Im Wartesaal Teil 2
Refugees in
der BRD 1951

Auszüge aus dem Bericht des Bundesministeriums für Vertriebene

12/2015

trend
onlinezeitung

Der Aufbau des Bundesministeriums für Vertriebene war im Vorjahre im wesentlichen beendet worden. Das Jahr 1951 war daher nicht mehr so sehr belastet mit rein organisatorischen Maßnahmen.
Im Wartesaal / Teil 1
Refugees in Nachkriegsdeutschland 1945 - 1957
Zahlen und Daten zur Unterbringung jüdischer Displaced Persons

Die beim Vorjahresbericht dargestellte Überschneidung der Aufgabenkreise mit anderen Ressorts ist im Berichtsjahr weitgehend überwunden worden und hat zur Gemeinschaftsarbeit geführt. Geblieben ist die Behinderung, die sich daraus ergibt, daß die unmittelbare Berührung zwischen der legislativen Tätigkeit der Bundesressorts und der praktischen Verwaltung nicht vorhanden ist, weil das Grundgesetz die Ausführung der Gesetze den Ländern zuweist.

Der Umfang der Arbeit wird ersichtlich aus der Tatsache, daß das Bundesministerium für Vertriebene durch seine Referenten in mehr als 930 Sitzungen der Ausschüsse des Bundestages, in mehr als 300 Sitzungen der Ausschüsse des Bundesrates und in mehr als 430 interministeriellen Besprechungen im Berichtsjahr mitgewirkt hat. Diese erhältnismäßig sehr hohen Zahlen sind der Ausdruck dafür, daß das Bundesministerium nicht ein einzel­nes Sachgebiet, sondern einen Personenkreis zu betreuen hat, der in einer überaus großen Zahl von Fällen an allen vorkommenden Fra­gen und Sachgebieten interessiert ist.

Zu diesem Personenkreis gehören außer der großen Gruppe der eigentlichen Heimatvertriebenen und außer der besonderen Gruppe der Kriegsgefangenen auch die kleineren Gruppen der Flüchtlinge aus der Sowjetzone, der heimatlosen Ausländer (DPs) und der politischen Flüchtlinge aus den osteuropäischen Staaten.

Heimatlose Ausländer (DPs)

Von den vielen Millionen von Ausländern, die während des Krieges zum überwiegenden Teil gegen ihren Willen zum Arbeitseinsatz nach Deutschland geschafft worden waren oder die auf der Flucht vor den sowjetischen Heeren in die Bundesrepublik kamen, ist der größte Teil entweder in die Heimat zurückgekehrt oder aber mit Hilfe internationaler Organisationen ins Ausland abgewandert. Nach Auflösung der IRO dürften etwa 80 000 bis 100 000 ehemalige DPs in der Bundesrepublik als heimatlose Ausländer verbleiben.(1)

Das am 25. 4. 1951 veröffentlichte Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet entspricht der besonderen Verantwortung der Bundesrepublik gegen­über diesem Personenkreis und gewährt ihm eine Rechtsstellung, die in wesentlichen Punk­ten über die internationalen Grundsätze der Behandlung ausländischer Flüchtlinge hinaus­geht. Dieses deutsche Gesetz hat deshalb in der Welt starke Beachtung gefunden. Die Durch­führung des Gesetzes, d. h. die Eingliederung der heimatlosen Ausländer in die Wirtschaft und die Fürsorge für die nicht mehr Arbeits­fähigen, ist Aufgabe der Länder. In Zusam­menarbeit mit den Länderflüchtlingsverwal­tungen, mit in- und ausländischen Wohlfahrts­organisationen und Vertretern der DPs ist man bemüht gewesen, Lösungen für die Pro­bleme der Eingliederung dieser Auländer in die deutsche Gemeinschaft zu finden. Angestrebt wird eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Ausländer auf das ganze Bundesgebiet. Unnennbar damit verbunden ist die Frage des Wohnungsbaues.

