Beiträge auf dem 21. Parteitag der DKP  

Jürgen Lloyd

12/2015

trend
onlinezeitung

Vorbemerkung [kamue]: Am 14./15. November fand in Hannover der 21. Parteitag der DKP statt. Die November-Ausgabe von TREND dokumentierte Texte aus dem Vorfeld des Parteitags sowie schwerpunktmäßig Stellungnahmen der Parteiminderheit, die gegen den Leitantrag des Parteivorstands gerichtet waren. Diese waren erstveröffentlicht auf deren Website www.kommmunisten.de. Ende November erschienen auf der Seite der Mehrheitsfraktion DKP-News, eine Auswahl von Redebeiträgen, die auf dem Parteitag im Hinblick auf den strittigen Leitantrag gehalten wurden. Wir spiegeln aus Gründen der Ausgewogenheit nun diese Beiträge, sofern sie nicht schon in der letzten-Ausgabe von TREND dokumentiert worden sind.

Der Genosse Hans-Günter Szalkiewicz hat in einem offenen Brief, der in der Zeitschrift T&P wiedergegeben wurde, eine bemerkenswerte Aussage getroffen, die wir m.E. in unserer ideologischen Debatte ernst nehmen sollten. Er spricht von den Auseinandersetzungen zwischen grundsätzlich unterschiedenen politischen Positionen in der DKP und fordert, den Kampf um eine Klärung der uns beschäftigenden Fragen konsequent zu führen.

Worauf es mir aber ankommt ist die folgende Aussage des Genossen: Er sagt nämlich, dabei gehe es nicht „um die Anerkennung des einen oder anderen marxistischen Leitsatzes […], sondern um eine Gesellschaftsanalyse auf marxistischer Grundlage, mit der die Strategie und Taktik der Partei für den praktischen politischen Kampf bestimmt wird.“ Ja, genau diese Erkenntnis kommt mir oft zu kurz in den Debatten!

Liebe Genossinnen und Genossen,

es ist ein Elend, wenn wir uns in der DKP dazu verleiten lassen, Debatten so zu führen, als würde es dabei um etwas gehen, von dem Marx in den Feuerbachthesen behauptet: „Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“ Es ist ein Elend, wenn wir Debatten so führen, als wenn es dabei um die Anerkennung von bestimmten Leitsätzen gehen würde, oder gar bloß um die eine oder andere Vokabel. Allen Genossinnen und Genossen, die mit einem so geführten Streit nichts anfangen können, kann ich nur sagen, dass sie Recht haben.

Und dennoch stimme ich dem Genosse Szalkiewicz zu, wenn er schreibt, dass nur, wenn wir den politisch-ideologischen Kampf führen, „die Lösung der existenziellen Probleme der Partei möglich“ sei. Ansonsten werden sich die Auseinandersetzungen weiterhin bloß lähmend auswirken.

Der Streit um den Begriff des Marxismus-Leninismus ist anscheinend ein solcher Streit, der isoliert von der Praxis geführt wird. Ich sage „anscheinend“, weil ich sehr wohl meine, dass es dabei um eine Frage der Praxis geht; um eine Frage die Bedeutung hat für jeden Infostand, jeden Schritt in unserer Bündnisarbeit, für unsere Betriebsarbeit und jegliches anderes Feld, auf dem wir politisch wirken. Es kommt aber darauf an, diesen Streit dann auch so zu führen, dass er als eine praktische Frage erkennbar wird!

Worin besteht also (zumindest meiner Ansicht nach) die reale Frage, um die es bei dem Streit geht, ob wir die Grundlage unserer Weltanschauung, unserer Politik und unseres Organisationsverständnis nun „Marxismus-Leninismus“ nennen sollen, oder ob wir sie die „Lehre von Marx, Engels und Lenin“ nennen?

Der ehemalige Bezirksvorsitzende von Rheinland-Westfalen, der Genosse Klaus Stein, hat bei verschiedenen Gelegenheiten folgende Argumentation vorgebracht: Er musste natürlich konstatieren, dass in unserem Programm steht: „Sie [die Partei] kämpft für die freie Verbreitung des MarxismusLeninismus.“ Klaus Stein hat sich nicht gegen diese Forderung gewandt, sondern erläutert, deswegen müssen wir uns aber ja noch lange nicht auch zum Marxismus-Leninismus bekennen, schließlich würde er ja auch für die freie Verbreitung des Islam eintreten, ohne sich zu dieser Religion bekennen zu wollen.

Der Gedankengang ist sicher zutreffend. Aber es steht nun mal – das wird ja auch Klaus Stein zugeben – nicht etwas vom Islam sondern eine Aussage zum Marxismus-Leninismus in unserem Programm. Ich fände es jedenfalls erschreckend, wenn ein Genosse dies nicht wahrnimmt, oder davon ausgeht, dies wäre nur aus Zufall so.

