist, in diesem Zeitraum ein gleichzeitig grammatikalisch perfektes und dialektalisch ausgesprochenes Arabisch erlernt habe. Die beiden zum Jihadismus tätigen Journalisten Romain Caillet und David Thomson, die eine gründliche Untersuchung zum Thema geleistet haben – Thomson hat ein sehr gut recherchiertes Buch über die aus Frankreich stammenden Syrienkämpfer vorgelegt –, geben an, dass es sich nicht um Dos Santos handeln könne. Ihnen zufolge ist in dem IS-Propagandafilm ein junger syrischer Staatsbürger mit dem Kriegsnamen Abu Umrayran zu sehen.

Auch wenn dies zutrifft, kann dies aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Dos Santos sich real im Kampfgebiet in Syrien aufhält. Von dort aus verbreitete er Nachrichten über Twitter, darunter Fotos, auf denen er mitunter mit abgeschnittenen Köpfen zu sehen ist. Die Anführer des autoproklamierten „Kalifatsstaats“ tolerieren inzwischen offensichtlich, dass ihre militanten Anhänger die sozialen Medien und Internet nutzen, um dort ihre Propaganda einzustellen; nachdem sie in einer Anfangsphase im August davor gewarnt hatten, weil dies die Lokalisierung ihres Aufenthaltsorts erleichtere. Inzwischen sind sie jedoch zu der Auffassung gelangt, dass der propagandistische Nutzen diesen Nachteil überwiege. Aus demselben Grund lassen sie auch ihre Glaubenskämpfer unmaskiert neben ihren Opfern posieren und stellen die Bilder nachträglich ungefiltert ins Internet: Es geht darum, den jeweiligen Landsleuten zu Hause zu signalisieren, dass jeder von überall her mitmachen kann – und, umgekehrt, dass niemand auf sicherer Distanz zu ihnen sei. Auch deswegen achten die Kader des IS anscheinend darauf, dass die Gruppen, die in ihren Videos sind, von den vertretenen Nationalitäten her gemischt zusammengesetzt sind. So wurde zuletzt auch etwa ein Brite aus Cardiff identifiziert.

Dos Santos war im Jahr 2009 zu einem Islam salafistischer Prägung konvertiert. Infolge dessen hatte er sich von der Schule werfen lassen, wo er mit zwei Gesinnungsgenossen zusammen Flure und leere Klassenräume zum demonstrativen Beten umfunktioniert hatte. Zuvor war er im Heranwachsenden-Alter noch praktizierender Katholik gewesen, gleichzeitig Diskos besucht und war mit Mädchen ausgegangen. Seine Ex-Freundin Elisabeth G. berichtet in den Spalten von Le Monde, von einem auf den anderen Tag sei er infolge seiner Konversion wie vom Blitz verwandelt gewesen5. Seine Mutter habe deswegen geweint, aber sein Vater habe ihn wortlos geohrfeigt, wie es seiner üblichen Art der Kommunikation entsprochen habe. Vielleicht spielte in seinem Fall die autoritäre Familienstruktur mit eine Rolle dafür, dass er auf der Suche nach einem autoritären Ideal, einem Vorbild mit unhinterfragbarem Dominanzanspruch war, im Zusammenhang mit einer ausgeprägten Ich-Schwäche als Subjekt.

Generell scheinen die Anwärter für den Aufbruch in den „Glaubenskampf“ zwei unterschiedlichen Profilen zu entsprechen. Auf der einen Seite handelt es sich um einen Prozess, der mit dem Beitritt zu Sekten jeglicher Art verglichen werden kann. Die Suche nach einem „Absoluten“, dem man sich unterordnen kann, verbindet sich beim Anschluss an konkrete Gruppen wie IS in der Praxis mit einer ausgeprägten Gewalttätigkeit nach außen, wobei es sein kann, dass die absolute Brutalität dieser Gruppen zumindest in der Vergangenheit nicht allen Kandidaten von vornherein bewusst war. Auch viele junge Frauen und sogar heranwachsende Mädchen – im August dieses Jahres wurde sogar eine 14jährige im bretonischen Quimper aufgegriffen, die nach Syrien zu ziehen versuchte – wurden vom IS rekrutiert, die nicht selbst an Kampfhandlungen beteiligt werden. Die ihnen zugedachte Rolle besteht darin, entweder mit Kombattanten verheiratet zu werden, teilweise in Form von islamisch legitimierten „Zeitehen“, faktisch eine Form von Prostitution, oder aber sich um Kriegswaisen zu kümmern. Die reale Brutalität der Gruppen, denen sie sich anschließen, mag bei diesen Individuen oft im Hintergrund stehen.

