Burundi: Risiko eines Gemetzels?

von Bernard Schmid

12/2015

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Es klingt ungemein beruhigend, wenn eine Regierung versichert: „Wir sind sicher, dass es weder Krieg noch Völkermord in unserem Land geben wird“, man werde dies „nicht zulassen“. Diese Worte richtete der Kommunikationsbeauftragte des Präsidentenamts von Burundi, Willy Nyamitwe, am 07. November 15 an die so genannte internationale Gemeinschaft. Er reagierte damit auf die wachenden Besorgnisse, die seitens mehrerer Staaten bezüglich der Risiken extremer Gewalt in dem ostafrikanischen Land mit zehn Millionen Einwohner/inne/n vorgetragen wurden. Und die auch nach wie vor laut werden.

Ende Oktober d.J. hatte der Präsident des Senats – des parlamentarischen Oberhauses -, Révérien Ndikuriyo, angedroht, die so genannten oppositionellen Stadtteile der Hauptstadt Bujumbura zu „pulverisieren“, falls die Proteste ihrer Einwohner/innen gegen das Regime von Präsident Pierre Nkurunziza nicht aufhörten. Nkurunziza hatte sich - wie er Ende April erstmals offiziell ankündigte -, über die Verfassung seines Landes hinweggesetzt, die ihm eine weitere Amtszeit verboten hätte. Er unterzog den Text nun einfach einer „Neuinterpretation“, derzufolge er sich eben doch um neues Mandat bewerben konnte. Bei einer allgemein als Farce betrachteten Präsidentschaftswahl im Juli 2015 ließ er sich daraufhin formal im Amt bestätigen. Die Opposition, sofern sie sich im Lande überhaupt noch zu äußern vermag, und geflohene Burunder lassen seitdem in ihrer Kritik nicht nach.

Scheinbar nebenbei benutzte der Senatspräsident auch den Ausdruck, man könne die Bevölkerung des Landes auch „zum Arbeiten“ aufrufen. In der Region versteht man jedoch die Formulierung sehr deutlich, denn sie wurde während des Völkermords an den Tutsi – sowie oppositionellen Angehörigen der Hutu-Mehrheitsbevölkerung – im Nachbarland Rwanda im Frühjahr 1994 benutzt, um die Tätigkeit der mordenden Milizen, Soldaten und Zivilisten zu bezeichnen.

Ebenso wie die Bevölkerung Rwandas besteht auch jene Burundis aus rund fünfzehn Prozent Tutsi und über 80 Prozent Hutu. Beide Länder bildeten früher eine administrative Einheit, als sie unter der Bezeichnung „Urundi-Ruanda“ in die damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika eingegliedert wurden. Später übernahm Belgien nach dem Ersten Weltkrieg, und der Niederlage Deutschlands, die Herrschaft über die beiden Territorien und verwaltete sie zusammen mit dem so genannten Belgisch-Kongo (heute Demokratische Republik Kongo).

Beide Kolonialmächte waren, im Sinne der damals vorherrschenden Ideologie, sehr um die Identifikation von „Ethnien“ und „Rassen“ unter den afrikanischen Bevölkerungen bemüht. Im Falle Rwandas und Burundis lag eine Besonderheit darin, dass vormalige soziale Rangbezeichnungen – in einer Art von durchlässigem Kastensystem – durch die europäischer Forscher und Verwalter als vermeintliche Rassenmerkmale aufgefasst wurden. Zum „Tutsi“ wurde etwa per Verwaltungsakt erklärt, wer in der alten Ordnung mehr als zehn Rinder besaß. Denn man glaubte, die Tutsi bildeten ein aristokratisches Kriegervolk, die Hutu dagegen eine stumpfsinnige Bauernmasse. Soziale Unterschiede wurden dadurch rassifiziert, was dazu beitrug, die Grundlage für Jahrzehnte langen, rassenideologisch unterfütterten Hass zu schaffen. In Rwanda mündete die Situation schon kurz vor der Unabhängigkeit 1962 in ein System, in dem die Tutsi systematisch diskriminiert wurden.

Hingegen behielten in Burundi bisherige Tutsi-Eliten die Macht, die noch bis mindestens in die neunziger Jahre hinein ungebrochen blieb. Pierre Nkurunziza hingegen kam als Hutu-Nationalist und angebliches Sprachrohr seiner ethnischen Bevölkerungsgruppe an die Macht. Als zynischer Machtpolitiker spielt er sicherlich heute eher mit der Symbolik und der Ideologie des Hutu-Nationalismus, als dass er sich primär von ideologischen „Überzeugungen“ leiten ließe.

