Wer solche Retter hat, braucht keine Feinde mehr:
Am Montag dieser Woche (06.11.17) gab die in
Deutschland ansässige Nichtregierungsorganisation
Sea-Watch, die Seenotrettung im Mittelmeer
betreibt, schockierende Bilder bekannt. Die NGO
sprach davon, die brutalen Methoden libyscher
Küstenwächter hätten unmittelbar dazu beigetragen,
dass fünf Menschen beim Aufnehmen der Insassen
eines auf dem Mittelmeer treibenden Schlauchboots
getötet wurden.
Das Boot der NGO unter dem Namen „Sea-Watch 3“ traf
demnach fast gleichzeitig mit einem Schiff der
libyschen Küstenwache an dem Ort in dreißig
Kilometern Entfernung von der Küste ein, wo das
Schlauchboot abtrieb. Das Schiff der Küstenwächter
behielt dabei eine erhebliche Geschwindigkeit bei,
während die Migranten aus dem Schlauchboot über
eine Leiter an Bord geholt wurden. Mehrere Menschen
fielen dabei ins Wasser. Auf Bildern, die durch die
Nichtregierungsorganisationen verbreitet wurden,
sieht man auch einen Helikopter der italienischen
Marine, der die Küstenwächter zum Abbremsen
auffordert, sowie den Transport einer Kinderleiche.
Sea-Watch rettete ihrerseits 58 Menschen aus dem
Boot. Ihr Einsatzleiter Johannes Bayer sprach in
einer Stellungnahme am Montag Abend (06. November
d.J.) von einer Mitschuld der EU, weil diese ein
Aufbau- und Trainingsprogramm für die libysche
Küstenwache unterhält, betreibt und finanziert.
In
diesem Falle trug die italienische Marine dazu bei,
Menschenleben in der konkreten Situation zu retten,
indem sie mildernd auf die rauen Methoden der
libyschen Küstenwächter einwirkte. Aber strukturell
arbeiten beide eng zusammen. Im Oktober dieses
Jahres kritisierte der Menschenrechtsbeauftragte
des Europarats, Nils
Muižniek,
die italienische Marinemission vor den Küsten
Libyens mit den Worten, wer im Mittelmeer
aufgegriffene Migranten an libysche Stellen
übergebe – diese Praxis der Rückschiebung ist gang
und gäbe -, verstoße
„gegen die Pflicht, deren Menschenrecht zu
schützen“.
Ein Abkommen unterhielt Italien laut
übereinstimmenden Medienberichten – unter ihnen
jener des Tunesienkorrespondenten der französischen
Abendzeitung Le Monde, Frédéric Bobin
- auch mit einem Warlord in der westlibyschen Stadt
Sabratha. Ahmed Dabbashi, unter dem Spitznamen
Al-Ammu („Der Onkel“) bekannt, gründete zu Anfang
des Jahres offiziell eine Miliz unter dem Namen
„Bataillon 48“, um bei der Verhinderung von
Migrationsbewegungen über das Mittelmeer
mitzuwirken. Dabbashi bekämpfte dabei andere
Milizen, die mit dem Transport von Migranten ihre
mafiösen Geschäfte betreiben und ihr Geld
verdienen. Finanzmittel bezog Dabbashi, der aus
einer einflussreichen lokalen Familie stammt, vor
diesem Hintergrund aus Rom.
Doch dies wiederum
gefiel anderen bewaffneten Milizen nicht, die sich
durch diese Kooperation ausgebootet fühlten und
denen diese finanzielle Unterstützung entging.
Unter ihnen befinden sich die so genannten
Madkhalisten. Bei diesen handelt es sich um eine
salafistische Strömung, die durch Saudi-Arabien
unterstützt wird. In Übereinstimmung mit dem
reaktionären Golfstaat verfolgt sie die Strategie,
die Militärmachthaber in Ägypten und den in
Ostlibyen zunehmend an Einfluss gewinnenden
„starken Mann“ – den General Khalifa Haftar,
welcher sich als „Marschall“ titulieren lässt – zu
unterstützen und nicht etwa die Muslimbrüder, die
im Konflikt mit diesen Militärherrschern liegen.