Zum Anderen finden sich aber auch Sadisten und psychopathische Gewalttäter, die genau diese suchen und dafür nur eine vordergründige Legitimation zu ihrer Bemäntelung suchen. Im September wurde etwa ein anderer französischer Staatsbürger in Syrien verortet, Salim Benghalem6, den die USA beschuldigen, ebenfalls an „Hinrichtungs“morden im Auftrag des IS teilgenommen zu haben. Über ihn wurde bekannt, dass er 2001 wegen eines Mordversuchs festgenommen und später zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Nach seiner Haftentlassung setzte er sich alsbald nach Syrien ab. Über ihn sagte sein früherer Anwalt Léon Lef Forster aus, er habe nie Ansätze von Religiosität festgestellt, aber auch keine irgendwie ideologisch artikulierte Frustration über die Mehrheitsgesellschaft. Anscheinend handelt es sich bei seinem neuen Engagement vor allem um eine Rechtfertigung, seine kriminellen Neigungen ungehindert auszuleben.

In jedem Falle ist eine Verschiebung des Profils der „Jihad“-Kandidaten im Vergleich zu den ersten Kämpfern aus Frankreich, die sich vor zwanzig Jahren auf ein solches ideologisches Vorhaben beriefen, zu beobachten. Damals handelte es sich, denkt man etwa an die Gruppe um Khalid Kelkal 7– er wurde 1995 im Umland von Lyon durch die Polizei erschossen -, die mit bewaffneten Islamisten in Algerien in Verbindung stand und Anschläge in Frankreich verübte, fast ausschließlich junge Männer arabisch-nordafrikanischer Herkunft. Diese hatten in ihren Familien eine, wie diffuse auch immer, muslimische Sozialisation erfahren und hatten sich später, infolge von Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen, verstärkt über diese so genannte „Identität“ selbst definiert und sich gewissermaßen in diese hineingesteigert. Im Falle von Khaled Kelkal, der drei Jahre vor seinem Tod und nach einem ersten Gefängnisaufenthalt von Kleindelikten dem deutschen Soziologen Dietmar Loch ein sehr ausführliches Interview gegeben hatte, war dies offensichtlich. Die liberale Pariser Abendzeitung Le MoNDe publizierte dieses Interview vierzehn Tage nach dem Tod Kelkals auf drei Seiten, und bezeichnete Kelkal in einem Editorial als „Opfer des strukturellen Rassismus“, wie abscheulich seine Taten kurz vor seinem Lebenstaten auch immer sein mochten.

Diese Zeiten sind längst vorbei, und das Profil der selbsternannte Glaubenskämpfer ist durch ganz unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen hindurch diffundiert, auch wenn es sich um überschaubare Gruppen und keine Massenbewegung handelt.. Es gibt keinen „Prototyp“ mehr, dem das durchschnittliche Profil entsprechen würde, anders als für die Kleingruppen französischer – meist migrantischstämmiger - Jihadisten, die 1994 in Marrakech, 1995 in Frankreich oder 1996 in Bosnien bombten. 20 bis 25 Prozent der identifizierten Jihadisten heute sind innerhalb der letzten Jahre konvertierte Herkunftsfranzosen ohne jeglichen arabischen und/oder muslimischen familiären Hintergrund. Und dort, wo ein Migrationshintergrund besteht, ist nicht regelmäßig ein biographischer Bruch infolge von Diskriminierungserlebnissen auszumachen, wie er bei Kelkal noch flagrant war. Aber auch, erst recht, kein traditionalistisches muslimisches Umfeld: In aller Regel erklären sich die Familien, egal welcher Abstammung, äußerst entsetzt über die ideologische Wandlung ihrer Sprösslinge. Zahlen einer Untersuchung zufolge kommen zehn Prozent der französischen Jihadkandidaten aus muslimischen und 80 Prozent aus „atheitischen Familien“.8 Auch wenn diese Angaben vielleicht insofern überzogen erscheinen, als der Begriff „atheistisch“ hier wohl auf einfach nicht praktizierende Familien ausgedehnt wurde, so liegt doch auf der Hand, dass keine Kontinuität zu traditionellen religiösen Vorstellungen der Elterngeneration aufzufinden ist.

Nicht nur aus Frankreich kommen Jihad-Anwärter, die in Syrien und im Iraq töten oder getötet werden. Die Zahl der jihadistischen Mittelost-Reisenden aus Frankreich wird auf insgesamt 1.100 geschätzt, von ihnen sollen sich laut Zahlen des Innenministeriums zur Zeit 375 dort aufhalten. Auch aus anderen Ländern kommen Hunderte von Kombattanten. Aus Spanien sollen sich dort beispielsweise momentan etwa 100 Kämpfer dort aufhalten. Aber auch auf der iberischen Halbinsel haben sich die Profile der Jihad-Anwärter verschoben. Bei siebzehn jihadistischen Anschlägen in Spanien, die von 1996 bis 2013 stattfanden, waren nur fünf Prozent der ermittelten Tatverdächtigten auf spanischem Boden geboren. Hingegen, so ein Expertenbericht aus der Feder von Fernando Reinares vom Think-Tank „Königliches Institut Elcano“, sind seit 2013 nunmehr neunzig Prozent der identifizierten Jihadisten in Spanien geboren, und siebzig Prozent von ihnen sind spanische Staatsangehörige9.

