100 JAHRE NOVEMBERREVOLUTION

Chronik zur Geschichte der Novemberrevolution

12/2018

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1. Dez.

Mehrere Massenversammlungen des Spartakusbundes in Berlin, auf denen K. Liebknecht, Rosa Luxemburg, W. Pieck u. a. sprechen, erklären sich mit überwiegender Mehrheit gegen eine Nationalver­sammlung, für die Macht der ASR und die Bewaffnung des Proletariats.

In Halle (Saale) fordern 25 000 Demonstranten die Sicherung der Macht des ASR.
In einigen westdeutschen Städten kommt es zu Zusammenstößen mit konterrevolutionären Fronttruppen.

Tagung von 326 SR des Feldheeres der Westfront in Bad Ems. Die OHL hat über ihren SR die Einberufung dieser Tagung veranlaßt. Es gelingt ihr jedoch nicht, die SR für die Auflösung der ASR zu gewin­nen. Die SR fordern im Gegenteil die Aufstellung von Bichtlinien für Organisation und Tätigkeit der SR beim Feldheer, sprechen sich aber für Wahlen zur Nationalversammlung aus und sichern dem Rat der Volksbeauftragten ihre Unterstützung zu.

Bildung des Generalsekretariats zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus. Diese als wissenschaftliche Institution getarnte Ver­einigung wird vom deutschen Finanzkapital finanziert. Vom General­sekretariat wird am gleichen Tag die Antibolschewistische Liga als Mas­sen- und Rahmenorganisation zur Bekämpfung der Revolution und zur Verfolgung revolutionärer Arbeiterführer gegründet.

Das Berliner ..Mitteilungsblatt" der USPD, das unter dem Einfluß lin­ker Kräfte steht, bezeichnet den „Schrei nach der Nationalversamm­lung" als „Sammelruf für alle gegenrevolutionären und kapitalistischen Kreise" und fordert die Festigung und Erweiterung der Positionen der ASR.

2. Dez.

K. Liebknecht spricht vor 10 000 Arbeitern und Angestellten der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, Berlin-Wittenau, Ber­lin-Moabit und Berlin-Oberspree, im Zirkus Busch. Diese und die 2500 in der Parallelversammlung in den Sophiensälen Anwesenden pro­testieren gegen die geplante Schließung der Betriebe. Sie fordern Her­absetzung der Arbeitszeit, Beschneidung der Kriegsgewinne und So­zialisierung der Betriebe.

Vom Spartakusbund einberufene Massenversammlungen in Barmen, Düsseldorf, Elberfeld, Essen und Solingen erklären sich mit überwie­gender Mehrheit für die Macht der Räte und gegen eine Nationalver­sammlung.

Im Leitartikel der „Roten Fahne" „Rüstung der Revolution" deckt K. Liebknecht die konterrevolutionären Maßnahmen und Bestrebungen der militaristischen Kräfte auf. Er fordert: Entfernung der Offiziere aus den SH und deren Ersetzung durch erprobte revolutionäre Soldaten; Wiederaufhebung der Kommandogewalt der Offiziere; Einführung einer demokratischen Heeresorganisation besonders unter den Front­truppen; energische Propaganda unter den Soldaten für die soziale Revolution; sofortige Bewaffnung der revolutionären Arbeiter und pro­letarischen Soldaten, Schaffung einer Arbeiterniiliz und. als ihren nkli-ven Teil, einer Roten Garde; Entwaffnung aller iiichlproletarisch-reak-tionären Elemente.

2.-5. Dez.

1800 Arbeiter der Zeche Matthias Stinnes in Karnap (b. Essen) streiken um Erhöhung der Löhne.

3. Dez.

Massenkundgebung und Demonstration des Spartakusbun­des in Essen gegen die konterrevolutionären Putschversuche im rhei­nisch-westfälischen Industriegebiet. Zentrum der Verschwörung ist die Krupp-Villa „Hügel". In Gevelsberg, Haspe und Milspe werden konter­revolutionäre Truppen von bewaffneten Arbeitern vertrieben.

