Vorbemerkung/red. trend: Um den
Vormarsch der rechtsextremen FN zu verhindern, verzichtete
im 2. Wahlgang am 13.12. 2016 die Sozialistische Partei
in einigen Wahlkreise zu gunsten konservativer Kandidaten
auf die Aufstellung eigener Kandiaten. Die FN konnte
daraufhin keine einzige Region gewinnen. Dennoch bekam
die FN rund 6,6 Millionen Wählerstimmen - zum Vergleich:
bei den Präsidentschaftswahlen 2012 waren es rund
6,4 Millionen. In den nächsten Tagen werden wir
ausführlicher über diesen zweiten Wahlgang berichten.
Im ersten Durchgang der französischen
Regionalparlamentswahlen am 06. Dezember 2015 schnitt der
Front National (FN) als stärkste politische Kraft ab. Die
rechtsextreme Partei erhielt im landesweiten Durchschnitt
knapp 28 Prozent der Stimmen. Dieses Gesamtergebnis schließt
jedoch die französischen „Überseegebiete“ u.a. in der
Karibik mit ein. Auf das europäische Frankreich bezogen,
erhielt der FN im Durchschnitt 28,42 Prozent der Stimmen.
Die beiden „traditionellen“ großen
politischen Blöcke liegen nunmehr hinter dem Front
National. Die Bündnisliste von
konservativ-wirtschaftsliberalen Parteien, vor allem Les
Républicains – LR (ehemals UMP) und UDI - erhielt 27,3
Prozent und die regierende Sozialdemokratie mit
linksliberalen Verbündeten erzielte durchschnittlich 23,3
Prozent. Über Stimmenreserven vor der Stichwahl verfügt die
Sozialdemokratie noch bei Linken und Grünen. - Nach dem
Zusammenschluss mehrerer Regionen gibt es nun noch 13 neu
zu wählende Regionalparlamente, statt zuvor 22.
In mehreren
französischen Regionen kann die extreme Rechte sich
ernsthafte Aussichten darauf machen, ab dem kommenden
Sonntag (13. Dezember) die Regionalregierung zu übernehmen.
Ihre Hoffnungen konzentrieren sich dabei insbesondere auf
die nordostfranzösische Region Nord-Pas de Calais-Picardie,
in der rund sechs Millionen Menschen leben. Dort erhielt
die Liste, die durch die seit Anfang 2011 amtierende
Parteivorsitzende Marine Le Pen persönlich angeführt wird,
im ersten Durchgang 40,64 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Dicht dahinter folgt auch schon die Liste unter ihrer
Nichte, der 25jährigen Jurastudentin Marion Maréchal-Le
Pen, in Südostfrankreich (Provence-Alpes-Côte d’Azure) mit
nur wenigen Promillen Abstand und 40,55 %.
Um einen Wahlsieg der extremen Rechten
in der Stichwahl am kommenden Sonntag zu verhindern,
diskutieren beide großen
politischen Blöcke nun um den Rückzug der weniger gut
platzierten Listen im demokratischen Lager, um Dämme gegen
das Anwachsen des FN zu errichten. Doch die konservative
Rechte bügelte solche Fragen mittlerweile rigoros ab. Am
Sonntag Abend verkündete LR-Chef und Ex-Präsident Nicolas
Sarkozy, es werde weder einen Kandidatenrückzug noch
Listenverbindung mit der Sozialdemokratie geben, man ziehe
die eigenen Kandidaturen überall durch. Ihm widersprachen
Vertreter/innen des moderaten Flügels wie Nathalie
Kosciusko-Morizet („NKM“); diese wurden jedoch am Montag
Mittag im Parteivorstand haushoch überstimmt.
Die regierende Sozialdemokratie
verkündete hingegen noch am Sonntag Abend den Rückzug ihrer
Listen in Nordost- und in Südostfrankreich. Auch im „großen
Osten“ (Elsass, Lothringen und Champagne-Ardennen) wollte
die Parteiführung die, mit circa 16 zu 26 Prozent gegenüber
den Konservativen unterlegene, Liste ihrer Partei aus dem
Rennen nehmen. Doch dies verweigerte ihr dortiger
Spitzenkandidat Jean-Pierre Masserret bis zum
Redaktionsschluss. In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch
endet die Sperrfrist für die Abgabe, oder den Rückzug, von
Listenvorschlägen für den zweiten Wahlgang.
