100 JAHRE NOVEMBERREVOLUTION

Zur Wirtschaftspolitik des Rates der Volksbeauftragten

von Ingo Materna

12/2018

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Am 10. November 1918 erklärte die Vollversammlung der Arbeiter­und Soldatenräte Berlins in ihrem Aufruf "An das werktätige Volk" zur Wirtschaftspolitik folgendes: "Die rasche und konsequente Ver­gesellschaftung der kapitalistischen Produktionsmittel ist nach der sozialen Struktur Deutschlands und dem Reifegrad seiner wirt­schaftlichen und politischen Organisation ohne starke Erschütte­rung durchführbar. Sie ist notwendig, um aus den blutgetränkten Trümmern eine neue Wirtscnaftsordnung aufzubauen, um die wirt­schaftliche Versklavung der Volksmassen, den Untergang der Kultur zu verhüten."(1) Dieser Beschluß entsprach den Vorstellungen und Wünschen der Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse.

Im Programm des Rates der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 hieß es zur Wirtschaftspolitik: "Die Regierung wird die geord­nete Produktion aufrechterhalten, das Eigentum gegen Eingriffe Privater sowie die Freiheit und Sicherheit der Person schützen."(2) Diesen unpräzisen, in Hinsicht auf die Entschließung der Vollver­sammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte nichtssagenden Programmpunkt ergänzte der Rat der Volksbeauftragten am gleichen Tage durch die Bekanntmachung Uber die Bildung des Reichsamtes für wirtschaftliche Demobilmachung, wie es hieß, "zur Überführung des deutschen Wirtschaftslebens in den Frieden".(3) Seine Gründung war bereits von der Regierung Max von Baden beraten und beschlossen worden auf Grund der Forderung führender Monopolisten (u.a. Rathe­nau, Stinnes, Vogler, von Borsig) und rechter Gewerkschaftsführer nach einer "geordneten Demobilisierung", d.h. nach der "geordneten" Überführung der imperialistischen Kriegswirtschaft in die imperia­listische Friedenswirtschaft. Als Teilaufgabe des Demobilmaohungs-amtes sahen die Monopolisten, so vor allem Rathenau, auch die Wie­dereingliederung der rückkehrenden Soldaten in den kapitalistischen Wirtschaftsprozeß. Diesem Amt wurde von vornherein für die Stabili­sierung der ökonomischen Macht der Monopole außerordentliche Bedeu tung beigemessen. Zum Staatssekretär des Demobilmachungsamtes wur­de der Leiter der Kriegsrohstoffabteilung im Preußischen Kriegs­minister ium, Dr. Joseph Koeth, ernannt. Koeth war ein Vertrauens­mann Rathenaus, der ihn bereits der Regierung Max von Baden für diesen Posten ausdrücklich empfohlen hatte(4). Ebert stellte sich in der Folge bei allen Angrifren auf Koeth, die gegen diesen wegen seiner exponierten Stellung im Kriegswirtschaftsapparat gerichtet wurden, schützend vor ihn und erklärte am 2. Dezember in der Sit­zung des Rates der Volksbeauftragten, "daß Koeth versichert habe, nie im Leben Beziehungen zur Schwerindustrie gehabt zu haben."(5)

Koeths Amt wurde mit umfassenden Vollmachten ausgestattet. Alle Zivil- und Militärbehörden sollten in Angelegenheiten der wirt­schaftlichen Demobilmachung "unweigerlich und mit größter Be­schleunigung" seinen Anweisungen folgen. Diese Vollmachten wurden durch eine Verordnung vom 27. November erweitert, wodurch das De-mobilmachungsamt das Recht erhielt, allen Zuwiderhandlungen gegen seine Anordnungen mit drakonischen Maßnahmen zu begegnen(6). So wur­de das Demobilmaohungsarat - mit fast diktatorischen Vollmachten ausgestattet - zu einer entscheidenden wirtschaftspolitisohen In­stanz. An seiner Spitze stand mit Koeth eine Schlüsselfigur des staatsmonopolistischen Kriegswirtschaftsapparates; er hatte enge Beziehungen zum Monopolkapital, speziell zu seinem "modernen" Flü­gel, der durch die Chemie-, Elektro- und Maschinenbauindustrie re­präsentiert wurde.