4. Dez.

Versammlungen des Zentrums in Köln fordern unter Mitwir­kung K. Adenauers die Ausrufung der „Republik Rheinland-West­falen". Sie leiten eine Kampagne zur Abtrennung des Rhein-Ruhr-Ge­bietes von Deutschland ein, die von westdeutschen monopolistischen Kreisen aus Furcht vor der Revolution angestrebt wird.

5. Dez.

Die Vereinigung aktiver Unteroffiziere in Berlin stellt sich F. Ebert für den Kampf gegen die Revolution zur Verfügung.

Erste Sitzung der Sozialisierungskommission (24. Nov.). Ihr gehören an: K. Ballod, II. Cunow, E. Francke, R. Hilferding, O. Hue, K. Kautsky, E. Lederer, W. Raihenau, Th. Vogelstein, R. Wilbrandt.

5./6. Dez.

Artikel K. Kautskys „Nationalversammlung und Rätever sammlung" in der „Freiheit" veröffentlicht. Darin wird erklärt, daß sich die Räteorganisation für die Umsturzperiode höchst nützlich und unentbehrlich erwiesen habe. AR würden auch in der /weilen Phase der Revolution, der Periode der Konsolidierung und des Aufbaus der neuen Ordnung, eine gewisse Bedeutung bei der Vertretung der Interessen der Arbeiterschaft haben. Als staatliche Organe seien sie jedoch ungeeignet. Um die Produktion wieder in Gang zu bringen und alle Schichten des Volkes einzubezichen, sei die Einberufung einer Nationalversammlung von ausschlaggebender Bedeutung. Kautsky liefert mit diesem Artikel einen weiteren Beitrag zur Begründung der Politik des „dritten Weges", die zur Niederlage der Arbeiter und Soldaten in der Novemberrevolution, zur Restauration der imperialistischen und militaristischen Kräfte in der bürgerlich-parlamentarischen Weimarer Republik führt.

6. Dez.

Beratung der OHL mit monarchistischen Generälen und Offizieren im bischöflichen Palais in Paderborn über die Bildung eines Freiwilligenkorps in Westfalen. Generalmajor Maercker, der die Führung des Freiwilligen Landesjägerkorps übernimmt, formuliert mit seinem „Grundlegenden Befehl Nr. 1" vom 14. Dez., der die Zustimmung der OHLi, findet, Grundsätze der Organisation und Taktik von Freiwilligenverbänden zum Einsatz vor allem gegen die Revolution in Deutseliland. Nach dem Vorbild des Landesjägerkorps Maerckers bil­den sich das Landesschützenkorps, die Deutsche Schulzdiv., das Frei-korps Hülsen, das Freikorps Held und die Gardekavallerie-Schützen-div.

Putschversuch in Berlin, organisiert vom Berliner Stadtkommandanten 0. Wels, dein Generalkommando des Gardekorps, dem Kriegsministe­rium und dem Auswärtigen Amt. Von reaktionären Offizieren geführte Truppenteile verhaften den Vollzugsrat der Berliner ASR, besetzen die Redaktion der „Roten Fahne", rufen F. Fibert zum Präsidenten aus und schießen in eine unbewaffnete Demonstration, wobei 14 Demonstran­ten getötet und mehr als 30 verwundet werden. Der Putschversuch bricht zusammen. Am 7. Dez. dringt erneut eine Gruppe reaktionärer Soldaten in die Redaktion der „Roten Fahne" ein und versucht K. Lieb­knecht zu verhaften. Revolutionäre Arbeiter klären die von den konter­revolutionären Elementen mißbrauchten Soldaten auf und verhindern die Verhaftung.

Die bürgerliche Presse meldet, daß die Entente weitere Lebensmittel-Sendungen von der sofortigen Auflösung der ASK abhängig mache.

7. Dez.

Die Arbeiter zahlreicher Berliner Betriebe folgen dem Aufruf des Spartakusbundes zum Proteststreik gegen den Putschversuch. Rd. 30 000 Berliner Arbeiter, viele von ihnen bewaffnet, demonstrieren mit K. Liebknecht und W. Pieck an der Spitze.

