Massenprotest und Repression im westafrikanischen Togo

von Bernard Schmid

12/2017

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Die Einen kommen in Haft, die Anderen aus ihr heraus: Am Abend des Montag, den 06. November 17 verkündete die Regierung im westafrikanischen Togo, 42 Personen würden freigelassen, die im Zusammenhang mit den vorangegangenen Portestdemonstrationen zwischen August und Oktober inhaftiert worden waren. Mehrere von ihnen waren bereits wegen angeblicher Gewaltdelikte verurteilt worden, vor allem Sachbeschädigungen auf Straßenmärkten in der Hauptstadt Lomé sowie der nördlichen Regionalmetropole Kara im Zusammenhang mit Protesten und Auseinandersetzungen. Ihre Haftentlassung wurde als « Geste der Deeskalation » im Vorfeld der am folgenden Tag beginnenden drei Protesttage in der vergangenen Woche gedeutet.

Kurz zuvor war allerdings am vorvergangenenen Freitag, den 03. November 17 Anklage gegen drei andere Oppositionelle erhoben worden. Hausdurchsuchungen bei ihnen hätten unter anderem « Hüllen für Tranengäsgranaten » - die sie nach aller Logik mutmaßlich auf der Straße aufgesammelt hatten – und Ferngläser zu Tage befördert. Dies wird durch die Anklage als angeblicher Hinweis darauf, dass sie Gewalttaten geplant oder durchgeführt hätten, gewertet.

Es handelt sich um drei Mitglieder der « Bürgerbewegung Nubuéké », die nicht als politische Partei, sondern als association - eine Art Mittelding zwischen Bürgerinitiative und eingetragenem Verein - firmiert und vor allem darin aktiv war, den Verletzten der Demonstrationen seit dem 19. August d.J. Hilfe zu leisten. Die drei Aktivisten der Vereinigung, darunter ihr Vizevorsitzender Joseph Eza Zorobabel sowie Messenth Kokodoko, waren im Oktober festgenommen sowie laut Angaben der Opposition, ihrer Anwälte und von Nichtregierungsorganisationen wie der « Vereinigung der Folteropfer in Togo » (ASVITTO) in Polizeihaft misshandelt worden. Schwere Foltervorwürfe wurden besonders im Bezug auf den 39jährigen Messenth Kokodoko erhoben.

Am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag der zurückliegenden Woche (07., 08. und 09. November 17) kam es erneut zu Straßenprotesten, die durch vierzehn Oppositionsparteien getragen wurden. Breite Demonstrationen gab es unter anderem in der Hauptstadt Lomé sowie im Südosten des Landes, etwa in Vogan, Afagnan, Ahépé und Aného. Hingegen konnten keine Straßeprotesten des nördlichen Zentrums von Togo wie Sokodé und Bafilo stattfinden, wo sie durch die Repressionskräfte sowie regimenahe Milizen unterbunden wurden. Im September und Oktober 2017 war es vor allem in Sokodé zu schweren Zusammenstößen gekommen.

Im Vorfeld der neuerlichen Protestwelle hatte das Regime einerseits als Deeskalationsmaßnahme angekündigt, das Anfang Oktober d.J. verhängte generelle Demonstrationsverbot « an Werktagen » aufzuheben. Andererseits nahmen Polizei und Milizen erneut drohend Aufstellung. Am letzten Freitag, den 10. November 17 hielt Präsident Faure Gnassingbé dann eine Brandrede im Militärcamp von Témédja, rund 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Lomé. Er wettert dort gegen die Protestierenden : « Unser Land wird derzeit durch Demonstrationen gestört, die nicht, wie das Gesetz es erlaubt, friedlich ausfallen, sondern sehr gewalttätig sind. »

Laut übereinstimmenden Angaben von verschiedenen Seiten kamen in den letzten zwei Monaten mindestens 16 Menschen in den Demonstrationen ums Leben. Daneben wurde auch eine unbekannte Zahl von Militärs mutmaßlich durch aufgebrachte Zivilisten gelyncht – einschlägige Fotos zirkulieren seit über einem Monat auf WhatsApp -, das Regime räumt inzwischen den Tod zweier Militärs ein. Präsident Gnassingbé erteilte allerdings in seiner Rede vor Soldaten der Opposition die Schuld nicht nur an deren Tod, sondern auch an dem zweier Kinder, die in Mango und Sokodé bei der Niederschlagung von Demonstrationen starben.