Auch in Ostfrankreich ist der FN
gefährlich stark angewachsen. Florian Philippot, er ist
auch Vizevorsitzender der Partei, erhielt dort gut 36
Prozent. Er gilt als Mann der Hinwendung des FN zu
„sozialen“ und wirtschaftlichen Themen, eher als ein
Anhänger rassistischer Klassiker. Doch im Wahlkampf warb er
zuletzt gezielt damit für sich, er werde alle Geldzahlungen
für Migranten einstellen und sie „für ältere Menschen
umwidmen“. Im Zuge der „Migrationskrise“ ab
August/September 2015 hatte sich dieses Thema in der
gesamten Partei als absolut beherrschendes Motiv
durchgesetzt.
Rassenbiologische Aussprüche
In dieser Hinsicht hatte Marine Le Pen
erhebliche Aufmerksamkeit erregt, als sie in einem Beitrag
für die Regionalzeitung La Voix du Nord (mit
Sitz in Lille, der Hauptstadt jener Region, wo sie antritt)
am 10. November 15 polarisierende Formulierungen wählte.
Unter der Rubrik „Gesundheitspolitik“ führte sie dort
folgende Gesichtspunkte aus: Sie werde „jegliche
bakterielle Einwanderung anprangern und ausmerzen“.
Denn, so fuhr sie fort, „die Krankenhäuser sehen
sich einem alarmierenden Anstieg ansteckender außereuropäischer
Krankheiten ausgesetzt, welcher mit dem Zustrom von
Migranten zusammenhängt“. Sie werde jedoch „diese
Gefährdung der Gesundheit unserer Landsleute nicht
hinnehmen“. ((Die Regionalzeitung La Voix du
Nord engagierte sich in der Folgezeit, in den
letzten acht bis vierzehnTagen vor der Wahl, sichtbar gegen
eine Wahl der FN-Spitzenkandidat an die Spitze der Region.
Dies brachte ihr z.T. hasserfüllte Reaktionen ein. Die
Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ zitiert in
ihrer Ausgabe für den Dienstag, 08. Dezember 15 Wähler vor
Ort, die die Auffassung kundtaten, „man hätte
Gewehrsalven nicht auf ,Charlie Hebdo’ abfeuern müssen,
sondern auf die ,Voix du Nord’“. Ansonsten drohte
Marine Le Pen ihr damit, „alle Subventionen der
Region“ für die Zeitung abzuschaffen, sollte sie
zur Regionalpräsident gewählt werden. Die Zeitungsredaktion
erhält jedoch keinerlei finanzielle Zuwendungen von der
Region. Subventioniert wird hingegen ein regionaler
TV-Sender mit regionalbezogener Berichterstattung, an dem
,La Voix du Nord’ 34 % der Anteile hält, in
Höhe v. 1,5 Millionen Euro jährlich.)
Durch
diese Äußerungen stieß
die Chefin des FN ziemlich direkt in das Horn eines im Kern
rassenbiologisch argumentierenden Diskurses, der
„Ausländer“ oder Minderheiten mit „Krankheiten am
Volkskörper“ gleichsetzt. Zwar ist nicht von der Hand zu
weisen, dass es eine Zunahme von Krankheiten
internationalen Ursprungs in manchen Kliniken gibt, welcher
jedoch – betrachtet man das reale, doch relativ
unbedeutende materielle Problem – viel mehr auch mit
internationalem Warenaustausch und mit Massentourismus
zusammenhängt als mit Zuwanderung. Für eine/n Vertreter/in
des Front National ist es jedoch nichts Neues, auf der
Klaviatur des rassenbiologisch unterfütterten Diskurses
über „Krankheit am Volkskörper“ zu schwadronieren. So hatte
Marine Le Pens Vater und Vorgänger im Parteivorsitz,
Jean-Marie Le Pen, in ähnlicher Weise vor allem im Zeitraum
1987/88 über HIV-infizierte Menschen als Problemkörper für
die Volksgesundheit geschwafelt und gewettert. Und 1992
verglich er die von ihm so genannten Altparteien
(respektive franZösisch: partis de l’établissement)
auf der Linken und auf der Rechten mit „der Wahl
zwischen AIDS und Syphilis“. Auch hier also
biologisierende Krankheitsmetaphern ohne Ende. Aus dem
Munde von Marine Le Pen hat es sich also, angesichts ihrer
langjährigen Vorgeschichte an der Seite ihre Vaters,
keinesfalls um einen irgendwie unschuldigen „Ausrutscher“.
