Kommentare zum Zeitgeschehen
Massendemonstration gegen TTIP: Wie weiter gegen Wirtschafts-NATO?


von
Tobi Hansen

12/2015

trend
onlinezeitung

Die Großdemo am 10. Oktober in Berlin war ein großer Mobilisierungserfolg. Nach Angaben der Veranstalter gingen mehr als 250.000 gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA auf die Straße. Eine solche Massendemo erlebte die Hauptstadt zuletzt nach Fukushima mit den Anti-Atom-Protesten. Das Spektrum war „breit und bunt“: Gewerkschaften, attac, SPD, Linkspartei, Grüne bis hin vielen NGOs. Recht „bunt“ waren auch die Beweggründe der TeilnehmerInnen, die sich gegen einzelne Aspekte der TIPP-Verträge wie Lebensmittelrichtlinien, gegen das Gesamtpaket oder den kapitalistischen „Freihandel“ oder gegen Demokratieabbau wandten.

Und jetzt?

Zweifellos war es ein enormer Schritt vorwärts, dass so viele Menschen auf der Straße waren und auch die Gewerkschaften eine deutlich sichtbare Rolle spielten. Doch die Breite der Mobilisierung droht ins Leere zu laufen, wenn es für die 250.000 als „Multiplikatoren“ keine reale Kampfperspektive gegen TTIP und die Bundesregierung und EU- Kommission, welche das Abkommen beschließen müssen, gibt. Schon in der NI 203 hatten wir Perspektiven für weitergehende Aktionen erwähnt:
„Für eine bundesweite Aktionskonferenz, die einen Aktionsplan beschließt und Gewerkschaften, SPD und LINKE auffordert, gegen das TTIP zu mobilisieren!

Falls das TTIP in Kraft tritt: international koordinierte Streiks und Massendemonstrationen, bis das Abkommen vom Tisch ist!“

„Wegdemonstrieren“ kann man TTIP und CETA nicht. Doch die Führungen der teilnehmenden Organisationen setzen nicht auf eine Kampfperspektive, sondern auf Lobbyismus. Während viele der NGOs hauptsächlich auf die mediale Wirkung zielen bzw. durch die Massendemo hoffen, den gesellschaftlichen Diskurs zu verändern, sind die „Schwergewichte“ in der Mobilisierung noch nicht einmal daran interessiert. Die DGB-Gewerkschaften haben erst in den letzten Wochen vor TTIP ihre Mobilisierung begonnen. Schließlich ließ es sich auch nicht lange geheim halten, dass TTIP auch existenzielle „Mitbestimmungs“rechte und damit auch den Spielraum der DGB-Bürokratie angreift und nicht nur juristisch die Marktmacht des Kapitals noch weiter stärkt. Viele Arbeitskreise zu TTIP sind in den Gewerkschaften entstanden, viele waren auf der Großdemonstration - für die Gewerkschaftsspitzen ist das ausreichend. Seltsam realitätsfremd werden nach der Demo Videos auf youtube gestellt, auf denen Gewerkschaftsfunktionäre verlautbaren lassen, dass „die Politik jetzt gefordert sei“, das „Volk seine demokratische Meinung geäußert habe“ und jetzt also wieder alle zufrieden nach Hause fahren könnten.

Ohne eine Kampfperspektive, ohne den Aufbau einer Bewegung, die neben Demos auf betriebliche Aktionen bis hin zu Streiks setzt, bleiben auch die Beschlüsse von Gewerkschaften oder gar der SPD, die sich gegen TTIP richten, notwendig folgenlos, und werden von den reformistischen Führungen ausgesessen.

Angriffe von „links“

Verbale Zugeständnisse dienen in diesem Kontext nur als Beruhigungspillen. Zugleich hat aber auch ein Teil der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ - allen voran der Spiegel - die Polemik gegen die Bewegung entfacht. „Anti-Amerikanismus“ lautet ihr Vorwurf. Das sollte nicht weiter verwundern. Der „liberale“ Spiegel bringt hier „nur“ den Klassenstandpunkt zum Ausdruck, dem das Magazin verpflichtet ist.
Sobald deutlichere Kritik am Kapitalismus oder den USA vorkommt, braucht es auch in der deutschen Linken nicht lange, bis der Vorwurf des „Antiamerikanismus“ oder gar der „Querfront“ auftaucht. Diesmal schoss Jutta Ditfurth eine Breitseite gegen das TTIP-Bündnis, welches sich angeblich nicht deutlich genug von rechten Demonstrierenden distanziert und eine offene Flanke am 10. Oktober gezeigt habe.

Doch die Kritik von Linken wie Ditfurth (und dem Spiegel) geht vollkommen an der Sache vorbei. Die überwiegende Mehrzahl der Demonstrierenden wandte sich zwar „nur“ gegen die Auswüchse des Kapitalismus, nicht gegen diesen selbst. Die mobilisierenden Großorganisationen und wohl auch die übergroße Mehrheit vertreten eine reformistische oder kleinbürgerliche Perspektive, die auf mehr „Regulation“, „Umverteilung“, Beschränkung des Großkapitals, Konsumentenschutz usw. setzt. Richtig ist sicher auch, dass die Benennung des US-Kapitalismus als treibende Kraft hinter TTIP und CETA manche zur Unterschätzung der Interessen des deutschen und EU-Imperialismus führt und glauben macht, dass das deutsche Kapital kein eigenes Interesse an TTIP hätte. Eine so „verkürzte“ Kritik ist jedoch verschieden von einem reaktionären, nationalistischen und völkischen „Anti-Kapitalismus“. Die Gleichsetzung der vorherrschenden reformistischen oder kleinbürgerlichen Ideologie bei der TTIP-Demo verharmlost in Wirklichkeit die nazistische oder völkische „Kritik“ am Kapitalismus.

Hinter jeder Kritik an den USA prinzipiell Antiamerikanismus zu vermuten und dadurch zu versuchen, eine Massendemo ins rechte Licht zu rücken, liefert außerdem Futter für die bürgerliche Presse und die Bundesregierung, die den Protest gegen TTIP damit verleumden können. Vor allem aber macht sie die Kritik an den wirklichen Schwächen der Bewegung und ihrer Führung stumpf, weil sie deren reformistischen Inhalt verfehlt, den sie vorgibt zu kritisieren.

Internationale Perspektive

In Wirklichkeit muss genau diese Kritik mit Vorschlägen kombiniert werden, wie die Bewegung voranzubringen wäre. Neben den Großdemos würden natürlich Basiskomitees und bundesweite/europaweite Bündnisse helfen, um vor Ort Widerstand aufzubauen und v.a. weitergehende Maßnahmen und Aktionen zu diskutieren. Gemeinsam mit anderen europäischen AktivistInnen wäre es z.B wichtig, europaweite Aktionen gegen TTIP durchzusetzen und den Kontakt auch zu den US-amerikanischen und kanadischen Gewerkschaften aufzunehmen.
Gegen die Macht der Konzerne, gegen den Abbau von Mitbestimmungsrechten, gegen Angriffe auf das Arbeits-und Sozialrecht brauchen die Beschäftigten nicht nur Appelle an die Politik - sie brauchen v.a. Kampfmaßnahmen der Klasse wie Streiks, Blockaden und Besetzungen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Kommentar von ARBEITERMACHT-INFOMAIL, Nummer 852, 25. November 2015,  www.arbeitermacht.de

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