Die Einen kommen in
Haft, die Anderen aus ihr heraus: Am Abend des
Montag, den 06. November 17 verkündete die
Regierung im westafrikanischen Togo, 42 Personen
würden freigelassen, die im Zusammenhang mit den
vorangegangenen Portestdemonstrationen zwischen
August und Oktober inhaftiert worden waren. Mehrere
von ihnen waren bereits wegen angeblicher
Gewaltdelikte verurteilt worden, vor allem
Sachbeschädigungen auf Straßenmärkten in der
Hauptstadt Lomé sowie der nördlichen
Regionalmetropole Kara im Zusammenhang mit
Protesten und Auseinandersetzungen. Ihre
Haftentlassung wurde als « Geste der Deeskalation »
im Vorfeld der am folgenden Tag beginnenden drei
Protesttage in der vergangenen Woche gedeutet.
Kurz zuvor war
allerdings am vorvergangenenen Freitag, den 03.
November 17 Anklage gegen drei andere
Oppositionelle erhoben worden. Hausdurchsuchungen
bei ihnen hätten unter anderem « Hüllen für
Tranengäsgranaten » - die sie nach aller Logik
mutmaßlich auf der Straße aufgesammelt hatten – und
Ferngläser zu Tage befördert. Dies wird durch die
Anklage als angeblicher Hinweis darauf, dass sie
Gewalttaten geplant oder durchgeführt hätten,
gewertet.
Es handelt sich um
drei Mitglieder der « Bürgerbewegung Nubuéké », die
nicht als politische Partei, sondern als
association - eine Art Mittelding zwischen
Bürgerinitiative und eingetragenem Verein -
firmiert und vor allem darin aktiv war, den
Verletzten der Demonstrationen seit dem 19. August
d.J. Hilfe zu leisten. Die drei Aktivisten der
Vereinigung, darunter ihr Vizevorsitzender Joseph
Eza Zorobabel sowie Messenth Kokodoko, waren im
Oktober festgenommen sowie laut Angaben der
Opposition, ihrer Anwälte und von
Nichtregierungsorganisationen wie der « Vereinigung
der Folteropfer in Togo » (ASVITTO) in Polizeihaft
misshandelt worden. Schwere Foltervorwürfe wurden
besonders im Bezug auf den 39jährigen Messenth
Kokodoko erhoben.
Am Dienstag, Mittwoch
und Donnerstag der zurückliegenden Woche (07., 08.
und 09. November 17) kam es erneut zu
Straßenprotesten, die durch vierzehn
Oppositionsparteien getragen wurden. Breite
Demonstrationen gab es unter anderem in der
Hauptstadt Lomé sowie im Südosten des Landes, etwa
in Vogan, Afagnan, Ahépé und Aného. Hingegen
konnten keine Straßeprotesten des nördlichen
Zentrums von Togo wie Sokodé und Bafilo
stattfinden, wo sie durch die Repressionskräfte
sowie regimenahe Milizen unterbunden wurden. Im
September und Oktober 2017 war es vor allem in
Sokodé zu schweren Zusammenstößen gekommen.
Im Vorfeld der
neuerlichen Protestwelle hatte das Regime
einerseits als Deeskalationsmaßnahme angekündigt,
das Anfang Oktober d.J. verhängte generelle
Demonstrationsverbot « an Werktagen » aufzuheben.
Andererseits nahmen Polizei und Milizen erneut
drohend Aufstellung. Am letzten Freitag, den 10.
November 17 hielt Präsident Faure Gnassingbé dann
eine Brandrede im Militärcamp von Témédja, rund 200
Kilometer nördlich der Hauptstadt Lomé. Er wettert
dort gegen die Protestierenden : « Unser Land
wird derzeit durch Demonstrationen gestört, die
nicht, wie das Gesetz es erlaubt, friedlich
ausfallen, sondern sehr gewalttätig sind. »
Laut
übereinstimmenden Angaben von verschiedenen Seiten
kamen in den letzten zwei Monaten mindestens 16
Menschen in den Demonstrationen ums Leben. Daneben
wurde auch eine unbekannte Zahl von Militärs
mutmaßlich durch aufgebrachte Zivilisten gelyncht –
einschlägige Fotos zirkulieren seit über einem
Monat auf WhatsApp -, das Regime räumt inzwischen
den Tod zweier Militärs ein. Präsident Gnassingbé
erteilte allerdings in seiner Rede vor Soldaten der
Opposition die Schuld nicht
nur an deren Tod, sondern auch an dem zweier
Kinder, die in Mango und Sokodé bei der
Niederschlagung von Demonstrationen starben.
Die Rolle von in
Milizen zusammengefassten, bewaffneten Zivilisten –
Mitglieder des Lumpenproletariats sowie der Ethnie
des Präsidenten aus dem Umland der Stadt Kara – bei
der Repression hat in den letzten Wochen
zugenommen. Offiziell bezeichnen diese sich als
« Selbstverteidigungsgruppen », die angeblich
Eigentum vor dem Risiko von Plünderungen schützten.