Profil & Hintergründe
Die soziale
Demagogie wurde in den letzten Jahren, unter anderem bei
Marine Le Pen und Philippot, ansonsten zu einem der
Schlüsselthemen in der Partei. Doch seit dem Frühjahr 2015
und dem Stress mit dem Altvorsitzenden Jean-Marie Le Pen,
den man im August 15 nunmehr definitiv aus der Partei
drängte, ist diese Linie zunehmend unter innerparteilichen
Druck geraten.
Jean-Marie Le Pen
wurde zwar nunmehr der Stuhl vor die Tür gesetzt. Er rief
jedoch zur Wahl der Listen des FN (sogar ausdrücklich auch
zur Wahl jener seines frühren innerparteielichen
Intimfeinds Philippot) auf. Und er verspottete am Sonntag
Abend den konservativen Kandidaten Christian Estrosi –
Gegenkandidat seiner Enkelin Marion Maréchal-Le Pen - durch
eine Videobotschaft bei Twitter, wo man ihn mit orthodoxen
Juden tanzen sieht.
Altfaschist
Jean-Marie Le Pen opponiert nicht nur dagegen, dass seine
Partei sich offiziell vom Antisemitismus (zugunsten eines
vor allem anti-muslimischen Diskurses) verabschiedete. Er
bezeichnete die verfolgte etatistische Linie in der
Wirtschaftspolitik auch als „linkslastig“. Dies lieferte
wiederum die Steilvorlage für konservative Spitzenpolitik,
die dem FN gar vorwarfen, in wirtschaftlicher Hinsicht
„linksradikal“ zu sein. Infolgedessen erfolgten seit dem
Sommer 2015 wirtschaftsliberale Kurskorrekturen bei den
Auftritten von Marine Le Pen.
Nichtsdestotrotz behielt die
Parteichefin Aspekte starker sozialer Demagogie bei. Am
Montag, den 07. Dezember 15 zieh sie etwa ihren
konservativen Gegenkandidaten in Nordostfrankreich, den
früheren Arbeitsminister Xavier Bertrand, er wolle mit
seinen Vorschlägen zur Konditionierung von Sozialhilfe
(RSA) „eine Jagd auf Arme“ eröffnen. Eine
ebensolche betrieb jedoch Marine Le Pen in ihren
zurückliegenden Wahlkämpfen immer wieder. Eines der
Schlüsselelemente ihres Präsidentschaftswahlprogramms von
2012 war etwa „die Bekämpfung von Sozialbetrug“,
die es neben der Verdrängung von Einwanderern erlauben
würde, soziale Belange für die hart Arbeitenden zu
finanzieren.
Die Wählerschaft des FN im Norden und im
Süden Frankreichs ist nicht identisch. Im Nordosten und in
der Picardie bildet vor allem das durch die regierende
Sozialdemokratie, deren Regierungspolitik bis hin zur
Karikatur Kapitalinteressen unterworfen ist, hinterlassene
politische Vakuum jenen Raum, den der FN erfolgreich füllt.
Viele WählerInnen kommen hier aus den sozialen
Unterklassen, oft wählten sie früher einmal eine der
Linksparteien. Anders sieht es in Südostfrankreich aus.
Dort unterstützt eher eine Mischung früherer
Algeriensiedler (pieds noirs) an der
Mittelmeerküste, an die Sonne gezogenen wohlhabenden
Rentnern und reaktionären Mittelständlern den FN, vor dem
Hintergrund nostalgischer Erinnerung an die Kolonialkriege.
Beide Wählerschichten sind theoretisch nur schwer mit ihren
jeweiligen Interessen unter einen Hut zu bringen. Faktisch
hält die Mischung zusammen, so lange der FN den Einen und
den Anderen versprechen kann, die Krise im eigenen Land auf
Kosten der Ausländer und des Auslands zu lösen.