Internationale Brigaden… faschistisch-sektiererischer Natur

Die größten Kontingente „westlicher“ Jihadisten in Syrien und im Irak stellen derzeit, gemessen an der jeweiligen Bevölkerungszahl ihrer Herkunftsländer, Frankreich und Belgien. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass in englischsprachigen Ländern aus historischen und sprachlichen Gründen vergleichbare Kandidaten eher nach Pakistan oder Afghanistan ziehen. Handelt es sich doch bei Südasien um die Hauptherkunftsregion von Migranten auf den britischen Inseln, deren Bevölkerungsgruppen auch in den salafistischen Moscheen dominieren. In Frankreich und Belgien hingegen ist die Migration eher arabischsprachig und nordafrikanisch geprägt, was eine andere geographische und sprachliche Ausrichtung der Moscheen befördert.

Aber auch Deutschland ist ein relativ wichtiges Herkunftsland für Jihadisten im Mittleren Osten. Die Zahl der aus Deutschland stammenden Kämpfer wurde am vergangenen Wochenende durch Innenminister Thomas de Maizière und den Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, von bislang angenommenen 400 auf 550 nach oben korrigiert. Und sechzig aus Deutschland stammende Kombattanten sollen bereits für den IS gefallen sein. Unter den Jihadisten befinden sich auch Profile von Konvertiten, wie etwa Silvio K., der biodeutschstämmige „Terrorist vom Bodensee“. Er wuchs in beschaulichen Verhältnissen im süddeutschen Überlingen auf, zog jedoch später nach Essen und Solingen und wurde dort bei der Salafistengruppe Millatu Ibrahim aktiv, die 2012 verboten wurde. Über ein jihadistisches Trainingslager in Libyen reiste er weiter nach Syrien, von wo auf er unter anderem zu Mordanschlägen auf Angela Merkel aufrief10.

Unter den außereuropäischen Ländern ist vor allem Tunesien ein wichtiges Rekrutierungsland für Jihadisten im Mittleren Osten, wo sich rund 3.000 Staatsangehörige Tunesien aufhalten sollen, unter ihnen auch viele junge Frauen im Jihad el-niqa, im „geschlechtlichen Glaubenskampf“ mittels Erbauung der Kämpfer. Die besondere Anziehungskraft des syrischen Kriegsgebiets auf Tunesierinnen und Tunesier könnte damit zusammenhängen, dass es bereits vor dem Sturz der Ben Ali-Diktatur 2011 eine wachsende salafistische Szene gab, die seit 2002/03 unter jungen Leuten Anhänger fand. Die dominierende islamistische Partei En-Nahdha, die damals 30.000 Mitglieder in den Gefängnissen und Folterzentren sitzen hatte, erschien ihnen aufgrund ihrer vermeintlichen „Wehrlosigkeit“ gegenüber den Repressionsorganen als verächtlich. Zudem waren in Tunesien die Rekrutierungsversuche für den damaligen Kampfplatz Irak ab 2003 besonders ausgeprägt. Aber auch aus Malaysia, Indonesien und vom Süden der Philippinen kommt eine wachsende Zahl von IS-Rekruten.

Unterdessen macht der Journalist Omar Youssef Suleiman in der libanesischen Onlinezeitung Raseef 22 mit einem Gedanken an ganz andere Perspektiven auf sich aufmerksam. Infolge der Verunsicherung vieler Muslime, die sich erschreckt von den Praktiken des IS distanzieren und mit ihnen auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden, sieht er „eine Welle des Atheismus“ in den arabischsprachigen Ländern aufkommen11. Denn wo bislang viele kritische oder säkularisierte Muslime nur die Art und Weise, die muslimische Religion zu praktizieren, in Frage gestellt hätten, stellten sie nunmehr deren historischen Grundlagen auf den Prüfstand. Kleidet sich doch der IS - obgleich er eine moderne Erfindung darstellt und sich aller Techniken des 21. Jahrhunderts bedient – gerne in die Kostüme früherer historischer Perioden, angefangen beim geschichtlichen Kalifat. Suleiman sieht die seit 2011 in der Region begonnenen Veränderungen erst an ihrem Anfang stehen. Er behauptet jedenfalls, die zu erwartenden Umwälzungen seien zu vergleichen mit jenen, die in Frankreich zuerst nur auf die Königin Marie-Antoinette abzielten und im Laufe einiger Jahre aber die Grundlagen der katholischen Staatsreligion erschütterten. So werde man auch in der arabischen Welt nicht bei der Denunziation einiger Präsidentenfamilien stehen bleiben, sondern die Welle werde die religiösen Institutionen in ihrem Kern erreichen. Ein sehr optimistisch erscheinender Gedanke. Aber vor dem Hintergrund des Wahns von IS und anderen erscheint er nicht als verrückt.

Anmerkungen

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.