Migranten, sucht Euer Glück gefälligst in Afrika!
Rückblick auf den EU-AU-Gipfel in Abidjan

von Bernard Schmid

 

12/2017

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Eine weitere extraterritoriale Auslagerung der Migrations- und Asylpolitik, weg von der Europäischen Union möglichst weit in die geographische Mitte Afrikas hinein: Das ist im Kern, was der fünfte gemeinsame Gipfel von EU und Afrikanischer Union (AU) vom Mittwoch und Donnerstag voriger Woche (29. und 30. November 17) in Abidjan ergab. Und dies unter pseudo-humanitärer Berufung auf das „Drama“, das subsaharische Migranten derzeit in Libyen durchleben, wo die Versklavung von Migrationswilligen in den letzten Wochen einen internationalen Skandal auslöste.

Genauer gesagt, handelt es sich nicht um ein direktes Ergebnis des Gipfeltreffens, bei dem – wie bei solchen Showveranstaltungen mitunter üblich – eher wenig Konkretes herauskam. Zwar waren auch dort Migration sowie die Situation in Libyen, und zum Abschluss des Treffens von 60 Staats- und Regierungschefs sowie insgesamt 90 Delegationen wurde eine Erklärung mit „vier Prioritäten“ verabschiedet. Diese enthält jedoch nur Allgemeinplätze, wie sie in ähnlichen Texten seit Jahren oder eher Jahrzehnten auftauchen.

So soll Migration eingedämmt werden, indem Afrikaner/inne/n in ihren Herkunftsländern eine Perspektive geboten wird, indem dort investiert wird und Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach in diesem Zusammenhang davon, die Betreffenden und vor allem die afrikanische Jugend könnten dann „ihr Glück in Afrika finden“. Wunderschön klingende Lippenbekenntnisse, wie sie in noch jeder Sonntagsrede zum Thema „Bekämpfung von Fluchtursachen“ auftauchen und im Munde von Politikern in EU-Staaten – von Horst Seehofer bis hin, jedenfalls in jüngerer Zeit, zu Jean-Luc Mélenchon – gerne gegen den Anspruch auf internationale Bewegungsfreiheit in Stellung gebracht werden.

Und natürlich sollen auch Frieden und Sicherheit gewahrt respektive wiederhergestellt werden. In der Sahelzone, wo es von djihadistischen Bewegungen über separatistische Kräfte bis zu Drogen- und anderen Handelskartellen eine Reihe von Problemen gibt, soll dazu die militärische Streitkraft der als „G5 Sahel“ bezeichneten, im Februar 2014 gegründeten Staatengruppe verstärkt werden. Über Näheres entscheidet dann allerdings eine Konferenz, die am 13. Dezember 17 in Paris stattfindet (ANM.: mittlerweile stattgefunden hat). Was einmal mehr die Rolle Frankreichs als faktische Hegemonialmacht in der Region unterstreicht.

Wesentlich konkreter fiel unterdessen die Repressionserfahrung aus, welche die örtliche „Zivilgesellschaft“ – um einen viel strapazierten, und ansonsten bei solchen Gipfeln positiv besetzten Begriff zu benutzen – im Zusammenhang mit dem Gipfel machen musste. Am Dienstag vergangeNer Woche – 28.11.17 - sollte in der Wirtschaftsmetropole der Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), wo auch das offizielle Gipfeltreffen stand, ein Gegengipfel „von unten“ mit eintägigem Vorsprung beginnen. Dieser wurde allerdings durch starke Polizeikräfte verhindert, die bereits ab fünf Uhr den Veranstaltungsort, das Gewerkschaftshaus im Stadtteil Treichville, okkupierten. Die Repressionskräfte des als ebenso wirtschafts- wie frankreichfreundlich geltenden Präsidenten Alassane Ouattara verboten den ausländischen Delegationen den Zutritt, beschlagnahmten die Mobiltelefone einiger Teilnehmer/innen und zerschlugen technische Geräte, die für die Konferenz genutzt werden sollten.

