MLPD versus DKP
Russland - friedensstiftender staatsmonopolistischer Kapitalismus?
Der Eiertanz von Willi Gerns


von
Peter Weispfenning

12/2017

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Syrien-Krieg, Provokationen der USA gegen Nordkorea, grassierende Umweltzerstörung, Unruhe, dramatische Konflikte und erbitterte Massenkämpfe - es ist offensichtlich, dass das bisherige Gefüge des imperialistischen Weltsystems unübersehbar infrage gestellt wird. Über die Einschätzung dieser Veränderungen ist in der internationalen marxistisch-leninistischen, revolutionären und Arbeiterbewegung eine Diskussion entbrannt. Die MLPD hat sich dazu mit der Broschüre über die Herausbildung der neuimperialistischen Länder von Juli 2017 klar positioniert: „Die Entstehung einer Reihe neuimperialistischer Länder ist dabei heute eine Kernfrage. Diese Tatsache sowie ihre tieferen Ursachen und Auswirkungen gilt es zu begreifen. Andernfalls ist es unmöglich, die gegenwärtigen Veränderungen der Weltlage zu verstehen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen für den Klassenkampf und die Zukunft der Menschheit." (S. 7) Die Beurteilung der Veränderungen im Imperialismus ist so bedeutsam, weil das natürlich für die Strategie und Taktik im proletarischen Befreiungskampf, im antiimperialistischen Kampf oder auch im Friedenskampf große Bedeutung hat.

 

Während die allgemeine Weltkriegsgefahr wächst hat sich in weiten Teilen der seitherigen Friedensbewegung Konfusion breit gemacht. Die MLPD fordert eine klare Positionierung gegen jegliche imperialistische Aggression. In der über Jahre stark von der DKP geprägten Friedensbewegung in Deutschland stehen dem imperialistisch-pazifistische Illusionen in die EU oder die Bundesregierung als gesittetere imperialistische Alternative zu den USA unter Trump entgegen. Vor allem aber spaltet die von der DKP betriebene Unterstützung der imperialistischen Politik Russlands oder Chinas. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Friedensbewegung gegenwärtig ein Schattendasein fristet, obwohl die Bedeutung und Notwendigkeit des Friedenskampfs erheblich gewachsen ist.

 

Der DKP-Parteivorstand behauptet in seinem Leitantrag zum 22. Parteitag, dass die Politik Russlands und Chinas "objektiv auch im Interesse der Friedensbewegung und der antiimperialistische Kräfte der Welt" liege, was allerdings auf zunehmende Kritik in und außerhalb der DKP stößt. Am 20. und 27. Oktober 2017 veröffentlichte die DKP-Zeitung Unsere Zeit zwei Artikel von Willi Geras1 zur Charakterisierung des heutigen Russlands2, die diese Einschätzung untermauern sollen.

 

Gems gesteht zu, dass es in Russland eine „Vereinigung der politischen Macht des Staates mit der ökonomischen Macht bestimmter, dem Kreml besonders naher Oligarchen-Clans" gibt. Er schlussfolgert: „Von daher kann man bei allen Besonderheiten auch von einer russischen Variante des staatsmonopolistischen Kapitalismus sprechen." Er geht auch auf die dominierende Rolle der Monopole in der russischen Wirtschaft ein: die Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die Verflechtung von Bank und Industriekapital, die steigenden Direktinvestitionen usw. Er kommt zum (vorläufigen!) „Fazit: Das Russland Putins ist ein kapitalistisches Land, in dem die ökonomischen Grundlagen des Monopolkapitalismus/Imperialismus mit gewissen Besonderheiten durchaus weitgehend gegeben sind."

 

Ein kapitalistisches Land, in dem die ökonomischen Grundlagen des Imperialismus und eine staatsmonopolitisch-kapitalistische Ordnung vorhanden sind - das ist unzweifelhaft ein imperialistisches Land. Gegen diese Qualifizierung führte Gerns das ökonomische .Argument" ins Feld, Russland spiele in der heutigen Weltwirtschaft "nur eine zweitrangige Rolle". Zweifellos ist das neuimperialistische Russland heute wirtschaftlich schwächer als die USA, die EU oder das sozialimperialistische China. Es drängt allerdings aggressiv nach vorn. So stieg Gazprom bis 2013 zum weltweit zweitgrößten Energiemonopol auf, Russland zum weltweit größten Exporteur von Erdgas und zweitgrößten Erdölproduzenten. Rosneft kaufte gerade für 1,1 Milliarden US-Dollar von der italienischen Eni 30 Prozent an einem zu erschließenden Erdgasfeld vor der Küste Ägyptens.3

 