Eine vom AR in Köln einberufene Versammlung protestiert gegen den separatistischen Plan westdeutscher monopolkapitalistischer Kreise, die „Republik Rheinland-Westfalen" auszurufen.
Der Mülheimer ASR verhaftet Großindustrielle und Direktoren von Hütten und Bergwerken, u.a. E. Stinnes, A. und F.Thyssen, wegen ihrer Versuche, Enlentetruppen zur raschen Besetzung des Ruhrgebie­tes Zu bewegen. Sie werden vom Rat der Volksbeauftragten in Berlin jedoch nach einigen Tagen wieder freigelassen.

8. Dez.

Protestdemonstration von rd. 150 000 Berliner Arbeitern unter der Führung des Spartakusbundes gegen die konterrevolutionären Putschversuche.

Die SPD veranstaltet Gegcnkundgebungen. Ph. Scheidemann behaup­tet, die Gefahr komme von links, und deckt damit die konterrevolutio­nären Putsche der Militaristen.

Der ASR Hamburg vereitelt durch die Verhaftung konterrevolutio­närer Rädelsführer einen Putschversuch.

In Chemnitz schlagen revolutionäre Arbeiter einen Überfall konterrevo­lutionärer Truppen auf den ASR zurück.

Die Parteileitung der USPD ruft zur Vorbereitung der Waiden für die Nationalversammlung auf.

Der Chef des Generalslabes, Generalfeldmarschall v. Hindenhurg, fordert in einem Brief an F. Ebert die sofortige Beseitigung der ASR, die Wiederherstellung der militärischen Kommandogewalt und des Vorgesetztenverhältnisses sowie die Einberufung der Nationalversamm­lung noch im Dez.

9. Dez.

Massendemonstration des Berliner Proletariats anläßlich der Beisetzung der Opfer des konterrevolutionären Putsches vom 6. Dez.

Der Berliner Stadtkommandant 0. Wels läßt die Büroräume des Spar­takushundes militärisch besetzen, um nach „Waffen zu suchen".

Vom ASR Hamburg einberufene Massenversammlungen wenden sich gegen die konterrevolutionären Machenschaften bürgerlicher Kreise.

9. —17. Dez.

Im Ruhrgebiet streiken bis zu 28 000 Bergarbeiter für Erhöhung der Löhne und Verkürzung der Arbeitszeit. Die Bergarbeiter einiger Hamborner Zechen setzen den Streik bis Ende Dez. fort.

10. Dez.

F. Ebert begrüßt von konterrevolutionären Offizieren geführte Gardetruppen, die bewaffnet in Berlin einrücken.

Der Sowjetdelegation zum Reichsrätekongreß wird vom Rat der Volks-beauftragten die Einreise verweigert.

Das „Volksblatt" (Halle [USPD]) verlangt in dem Artikel „Wo bleibt der Parteitag?" die unverzügliche Einberufung eines Parteitages der USPD, auf dem Klarheit über die weitere Politik der Partei geschaffen werden soll. Die Forderung nach Einberufung eines Parteitages erhebt am 15. Dez. auch die Konferenz des Bezirks Wasserkante der USPD.

11. Dez.

Veröffentlichung des Programms der Sozialisierungskommi-sion (5. Dez.). Es schlägt die Sozialisierung, d.h. Verstaatlichung bzw. Kontrolle, „dazu reifer Zweige" der Volkswirtschaft gegen Entschädigung ihrer Besitzer vor. Bei den Kreditbanken wie den Wirtschafts­zweigen der Exportindustrie sollen die bisherigen Besitzverhältnisse beibehalten werden. Wiederbelebung der Produktion sei erste Voraussetzung jeglicher Sozialisierung. Dieses Programm und die demagogische Losung „Die Sozialisierung marschiert" dienen dazu, die Enteignung der Konzern- und Bankherren zu verhindern und die gegen­revolutionären Maßnahmen des Rates der Volksbeauflragten zu tarnen.

