Kommentare zum Zeitgeschehen
Deutschland, einig GroKo-Land

von systemcrash

12/2017

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onlinezeitung

Wie kann es mit Merkel und Seehofer "ergebnisoffene" Gespräche geben? Das 'Ergebnis' ist: weiter mit der neoliberalen Offensive. 
Und Schulz weiss das. Die SPD wird auch das politisch überleben. Aber ihr Status als +/-20%-Notnagel wird wohl damit endgültig konsolidiert sein. Mutti geht spätestens in vier Jahren in Rente und die CDU wird weiter DIE Partei der "Mitte" sein. Der Platz der SPD in dieser "Mitte" wird aber zunehmend erodieren. 
Gut so!

Wie muss man aus "linksradikaler" Sicht die Vorgänge um die Regierungsbildung einschätzen?

Auf der analytisch 'untersten' Ebene müsste man die Verschiebungen im Parteiensystem betrachten. Das alte abwechselnde Doppelpaar 'Christ- und Sozialdemokratie' zur Zeit des fordistischen 'Sozialstaates' dürfte endgültig dahin sein. Die neuen Differenzierungen laufen hauptsächlich über die Sozialpolitik, die Ökologie und die Migration. Insofern dürften sich PDL, Grüne und AfD einen 'festen Platz' in der Parteienlandschaft erarbeitet haben. Wenn man die CSU als eigenständige Partei ansieht, sind das insgesamt sieben (7) Parteien. Dies allein bedingt schon einen gewissen 'Unsicherheitsfaktor' (im Vergleich zur BRD von den 60ern bis zu den 80ern).

Zwar sind alle Parteien -- mit Ausnahme [noch] der AfD und bedingt der PDL -- prinzipiell koalitionsfähig, aber das Scheitern von Jamaika hat gezeigt, dass Regierungskoalitionen doch keine ganz so einfache Sache sind. Die inhaltlichen Unterschiede sind vielleicht gar nicht mal der entscheidende Grund für das Scheitern gewesen. Ich kann über die Gründe von der FDP für das Platzen lassen der Sondierungen nur spekulieren, aber ein Faktor war es sicherlich, dass Jamaika nicht gerade als 'stabile' Konstellation empfunden wurde. Und dieser Eindruck scheint mir auch richtig zu sein. Die Grünen haben sich zwar wirklich alle Mühe gegeben als patriotisch-staatstragend rüber zu kommen, aber Özdemir oder gar KGE neben Seehofer wirkt nun wirklich alles andere als 'seriös'; da beisst die Maus nun mal keinen Faden ab.

Die Möglichkeit von 'Minderheitsregierungen' wurde zwar medial ventiliert, aber ehrlich dran glauben tun wahrscheinlich nur wenige. Da spielt die deutsche Volksseele, die nun mal an 'Stabilität und Sicherheit' gewöhnt ist, einfach nicht mit. Und auch die Rolle Deutschlands in der EU und international verlangt eine Regierung, die nicht um jede Frage erst mal eine Urschleimdiskussion führen kann. So weit, so einleuchtend.

Bleibt als letzter Ausweg die GroKo. Die SPD ist eine dermaßen verrottete Partei, dass sie nicht mal ihre gemachten Fehler als Fehler erkennen kann. Im Wahlkampf machte sie einen Kuschelkurs mit Merkel, was ja auch dazu passte, dass sie Regierungspartner waren. Als sie dann ihre 20%-Klatsche bekam, machte Schulz einen auf 'harte Opposition' und nun nach dem Scheitern von Jamaika ruft wieder die staatsräsonale Pflicht. Wem will man diesen Zick-Zack- und Schlingerkurs eigentlich noch verkaufen? Muss man als SPD-Mitglied eigentlich sein Rückgrat vor Eintritt entfernen lassen?

Ich habe massive Zweifel, dass es Schulz jemals ernsthaft darum ging, mit der Agenda-Politik zu brechen [1]. Das würde die ganze Funktion der SPD dermaßen existentiell in Frage stellen, dass dies einer 'Revolution' gleichkäme. Und für Revolutionen braucht man in Deutschland bekanntlich 'Bahnsteigkarten'. Aber für eine kurze Zeit gab es tatsächlich eine gewisse Aufbruchsstimmung. Diese wurde aber von Schulz selbst wieder runtergewirtschaftet. Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren, aber vielleicht sind für die SPD selbst kurze Phasen von Visionen [von mehr 'sozialer Gerechtigkeit'] schon nicht mehr mit ihrem Selbstbild vereinbar.

Aber der Preis, den die SPD für eine erneute GroKo bezahlen wird, wird hoch sein. Vielleicht sogar zu hoch (aus SPD-Sicht). Das wäre vom 'linksradikalen' Standpunkt nicht wirklich ein Problem, macht aber eigentlich nur dann Sinn, wenn das entstehende politische Vakuum von links gefüllt werden könnte. In einem Kommentar im FREITAG heißt es:

"So weit der Weg zur gerechten Regierung auch sein mag: Eine andere Partei muss diesen Führungsanspruch erheben. Da dürfen Linke nicht mutlos sein. Auch von Linken ist zu hören gewesen, die bescheidenen Fortschritte, die die SPD in der Großen Koalition erreichen könne, seien doch besser als nichts und eine „Transformationsstrategie“, die den Kapitalismus überwinden könne, hätten auch andere nicht zu bieten. Es ist aber ein Hauptpunkt einer solchen Strategie, dass man dieser SPD die Führung nicht überlassen darf."