Vor allem ist die Frage, ob ein Land im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf eine erst-, zweit- oder drittrangige Rolle spielt, für die Kennzeichnung seines sozialökonomischen Charakters unerheblich. Auch in der Europäischen Union gibt es sehr unterschiedliche wirtschaftliche Kräfteverhältnisse. Niemand wird die Niederlande, Belgien oder Luxemburg mit den imperialistischen Führungsmächten Deutschland und Frankreich auf eine Stufe setzen. Aber kein Mensch mit marxistisch-leninistischem Anspruch käme auf die Idee, dass sie dadurch ihren imperialistischen Charakter verlieren könnten. Schon Lenin setzte sich mit Thesen auseinander, nach denen die Schweiz kein imperialistisches Land sei, weil sie dafür zu klein, zu einflusslos usw. sei. Er hielt fest: „Nicht die Schweiz ,mutet' dies dem Proletariat ,zu', sondern der Kapitalismus, der in allen zivilisierten Ländern, auch in der Schweiz, zum imperialistischen Kapitalismus geworden ist." (Lenin, Werke, Bd. 23, Seite 265/266)

 

Desweiteren behauptet Gerns, dass es bei den politischen und militärischen „Folgeerscheinungen der ökonomischen Merkmale des Imperialismus" „wesentliche Unterschiede" Russlands im Vergleich zu anderen imperialistischen Staaten gäbe. Insbesondere stellt Geras aber die „aggressive Außenpolitik" Russlands in Frage. Das ist konkret falsch, da der russische Neu-Imperialismus durchaus nicht an Aggressivität spart. Man muss nur einmal ansehen, wie er dem verbündeten reaktionären Assad-Regime in Syrien verlorengegangenes Terrain zurückbombte. Gerns Argumentation widerspricht auch grundsätzlich dem Marxismus-Leninismus mit der Behauptung, die Machtpolitik eines Landes sei nicht von seiner ökonomischen Grundlage bestimmt. Es gibt keinen ökonomischen Imperialismus ohne politischen Imperialismus. Das hat schon Lenin klargestellt, wenn er ausführte: „Der Imperialismus dagegen, d.h. der monopolistische Kapitalismus..., zeichnet sich Kraft seiner ökonomischen Eigenschaften durch sehr geringe Friedfertigkeit und Freiheitsliebe und sehr große, überall wahrzunehmende Entwicklung des Militarismus aus." (Lenin, Werke, Bd. 28, S. 237)

 

Gerns dagegen schlussfolgert aus seiner .Analyse", dass man „die Frage, ob Russland ein imperialistisches Land ist, trotz des Vorhandenseins wesentlicher ökonomischer Merkmale dieses Entwicklungsstadiums des Kapitalismus nicht mit einem uneingeschränkten Ja' beantworten" könne. Das ist reine Sophistik, ein leeres Spiel mit Begriffen. Denn er wollte doch genau die Frage beantworten, ob Russland imperialistisch ist, oder nicht. Faktisch beantwortet er sie aber: im weiteren Artikel spricht er niemals von einem imperialistischen Russland, sondern immer nur von einem „kapitalistischen" Russland. Dieses Flüchten in die Unbestimmtheit ist eine revisionistische Methode, während der Marxismus-Leninismus gerade auf Bestimmtheit und Klarheit der Qualifizierungen größten Wert legt.

 

Gerns kommt nicht um das Eingeständnis herum, dass die russische Innenpolitik nicht gerade fortschrittlich ist. Während der dialektische und historische Materialismus aber davon ausgeht, dass zwischen Innen- und Außenpolitik jedes Staates eine grundlegende Einheit besteht, versucht Gerns deshalb zwischen beiden eine chinesische Mauer zu errichten: „Was die Politik Russlands betrifft, so ist es notwendig, zwischen Innen- und Außenpolitik sowie in der Außenpolitik zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden."

 

Imperialismus - das ist laut Lenin aber Reaktion auf der ganzen Linie in der Innen- und Außenpolitik. Er wies darauf hin: „Der Imperialismus ist die Epoche des Finanzkapitals und der Monopole, die überallhin den Drang nach Herrschaft und nicht nach Freiheit tragen. Reaktion auf der ganzen Linie, gleichviel unter welchem politischen System, äußerste Zuspitzung der Gegensätze auf diesem Gebiet — das ist das Ergebnis dieser Tendenzen."

 

Dagegen behauptet Geras: „Die Ablehnung des Weltherrschaftsanspruchs der USA und ihres Gefolges durch Russland und andere Staaten, das Streben nach einer multipolaren Weltordnung ist objektiv im Interesse von Frieden und gesellschaftlichem Fortschritt, weil dies den Weltpolizisten USA, NATO und EU Grenzen setzt. Das sollte Anlass sein, Russland und seine westlichen Konkurrenten trotz im wesentlichen gleicher sozialökonomische Grundlage nicht über einen Kamm zu scheren."