12. Dez.

Demonstrationsstreik von 6000 Arbeitern in Berlin-Rei­nickendorf für die Rätemacht, gegen die Nationalversammlung. Auf einer Kundgebung spricht K. Liebknecht.

Der Rat der Volksbeauftragten erläßt das Gesetz über die Bildung einer freiwilligen Volkswehr. "Langer einwandfreier' Frontdienst" als Bedingung für die Aufnahme offenbart den konterrevolutionären Charakter dieser Truppe.

14. Dez.

Das Programm des Spartakusbundes, „Was will der Spar-lakusbund ausgearbeitet von Rosa Luxemburg, wird in der „Roten Fahne" veröffentlicht. Es ist ein weiterer Schritt zur Vorbereitung der Gründung der KPD und die Grundlage ihres Programms.

Der Rat der Volksbeauftragten verordnet die Abgabe von Waffen. Das bedeutet die Entwaffnung des revolutionären Proletariats.

16. Dez.

Verbandsgeneralversammlung der USPD von Groß-Berlin. H. Haase rechtfertigt die Beteiligung der USPD an der Regierung, die Politik des Rates der Volksbeauftragten und begründet die Notwendig­keit der Wahlen zur Nationalversammlung. Die von Rosa Luxemburg vorgeschlagene und begründete Resolution fordert: sofortigen Austritt der Vertreter der USPD aus der Regierung, Ablehnung der Einberu­fung der Nationalversammlung, sofortige Übernahme der ganzen poli­tischen Macht durch die ASR, Entwaffnung der Gegenrevolution, Be­waffnung des Proletariats, Auflösung des Rates der Volksbeauftragten, Ausstattung des Vollzugsrates der Berliner ASR mit der höchsten Staatsgewalt, sofortige Einberufung eines Parteitages der USPD. In der von R. Hilferding eingebrachten Resolution wird die Organisierung der Wahlen zur Nationalversammlung als wichtigste politische Aufgabe der USPD bezeichnet. Für die Resolution Rosa Luxemburgs werden 195, für die Resolution Hilferdings 485 Stimmen abgegeben. Die Ergebnisse der Versammlung fördern im Spartakusbund die Erkenntnis, daß es unmöglich ist, die USPD zu einer revolutionären Partei zu entwickeln, und daß die baldige Gründung einer selbständigen revolutionären Partei notwendig ist.

Unter Vorsitz K. Liebknechts findet im Sekretariat des Spartakusbundes in Berlin eine Beratung von Spartakusvertretern mit Delegierten der USPD zum Reichsrätekongreß statt. An ihr nehmen von der Spar-takusgruppe u. a. F. Heckert, E. Levine, W. Münzenberg und A. Schrei­ner, von der USPD u. a. P. Berten, 0. Brass, C. Geyer, K. Ryssel, J. Kretzen, F. Seger und E. Wurm teil. Es werden vier Anträge formu­liert, die auf dem Rätekongreß gestellt werden sollen. Diese enthalten u. a. die Forderung nach Übernahme der obersten gesetzgebenden und ausübenden Gewalt durch den Kongreß.

In der Diskussion um diese Anträge zeigen sich zwischen Spartakus­anhängern und Führern der USPD erhebliche Differenzen grundsätz­licher und taktischer Art, vor allem in der Stellung zur Nationalver­sammlung, so daß trotz der vier vereinbarten Anträge ein gemeinsames Auftreten auf dem Reichsrätekongreß nicht zu erreichen ist.

Massenkundgebung von 40 000 Arbeitern in Essen gegen den rheinisch-westfälischen Separatismus, für eine einheitliche sozialistische deutsche Republik.

Die Delegiertenversammlung der USPD des Bezirks Wasserkante in Hamburg fordert die Einigkeit der Arbeiterklasse, den Austritt der Ver­treter der USPD aus der Regierung und die sofortige Einberufung eines Parteitages.

Teuerungsunruhen in Dresden.

15.—17. Dez.

