Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Die Kandidatur Fillon oder Die Zwei-Staaten-Lösung

12/2016

trend
onlinezeitung

Nach der Stichwahl der französischen Konservativen um ihre Präsidentschaftskandidatur vom 27. November 2016 und zur Nominierung François Fillons

Zwei europäische Staaten, ein ziemlich großer und ein ziemlich kleiner, spielten eine wichtige Rolle bei den Debatten der beiden Kandidaten, die am Sonntag, den 27. November d.J. zur Stichwahl im konservativen Lager Frankreichs antraten. Bei ihr ging es darum, zu entscheiden, ob Alain Juppé oder François Fillon als Präsidentschaftskandidat für die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte antritt. Fillon setzte sich dabei mit einer glatten Zwei-Drittel-Mehrheit gegen seinen kahlköpfigen, inhaltlich moderater auftretenden Mitbewerber Juppé durch.

Bei dieser élection primaire, einer „Vorwahl“ nach dem Muster der US-amerikanischen primaries – dieses Modell wurde erstmals 2006 durch die französische Sozialdemokratie übernommen -, nahmen, den endgültigen Zahlen zufolge, in beiden Wahlgängen je über vier Millionen Menschen teil (4,2 Millionen im ersten und gut 4,3 Millionen im zweiten Durchgang). Das sind rund zehn Prozent der Wahlberechtigten in Frankreich insgesamt. Allerdings bilden die Teilnehmer/innen an der konservativen Kandidatenkür mit Bestimmtheit keinen repräsentativen Querschnitt durch die Gesellschaft, sondern gehören vor allem ihrem älteren und wohlhabenderen Segment an. Dennoch stattet das Ergebnis dieser Vorwahl den rechten Bürgerblock nicht nur mit gefüllten Kassen aus, denn alle Teilnehmenden entrichteten pro Wahlgang je zwei Euro, sondern auch mit einer scheinbaren demokratischen Legitimation seines Kandidaten.

Auch wenn der Politologe Rémi Lefebvre bei Slate.fr die These vertritt, das in Frankreich relativ neue Phänomen der Vorwahlen zeige eher die Schwäche als die Stärke der etablierten Parteien auf, weil diese mangels Mitgliederbasis ihre Sympathisanten abstimmen ließen, und sei „eher eine Sache der Eliten“. Nichtsdestrotrotz stattet das Ergebnis vom Sonntag das wirtschaftsliberal-konservative Lager mit einer Massenbasis aus, wie die französische Sozialdemokratie sie sicherlich nicht mehr vorzuweisen hat. Der auf nur noch 80.000 Mitglieder geschrumpfte Parti Socialiste (PS) – vgl. dazu nebenstehenden Artikel über den Rückzug François Hollandes von der Präsidentschaftswahl - hat schließlich die eigene Basis, mit einer alles andere als sozialdemokratischen Sozial- und Wirtschaftspolitik, ausreichend vor den Kopf gestoßen.

Russland war einer der beiden Staaten, die in den Debatten zwischen den beiden Wahlgängen herbeibemüht wurden. Fillon trat in der gemeinsamen Fernsehdiskussion mit Juppé offensiv dafür ein, das Bündnis mit den USA um eines mit Wladimir Putin zu ergänzen. Allerdings blieb er in den Formulierungen in der von sieben Millionen Zuschauerinnen verfolgten Debatte vorsichtiger als in der Vergangenheit, als er Putin unter anderem als „Vollblutpolitiker, der anders ist als alle anderen auf dem Planeten“ deutlich lobte. Die EU-Themen behandelnde Webseite EurActiv.fr monierte, Russland sei in dieser TV-Debatte viel stärker zitiert worden als die Europäische Union. Zu Letzterer bleibt Fillon tatsächlich eher diskret, da er auch den „europaskeptischen“ Flügel der französischen Konservativen bedient. Selbst in rot-braunen Querfrontmedien, die sonst eher einen scheinbar radikalen Oppositionsdiskurs aufweisen, und bei pro-russischen Propagandewebseiten wie Le Saker francophone wird Fillon deswegen und vor allem aufgrund seiner Putin-Freundlichkeit eher lobend betrachtet. Dort wird sein Vorwahlsieg als ein Erfolg des Volkes „gegen die globalisierten Eliten“ bezeichnet und mit dem von Donald Trump gegen Hillary Clinton bei der Bestimmung der Wahlmänner und –frauen für die US-Präsidentschaft verglichen.