 

Natürlich darf man die verschiedensten Imperialisten nicht über einen Kamm scheren — aber wer macht das? Die MLPD, auf die dieser Seitenhieb möglicherweise gemünzt ist, jedenfalls nicht. So heißt es in der Broschüre „Über die Herausbildung der neuimperialistischen Länder": „Bis zur Auflösung der Sowjetunion bestand eine Bipolarität im imperialistischen Weltsystem. Die USA und die sozialimperialistische Sowjetunion waren die beiden imperialistischen Mächte. Heute ist auch durch das Aufkommen zahlreicher neuimperialistischer Länder, die immer mehr Gewicht und Einfluss auf Weltwirtschaft und Weltpolitik bekommen, an die Stelle der Bipolarität eine Multipolarität getreten. (...) Durch das Aufkommen der neuimperialistischen Länder wird das bisherige Gefüge des imperialistischen Weltsystems erschüttert." (Seite 61 f.) Die Analyse differenziert dann: zwischen der USA als einzig verbliebener Supermacht (und Hauptkriegstreiber in der Welt); China und Russland als imperialistischer Großmächte in der Weltpolitik; der EU als imperialistischen Staatenbündnis, das eine neue weltpolitische Großmacht werden will; Staaten, die vor allem regionale Vorherrschaft anstreben; schwächere imperialistischen Länder usw.

 

Da - wie jedem Marxisten-Leninisten bekannt - die ökonomische Basis letztlich den politischen Überbau bestimmt, kann es aber keinen grundsätzlichen Unterschied im Wesen der Außenpolitik von Staaten „gleicher sozialökonomische Grundlage" geben.

 

Und wo bitteschön ist denn Russlands Politik im Interesse des Friedens und des gesellschaftlichen Fortschritts? Bei den Waffenexporten an reaktionäre und despotische Regimes? Bei der engen Beziehung zur faschistischen Diktatur Erdogans in der Türkei? Bei der Förderung von mindestens 15 faschistoiden, faschistischen und ultranationalistischen Parteien in der EU? In den Fake-News seines Nachrichtensenders Russia Today mit seiner Hetze gegen Flüchtlinge? Die Multipolarität ist genauso wenig wie die frühere Bipolarität ein Element des gesellschaftlichen Fortschritts: „Diese Qualität der imperialistischen Multipolarität hat den weltweiten Konkurrenzkampf verschärft, die Labilität der imperialistischen Herrschaft vertieft, und sie schwächt in der Quintessenz das imperialistische Weltsystem und vertieft die allgemeine Krise des Kapitalismus." (Seite 63)

 

Gerns ganze Weltsicht geht dagegen von den Interessen des neuimperialistischen Russlands aus. Zu welchen Blüten das führt, konnte man kurz nach der Amtseinführung Trumps als US-Präsident sehen. Während 4,8 Millionen fortschrittliche Menschen durch diese faschistoide Regierung alarmiert sind und weltweit gegen seine Amtseinführung auf die Straße gingen, sah Gerns allen Ernstes in einem Artikel vom 1. Februar 174 in einem Telefonat Trumps mit Putin „vieles, das Hoffnungen wecken kann". Denn er sähe „die Möglichkeit von Ansätzen einer Verbesserung des Verhältnisses zu Russland". Eine Allianz zwischen den Ultra-Reaktionären Trump und Putin, zwei der am weitesten nach rechts gerückten imperialistischen Regierungen - das wäre schon eine ganz besondere Achse im Interesse des „gesellschaftlichen Fortschritts" ... Es gibt keine Interessensidentität der Ausgebeuteten und Unterdrückten mit irgendeinem Imperialisten. Die ideologischen Verrenkungen von Gerns und anderen sind eine reine Rechtfertigung der Unterordnung der DKP unter die russischen, bzw. chinesischen imperialistischen Interessen. Die Unterstützung Russlands durch Gerns zeigt den „Übergang des Revisionismus zum offenen Sozialchauvinismus. Es ist sozialchauvinistisch, sich unter der Flagge revolutionärer Gesinnung bei zwischenimperialistischen Widersprüchen oder gar Kriegen auf die Seite des einen oder anderen Imperialismus zu schlagen. Die Arbeiterklasse, die unterdrückten Massen und die Revolutionäre der Welt müssen gegen ausnahmslos jede Art von Imperialismus kämpfen!" (Über die Herausbildung neuimperialistischer Länder, S. 58)

 

1) Willi Gerns war von 1968 bis 1990 Mitglied im Parteipräsidium sowie Sekretär des Parteivorstand der DKP und gilt als einer der Cheftheoretiker der DKP

2) Alle Zitate in diesem Artikel stammen aus diesen Dokumenten, wenn es nicht gesondert angegeben ist

3) FAZvom 16.10.17

4) Telefonat zwischen Trump und Putin, 1.2.17, DKP.de

 

Editorischer Hinweis

Der Artikel ist die Langfassung des am 15.12.2017  bei Rote Fahne News veröffentlichten. Wir erhielten ihn vom Autor für diese Ausgabe.