Die 1. Reichskonferenz der Internationalen Kommu­nisten Deutschlands in Berlin erklärt als Ziel des Kampfes die unmit­telbare Herbeiführung des Kommunismus, der über die Diktatur des Proletariats vorbereitet werden soll. Die Konferenz beschließt eine Re­solution, die sich gegen den Kampf der Betriebsräte um Produktions­konirolle wendet und stattdessen die Inbesitznahme der Betriebe for­dert, über die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung wird keine einheitliche Auffassung erzielt. Die Konferenz nimmt für die Rätemacht Stellung, unterschätzt aber die Notwendigkeit des Kampfes um demokratische Ziele zur Heranführung der Massen an die sozia­listische Revolution.

Mitte Dez.

Erste Parlamentswahlen nach Beginn der Novemberrevolution in Anhalt, Mecklenburg-Strelitz, und Braunschweig. Wahlergebnisse: Anhalt (15. Dez.): 22 Abg. der SPD, 12 der DDP, 2 der DNVP;  Mecklenburg-Strelitz (15. Dez.): 21 Abg. der SPD, 18 der DDP, 1 des Mecklenburger Dorfbundes, 2 des Verbandes für Handwerk und Gewerbe; Braunschweig (22. Dez.): 17 Abg. der SPD. 14 der USPD, 13 der DDP, 16 der DNVP und DVP (Braunschweiger Landeswahlver-band).

16. Dez.

Gründung der Kommunistischen Arbeiterpartei Polens.

Massendemonstration von 250 000 Berliner Arbeitern und Soldaten für die Forderungen des Spartakusbundes an den 1. Reichsrätekongreß. Die Demonstranten entsenden eine Deputation, die dem Kongreß fol­gende Forderungen unterbreitet: Schaffung einer einigen sozialistischen Räterepublik; Beseitigung der Ebert-Regierung; Entwaffnung der Gegenrevolution und Bewaffnung des Proletariats. Vor dem preußischen Abgeordnetenhaus, in dem der Rätekongreß tagt, spricht K. Liebknecht zu den Demonstranten über die Aufgaben des Kongresses.

16.—21. Dez.

1. Allgemeiner Kongreß der ASR Deutschlands in Ber­lin (1. Reichsrätekongreß). 489 Delegierte: SPD 291, USPD 90 einschl. Spartakusbund (10), DDP 25, Soldaten 25, Vertreter linksradikaler u. a. revolutionärer ASR 10, Fraktionslose 48. Der Antrag, K.Liebknecht und Rosa Luxemburg mit beratender Stimme zuzulassen, wird durch die rechtssozialdemokratische Mehrheit abgelehnt, Tagesordnung: Berichte des Vollzugsrates der Berliner ASR (R. Müller) und der Volksbeauflragten (W. Dittmann); Nationalversammlung oder Räteverfassung (M.Cohen, E. Däumig); Wahl des Vollzugsrates der Republik (Zentralrat); Sozialisierung des Wirtschaftslebens (R. Hilferding). Der Kongreß nimmt die Forderungen der revolutionären Berliner Arbeiter entgegen. Die rechten sozialdemokratischen Führer verhindern jedoch, daß über sie abgestimmt wird. Die von den Delegierten des Spartakusbundes und des linken Flügels der USPD eingebrachten Anträge zur Übertragung der gesamten Macht an die ASR werden abgelehnt. Die Mehrheit stimmt am 18. Dez. dem sozialdemokratischen Antrag zu, „bis zur anderweitigen Regelung durch die Nationalversammlung die gesetzgebende und vollziehende Gewalt" dem Rat der Volksbeauftragten zu übertragen. Der gewählte Zentralrat der ASR, in dem nur Mitgl. der SPD vertreten sind, hat lediglich das Recht der parlamentarischen Überwachung. Mit großer Mehrheil wird beschlossen, die Wahlen zur Nationalversammlung auf den 19. Jan. 1919 festzusetzen. Mit diesen Beschlüssen entscheidet der Kongreß in der Grundfrage der Revolution, Rätemacht oder bürgerliche Nationalversammlung, zu­gunsten des bürgerlichen Staates. Der Kongreß stimmt einem Be­schluß zu, der die Kommandogewalt über Heer und Marine dem Rat der Volksbeauftragten unter Kontrolle des Zentralrats überträgt, die Abschaffung aller Rangabzeichen und des außerdienstlichen Waffen­tragens anordnet, die Verantwortung für die Zuverlässigkeit der Truppenteile den SR überträgt, die Wählbarkeit der militärischen Führer festlegt, die Abschaffung des stehenden Heeres und die beschleunigte Errichtung der Volkswehr verlangt (Hamburger Punkte), der Beschluß wird jedoch nicht verwirklicht. Dem Verlangen großer Teile der Arbei­terklasse entsprechend, wird der Beschluß angenommen, die Regierung zu beauftragen, mit der Sozialisierung aller hierzu reifen Industrien, besonders des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen. Auch dieser Be­schluß wird nicht verwirklicht. Der Kongreß kennzeichnet den Wendepunkt in der Revolution zugunsten der antinationalen, konterrevolutionären Kräfte. Seine Beschlüsse bringen das veränderte Kräfteverhältnis der Klassen zum Ausdruck.