Ein wesentlicher Teil dieser Ausländer war bisher in Kasernen untergebracht. Auf Wei­sung der Besatzungsmächte mußten diese jetzt wieder militärischen Zwecken zugeführt wer­den. Es sind jedoch durch Ersatzbauten be­reits eine Reihe von Wohnsiedlungen für ar­beitsfähige DPs geschaffen worden.

Politische nichtdeutsche Flüchtlinge aus dem Auslande

Aus den Ländern jenseits des „Eisernen Vor­hanges" sind auch im Jahre 1951 ständig po­litische Flüchtlinge in das Bundesgebiet ge­kommen. Sie bedeuten insofern oft eine schwere Belastung, als sich unter diesen Flüchtlingen, die das Asylrecht in Anspruch nehmen, Personen befinden, die 1945 und später an der Vertreibung der Deutschen und an den dabei verübten Gewalttaten aktiv be­teiligt waren. Eine in Vorbereitung befind­liche Verordnung über die Aufnahme und Ver­teilung von Ausländern und Staatenlosen, die wegen politischer Verfolgung im Bundesge­biet Zuflucht suchen, sieht eine Regelung vor, die dem Verfahren bei der Aufnahme deut­scher Flüchtlinge aus der Sowjetzone ent­spricht.

Die Rechtsstellung dieser Asylflüchtlinge rich­tet sich nach den Bestimmungen des am 28. 7. 1951 in Genf getroffenen Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge, an dessen Zustandekommen die Bundesregierung betei­ligt war. Das Abkommen ist inzwischen von der Bundesregierung unterzeichnet worden und dürfte in Kürze auch vom Bundestag ratifi­ziert werden.

Deutsche Flüchtlinge aus der Sowjetzone

Der Zustrom von Flüchtlingen aus der Sowjet­zone ist im Vergleich zum Vorjahr etwas schwächer geworden, stellt aber für die Bun­desrepublik ein unverändert schwerwiegendes Problem dar. Im Jahre 1950 wurden in den Notaufnahmelagern Uelzen und Gießen 137 308 Personen registriert, im ersten Halb­jahr 1951 waren es 53 310, zu denen im Juli 10 677 und im August 11 419 Personen hin­zukamen. In West-Berlin betrug der Zustrom etwa 5 000 Personen, er hat dort steigende Tendenz.

Auf Grund eines Gesetzes über die Notauf­nahme von Deutschen in das Bundesge­biet vom 22. 8. 1950 darf den Zuwanderern die Erlaubnis zum ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht versagt werden, wenn sie wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen die Sowjetzone verlassen mußten. Die Abgewie­senen, die weitaus in der Uberzahl sind, keh­ren aber meist nicht in die Sowjetzone zurück und bleiben illegal im Bundesgebiet. Die Zahl der illegalen Zuwanderer läßt sich naturge­mäß nicht feststellen. Es gibt begrün­dete Schätzungen,die die dop­pelte Zahl der in den Durch­gangslagern Registrierten für den gesamten Zustrom aus der Sowjetzone angeben.

Da in West-Berlin annähernd 30 000 aner­kannte Flüchtlinge und eine wesentlich höhere Zahl nicht anerkannter Zuwanderer ohne Aus­sicht auf eine wirtschaftliche Eingliederung leben, hat der Bundestag durch ein Gesetz vom 14. 6. 1951 beschlossen, das Gesetz über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesge­biet auch für Berlin gelten zu lassen, wenn Berlin gemäß seiner Verfassung ein ent­sprechendes Gesetz beschließt. Es kann damit gerechnet werden, daß ein wesentlicher Teil alier in Berlin anerkannten Flüchtlinge nach einem vom Bundesrat festgesetzten Schlüssel in die einzelnen Länder der Bundesrepublik überführt wird. So unabweisbar diese Hilfe für Berlin ist, so groß ist allerdings die zusätzliche Belastung der Bundesrepublik durch diese Flüchtlinge. Die starke Zuwanderung aus der Sowjetzone hat neben erheblichen finanziellen Auswirkungen auch eine außerordentlich starke Belastung des Arbeits- und des Woh­nungsmarktes, sowie eine erhebliche Beein­trächtigung der Umsiedlung zur Folge.