Hutu-nationalistische Medien weisen zwecks Abwehr von Vorwürfen einer Genozid-Vorbereitung, wie sie nun seit Wochen aus Kreisen der Opposition kommen, darauf hin, er arbeite auch mit Tutsi etwa unter den höheren Polizeifunktionären zusammen. Die zu dieser Strömung gehörende Zeitung The Rwandan schreibt dazu am 15. November: „The man planning for genocide against Tutsi, surrounding himself with Tutsi?!“, auch wenn sie die betreffenden Personen nicht einmal namentlich zitiert. Zugleich zieht die Zeitung eine Paralle zu den Pariser Terrorattacken zwei Tage zuvor und ihrer internationalen Verurteilung, um zu behaupten, auch Präsident Nkurunziza bekämpfe doch auch nur „lokale Terrorzellen“. Die Regierung selbst vergleicht ihre Opponenten mit den islamistischen Shebab-Milizen in Somalia, mit denen es in Wirklichkeit natürlich keinerlei Gemeinsamkeit gibt.

Die Präsenz von Tutsi in der Polizei und unter Armeeoffizieren geht allerdings nicht auf eine Entscheidung des Präsidenten zurück, sondern ist ein Ergebnis der Vereinbarungen von Arusha aus dem Jahr 2000. Das damals in der tansanischen Stadt geschlossene Abkommen sollte den „schleichenden Bürgerkrieg“ seit 1993, in dem 300.000 Menschen – sowohl Hutu als auch Tutsi – getötet wurden, beenden. Zugleich baut das Regime seit über einem Jahr eine aus vorwiegend jungen und männlichen Hutu bestehende Miliz auf, die Imbonerakure, die vielen Menschen in Burundi Furcht einflößen. Viele Gewalttaten seit dem Beginn der Proteste im April gehen auf sie zurück, und die Milizen begleiten Polizeikräfte bei Strafexpeditionen in missliebige Stadtteile.

300 Menschen wurden in den letzten Monaten auf offener Straße getötet. Über 200.000 Burunder/innen flohen mittlerweile in die Nachbarländer. Die Opponenten gegen das Regime von Präsident Nkurunziza finden sich unter Hutu ebenso wie unter Tutsi. Doch die Regierung versucht aus taktischen Gründen, den Protest vollständig zu ethnisieren und als Angelegenheit einer Tutsi-Minderheit zu identifizieren.

Auch der „Minister für öffentliche Sicherheit“, Alain-Guillaume Bunyoni, rief Anklänge an die Völkermord-Vergangenheit der Region hervor, indem er Anfang November unter Anspielung auf die Bevölkerungsmehrheit der Hutu erklärte: „Falls die Sicherheitskräfte versagen, dann hätten wir neun Millionen Bürger, bei denen es genügen würde zu sagen: Tut etwas! In einigen Minuten wären sie vor Ort. Wer von denen, die sich dann nicht fügen, würde in einem solchen Fall überleben?“ Diese Äußerung begleitete ein Ultimatum von Präsident Nkurunziza, der die von Oppositionskräften dominierten Stadtviertel in Bujumbura drohend aufforderte, bis zum ersten Samstag im November (07.11.15) „ihre Waffen niederzulegen“.

In der Nacht, die auf das Ablaufen des Ultimatum folgte, drangen starke Polizeikräfte in „oppositionelle“ Wohnviertel ein und umstellten am frühen Morgen des Sonntag, den 08. November d.J. den Stadtteil Mutakura im Norden der Hauptstadt. Im Süden von Bujumbura attackierten Bewaffnete eine von Oppositionellen besuchte Kneipe, in der neun Menschen ums Leben kamen – Regierungsanhänger schoben den Mord jedoch angeblichen „Terroristen“ in die Schuhe. Zur selben Zeit leerten sich jene Viertel, in denen tatsächlich eher Tutsi wohnen, rund um das Ende des Ultimatums von ihren Bewohnern.

International hat das Verhalten des burundischen Regimes Reaktionen hervorgerufen. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte etwa am 06. November 15: „Die Nachrichten der letzten Tage aus Burundi beunruhigen mich sehr. Immer weiter eskalierende Gewalt und hasserfüllte öffentliche Äußerungen verantwortlicher Politiker in Bujumbura bergen das Risiko einer völligen Destabilisierung. Die Lage weckt schlimmste Erinnerungen an schreckliche Bürgerkriege und Massaker.“ Die US-Administration warf ihrerseits zur selben Zeit den Verantwortlichen „eine Sprache des Horrors, wie die Region ihn seit zwanzig Jahren nicht gekannt hat“, vor.

