Diese Woche fing auf
Korsika ausgesprochen stürmisch an. Allerdings
zunächst nur im meterologischen Sinne: Windböen von
rund 140 Stundenkilometern jagten am Montag, den
11. Dezember 17 über die Westküste der
Mittelmeerinsel hinweg. Politisch hingegen begann
es eher ruhig, trotz eines Ausgangs der – an den
vergangenen zwei Sonntagen (03. ond 10. Dezember
17) durchgeführten – Regionparlamentswahlen auf der
rund 300.000 Einwohner/innen zählenden Insel.
Bei ihnen gewann die
unter dem Namen Pè a Corsica („Für Korsika“)
angetretene gemeinsame Liste von Autonomie- und
Unabhängigkeitsbeürwortern, die trotz
unterschiedlicher Strategien auch unter dem
Sammelbegriff „korsische Nationalisten“
zusammengefasst werden, fast erdrutschartig. Unter
Anführung der beiden Anwälte Gilles Simeoni und
Jean-Guy Talamoni konnte die Sammelliste im ersten
Durchgang 45,4 Prozent, in der Stichwahl stattliche
56,5 Prozent der Stimmen einfahren. Die
Wahlenthaltung betrug allerdings um die 47 Prozent.
Obwohl die
Inselnationalisten noch bis in die neunziger Jahre
in Festlandfrankreich – sehr vereinfachend - als
„Bombenleger“ wahrgenommen wurden, nachdem sie seit
der auf Gewehre gestützten Besetzung eines
Weinsguts in Aleria 1975 erste bewaffnete Aktionen
aufgenommen hatten, erschütterte dieses
Wahlresultat jedoch in Paris kaum jemanden. Und
dies liegt nicht nur daran, dass die letzten Waffen
in den Händen politischer Aktivisten auf Korsika
2014 abgegeben wurden.
Premierminister Edouard Philippe schickte noch am
Sonntag Abend (10.12.17) „republikanische
Glückwünsche“ an die Wahlsieger und erklärte sich
bereit, Simeoni in Bälde zu Gesprächen in Paris zu
empfangen. Gilles Simeoni hatte die Insel bereits
seit den Regionalparlamentswahlen vom Dezember 2015
als Regionalpräsident regiert. Und diesobwohl
les natios, wie sie mit Kosenamen
bezeichnet werden, damals anders als heute zwar
stärkste Kraft wurden, aber über keine Mehrheit
verfügten: Es wurde eine Koalition mit
„profranzösischen“ bürgerlichen Parteien gebildet.
Talamoni, der schärfere Positionen einnimmt als
Simeoni und die Unabhängigkeit noch als Fernziel
bezeichnet, wurde dabei Parlamentspräsident.
Ausgestattet mit einer nun absoluten Mehrheit und
im Kontext der Gebietsreform ab 1. Januar 2018 –
die beiden französischen Verwaltungsbezirke auf
Korsika werden abgeschafft, die Region erhält
dagegen verstärkte Vollmachten, anders als deutsche
Bundesländer allerdings noch immer keine
Gesetzgebungsbefugnis – werden die
Inselnationalisten jedoch nun stärker als zuvor
Politik gestalten können. Und auch müssen, auch
wenn das im Alltag keineswegs immer romantisch
ausfällt wie korsische polyphonie-Gesänge.
Als Katalonien im Oktober 17 Anstalten zu machen
schien, von Spanien unabhängig zu werden, dockte
vor allem Talamoni demonstrativ an diese
Entwicklung an und begrüßte demonstrativ „die
katalanische Republik“. Mit diesem Blick
stand er nicht alleine. Aber auch Talamoni, vormals
Chef einer eigenen Partei unter dem Namen
Corsica Nazione, stellte vor den
diesjährigen Wahlen klar, ein Votum über die
Unabhängigkeit stehe bei ihnen nicht zur Debatte.
Eine solche Möglichkeit sieht er eher erst „in
zehn bis fünfzehn Jahren“, wie er erklärte.
Und falls die Ökonomie dies erlaube sowie die EU es
unterstütze, fügt seine Umgebung mitunter hinzu.