Unterdessen wurden die versammelten Staats- und Regierungschefs bei einem eher informellen Treffen, das am Rande des Gipfels stattfand, präziser im Zusammenhang mit der Migrationsproblematik und den Vorgängen in Libyen. Rund um den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, den AU-Generalsekretär Moussa Faki Mahamat sowie mehrere regionale Staatschefs – unter ihnen die Oberhäupter der Republik Niger und des Tschad, Mahamadou Issoufou und Idriss Déby – beschloss die Runde, einen Vorstoß für die in Libyen bedrohten Migranten zu starten. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wirkte bei dem Plan mit.

Im Kern handelt es sich dabei schlicht um eine Rückführungsinitiative: Von der Prämisse ausgehend, es sei eine strikte Trennung zwischen „reinen Wirtschaftsflüchtlingen“ und „politischen Exilanten“ möglich und Erstgenannte machten angeblich 80 Prozent der sich in Libyen Aufhaltenden aus, soll diese Gruppe in ihre Ursprungsländer zurückbefördert werden. Auf freiwilliger Basis und zunächst für 15.000 von ihnen. Dazu gibt es bescheidene „Rückkehrhilfen“ als finanziellen Anreiz. Eine Gruppe von vierzig Staatsbürgern Nigerias wurde auf dieser Grundlage Ende voriger Woche ausgeflogen. Jenes Fünftel der in Libyen blockierten Migranten, das - dem Axiom der Staatschefs zufolge - in ihren Herkunftsländern als bedroht gelten muss, soll nicht dorthin zurücktransportiert werden. Allerdings auch nicht in die EU oder andere Länder des Nordens, sondern in Auffanglager auf dem Territorium der Staaten Niger und Tschad. Dort soll dann nach Resettlement-Möglichkeiten für die Betreffenden in einem der Länder des Nordens gesucht werden.

Sonderlich originell ist der Plan mit den Zwischenlagern im Tschad und in der Republik Niger mittlerweile allerdings nicht mehr. Vielmehr machten Emmanuel Macron im Sommer dieses Jahres in Frankreich bereits einen identischen Vorschlag: Am 28. Juli 17 in Orléans sprach er sogar davon, „Hot-spots“ ähnlich dem Durchgangslager auf der griechischen Insel Lesbos auf libyschem Boden einzurichten. Am 08. August 17 korrigierte sein Innenminister Gérard Collomb ihn dann dahingehend, in Libyen selbst sei dies aufgrund der Sicherheitslage nicht möglich, man denke „lediglich“ (sic) über Transitlager in den südlich angrenzenden Anrainerstaaten nach, also eben Tschad und Niger. Ende Oktober d.J. hat die französische Agentur für Flüchtlinge OFPRA dort bereits mit ersten Anhörungen begonnen, um unter insgesamt 3.000 dort eingetroffenen Migrationswilligen die Spreu („Wirtschaftsflüchtlinge“) vom Weizen der „echten politischen Flüchtlinge“ zu sortieren. Auch wenn die deutsche Tageszeitung Die Welt die Sache tendenziell als eine Idee Angela Merkels oder ihres Umfelds auf dem Abidjan-Gipfel darstellt, ist das Vorhaben also bereits ein paar Monate älter.

Emmanuel Macron nutzte seine Reise zu diesem Gipfel nebenbei zu seiner ersten offiziellen Visite in der neokolonialen Einflusszone Frankreichs. An der Universität in Ouagdadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, hielt er am Dienstag, den 28. November 17 eine doch viel erwartete Rede. Dabei stellte er sich ein wenig geschickter an als etwa sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozys, dessen Antrittsrede in Afrika – der discours de Dakar vom 26. Juli 2007 – zu einer äußerst peinlichen und skandalumwitterten Veranstaltung geriet. Inmitten der von modernem Leben geprägten senegalesischen Hauptstadt dozierte Sarkozy damals an der dortigen Universität: „Der afrikanische Mensch ist nicht genügend in die Geschichte eingetreten“, denn angeblich gebe es „für den afrikanischen Bauern nur den zeitlosen Wechsel der Jahreszeiten“, ohne jeglichen anderen nicht-zyklischen Zeitbegriff. Sarkozys sonst durch schwülstig-patriotische Ergüsse auffallender Redenschreiber Henri Guaino war dabei von Vorstellungen Georg Willhelm Friedrich Hegels beeinflusst gewesen. Dieser Auftritt löste zahlreiche Proteste aus.