Zu einigen
Zügen des Wahlkampfs
Am Ende könnte die so oft wiederholte
Vorhersage vielleicht noch zur self fulfilling
prophecy geworden sein, also in Teilen selbst zu
ihrer Erfüllung beigetragen haben.. „Nach den
Attentaten befindet der Front National sich in einer
Stärkeposition“, so lautete die Hauptschlagzeile
der Pariser Abendzeitung Le Monde in ihrer
Ausgabe vom 25. November 15. Der Titel bezog sich natürlich
auf die Terrorattacken in Paris vom 13. November, die
mindestens 130 Tote und 350 Verletzte forderten. „Die
Attentate bilden ein Doping für den FN“ – mit
dieser Titelschlagzeile legte die Boulevardzeitung Le
Parisien am 26. Oktober d.J. nach.
In jedem Falle
trugen solche Überschriften, die an allen Zeitungskiosken
prangten, dazu bei, dass man sich vielerorts an den
Gedanken eines weiteren Aufstiegs der rechtsextremen Partei
gewöhnen konnte.
Zwischen den Pariser Mordanschlägen und
der Stichwahl vom kommenden Sonntag, den 13. Dezember d.J.
liegt genau ein Monat. Eine Zeit, die kurz genug ist, um
mit einer Auswirkung auf die Wahlergebnisse rechnen zu
können. Zumal in einer ersten Zeit nach den Attentaten der
(Vor-)Wahlkampf ausgesetzt wurde. Le Parisien
interviewte dazu die 25jährige Parlamentsabgeordnete Marion
Maréchal-Le Pen – eine Nichte der Parteivorsitzenden Marine
Le Pen -, die Mühe hatte, sich in ihrem Triumphalismus
zurückzuhalten.
Es stimme, führt die junge Juristin aus,
dass die wahlpolitische Dynamik des Front National durch
die mörderischen Attentate zugenommen habe: „Ganz
einfach deswegen, weil das Realitätsprinzip für uns
spricht: wir hatten Recht über die Notwendigkeit der
Bewahrung von Grenzen, wie darin, den Kampf gegen den
radikalen Islam zur Priorität zu erheben. Also profitieren
wir von der Situation.“ Um den Gedanken im letzten
Satz auszudrücken, benutzte Marion Maréchal-Le Pen eine
Redewendung (tirer son épingle du jeu), die
nicht direkt ins Deutsche übersetzt werden kann, aber
sinngemäß nahe an dem Gedanken
liegt, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Um nicht
allzu direkt den Eindruck zu erwecken, die extreme Rechte
freue sich in Wirklichkeit – aus politischen Gründen - über
die Bilanz der Attentate, fügt die Abgeordnete dann im
Nachsatz noch hinzu: „Ohne den Zynismus so weit zu
treiben, einen Vorteil daraus schöpfen zu wollen. Es ist
nur eine Feststellung.“ Trauer hört sich allerdings
anders an.
Der Front
National nahm seinen Wahlkampf offiziell am 23. November 15
wieder auf, mit einer Veranstaltung von Marine Le Pen in
Amiens. Die regierende Sozialdemokratie dagegen sagte
weiterhin alle öffentlichen Veranstaltungen bis nach der
nationalen Trauerfeier am 27. November d.J. offiziell ab
(hielt allerdings auf den Wahlkampf bezogene Treffen in
Privatwohnungen ab). Viel Zeit für Vorwahldebatten blieb
damit also nicht übrig. Auch der inhaltliche Charakter des
Wahlkampfs hatte sich nun verändert. Absolut im Vordergrund
stand nunmehr nämlich die Thematik „Innere Sicherheit“
respektive „Terror“.
Das ist einerseits menschlich
verständlich, nach dem Grauen von Paris, und andererseits
dennoch politisch vollständig irrational. Denn die Regionen
haben im französischen Staatsaufbau – verglichen mit den
deutschen Bundesländern - nur begrenzte Vollmachten, und
die Ausrüstung und die Augabendefinition von Polizei oder
Nachrichtendiensten zählen nicht dazu. Diese werden
ausschließlich auf nationaler
Ebene geregelt. Regulierungsspielraum haben die
französischen Regionen dagegen im Bereich der öffentlichen
Transportmittel, in Teilen der Bildungspolitik (vor allem
bei der beruflichen Fortbildung sowie bei der
Instandhaltung von Schulgebäuden, die schulischen
Lehrprogramme sind dagegen eine zentralstaatliche Aufgabe),
im Wohnungsbau und zum Teil im Umweltschutz sowie bei der
Kulturförderung.