Die Rolle von in Milizen zusammengefassten, bewaffneten Zivilisten – Mitglieder des Lumpenproletariats sowie der Ethnie des Präsidenten aus dem Umland der Stadt Kara – bei der Repression hat in den letzten Wochen zugenommen. Offiziell bezeichnen diese sich als « Selbstverteidigungsgruppen », die angeblich Eigentum vor dem Risiko von Plünderungen schützten. Am 24. Oktober 17 erklärte das US-State Departement durch den Mund seiner Sprecherin, Heather Nauert, man sei besorgt über Informationen, wonach « durch die Regierung unterstützte Milizen Gewalt und Gewaltdrohungen einsetzen, um Demonstrationen zu beeinträchtigen und Zivilisten einzuschüchtern ».

Im Jahr 2005, bei damals noch massiveren Protesten gegen das Regime, waren vergleichbare Milizen für einen Großteil der – durch einen Untersuchungsbericht im Auftrag der UN bestätigten – 500 bis 1.000 Toten verantwortlich.

Gegenstand der diesjährigen Demonstrationen ist es, einen Rückzug der – die Amtszeit von Vater Eyadema Gnassingbé und Sohn Faure zusammengerechnet – seit fünfzig Jahren ununterbrochen regierenden Präsidentenfamilie zu fordern. Die Proteste nahmen an Fahrt auf, nachdem ein neuer Oppositionspolitiker, Tikip Atchadam vom Ende 2014 gegründeten Parti national panafricain (PNP), Teile der Bevölkerung im Norden Togos mobilisieren konnte. Bis dahin hatte der Norden eine Hochburg des Regimes dargestellt, denn die Familie Gnassingbé stammt aus Kara und unterhielt dort eine Jahrzehnte währende Klientelwirtschaft, während die Opposition stärker im Süden konzentriert war.

Das Regime versucht nun, Atchadam, der selbst der stärker im Norden verankerten muslimischen Minderheit angehört, als angeblichen Islamisten darzustellen. Dazu schreibt die Pariser Abendzeitung Le Monde zu Recht, es gebe « keinerlei Anhaltspunkte » dafür. Der studierte Jurist Atchadam, welcher in Europa gelebt hat und dessen Partei laut dem französischen Sender TV5 Monde vor allem durch togolesische Migranten in Deutschland finanziert wird, zitiert in seinen Reden lieber Mahatma Gandhi. Aus Regimekreisen wurde auch das groteske Gerücht lanciert, Atchadam sei « Antisemit », weil die damaligen massiven Straßenproteste und –kämpfe im September den geplanten Afrika-Israel-Gipfel in Lomé faktisch verhinderten. Er wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Staat Israel ist ein wichtiger geostrategischer Verbündeter und Waffenlieferant mehrerer afrikanischer Diktaturen, etwa Togo und Kamerun. Antijüdische Beweggründe hat die Opposition jedoch keine, vielmehr spielt diese Thematik im togolesischen Kontext schlicht keinerlei Rolle. Das Argument ist für das europäische und nordamerikanische Ausland bestimmt, wo das Regime ebenfalls noch über Verbündete verfügt, um einen dortigen staatlichen Anti-Antisemitismus- und « antitotalitären » Diskurs zu bedienen.

Zu den wichtigsten zählen – neben deutschen Firmen – nach wie vor Frankreichs Wirtschaft und Regierung. Togo weist vor allem deswegen eine ökonomische Bedeutung auf, weil Lomé den einzigen Tiefseehafen Westafrikas aufweist. Die Konzession führt ihn hält der französische multinationale Konzern Bolloré. Togo exportiert ansonten Phosphat, Marmor - oder Gold, das allerdings nicht auf seinem Boden, sondern illégal im nördlichen Nachbarland Burkina Faso abgebaut wird. Anfang November 2017 wurde publik, Frankreich könnte fünf Kampfhubschrauber vom Typ « Gazelle » aus Armeebeständen, deren Lieferung im Mai dieses Jahres eingefroren worden war, in Kürze nun doch an Togo ausliefern.

In der Region versucht zwar die Mehrzahl der Nachbarstaaten, Faure Gnassingbé zu einer Beschränkung seiner Amtszeiten und zum mindestens mittelfristigen Aufgeben zu bewegen. Derzeitiger Präsident der Kommission der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ist jedoch Marcel de Souza, ein Staatsangehöriger des Nachbarlands Benin – und Schwager von Faure Gnassingbé. Kurzfristig muss er sich um einen Mangel an Verbündeten wohl noch keine Sorge bereiten.

 

Editorischer Hinweis

Ausführliche Version eines Artikels, dessen Kurzfassung am Donnerstag, den 16. November 17 in der Berliner Wochenzeitung Jungle World publiziert wurde