Frankreich legte daraufhin dem UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf vor, der das Regime mit Nachdruck zur innenpolitischen Abrüstung und zum „Dialog“ mit der Opposition auffordert. Sanktionen gegen Verantwortungsträger sind in dem Beschluss, der am 12. November 15 im Sicherheitsrat gefällt und einstimmig angenommen wurde, allerdings keine vorgesehen. Aus Rücksicht auf Staaten der Afrikanischen Union, in denen autoritär regierende Präsidenten keinen Präzendenzfall für eine Einmischung in ihre „inneren Angelegenheiten“ schaffen möchten. Aber auch auf Russland, das einmal mehr Sanktionen gegen Machthaber in einem Land als ein unpassendes Mittel bezeichnete.

Mehrere Staatschefs der Region planen ihrerseits, sich über „ihre“ Verfassungen hinwegzusetzen und diese zu manipulieren. Der Präsident der Republik Kongo, Denis Sassou Ngessou, hat es nach einem Pseudo-Referendum vom 25. Oktober 15 bereits hinter sich. Und jener des Nachbarlands Demokratische Republik Kongo, Joseph Kabila, dürfte es noch vor sich haben. Allerdings wird es auch den Staatsoberhäuptern der Region offensichtlich mulmig bei den Vorgängen in Burundi. Die „Internationale Konferenz für die Großen Seen“ (CIRGL) schloss in der dritten Novemberwoche 2015 ihre Niederlassung in Bujumbura.

Das dortige Regime fährt unterdessen mit seiner repressiven Eskalationspolitik fort. Am 23. November 15 kündigte das Innenministerium an, die Aktivitäten von „Organisationen der Zivilgesellschaft“ – wie etwa Menschenrechtsvereinigungen – würden „eingefroren“, denn die Justiz ermittele zu „ihrer Rolle in den begangenen Verbrechen“. Ein Sohn des prominenten Menschenrechtlers Pierre-Clavier Mbonimpa wurde am 06. November dieses Jahres tot aufgefunden, kurz nachdem er durch Polizisten mitgenommen worden war. Sein Vater erholt sich derzeit in Brüssel von einem Mordversuch, den er im August 2015 erlitt.

Nicht alle Oppositionellen gehen ausschließlich mit friedlichen Mitteln vor, denn viele von ihnen glauben, ohne Gewalt lasse Nkurunziza nicht aufhalten. Am 26. November 15 entging der Präsidentenberater und Abgeordnete Zénon Ndaruvukanye einem Attentatsversuch, sein Leibwächter wurde getötet. Anfang August 2015 verlief ein Anschlag auf den General Adolphe Nshimirimana, der als Schlüsselfigur der Repression galt und zehn Jahre lang den berüchtigten Nachrichtendienst La Documentation leitete, erfolgreich und tödlich. (Neben „General Adolphe“ kamen auch mehrere Leibwachen zu Tode.) Es wird vermutet, dass Armeeangehörige im Inneren der Streitkräfte an der Vorbereitung bewaffneter Aktionen beteiligt waren, zumal diese mitunter professionell durchgeführt wurden.

Auch halten sich Gerüchte über das angebliche militärische Training von geflohenen Burundern in Flüchtlingslagern in Rwanda. Diese Behauptungen werden beständig durch hutu-nationalistische Medien wie La Tribune franco-rwandaise ausgebreitet, um das seit dem Ende des Genozids 1994 von Tutsi regierte Rwanda immer wieder der „Destabilisierung“ Burundis anzuklagen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR erklärte sich in der ersten Oktoberwoche 2015 besorgt über Nachrichten bezüglich einer solchen Ausbildung in Flüchtlingslagern auf rwandischem Boden. Sein Amtsleiter in Rwandas Hauptstadt Kigali, Saber Azal, dementierte jedoch: Er habe keine Hinweise auf die Richtigkeit solcher Behauptungen. Die US-Administration forderte ihrerseits die rwandische Regierung zu einer ernsthaften Untersuchung solcher Vorwürfe auf.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.

Ausführliche & leicht überarbeitete Fassung eines Artikels, den am 03. Dezember 2015 die Wochenzeitung ‚Jungle World’ in gekürzter Fassung veröffentlichte.

Seit 2009 berichtet Bernard Schmid über Burundi für unsere Zeitung.