Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Konservative: François Fillon gewinnt die erste Runde der „Vorwahl“ (20. November 16)

12/2016

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Nicht immer gehen komplizierte Strategien auf, die „von hinten durch die Brust ins Auge“ zielen. Und so blamierten sich am vergangenen Sonntag, den 20. November 16 auch einige Prognosen, die auf weitaus „übertaktierenden“ Herangehensweisen beruhten. Die viel vorhergesagte Überraschung blieb aus, oder sie fiel anders aus als von vielen Beobachtern erwartet, als das konservativ-wirtschaftsliberale Lager in Frankreich über die Nomierung seines nächsten Präsidentschaftskandidaten abstimmte.

Angesichts des katastrophalen inneren Zustands der regierenden Sozialdemokratie ist wahrscheinlich, dass der nomierte Bewerber nach der Wahl vom 23. April und 07. Mai 2017 auch das nächste Staatsoberhaupt sein wird. Der Name des Kandidaten wird nach der Stichwahl der konservativen Basis am kommenden Sonntag, den 27. November d.J. feststehen.

Mitte der Woche sah es so aus, als dürfte sich dann der frühere Premierminister François Fillon – er bekleidete das Amt des Regierungschefs von 2007 bis 2012, unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy – gegen Alain Juppé durchsetzen. Juppé war von 1995 bis 1997 ebenfalls Premierminister und amtierte zu Anfang dieses Jahrzehnts kurzzeitig als Außenminister. Von einer Erneuerung des politischen Führungspersonals kann also eher nicht die Rede sein. Altpräsident Sarkozy, der es für 2017 gerne „noch einmal wissen wollte“, und drei andere männliche Bewerber sowie eine Bewerberin schieden nach der ersten Runde der Vorwahl am vorigen Sonntag aus dem Rennen. Fillon erhielt dabei über 44 Prozent der Stimmen, Juppé erzielte 28,6 Prozent, und Sarkozy blieb unterhalb der 21 Punkte hängen.

Viele Spekulationen schossen dabei im Vorfeld ins Kraut. Viele Anhängerinnen und Anhänger der Sozialdemokratie oder der Linkskräfte würden an der konservativen Vorwahl teilnehmen, hieß es, um den als polarisierender Hetzer auftretenden Sarkozy als Kandidaten zu verhindern. Im Frühherbst 2016 behaupteten Umfragen, zehn Prozent der Wählerinnen und Wähler François Hollandes oder linker Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl 2012 beabsichtigten, dies zu tun. Ihre Stimmen würden überwiegend Alain Juppé als dem moderatesten Kandidaten zukommen.

Allerdings wurde gleichzeitig ebenfalls darüber spekuliert, andere sozialdemokratische Wähler würden auf dem selben Wege eher Sarkozys Kandidatenkür favorisieren, um im gegnerischen Lager eine abschreckende Figur aufzubauen - und mit ihrer Hilfe indirekt die eigene Anhängerschaft doch noch zu mobilisieren. Auch 13 Prozent der Anhängerschaft des Front National (FN), verlautete im September 16, beabsichtigten eine Teilnahme. Ihre Stimmen, mutmaßten die Demoskopen, würde eher Sarkozy zugute kommen. Nicolas Sarkozy spuckte tatsächlich außerordentlich rechte Töne. Er griff den, vom eher moderat auftretenden Alain Juppé vertretenen Slogan der identité heureuse (wörtlich „glückliche Identität“, gemeint war ein entkrampftes Konzept der „nationalen Identität“, das Religions- und ähnliche Konflikte zu vermeiden sucht) äußerst scharf an – und brachte ihn direkt mit terroristischen Attacken auf Frankreich in Verbindung. // Vgl. etwa http://www.lepoint.fr/ und http://www.rfi.fr/ oder http://www.la-croix.com/sowie http://www.huffingtonpost.fr/// Andernorts ließ Sarkozy sich höhnisch über die Vorstellung, Rechtsstaatlichkeit sei auch in Zeiten des Terrorismus zu respektieren, aus // vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com // - und veranlasste sein Publikum bei einer Großveranstaltung dazu, in diesem Zusammenhang „die Juristen, die Experten, den Rechtsstaat“ auszupfeifen. // Vgl. http://www.bfmtv.com In erster Linie jedoch trat er als Lautsprecher einer ominösen „nationalen Identität“ auf; vgl. http://www.20minutes.fr/ Nun fiel Sarkozy jedoch, für ihn selbst reichlich unerwartet, als Kandidat durch den Rost...

In Wirklichkeit dürften sich die Motive einer rein taktischen Stimmabgabe durch Wähler/innen der Sozialdemokratie oder aber der Neofaschisten bei der konservativen Vorwahl kaum bemerkbar gemacht haben. Entweder hoben sich die widerstreitenden Beweggründe – eine strategische Stimme für oder gegen Sarkozy – gegenseitig auf, oder aber die Akteure gingen in der Masse der Abstimmenden einfach unter. Rund vier Millionen Personen beteiligten sich an der Vorwahl im konservativ-wirtschaftsliberalen Bürgerblock. Dies zeigt zumindest, dass dieses politische Lager über eine reale gesellschaftliche Basis verfügt.