19. Dez.

P. v. Hindenburg lehnt in einem Telegramm an alle AOK die Anerkennung des Beschlusses des 1. Reichsrätekongresses über die militärische Kommandogewalt ab.

22. Dez.

In einem Schreiben an den PV der USPD fordert W. Pieck i.A. des Zentralsekretariats des Spartakusbundes den Zusammentritt eines Parteitages der USPD. Gleichzeitig beschließt die Zentrale des Spartakusbundes für Ende Dez. die Einberufung einer Reichskonferenz, auf der zur Krisis in der USPD, zum Programm, zur Nationalversammlung und zur geplanten internationalen Konferenz der sozialdemokratischen Parteien in Bern Siedlung genommen werden soll. Am 24. Dez. läßt die Parteileitung der USPD in der „Freiheit" mitteilen, daß der Parteitag "wegen Verkehrsschwierigkeilen" nicht vor den Wah­len zur Nationalversammlung einberufen werden könne.

23. Dez.

Im Leitartikel der "Roten Fahne" „Die Wahlen zur Natio­nalversammlung" fordert Rosa Luxemburg die Wahlbeteiligung des revolutionären Proletariats, um die Parlamentstribüne zur Revolutio­nierung der Massen auszunutzen.

„Die Rote Fahne" veröffentlicht die Einladung zur Reichskonferenz des Spartakusbundes und deren Tagesordnung.

Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten. Darin legl der Rat der Volksbeauftragten die Rechtsverbindlichkeil der Tarifverträge und weiterhin die Bildung von Arbeiter- und Angestelltenausschüssen, die die Einhal­tung der Tarifverträge überwachen, das „gute Einvernehmen" zwischen Arbeitern und Unternehmern fördern und bei der Bekämpfung der Unfall- und Gesundheitsgefahren mitwirken sollen, sowie die Bildung von Schlichtungsausschüssen aus Vertretern der Arbeiter und Unternehmer für die Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten fcsl. Mil dieser Verord­nung sollen die revolutionären Betriebsräte, die Mitspracherecht bei allen Betriebsangelegenheiten und Kontrolle der Produktion fordern, unterdrückt werden.

24. Dez.

Artillerieangriff konterrevolntionärer Truppen unter Generalleutnant Lequis auf die Volksmarinediv. in Schloß und Marslall in Berlin auf Anweisung von F. Ebert, 0. Landsberg, Ph. Scheidemann und Kriegsminister Scheuch. Dabei finden 11 Matrosen und 56 Solda­ten der Lequis-Truppen den Tod. Die kämpfenden Matrosen erhalten Waffenhilfe durch die Berliner Arbeiter. Der Angriff bricht dadurch völlig zusammen.

Die 2. Reichskonferenz der Internationalen Kommunisten Deutschlands in Berlin beschließt die Vereinigung mit dem Spartakusbund und spricht sich für die Gründung einer kommunistischen Partei aus.