Koeth stellte für verschiedene Aufgabenbereiche Arbeitsgruppen zusammen, er förderte die Bildung sogenannter Fachkommissionen aus Unternehmer- und Gewerkschaftsvertretern für die einzelnen Indu­striezweige; sie sollten das Demobilmachungsamt z.B. bei der Ver­teilung von Aufträgen und Rohstoffen unterstützen. In der Sitzung des Rates der Volksbeauftragten am 21. November 1918 konnte Koeth bereits berichten, daß diese Fachgruppen für die Metallindustrie, das Bau- und Holzgewerbe gebildet seien.(7)

Die Auffassungen der Volksbeauftragten über die Wirtschaftspoli­tik waren nicht völlig einheitlich; jedenfalls unterschieden sie sich in taktischen Fragen. Am 18. November hatte Haase in der Sit­zung des Rates der Volksbeauftragten nach einer Diskussion über wirtschaftspolitische Fragen einen Besohluß erreicht: "... wenn Betriebe zur Sozialisierung reif seien, müsse diese Sozialisierung sofort in Angriff genommen werden." Die notwendigen Einzelheiten dazu sollte eine Kommission - die sogenannte Sozialisierungskommission - festlegen.(8) Diese Erklärung wurde - wie sich zeigte, aus vorwiegend agitatorischen Gründen - in der Presse an auffallender Stelle publiziert.

Als am 21. November in der Sitzung des Rates der Volksbeauf­tragten erneut die Grundsätze der Wirtschaftspolitik zur Debatte standen, sprach Koeth von der Angst der Unternehmer vor der Ver­staatlichung der Wirtschaft und meinte dann wörtlich: "Die Schwie­rigkeiten der Demobilmachungszeit sind so groß, daß man in Ihr nicht auch noch die Lösung der neuen Wirtschaftsordnung anfassen  kann.(9) Ebert erklärte nach den Ausführungen Koeths, daß nur sol­che Betriebe zu vergesellschaften seien, die dazu reif sind. Das sollte im einzelnen die Sozialislerungskommission beurteilen, in der auch bürgerliche Mitglieder waren, was, wie Ebert meinte, auf die Bourgeoisie "wohl beruhigend wirken" würde.(10)

Nachdem Haase Eberts Ausführungen zugestimmt hatte, erklärte der sozialdemokratische Staatssekretär G. Bauer: "Die Schwätzerei von der sofortigen Vergesellschaftlichung muß sofort aufhören, sonst bekommen wir russische Zustände."(11) Auch Soheidemann hielt die Sozialisierung für unmöglich, und das Gerede darüber wirke, wie er sich ausdrückte, nicht befruchtend auf die Unternehmer. Zu­sammenfassend erklärte er: "Staatssekretär Koeth ist auf dem richtigen Wege."(12) Der hier von den Volksbeauftragten als richtig be­zeichnete Weg wurde dann auch mit Konsequenz weiter verfolgt. Die Sozialislerungskommission, die in ihren Grundauffassungen ohnehin mit den Volksbeauftragten konform ging, wurde am 30. November 1918 nooh zusätzlich dem Reiohswirtsohaftsamt unterstellt, das der rechte Sozialdemokrat August Müller zusammen mit Professor Wiohard von Moellendorff leitete. Moellendorff hatte als Diplomingenieur bei der AEG gearbeitet und war von Rathenau während des Krieges in die Kriegsrohstoffabteilung beordert worden. Unter dem Schlagwort von der "Gemeinwirtschaft", d.h. des angeblichen Vorrangs der ge­sellschaftlichen vor den privatwirtschaftlichen Interessen, ver­traten Rathenau und Moellendorff ein System staatsmonopolistischer Regulierung und Förderung der Monopolwirtschaft. Seit dem 20. No­vember 1918 arbeitete Moellendorff als vorläufiger Unterstaatsse­kretär und Leiter der organisatorischen und wirtschaftspolitischen Abteilung im Reiohswirtsohaftsamt. Die wirtschaftspolitische Kon­zeption dieses Amtes war wesentlich von ihm bestimmt und entsprach weltgehend den Auffassungen Koeths. Das wurde In der Sitzung des Rates der Volksbeauftragten am 12. Dezember 1918 deutlich. Koeth schlug für die Wiederbelebung des Wirtschaftslebens staatliche finanzielle UnterstützungFmaßnahmen vor, die als Staatsaufträge, Ga­rantieleistungen und Vorschüsse oder auch als Verbindung von Vor­schuß- und Garantieleistung an die Industrie gedacht waren. Dafür sollten die Betriebe Gegenleistungen, u.a. auch bestimmte Löhne für eine bestimmte Beschäftigtenzahl, garantieren. Eine Treuhandgesellschaft sollte die Kontrolle ausüben.(13)