Debatten zu diesen Themen bewegten die
Wählerinnen und Wähler schon vor den Attentaten nicht
sonderlich. Die französische Gesellschaft hat sich in den
letzten Jahren weitgehend entpolitisiert: Unmut über die
allgemeine wirtschaftliche Lage, die vermeintliche Ohnmacht
der politischen Klassen und die Bilanz der bisherigen
Links- wie Rechtsregierungen, aber auch das – im Vergleich
zur Vergangenheit – schwache Vertrauen in Gewerkschaften
und soziale Bewegungen spielen zusammen. Es bleibt die
Möglichkeit, ein Votum abzugeben, das in erster Linie
„Ihr kotzt mich alle an!“ bedeute, wie Le
Monde es am 07. November 15 resümierte. Unter dem
Titel „Eine vergiftete Wahlkampagne“ ließ
die Zeitung damals mehrere Wahlkämpfer zu Wort kommen, die
konstatierten, dass die Stimmbürger sich kaum noch für ihre
Inhalte interessieren. Den konservativen Abgeordneten
Thierry Solère zitierte sie mit folgender Beobachtung über
das Stimmverhalten vieler Menschen, wie es sich aus seiner
Sicht darstelle: „Ich wurde in meinem Auto vom Radar
geblitzt? Ich wähle FN! Meine Frau betrügt mich? Ich wähle
FN! Meinem Unternehmen geht es nicht gut? Ich wähle FN!“
Wenige Tage später kamen dann noch die
Attentate hinzu. Seitdem hatte die Terrorproblematik großen
Platz auch in der angeblichen Wahldebatte eingenommen, auch
wenn über dieses Thema am 06. und 13. Dezember 15 gar nicht
wirklich abgestimmt wird. In einer Umfrage für Le
Parisien unter Einwohnerinnen und Einwohner der
Pariser Großregion Ile-de-France
nannten etwa 52 Prozent der Befragten das Thema
„Terrorismus“ als wichtigstes Thema für ihre Region. Es
rangierte deutlich vor allen anderen Themen – seien es der
Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen (33 %), der
Umweltschutz (17 %) oder, trotz manifester Wohnungsnot
gerade im Pariser Raum, die Frage des Wohnungsbaus (von 14
% aufgezählt). Dies versprach ein weitaus eher ideologisch
bestimmtes oder symbolpolitisch aufgeladenes, denn ein von
rationalen Sachentscheidungen diktiertes Wahlverhalten.
Der Pariser Raum
ist, aufgrund der soziologischen Zusammensetzung der
Bevölkerung – begonnen bei einer Flucht der Unterklassen
aus dem überteuerten Zentrum, während der FN in sozialen
Unterklassen überdurchschnittliche Wähleranteile aufweist,
bis zur relativ starken ethnischen „Durchmischung“ – in den
letzten Jahren kein leichtes Pflaster für den FN. Dennoch
stiegen die Wahlabsichten für seinen Spitzenkandidaten
Wallerand de Saint-Just auch hier bis auf 25 Prozent.
Allerdings erhielt die Liste unter de Saint-Just dann am
Wahlabend „nur“ gut 18 %. Die Pariser Region bleibt also
politisch in dieser Hinsicht ein Sonderfall, welcher für
den Front National eher ungünstig ausfällt.
Noch wesentlich stärker punkten konnten
bereits bei Umfragen vor dem Wahltag Marine Le Pen in
Nordostfrankreich, die dort selbst als Spitzenkandidatin in
der neuen Großregion Nord-Pas de
Calais-Picardie antritt, und Marion Maréchal-Le Pen in
Südostfrankreich. Beiden wurden je 40 bis 41 Prozent der
Stimmen vorhergesagt. Insofern waren die Wahlergebnisse
tatsächlich auch konform zu den Stimmabsichten in den
Vorwahlumfragen.
Vor allem Parteichefin Marine Le Pen
werden wirklich realistische Chancen zuerkannt, die nächste
Regionalpräsidentin in Nordostfrankreich zu werden. Auch
nachdem die beiden anderen großen
politischen Blöcke nun nicht gegeneinander antreten, weil
die Sozialdemokratie ihre Liste in der Region für die
Stichwahl zurückzog. Für einen solchen Falle
prognostierzten Umfragen Marine Le Pen jedoch seit längerem
dann 52 Prozent der Stimmen, gegen 48 für den konservativen
Ex-Arbeitsminister Xavier Bertrand. Ob es nun wirklich so
kommt, wird sich dann am kommenden Sonntag erweisen müsxen.