25. Dez.

In Berlin versammeln sich in der Siegesallee rd. 30 000 Ar­beiter und Soldaten zu einer Protestkundgebung gegen den konter­revolutionären Putschversuch vom 24. Dez. K. Liebknecht warnt vor der Illusion, daß der am Vorlage geschlagene" Gegner entmachtet sei. Er fordert zur Bewaffnung des Proletariats und zur Entwaffnung der Offiziere und aktiven Unteroffiziere auf. Der ständig anwachsende Zug der Kundgebungsteilnehmer demonstriert durch das Brandenburger Tor, vor das Schloß und den Marslall. Ein Teil der empörten Demon­stranten besetzt das „Vorwärts"-Gebäude, hißt dort die rote Fahne und beginnt mit dem Druck des „roten Vorwärts".

Die Generalversammlung des Wahlkreises Hanau-Gelnhausen-Orb der USPD verlangt die Einberufung eines Parteitages, der entscheiden soll, ob Vertreter der USPD noch mil Vertretern der SPD in einer Regierung bleiben dürfen.

29. Dez.

E. Barth, W. Dittmann und H. Haase (USPD) treten aus dem Rat der Volksbeauftragten aus und werden durch (I. Noske und R. Wissell (SPD) ersetzt. Die neue Reichsregierung erläßt einen Aufruf, in dem sie als ihre dringendsten Aufgaben das Zustandekommen der Nationalversammlung bezeichnet, Am 3. Jan. 1919 treten die Vertreter der USPD auch aus der preußischen Regierung aus.

Massendemonstration der Hamburger Arbeiter gegen den Überfall auf die Volksmarinediv. in Berlin (24. Dez.) und gegen die Regierung Ebert-Scheidemann.

30. Dez.— 1. Januar 1919

Gründungsparteitag der Kommunisti­schen Partei Deutschlands (KPD) im Festsaal des preußischen Abgeordnetenhauses in Berlin. 103 Teilnehmer, davon 83 Delegierte aus 46 Orten. 3 Vertreter des Roten Soldatenbundes. 1 Vertreter der Ju­gend und 16 auswärtige Gäste. Vorausgegangen war am 29. Dez. eine nichtöffentliche Konferenz des Spartakusbundes, in der gegen drei Stimmen die Trennung von der SPD und die Gründung einer eigenen Partei beschlossen wurde. Tagesordnung: die Krisis in der USPD (K. Liebknecht); die Nationalversammlung (P. Levi); unser Programm und die politische Situation (Rosa Luxemburg); unsere Organisation (H. Eberlein); wirtschaftliche Kämpfe (P. Lange); internationale Konferenz (H. Duncker).

Der Parteitag stimmt dem Referat Liebknechts zu, in dem er die Not­wendigkeit des Bruchs mit der USPD begründet, und faßt den Be­schluß über die Konstituierung des Spartakusbundes als selbständige politische Partei unter dem Namen Kommunistische Partei Deutsch­lands (Spartakusbund). Die Internationalen Kommunisten Deutsch­lands schließen sich der KPD an. Die Mehrheit der revolutionären Ob­leute, mit denen Liebknecht und W.Pieck während des Parteitages verhandeln, lehnt den sofortigen Beitritt ab. Als Abgesandter der So­wjetrepublik hält K. Radek eine Begrüßungsansprache. Der Parteitag sendet ein Grußtelegramm an die russische Räterepublik und prote­stiert gegen die Intervention deutscher Truppen im Baltikum. In einer einstimmig angenommenen Resolution lehnt der Parteitag Versuche der internationalen Sozialdemokratie ab, die II. Internationale wieder­zubeleben, und spricht sich für die Bildung einer neuen, revolutionären Internationale aus. Zu großen Auseinandersetzungen kommt es über die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung und in der Gewerkschaftsfrage. Käte Duncker, F. Heckert, Levi, Liebknecht und Rosa Luxemburg gelingt es nicht, den richtigen Standpunkt durchzu­setzen, daß sich die KPD an den Wahlen beteiligen soll, da das Kräfte­verhältnis einen sofortigen Kampf um die Macht ausschließt. Der Par­teitag lehnt mit 62 gegen 21 Stimmen die Wahlbeteiligung ab. Ebenso unterschätzt die Mehrheit der Delegierten die Arbeit in den von Reformisten geführten Gewerkschaften. Besonders wendet sich Heckert gegen die falsche Losung „Heraus aus den Gewerkschaften!". Großen Einfluß auf diese Haltung üben vor allem Vertreter der Linksradikalen, wie P. Frölich und O. Rühle, aus.