Über eine
eigenständige Ökonomie verfügt Korsika kaum, sehr
im Unterschied zu Katalonien. Geld wird legal
vorwiegend mit Tourismus, halblegal mit Spielhöllen
oder illegal in der Organisierten Kriminalität (OK)
– mit frankreichweiten Verzweigungen – verdient.
Frankreich hatte Korsika, welches es 1768
militärisch erobert hatte, lange als Quasi-Kolonie
behandelt. Durch Zollschranken wurden Importe vom
Festland erleichtert, Ausfuhren erschwert und die
Landwirtschaft zerstört. Eine Besonderheit war,
dass Korsika als Personalreservoir für die
Besiedlung des restlichen Kolonialreichs und für
die Aufstockung von Armee und Polizei benutzt
wurde, weshalb viele Pariser Parteifunktionäre noch
heute korsische Namen tragen - und die korsische OK
unter anderem Geld im Glücksspielssektor in halb
Afrika schöpft.
Politische Herrschaft übte der französische Staat
auf der Insel mittels der „Clans“ aus. Bei ihnen
handelte es sich um Großfamilien, die Ableger der
politischen Parteien Festlandsfrankreichs aufbauten
und als Fassade benutzten – dies widerfuhr den
Gaullisten, den linksliberalen „Radikalen“ wie der
französischen KP – und Sozialhilfe-Ansprüche ebenso
wie Arbeitsplätze beim französischen Staat fast
nach Gutdünken verteilten. Demgegenüber entstand
die nationalistische Bewegung um 1975 als
Alternative, welche sich als antikolonial,
international orientiert und progressiv verstand.
An diesem Anspruch war sie 15 Jahre später komplett
gescheitert. Die korsischen Nationalisten hatten
sich ungenügend gegenüber der OK abgegrenzt, die
auch als Waffnbeschaffer diente. Sie trieben
„Revolutionssteuern“ ein und splitterten sich in
zahllose Untergruppen, die teilweise halbmafiösen
Interessen dienten, auf. Als diese 1993/94
gegeneinander Krieg führten, starben um die fünfzig
Aktivisten durch Kugeln. Eine andere Tendenz
orientierte sich daraufhin in Richtung
insitutioneller Realpolitik. 1999/2000 kam es zu
einer ersten Koalition im Inselparlament mit
staatsragenden Konservativen, aus ihr erwuchs die
erste Autonomieregelung. Bürgerliche Kräfte
interessierten an ihr vor allem lockerere
Investionsregeln.
Ìhren jüngsten
Siegeszug verdanken die Nationalisten vor allem der
Implosion der „Clan“parteien, vor allem seitdem der
frühere Abgeordnete Paul Giacobbi im Januar d.J. zu
drei Jahren Haft und fünf Jahren Mandatsverbot
verurteilt wurde., selbstredend wegen Korruption.
Seitdem liefen viele Kommunalverordnete der
etablierten profranzÖsischen Parteien zu den
Inselnationalisten über. Drei von vier
Abgeordneten, die Korsika in der französischen
Nationalversammlung vertreten, sind seit den
Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres
Nationalisten.
Zwei ihrer
gegenwärtigen politischen Vorhaben dürften sie beim
Zentralstaat anecken lassen, da sie eine Änderung
der Verfassung erfordern würden: die Forderung nach
amtlicher Zweisprachigkeit – in Französisch und
Korsisch, einer Sprache, die mit dem italienischen
Dialekt im Raum Pisa verwandt ist – und nach einem
besonderen Immobilienrecht.
Letzteres soll laut Vorstellung der
Inselnationalisten den Erwerb von Grund und Boden
daran knüpfen, dass der Aufkäufer seit mindestens
fünf Jahren den Hauptwohnsitz in Korsika aufweist.