Doch genau dieses Bonmot von Klaus Stein, diese Art des Umgangs mit unseren Grundlagen, gibt m.E. einen Hinweis darauf, worum es in dieser Debatte eigentlich geht. Wer aus der Tatsache, dass in unserem Programm steht, wir kämpfen für die freie Verbreitung des Marxismus-Leninismus (und dass dort eben nicht steht: die des Islam!) – wer daraus keine Folgerungen zieht, sondern dies wie eine zufällige Beliebigkeit behandelt, der verhält sich unserer Weltanschauung gegenüber, wie etwas mehr oder weniger beliebiges. Die Programmaussage, unsere Partei „kämpft für die freie Verbreitung des Marxismus-Leninismus“ wird reduziert auf eine liberale Toleranzforderung nach freier Meinung. Genau hier – so scheint es mir – wird deutlich, worum es eigentlich geht im Streit um „Marxismus-Leninismus“ oder „Lehre von Marx, Engels und Lenin“.

Mir ist es ziemlich egal, welche Bezeichnung wir verwenden. Mir ist es aber nicht egal, ob wir von einem Parteiverständnis ausgehen, bei der unsere Grundlagen (egal welchen Terminus wir nun verwenden) lediglich als eine Meinung angesehen werden; von einem Parteiverständnis also, bei dem uns lediglich zusammenbringt, dass wir (zumindest vermeintlich) irgendwie das Gleiche wollen und die Gemeinsamkeit dann bloß noch durch das verbale Bekenntnis zum Programm hergestellt wird. Bei der wir als unsere Grundlagen nicht ein in sich schlüssiges theoretisches System verstehen, sondern – wie es bei den Verfassern der Thesen von 2010 versucht wurde – dieses in einem Baukasten von unterschiedlichen Theorien und Theoretikern aufzulösen.

Oder ob wir von einem Parteiverständnis ausgehen, welches sich bewusst auf eine wissenschaftliche Weltanschauung bezieht, darauf, dass wir die Welt für erkennbar und für planvoll veränderbar ansehen. Dass wir davon ausgehen, dass wir eine Strategie und Taktik für unsere gemeinsame Politik entwickeln können – und zwar nicht auf Basis von Meinungen sondern auf Basis von Gründen, die wir argumentativ vorbringen und über die wir dann auch streiten dürfen. Argumente, die wir gemeinsam an der Praxis prüfen können, eine Strategie, die wir mit den gemeinsamen Erfahrungen auswerten, verbessern oder korrigieren können. Sprich: Ob wir von einer wissenschaftlich begründeten Grundlage ausgehen, die uns verbindliche Aussagen über unsere Politik ermöglicht und ob wir die Kommunistische Partei als den Ort verstehen, in dem eine solche gesellschaftliche Praxis möglich ist.

Das erstere Verständnis, bei dem die Partei dadurch konstituiert wird, dass ihre Mitglieder irgendwie das vermeintlich Gleiche wollen, ist das bürgerliche Verständnis einer Partei. Eine solche Partei wird dann letztlich auch selber nur eine bürgerliche Partei sein können, eine pluralistische Sammlung von bestenfalls reformistisch engagierten Individuen.

Eine kommunistische Partei lebt davon, dass sie genau das nicht ist, sondern in der Lage ist, den Reichtum unserer Weltanschauung organisiert in Wirkung zu bringen. Margot Honecker hat in einem in der jW diese Woche abgedruckten Interview gesagt: „Es geht beim Marxismus-Leninismus um Weltanschauung, um eine Methode, die Welt zu erkennen, zu begreifen, nach welchen Gesetzen sie sich bewegt, damit man sich in dieser Welt orientieren kann.“

Die Kritiker dieses Begriffs fordere ich auf: Hört auf, den Marxismus-Leninismus als Ausgeburt des „Stalinismus“ zu verunglimpfen. Das ist entweder dumpfe Polemik, oder es ist eine Sicht auf unsere gemeinsame Geschichte, bei der Ihr Euch in der Tat von nahezu allen Genossinnen und Genossen distanzieren müsst, die diese mitgetragen haben: Von manchen von euch selber angefangen, bis zu Margot und Fidel; von Thälmann, Pieck, Dimitroff, Gramsci, Cunhal, von Max Reimann und Herbert Mies. Wenn ihr meint, deren Bekenntnisse zum Marxismus-Leninismus als „stalinistisch“ bezeichnen zu müssen, dann tut das – aber zieht eures Wegs und meint nicht, ihr würdet in der DKP eine Basis dafür finden.

(— hier musste der Beitrag wegen Ende der Redezeit abgebrochen werden —)

Von uns aber fordere ich: Lasst uns aufhören, uns in solche Scheindebatten verstricken zu lassen. Es geht nicht um die verwendete Vokabel und es geht nicht um die Anerkennung einzelner Lehrsätze.
Es geht darum, ob wir die Lehre von Marx, Engels und Lenin oder den Marxismus-Leninismus (egal welche Bezeichnung wir wählen) als verbindliche Grundlage, als eine in sich geschlossene – aber nicht abgeschlossene – Theorie verstehen, auf deren Basis wir mit Gründen unsere Politik entwickeln können. Es geht also darum, ob wir eine kommunistische Partei sind, oder ob wir das nicht sind.

Noch mal: Wenn uns diese Fragestellung klar ist, dann ist es mir egal, welchen Begriff wir verwenden werden. Wenn wir dies aber erst mit der Verwendung des Begriffs „Marxismus-Leninismus“ klären können, dann bin ich sehr dafür, diesen Begriff bewusst zu propagieren.

Quelle: http://news.dkp.suhail.uberspace.de/