Im
Kontext der Rivalität um die Geldflüsse aus Italien
brachen ab dem 17. September 17 mehrwöchige Kämpfe
in Sabratha aus. Bis zum Monatsende wurden dabei
mutmaßlich
vierzig Menschen getötet, rund die Hälfte der
Bevölkerung floh an den Stadtrand. Aufgrund der
Bedrohung für die in der Nähe von Sabratha liegende
römische Ruinenstätte schaltete sich auch die
UNESCO ein, um ein Ende der Kampfhandlungen zu
fordern.
Infolge der
Auseinandersetzungen entkamen jedoch auch Tausende
von Migrantinnen und Migranten – überwiegend aus
dem subsaharischen Afrika – der Gewalt der Milizen,
die sie bis dahin festhielten. Denn das aus
offizieller italienischer Sicht mehr oder minder
segensreiche Wirken von Warlords wie Dabbashi
bestand hauptsächlich darin, die Hauptbetroffenen
festzusetzen und zu internieren.
Wie sich infolge der
Kämpfe vor Ort herausstellte, waren rund 20.500
Migranten in und um Sabratha gefangen gehalten
worden, zum Teil unter unbeschreiblichen Umständen,
ohne Zugang zu Toiletten oder Waschmöglichkeiten
und ohne über einen Ventilator zu verfügen. Viele
von ihnen wurden, mit absolut unzureichender
Ernährung und Wasserversorgung, tagelang zu
Zwangsarbeit angehalten. Festgehaltene Frauen
wurden mitunter als sexuelle Sklavinnen benutzt.
Am
17. Oktober 17 erklärte das Hochkommissariat der
Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) in einer
Pressemitteilung, 14.500 Migranten aus ihrer
bisherigen Gefangenschaft gerettet zu haben.
Weitere 6.000 Menschen würden jedoch zu dem
Zeitpunkt noch immer durch die Milizen
festgehalten, auf Bauernhöfen im Umland von
Sabratha, in Häusern oder Fabrikgebäuden. Unter den
Freigekommenen befänden sich auch Kleinkinder.
Einige der Betroffenen trügen Schussverletzungen
oder andere Anzeichen von Misshandlungen. Das UNHCR
transportierte auf fünfzehn LKWs Hilfslieferungen
und Hygieneartikel herbei und forderte die
internationale Staatenwelt dazu auf, mittels
Resettlement Geflüchtete aus Sabratha
aufzunehmen. Bislang blieb dieser Aufruf noch ohne
größere
Folgen.
Libyen war vor dem Bürgerkrieg von Februar bis
August 2011, welcher zum Sturz des Gaddafi-Regimes
führte, Zielland für viele Einwanderer aus dem
subsaharischen Afrika. Damals spielte Libyen eher
eine Rolle als Arbeitsort denn als Transitland auf
dem Weg nach Europa. Rund zwei Millionen
Arbeitsmigranten verrichteten einen Großteil
der gesellschaftlich gering geschätzten
körperlichen Arbeiten in dem nordafrikanischen
Erdölstaat. Das alte Regime verfolgte eine
doppelbödige Politik. Einerseits verband es die
Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte mit einem
panafrikanisch klingenden Diskurs, der auch stark
damit zusammenhing, dass Muammar Al-Qadhafi
(eingedeutscht Gaddafi) internationale
Machtambitionen auf dem afrikanischen Kontinent
unterhielt. Auf der anderen Seite dienten
Hassausbrüche und Pogrome gegen subsaharische
Afrikaner in den 2000er Jahren mitunter auch als
Ventil für den Unmut der libyschen Bevölkerung über
ihre Lebensumstände, das Regime ließ
gewähren. Nach dem Sturz des
Qadhafi- (eingedeutscht Gaddafi-)Regimes kam es
jedoch 2011 zu einer Welle von rassistischer Gewalt
gegen Schwarze, die pauschal verdächtigt wurden,
Gaddafi-Söldner gewesen zu sein.
Editorischer Hinweis
Der
Artikel ist eine leicht überarbeitete Fassung des
Artikels der in der Berliner Wochenzeitung Jungle
World in ihrer Ausgabe vom 09. November 17.
veröffentlicht wurde.
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