Der andere, noch öfter zitierte Staat ist der Vatikan. Beide Kandidaten beriefen sich darauf, ihm jeweils besonders nahe zu stehen, was ein Novum bei einer französischen Wahl der letzten Jahrzehnte darstellt. Juppé berief sich auf Papst Franziskus in dem Sinne, er sei relativ tolerant in moralischen Fragen – was jedenfamms im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern Johannes-Paul II. und Benedikt XVI. auch zutrifft - ; Ähnliches treffe auf ihn selbst gegenüber Fillon zu. Letzterer unterstrich dagegen eher seine Nähe zum Dogmenkörper der katholischen Kirche. Der politische Ableger der Manifestation pour tous („Demo für Alle“), also der nach wie vor virulenten Bewegung gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare durch ein Gesetz vom Mai 2013, in Gestalt der Vereinigung Sens commun (ungefähr „Normaler Verstand“ oder auch „Gemeinschaftssinn“) unterstützte Fillon neben anderen Rechtskatholiken. Juppé, der stärker auch für interreligiöse Toleranz eintrat, wurde dagegen zur Zielscheibe eines von Rechtsextremen und Konservativen betriebenen Shit-storms. In einer Flut von Hassbotschaften und e-Mails wurde er als „Ali Juppé“ angefeindet.

François Fillon spricht sich für das Wegsparen ganzer Krankenhäuser (durch „Zusammenlegen von Kapazitäten“ und ihre geographische Konzentration) sowie für die Förderung von konfessionnel gebundenen Privatschulen aus. Was das öffentliche Schulwesen betrifft, so spricht er sich für die Möglichkeit einer Rückkehr zu den – vor Jahrzehnten abgeschafften – Schuluniformen aus, wovon die reaktionärsten Milieus der Rechten gerne fantasieren (der seit 2014 amtierende rechtsextreme Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, hat durch das Verteilen von Schuluniformen von sich reden gemacht). Und François Fillon möchte, vor allem, die Lehrkräfte auf einen Geschichtsunterricht verpflichten, in welchem die Leitlinie der Geschichtsschreibung endlich wieder auf die Darstellung einer glorreichen Nationalgeschichte ausgerichtet sein soll: Eine „nationale Erzählung“ (un récit national) soll gefälligst im Mittelpunkt stehen. Dagegen richten sich bereits Proteste unter Historiker/inne/n und Lehrer/inne/n. // Vgl. u.a. http://www.20minutes.fr/ und http://blog.francetvinfo.fr oder http://www.vousnousils.fr/ //

Nicolas Sarkozy wurde im ersten Durchgang bei der „Vorwahl“ der französischen Konservativen aus dem Rennen gekickt. Doch der böse Geist, welcher ihn dereinst beriet – Patrick Buisson, das französische Pendant zum US-amerikanischen, Donald Trump beratenden Ideologen Steven Bannon, welcher Sarkozy 2007 zur Einrichtung eines Ministeriums für „Einwanderung und nationale Identität“ verleitete – ist nicht politisch tot. Seit 2014 ist er mit Sarkozy nachhaltig verkracht, seitdem bekannt wurde, dass Buisson als Präsidentenberater des damaligen Amtsinhabers Nicolas Sarkozy dessen Gespräche klammheilich aufzeichnete und Mitschnitte aufbewahrte. Doch nun ist Buisson wieder da: Er bezeichnete die Ernennung François Fillons zum konservativen Präsidentschaftskandidaten als „historisches Moment“ (vgl. http://www.lepoint.fr ) für die Durchführung einer „konservativen Revolution“; vgl. http://www.lefigaro.fr/ .

 

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.