Familienzusammenführung aus Polen und der Tschechoslowakei

Aus den von Polen verwalteten deutschen Ostgebieten, aus Polen selbst und aus der Tschechoslowakei sind im Zuge der sogenann­ten „Operation Link" gegen 44 000 Deutsche in das Bundesgebiet überführt worden. Die Übernahme gestaltet sich schwierig, weil die polnische Regierung schon seit dem Sommer 1950 direkte Aussiedlungstransporte nach dem Durchgangslager Friedland eingestellt hat, und diese Transporte nur noch in die Sowjetzone geleitet werden. In Furth im Wald wurden etwa 16 000 Deutsche aus der Tschechoslowakei übernommen.

Ihre Verteilung auf die Länder des Bundes­gebietes ist durch eine Rechtsverordnung vom 8. 2. 51 nach Art. 119 des Grundgesetzes ge­regelt worden. In den Grenzdurchgangslagern sorgen Beauftragte der Bundesregierung für die Weiterleitung nach einem vom Bundesrat festgesetzten Verteilungsschlüssel.

Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in Hamburg und das Referat Familienzusam­menführung des Deutschen Roten Kreuzes in München bearbeiten mit Unterstützung der Bundesregierung die Anträge auf Familienzu­sammenführung und Aufnahme in das Bundes­gebiet. Obwohl selbst die Zusammenführung der Familien im engsten Sinne noch keines­wegs abgeschlossen ist, verweigern die pol­nische und tschechische Regierung seit dem Frühjahr 1951 alle Aussiedlungsgenehmigun­gen.
Die Familienzusammenführung aus Rumänien konnte in Gang gebracht werden; auch aus Jugoslawien sind über das Bundesdurchgangs­lager Piding 7 Transporte Volksdeutscher Kinder in das Bundesgebiet geleitet worden. Man hofft, diese Aktion auch auf die Fami­lienzusammenführung von Erwachsenen aus­dehnen zu können. Die Grenzdurchgangslager Friedland und Furth im Wald müssen in zu­nehmendem Maße auch für die Aufnahme, Überprüfung und Weiterleitung von Deut­schen, die aus dem Auslande zurückkehren, ohne Vertriebene zu sein, in Anspruch ge­nommen werden. Im Einvernehmen mit Jen Länderflüchtlingsverwaltungen sind sie auf Grund eines vorläufigen Schlüssels auf die Länder verteilt worden.

Die Einbeziehung von Vertriebenen und Rück­kehrern auch aus anderen Ländern als Polen und der Tschechoslowakei macht eine Erwei­terung und Verbesserung der Verteilungsord­nung vom 8. 2. 1951 erforderlich. Der Ent­wurf hierfür ist dem Kabinett zur Beschluß­fassung zugeleitet worden.

Umsiedlung

Da es zwingend notwendig war, die Heimat­vertriebenen im ganzen Bundesgebiet besser als bisher zu verteilen, war durch eine Ver­ordnung vom 29. 11. 1949 bestimmt worden, daß im Jahre 1950 300 000 Heimatvertrie­bene aus den überlasteten Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in we­niger belastete Länder umzusiedeln seien.

Diese Umsiedlung wurde bis auf einen nicht erheblichen Rest pünktlich durchgeführt. Der Uberhang ist in der ersten Hälfte des Jahres 1951 ebenfalls übernommen worden.