Einen Höhepunkt des Parteitages bilden die Beratung und die Annahme des Parteiprogramms, das im Entwurf in der „Roten Fahne" vom 14. Dez. unter dem Titel „Was will der Spartakusbund?" veröffentlicht worden ist. Das Programm stützt sich auf die Lehren von Marx und Engels. Es beantwortet die Grundfragen des Staates und der Revolu­tion grundsätzlich richtig, bekennt sich zur Diktatur des Proletariats und zur russischen Sowjetmacht. Es verallgemeinert die Erfahrungen der revolutionären Linken in der deutschen Arbeiterbewegung. Mil dem Programm werden die geschichtlichen Lehren aus der Entwicklung seit der Jahrhundertwende gezogen. Es zeigt der deutschen Arbeiter­klasse und der Nation den Ausweg aus der antinationalen Politik des deutschen Imperialismus, indem es die Notwendigkeit begründet, den deutschen Imperialismus und Militarismus zu stürzen und den Sozia­lismus zu errichten. Das Programm enthält Sofortmaßnahmen zur Sicherung und Weiterführung der Revolution, u. a. Entwaffnung der Polizei, der Offiziere und aller Angehörigen der herrschenden Klasse: Bildung einer Arbeitermiliz und einer Roten Garde: Abschaffung aller Einzelstaaten und Errichtung einer einheitlichen sozialistischen Republik; Beseitigung aller' Parlamente und Gemeinderäte und Übernahme ihrer Funktionen durch ASR, die neu gewählt werden sollen: gründ­liche Umgestaltung des Ernährungs-, Wohnungs- und Erziehungs­wesens sowie Verkürzung der Arbeitszeit; Konfiskation aller dynastischon Vermögen und Einkünfte; Enteignung aller landwirtschaftlichen Groß- und Mittelbetriebe, der Banken, Bergwerke und Hütten sowie aller Großbetriebe in Industrie und Handel; Regelung und Kontrolle der Produktion durch die Betriebsräte; Aufnahme von Verbindungen mit den Bruderparteien des Auslandes.

Der Parteitag wählt die Zentrale mit II. Duncker, Käte Duncker, H. Eberlein, P. Frölich, L. Jogiches, P. Lange, P. Levi, K. Liebknecht, Rosa Luxemburg, E. Meyer, W. Pieck und A. Thalheimer. Die Gründung der KPD ist ein Wendepunkt in der Geschichte Deutsch­lands und der deutschen Arbeiterbewegung. Sie legt den Grundstein für die marxistisch-leninistische Kampfpartei der deutschen Arbeiter­klasse, die fähig ist, die Arbeiterklasse und das ganze deutsche Volk im Kampf für die Befreiung von imperialistischer Kriegspolitik und kapi­talistischer Knechtschaft zu führen.

Ende Dez.

Als Vorbereitung für die bewaffnete Niederschlagung der revolutionären Bewegung in Berlin werden die ersten Freiwilligenverbände, das Freiwillige Landesjägerkorps, die Gardekavallerie-Schützen-div., die 17. und 31. lnfanteriediv., das Landesschültenkorps, das Frei­korps Hülsen und eine Marinebrigade, insgesamt rd. 10 000 Mann, im Süden und Südwesten von Berlin konzentriert.

Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands vereinigt 2 866 012, der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands 538 559, der Verband der Deutschen Gewerkvereine (Hirsch-Duncker) 113 792 Mitgl.

Quelle: Institut für Marxismus-Leninismus (HRG), Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Chronik, Band II, 1917-1945, Berlin 1966, S. 39 - 48