Am 24. Oktober 17 erklärte das US-State Departement
durch den Mund seiner Sprecherin, Heather Nauert,
man sei besorgt über Informationen, wonach « durch
die Regierung unterstützte Milizen Gewalt und
Gewaltdrohungen einsetzen, um Demonstrationen zu
beeinträchtigen und Zivilisten einzuschüchtern ».
Im Jahr 2005, bei
damals noch massiveren Protesten gegen das Regime,
waren vergleichbare Milizen für einen Großteil der
– durch einen Untersuchungsbericht im Auftrag der
UN bestätigten – 500 bis 1.000 Toten
verantwortlich.
Gegenstand der
diesjährigen Demonstrationen ist es, einen Rückzug
der – die Amtszeit von Vater Eyadema Gnassingbé und
Sohn Faure zusammengerechnet – seit fünfzig Jahren
ununterbrochen regierenden Präsidentenfamilie zu
fordern. Die Proteste nahmen an Fahrt auf, nachdem
ein neuer Oppositionspolitiker, Tikip Atchadam vom
Ende 2014 gegründeten Parti national panafricain
(PNP), Teile der Bevölkerung im Norden Togos
mobilisieren konnte. Bis dahin hatte der Norden
eine Hochburg des Regimes dargestellt, denn die
Familie Gnassingbé stammt aus Kara und unterhielt
dort eine Jahrzehnte währende Klientelwirtschaft,
während die Opposition stärker im Süden
konzentriert war.
Das Regime versucht
nun, Atchadam, der selbst der stärker im Norden
verankerten muslimischen Minderheit angehört, als
angeblichen Islamisten darzustellen. Dazu schreibt
die Pariser Abendzeitung Le Monde zu
Recht, es gebe « keinerlei Anhaltspunkte » dafür.
Der studierte Jurist Atchadam, welcher in Europa
gelebt hat und dessen Partei laut dem französischen
Sender TV5 Monde vor allem durch
togolesische Migranten in Deutschland finanziert
wird, zitiert in seinen Reden lieber Mahatma
Gandhi. Aus Regimekreisen wurde auch das groteske
Gerücht lanciert, Atchadam sei « Antisemit », weil
die damaligen massiven Straßenproteste und –kämpfe
im September den geplanten Afrika-Israel-Gipfel in
Lomé faktisch verhinderten. Er wurde auf
unbestimmte Zeit verschoben. Der Staat Israel ist
ein wichtiger geostrategischer Verbündeter und
Waffenlieferant mehrerer afrikanischer Diktaturen,
etwa Togo und Kamerun. Antijüdische Beweggründe hat
die Opposition jedoch keine, vielmehr spielt diese
Thematik im togolesischen Kontext schlicht
keinerlei Rolle. Das Argument ist für das
europäische und nordamerikanische Ausland bestimmt,
wo das Regime ebenfalls noch über Verbündete
verfügt, um einen dortigen staatlichen
Anti-Antisemitismus- und « antitotalitären »
Diskurs zu bedienen.
Zu den wichtigsten
zählen – neben deutschen Firmen – nach wie vor
Frankreichs Wirtschaft und Regierung. Togo weist
vor allem deswegen eine ökonomische Bedeutung auf,
weil Lomé den einzigen Tiefseehafen Westafrikas
aufweist. Die Konzession führt ihn hält der
französische multinationale Konzern Bolloré. Togo
exportiert ansonten Phosphat, Marmor - oder Gold,
das allerdings nicht auf seinem Boden, sondern
illégal im nördlichen Nachbarland Burkina Faso
abgebaut wird. Anfang November 2017 wurde
publik, Frankreich könnte fünf Kampfhubschrauber
vom Typ « Gazelle » aus Armeebeständen, deren
Lieferung im Mai dieses Jahres eingefroren worden
war, in Kürze nun doch an Togo ausliefern.
In der Region
versucht zwar die Mehrzahl der Nachbarstaaten,
Faure Gnassingbé zu einer Beschränkung seiner
Amtszeiten und zum mindestens mittelfristigen
Aufgeben zu bewegen. Derzeitiger Präsident der
Kommission der Westafrikanischen
Wirtschaftsgemeinschaft ist jedoch Marcel de Souza,
ein Staatsangehöriger des Nachbarlands Benin – und
Schwager von Faure Gnassingbé. Kurzfristig muss er
sich um einen Mangel an Verbündeten wohl noch keine
Sorge bereiten.
Editorischer Hinweis
Ausführliche
Version eines Artikels, dessen Kurzfassung am
Donnerstag, den 16. November 17 in der Berliner
Wochenzeitung Jungle World
publiziert wurde
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