Diese Aussage ist vollkommen richtig! Allerdings glaube ich nicht, dass die PDL dieser Aufgabe gewachsen ist. Meines Erachtens müsste so eine Initiative von einem 'Block' von Gruppen, die für sich selbst einen "revolutionären" [2] Anspruch stellen, ausgehen. Und so klein und bescheiden eine solche Initiative auch am Anfang sein mag, ihre Aufgaben wären gewaltig. Der NaO-Prozess, auch wenn er anfangs durchaus zu gewissen Hoffnungen anspornte, hatte es seinerzeit nicht geschafft.

Ein neuer Beginn eines ähnlichen Prozesses wäre gewiss nicht einfacher (vermutlich sogar schwerer) - aber irgendwann muss dieser Schritt gewagt wagen, wenn sich 'linksradikale Politik' nicht auf die Kommentierung der Welt (und gelegentliche Demos) beschränken lassen will. Einen 'richtigen Zeitpunkt' dafür wird es vermutlich auch nicht geben. Manchmal muss man eben einfach 'Was Tun', ohne freilich in Voluntarismus zu verfallen. Und ohne einen rechten Realitätssinn wird es überhaupt erst gar nicht funktionieren.

Anmerkungen

[1] "Die Wähler, die ihm zugeströmt waren, ihm kurzzeitig einen Vorsprung vor Angela Merkel und auch seiner Partei einen vor der Union beschert hatten, das waren „Millionen Menschen, die sich vor allem nach der Agenda 2010 abgewandt hätten. Diese Leute hätten kurzzeitig zurück zur SPD gefunden, seien jetzt aber wieder weg.“

Zwei Monate vor dem Wahltag hörte Schulz diese Analyse und hätte immer noch umsteuern können. Hat er etwa angekündigt, die Agenda zurückzunehmen, Hartz IV insbesondere? Im Gegenteil, er hat Gerhard Schröder, unter dessen Ägide als Kanzler sie eingefädelt worden war, als Redner zum Wahlparteitag eingeladen. Aber schon im Frühjahr musste er den Zusammenhang begreifen. Seine Umfragewerte gingen zurück, sobald klar wurde, dass er über die Artikulation eines vagen Missmuts nicht hinausgehen wollte, konkrete Maßnahmen nicht ankündigte. Warum wohl nicht? Wir sollen glauben, er habe es dummerweise vergessen.

Das war auch die Zeit der verlorenen Saarland-Wahl, als die SPD-Spitze kolportieren ließ, der Fehler sei gewesen, eine Koalition mit der Linkspartei nicht ausgeschlossen zu haben. So seien die Wähler der Union in die Arme getrieben worden. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Man erinnert sich, dass die SPD schon 2013 eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene hätte bilden und anführen können. Die Koalition mit der Linkspartei, die wegen der Agenda entstanden ist, wäre eine Koalition gegen diese Agenda gewesen. Aber die SPD hütete sich, sie zu bilden. Sie bleibt die Agenda-Partei, bis heute.“ https://www.freitag.de/

[2] Für eine programmatische Diskussion ist es nach meinem Dafürhalten noch zu früh. Die ursprünglichen „Fünf Esssentials“ des NaO-Prozesses scheinen mir aber weiterhin richtig zu sein. In einem Artikel über Griechenland hatten TaP und ich seinerzeit diese „Essentials“ etwas anders formuliert:

„1. Das Konzept des (bzw. die Einsicht in die Notwendigkeit eines) ‚revolutionären Bruch/s’.

2. Die Verweigerung der Mitverwaltung des Kapitalismus (Absage an Regierungsbeteiligungen in bürgerlichen Staaten)

3. Klassenorientierung bzw. antagonistische Orientierung in Bezug auf ‚andere revolutionäre Subjekte’, z.B. Geschlechterverhältnisse, Rassismus, spezifisch diskriminierte Gruppen u.ä. [Bei diesem Punkt, insbesondere in Bezug auf die „Geschlechterverhältnisse“, hätte ich heute erheblich mehr Diskussionsbedarf; Anm. systemcrash]

4. Einheitsfront-Aktionen (oder bescheidener: Aktionseinheiten) auf der Grundlage gemeinsamer (Teil-)Ziele bei voller Freiheit der beteiligten Gruppen, ihre jeweiligen Auffassungen zum Ausdruck zu bringen (nach klassischer Formulierung Lenins: „Freiheit der Agitation und Propaganda“)

5. Eine gewisse organisatorische Verbindlichkeit, auch bereits hinsichtlich organisatorischer Zwischenschritte.“

http://trend.infopartisan.net/trd0815/t400815.html

Quelle: scharf-links am 8.12.17

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