Diese Forderung bildet zwar die Antwort auf ein
sehr reales Problem, nämlich das der
Immobilienspekulation – an welcher sich viele
begüterte Festlandsfranzosen beteiligen – und der
mit ihr sowie dem Flächenbedarf des Tourismus
einhergehenden Landschaftszerstörung. Rund 40
Prozent der Privatwohnungen auf Korsika sind
Zweitwohnsitze von Personen, deren Erstwohnsitz
sich außerhalb der Insel befindet. Doch antwortet
diese Idee auch auf ein echtes Problem, so ist doch
die vorgeschlagene Lösung selbst hoch
problematisch.
Sie könnte sich nämlich auch als Diskriminierung
von real auf Korsika lebenden und arbeitenden
Zuwanderer auswirken, und dadurch auch etwa dem
Front National im übrigen Frankreich eine
Steilvorlage liefern. Letzterer ist übrigens auf
Korsika nur schwach vertreten. Bei den
Regionalparlamentswahlen von Ende 2015 erhielt der
FN auf der Insel erstmals über zehn Prozent, doch
verlor er jetzt wieder die Hälfte seines
Stimmenanteils dort, wodurch er nun erneut
außerparlamentarisch bleibt. Manchen Beobachtern
gelten die Inselnationalisten als Damm gegen den
Einfluss der extremen Rechten – während es
Rassismus etwa gegen maghrebinische Zuwanderer auch
auf Korsika gibt -, anderen hingegen eher als
alternatives Angebot, das die potenziell rechten
Wähler vorzögen. Es stimmt allerdings, dass die
Inselnationalisten bislang mehrheitlich klar nicht
der Tendenz zum Rassismus nachgegeben haben.
Allerdings wurde Talamoni im Sommer 2000 durch
einen Aussteiger aus dem korsischen
Nationalistemilieu und vereinzelte Pressberichte
nachgesagt, Sympathien für und Kontakte zur
italienischen rechtsextremen Lega Nord zu hegen.
Jedoch: Sollte es eine solche Beziehung zu der
rassistischen Regionalpartei – die damals durch
Umberto Bossi geführt wurde – gegeben haben, dann
scheint sie abgebrochen. Über weitere Kontakte zu
ihr wurde jedenfalls seit langem nichts bekannt.
Die beiden Knackpunkte der Sprachpolitik und des
geforderten Aufenthaltsstatus bei Grunderwerb
dürften mit der französischen Zentralregierung eher
nicht kompromissbereit zeigen. Auch wenn der
jetzige Präsident Emmanuel Macron als Kandidat –
bei seinem Besuch auf Korsika im April dieses
Jahres – „Pragmatismus“ im Umgang mit den Verlangen
der Inselnationalisten versprochen hatte und nicht
als zentralstaatsfixierter Jakobiner gilt.
Kompromisse scheinen dagegen bei einer anderen
Frage hinter den Kulissen bereits angedacht worden
zu sein, nämlich beim Umgang mit den vormals
bewaffnet agierenden Nationalisten, die durch die
Wahlsieger als „politische Gefangene“ bezeichnet
werden. Offiziell fordern die Inselnationalisten
ihre Amnestierung und Freilassung. In Wirklichkeit,
so lassen Pressberichte durchblicken, könnten alle
Seiten sich mit der Verlegung der Inhaftierten von
Haftanstalten im Großraum Paris in Gefängnisse auf
der Insel abfinden. Familienbesuche würden dadurch
beträchtlich erleichtert.
In
der französischen Presse bezeichnete Chefredakteur
Laurent Joffrin zwar am Montag, den 11.12.17 in
Libération die Inselnationalisten als
„Wolf im Aufzug und mit der Stimme von
Rotkäppchen“, und der rechtslastige
Kommentator Yves Thréard warten in der
konservativen Tageszeitung Le Figaro
Macron vor einem „Ausverkauf eines Stücks
Frankreich“. Real sind jedoch zumindest
einige Kompromisslinien vorgezeichnet. Dass die
Insel den katalanischen Weg geht, ob nun erfolglos
oder erfolgreich, ist derzeit erkennbar
unwahrscheinlich.
Editorischer Hinweis
Überarbeitete Langfassung eines Beitrags, welcher
gekürzt am 14. Dezember 17 in der Berliner
Wochenzeitung ‘Jungle World’ erschienen ist.
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