Emmanuel Macrons Berater stellten es da wesentlich geschickter an. Im Vorfeld veranstalteten sie ein micro-trottoir, also eine Umfrage mit offenen Fragestellungen, unter jungen Einwohner/inne/n von Ouagadougou, um deren Erwartungen auf den Zahn zu fühlen. Wie jeder seiner drei Amtsvorgänger versprach Macron dann, mit der Françafrique – also dem französischen alten und neuen Imperialismus in West- sowie Zentralafrika – werde es nun aber wirklich ein Ende haben. Seit circa fünfzehn Jahren tritt jeder französische Präsident mit dem Versprechen an, die Françafrique habe es gegeben, aber eben bis gestern, seit heute sei nun wirklich Schluss damit. Emmanuel Macron nahm dabei aber sogar ein Zitat des 1987 ermordeten, revolutionär orientierten burkinabesischen Präsidenten Thomas Sankara in den Mund, nämlich dessen Slogan Oser l’avenir („Die Zukunft wagen“). Was die Ermordung Sankaras und die mutmaßliche französische Mitwirkung an ihr betrifft, versprach Macron anders als seine Vorgänger eine Öffnung der bislang verschlossenen Archive. Kenner der Materie wie der französische Buchautor zu Sankara, Bruno Jaffré, bleiben jedoch skeptisch.

Vorwürfe des Neokolonialismus wehrte Macron ab, indem er jene unter anwesenden 800 Studierenden, die ihm Fragen stellten, kumpelhaft duzte und hinzufügte, er wolle gar nicht für Alles in Afrika verantwortlich sein. Als Studierende sich über die mangelhafte Stromversorgung beklagten, nutzte Macron die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dafür fühle er sich nicht zuständig. Als sein burkinabesischer Amtskollege Roch Marc Christian Kaboré kurz den Saal verließ, wohl um zu telefonieren, lästerte Macron: „Er ist wohl die Klimaanlage reparieren gegangen!“ Dies fasste er selbst als lockeren Umgang auf, trug ihm jedoch bei manchen erst recht den Vorwurf neokolonialer Arroganz ein, weil er seinen Amtskollegen symbolisch zum Dienstboten degradierte. Wesentlich ausweichender beantwortete Macron unterdessen Fragen nach der wirtschaftlichen Abhängigkeit der früheren Kolonien von Frankreich. Nachdem mindestens zwei Fragesteller wissen wollten, warum Staaten der franc CFA-Währungszone in Afrika mindestens 50 Prozent ihrer Devisenreserven dauerhaft bei der französischen Zentralbank einlagern müssen, antwortete er haarscharf an der Frage vorbei: „Ich habe die Goldvorkommen Burkina Fasos nicht in Paris versteckt, und sollten sie dort sein, dann verratet mir wo!“

Tags zuvor war bei seiner Ankunft in Ouagadougou am Montag Abend (27. November 17) eine Granate auf Macrons Autokonvoi geworfen worden, möglicherweise von Jihadisten, während am Dienstag, den 28. Nov. bei Jugend- und Studierendenprotesten Autoreifen verbrannt und anti-neokoloniale Parolen gerufen wurden. Trotz Macrons locker-flockigem Umgangston dürfte die Kritik vor Ort nicht abgenommen haben.

Editorischer Hinweis

Überarbeitete Langfassung eines Beitrags, welcher gekürzt am 07. Dezember 17 in der Berliner Wochenzeitung ‘Jungle World’ publiziert wurde