Der Bundestag hatte bereits mit einem Be­schluß vom 4. 5. 1950 die baldmögliche wei­tere Umsiedlung von 600 000 Heimatver-iriebenen verlangt. Am 22. 5. 1951 verab­schiedete er dann ein Gesetz, durch das die Aufnahmeländer verpflichtet wurden, bis Ende des Jahres 1951 weitere 300 000 Heimatver­triebene aufzunehmen. Der Durchführung dieses einstimmig angenommenen Umsied­lungsgesetzes stellten sich jedoch größte Schwierigkeiten in den Weg, weil die wohn­raummäßige Unterbringung nicht fristgerecht durchgeführt werden konnte. Die Finanzie­rung der erforderlichen Neubauten gestaltete sich deswegen so schwierig, weil erststellige Hypotheken für den Umsiedlerwohnungsbau nicht genügend zu beschaffen waren. Der Neubau von 75 000 Wohnungen für 300 000 Umsiedler erfordert etwa 800 Mio. DM. Aus Haushalts- und Soforthilfemitteln konnten nur etwas über 220 Mio. DM für die nachrangige Finanzierung bereitgestellt werden. Es gelang bisher nicht, weitere Haushaltsmittel für den Umsiedlerwohnungsbau flüssig zu machen.
Hinzu kommt, daß ein großer Teil der Um­siedler eine Wohnung auf dem Lande ablehnt, weil er befürchtet, dort nicht ausreichende Ar­beitsmöglichkeiten zu- finden. In den Städten ist aber naturgemäß der Wohnraum besonders schwer zu beschaffen.

Die überlasteten Länder drängen mit Recht auf Weiterführung der Umsiedlung. Sie wol­len auch nicht nur arbeitsfähige Vertriebene umsiedeln, sondern legen Wert darauf, auch von den nicht arbeitsfähigen, kranken und alten Personen entlastet zu werden, wie das im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist.

Neben der gelenkten Umsiedlung vollzieht sich eine Wanderungsbewegung im Bundesge­biet und in das Bundesgebiet hinein, deren Ausmaß die geplante Umsiedlung um ein Wesentliches übertrifft. Diese Entwicklung zwingt dazu, die künftige Umsiedlung mit dieser Wanderungsbewegung zu koordinieren.

Das Bundesvertriebenengesetz

Die Eingliederung der Heimatvertriebenen in Westdeutschland erfordert für alle Länder der Bundesrepublik verbindliche und einheit­liche Richtlinien. Bislang litt sie unter der Zer­splitterung des Rechts. Die Länderflüchtlings­gesetze haben insbesondere den Personenkreis nicht einheitlich umschrieben und auch für die Betreuung unterschiedliche Regelungen ge­troffen. Der Entwurf eines Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flücht­linge, der vom Kabinett am 24. 8. 1951 ver­abschiedet wurde, ist nunmehr dem Bundes­tag zugeleitet worden. Dieses Gesetz soll ein­heitliches Recht für die Vertriebenen und Flüchtlinge schaffen. Es regelt umfassend ihre Rechtsstellung und stellt als „Sowjetzonen­flüchtlinge" den Personenkreis den Vertrie­benen gleich, der wegen Gefahr für Leib und Leben oder für die persönliche Freiheit die sowjetische Besatzungszone verlassen mußte.

Das Gesetz sieht einheitliche Bundesausweise vor, die überall da Geltung haben sollen, wo Betreuungsmaßnahmen gewährt werden. Den besonderen Verhältnissen tragen 3 Arten von Ausweisen Rechnung:

Ausweis A für Heimatvertriebene,
Ausweis B für Vertriebene,
Ausweis C für Sowjetzonenflüchtlinge.

Als „Vertriebene" sollen Personen gelten, die auf Grund erst kürzeren Aufenthalts in den Vertreibungsgebieten noch nicht die beson­dere Heimatverbundenheit erlangt hatten.
Eingehend befaßt sich der Gesetzentwurf mit der Eingliederung der Vertriebenen aller Gruppen, der Umsiedlung, der Flüchtlings­siedlung, der Eingliederung in das gewerb­liche Leben sowie mit verschiedenen einzel­nen Rechtsverhältnissen der Vertriebenen. Dazu gehören beispielsweise die Familienzu­sammenführung, die Anerkennung von Prü­fungen, der Ersatz verlorengegangener Ur­kunden usw. Strafbestimmungen sollen Miß­bräuche bei der Ausstellung von Flüchtlings­ausweisen und der Inanspruchnahme von Vergünstigungen unterbinden.

1) Die Zahlen sind nicht zutreffend, siehe dazu Teil 1 der Themenreihe "Im Wartesaal"

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus: DEUTSCHLAND IM WIEDERAUFBAU, Tätigkeitsbericht der Bundesregierung 1951, Hrg.: PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG, S. 205-208