Der Front
National wartete im Übrigen nur auf eine sich bietende
Gelegenheit, um einmal mehr die „Altparteien“ dafür
denunzieren zu können, dass sie ohnehin keine inhaltlichen
Unterschiede mehr aufwiesen und nur ihre Pfründe
abzusichern suchten – auch, indem sie „widernatürliche“
Bündnisse eingingen. Besonders in dieser von Armut und
Entindustralisierung geprägten Region in Nordostfrankreich,
die knapp sechs Millionen Einwohner aufweist, kommt eine
solche Argumentation an, vor dem Hintergrund einer
weitverbreiteten Entfremdung vom politischen Establishment.
Hingegen dürften die Wahlchancen von Marion Maréchal-Le Pen
in Südostfrankreich ein bisschen stärker dadurch
beeinträchtigt werden, dass sie nunmehr nur noch eine Liste
gegen sich stehen hat, statt ihrer zwei (die Konservativen
erhielten im ersten Durchgang rund 28 Prozent, die
Sozialdemokratie gut 15 Prozent).
Wahlplattform
In ihrem
Wahlprogramm, das sie am 23. November 15 in Amiens
vorstellte – die ursprünglich am 14. desselben Monats
geplante Präsentation war aufgrund der Anschläge verschoben
worden – verspricht Marine Le Pen unter anderem, keine
schweinefleischlosen Auswahlmahlzeiten mehr in
Schulkantinen der Region anzubieten. Dies richtet sich
natürlich in allererster Linie gegen schulpflichtige Kinder
aus moslemischen Familien. Alle Subventionen der Region für
Vereine oder Initiativen, die „Ausländer unterstützen“,
sollen ersatzlos eingespart werden. Ferner sollen die durch
die Region erhobenene Steuern abgesenkt werden.
Während ihr Programm relativ stark auf
Diskriminierung ausgerichtet ist, bemühte Marine Le Pen
sich in ihrem ersten Wahlkampfauftritt nach den Attentaten,
eben am 23. November in Amiens, um eher moderat klingende
Töne. Sie war sogar bereit, zwischen Muslimen zu
differenzieren und ihnen nicht pauschal die Attentate
anzulasten: „Unser Feind ist nicht eine Religion,
sondern die sektiererischen Strömungen, die sich auf sie
berufen: Salafismus und Wahhabismus.“ Umso
schärfere Töne schlug sie bereits zwei Tage später erneut
in Hayange (Lothringen) an, wo sie den Spitzenkandidaten
für Ostfrankreich Florian Philippot unterstützte. Le Pen
und Philippot forderten dort ein sofortiges Ende der
Zuweisung von Asylsuchenden an französische Gemeinden und
eine rabiate Grenzschließung als
angebliche Antwort auf die Anschläge. Marine Le Pen
forderte ferner in Interviews auch die Möglichkeit,
verdächtige Migranten noch im laufenden, nicht
abgeschlossenen Asylverfahren abschieben zu können.
Marion Maréchal-Le Pen rief ihrerseits
durch mehrere Interviews Aufsehen hervor. In einem von
ihnen erklärte sie am 21. November 15 gegenüber der
rechtsextremen und katholischen Tageszeitung Présent
rundheraus, es sei klar, „dass Muslime in Frankreich
nicht genau denselben gesellschaftlichen Stellenwert
einnehmen können wie die katholische Religion“. Am
26. November d.J. wurde ein anderes Interview bekannt, in
welchem sie ankündigt, im Falle ihrer Wahl an die Spitze
der Region werde sie den planning familial-Zentren
– die Beratung bei Schwangerschaftsabbrüchen, aber auch bei
Verhütungsfragen anbieten – alle öffentlichen Zuwendungen
streichen; aber auch Vereinigungen, die für die Rechte von
Homosexuellen kämpfen. Nach ihren Worten ging es Marion
Maréchal-Le Pen dabei darum, „aus der Ideologie
herauszukommen“. Es dürfte nicht die letzte
paradoxe Ankündigung gewesen sein.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten
den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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