In den letzten beiden Wochen vor der Vorwahl deutete sich François Fillons Sieg in den Umfragen bereits an. Dies hängt auch damit zusammen, dass er in den drei TV-Debatten, die im Oktober und November 16 unter den insgesamt sieben Kandidaten ausgetragen wurden und über fünf Millionen Zuschauer/innen erreichten (die letzte Runde gar über sieben Millionen), als der seriöseste auftrat. Beharkten sich die anderen oft untereinander mit persönlichen Vorwürfen, so blieb Fillon von der Form her gelassen und legte den Schwerpunkt auf sein Programm.

Nun die schlechte Nachricht: Dieses Programm hat es in sich. Und es verspricht jedenfalls für die abhängig Beschäftigten, die einer Lohnarbeit oder einer Beschäftigung im Staatsdienst nachgehen, aber auch für Erwerbslose oder für in Frankreich lebende Migranten keine angenehme Zukunft.

François Fillon erklärte in jüngster Zeit die vormalige britische Premierminister Margaret Thatcher zu seinem politischen Vorbild, und absolvierte zu diesem Zweck im Juni 2014 und im Juni 2015 politische Aufenthalte in London. // Vgl. http://www.lemonde.fr/ // Die britische „Eiserne Lady“ zählte bis dahin für französische Konservative eher nicht zu den politischen Leitbildern, da der Gaullismus jedenfalls vom theoretisch erhobenen Anspruch her eine wesentlich „sozialere“ Komponente umfasst. Just François Fillon wurde selbst auch Jahre lang – als er noch bürgerlicher Provinzpolitiker im westfranzösischen Bezirk Sarthe war – zum Lager des sogenannten gaullisme social gezählt, also zum „sozial sensiblen“ Teil oder Flügel des historischen Gaullismus (von dem faktisch heute nichts übrig ist). // Vgl. http://www.lejdd.fr und http://www.challenges.fr // Als dessen Wortfüher hatte in den 1980er und frühen 1990er Jahren der mittlerweile verstorbene Philippe Séguin gegolten, einer der Anführer des bürgerlich-konservativen „Nein“ zum Maastricht-Vertrag im Vorfeld der französischen Abstimmung vom 20. September 1992. Allerdings hinderte dies Séguin zu seiner Lebzeit nicht daran, etwa als Arbeitsminister in der aggressiv wirtschaftsliberalen Regierung des damaligen Premierministers Jacques Chirac (1986 bis 88) zu amtieren und in dieser Funktion eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten durch die Loi Séguin umzusetzen.

Fillon stellt heute einen „Schock“ im Sinne einer so genannten Angebotspolitik in Aussicht. Diese soll die Unternehmen von so genannten Belastungen aller Art freimachen, ihre Profitrate drastisch steigern und dadurch eine angebliche positive Spirale in Gang setzen. Fillon möchte 500.000 Stellen für Staatsbedienstete wegsparen – bei Juppé sind es „nur“ 300.000 - und zugleich die Arbeitszeit der verbleibenden Staatsangestellten von 35 auf 39 Stunden wöchentlich erhöhen, Überstunden nicht eingerechnet. Am Montag Abend (den 21. Nov. 16) erklärte Juppé deswegen: „Das Programm François Fillons ist von großer sozialer Brutalität“, doch auch er ist keineswegs ein Waisenknabe.

Fillon woll ferner die derzeit geltende Regelarbeitszeit restlos abschaffen. Als gesetzliche Schutzregel will Fillon nur die im EU-Recht verankerte 48-Stunden-Woche beibehalten. Daneben wirkt das Programm Alain Juppés, der „nur“ von der 35- zur 39-Stunden-Woche als theoretischer Regelarbeitszeit übergehen möchte, geradezu gemäßigt. – Auch die Rechte der Erwerbslosen auf Arbeitslosen-Unterstützung will François Fillon, soll man sagen: „selbstredend“?, einschränken. // Vgl. http://www.francetvinfo.fr //

Ansonsten will François Fillon Verschärfungen im Ausländerrecht vornehmen, aber das stellten ohnehin alle Mitbewerber bei der Vorwahl in Aussicht. Unter anderem möchte Fillon das seit 2000 bestehende, garantierte Recht von Sans papiers (Ausländer/inne/n ohne gültigen Aufenthaltstitel) auf eine medizinische Versorgung in Gestalt der Aide médicale d’Etat/AME abschaffen, bzw. auf zum unmittelbaren Lebenserhalt oder zur Seuchenbekämpfung notwendige Behandlungen einschränken. Und während die Mehrheit der andere Kandidaten und die Kandidatin auf der bürgerlichen Rechten eher Anzeichen zeigten, sich de facto mit der 2013 durch die sozialdemokratische Regierung eingeführten Homosexuellen-Ehe abzufinden - selbst Sarkozy erklärte, man könne schwerlich dahinter zurückfallen -, will Fillon zumindest das mit ihr einhergehende Adoptionsrecht in Frage stellen. In Sachen Beibehaltung des Abtreibungsrechts bleibt er zudem ambivalent, was Juppé ihm am Dienstag Mittag (22.11.16) vorwarf. Außenpolitisch steht Fillon deutlich für eine Annäherung an Wladimir Putins Russland, sowie für eine Unterstützung des syrischen Regimes „gegen die jihadistische Gefahr“. (Vgl. http://jungle-world.com/artikel/2015/11/51589.html )

Programmatisch liegen damit also relativ klare Alternativen auf dem Tisch. Was dies für die Gesellschaft in Zukunft real mitbringt, wird auf einem anderen Blatt stehen.

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.