Nachdem Moellendorff auf seine Absicht, Wirtschaftsverbände zur Steigerung der Produktivität zu schaffen, hingewiesen hatte, be­richtete Koeth über seine Fachgruppen, die als Ansätze für die Zweckverbände dienen können.(14) Dann erklärte Koeth: "Ich will durch meinen Plan nur die bisher am Werk gewesenen Elemente der Individualwirtschaft wieder in Gang bringen, und erst dann, wenn diese Wirtschaft Uberhaupt wieder vorhanden ist, ... dann soll man sehen, wie man in die Dinge eingreift und die Wirtschaft den neuenGesichtspunkten entsprechend ummodelt."(15) Für die Organisierung der Kontrolle Uber die Verwendung der staatlichen Mittel sei kein größerer Apparat nötig; die Kriegsrohstoffabteilung und die Treu­handgesellschaften seien vorhanden. Es war also vorgesehen, die kapitalistischen Eigentumsformen zu erhalten und, durch Anknüpfung an die Kriegswirtschaft und ihre Organe mittels einer Reihe staats­monopolistischer Maßnahmen, die ökonomische Herrschaft der Monopole zu stabilisieren. Im Prinzip stimmten die Volksbeauftragten den Auffassungen Koeths zwar zu,(16) jedoch schien es ihnen aus politi­schen und wirtschaftlichen Gründen unmöglich zu sein, den Unter­nehmern nach den riesigen Kriegsgewinnen nun noch zinslose Darle­hen in der von Koeth geforderten Höhe von 5 Milliarden Mark zu ge­währen. Koeth erhielt eine halbe Milliarde Mark für sogenannte Notstandsarbeiten. Ebert bat am Ende dieser Sitzung um die Ausar­beitung und Vorlage einer wirtschaftspolitischen Denkschrift durch das Reichswirtschaftsamt, die Jedoch bis zur Umbildung des Rates der Volksbeauftragten, Ende Dezember 1918, nicht mehr beraten wur­de.

Das Reichswirtschaftsamt und das Demobilmachungsamt erreichten, daß der Rat der Volksbeauftragten am 28. Dezember 1918 eine Be­kanntmachung herausgab, duroh die verordnet wurde, daß alle während des Krieges erlassenen wirtschaftlichen Verordnungen bis zum ausdrücklichen Widerruf in Kraft bleiben sollten. (17)

Schließlich wurde Rudolf Wissell in Rat der Volksbeauftragten der Bearbeiter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Vorher war das Ressort Wirtschaftspolitik im Rat der Volksbeauftragten unbesetzt. Wissell vertrat die Auffassungen Moellendorffs. Die vor dem Rat der Volksbeauftragten vom Staatssekretär des Reichsschatzamtes, E. Schiffer, wiederholt vorgetragenen Auffassungen bestimmter Monopol­kreise, die sich gegen jede Maßnahme zur Einschränkung der Verfü­gung Uber das kapitalistische Privateigentum wandten, wurden zeit­weilig noch zurückgedrängt.

Nach der revolutionären Erhebung im November 1918 wurde die Herrschaft des Monopolkapitals durch einige Maßnahmen mit einer demokratischen Hülle umgeben. Diese Politik begann schon unter der Regierung des Prinzen Max von Baden, als mehr und mehr Arbei­tervertreter, d.h. vor allem opportunistische Gewerkschaftsfunk­tionäre, in den staatsmonopolistischen Einrichtungen von den Mono­polisten als zeitgemäß begrüßt wurden. Die Heuptthesen, die einer­seits gegen die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und an­dererseits für eine modifizierte Fortführung kriegswirtschaftli­cher Einrichtungen des staatsmonopolistischen Kapitalismus ange­führt wurden, waren die von Koeth, Moellendorff, Wissell u.a. pro­pagierten und vor allem von den Vertretern der monopolisierten Chemie-, Elektro- und Masohinenbaulndustrie unterstützten soge­nannten "Gemeinwirtechafts-" und "Planwirtschafts-" Gedanken und -Pläne.(18) Sie waren gegen die Forderungen der revolutionären Ar­balterklasse aber auch gegen die Monopolkreise geriohtet, die durch ihre Kriegsgewinne und ihr Drängen auf die offene militari­stische Diktatur während des Krieges vor den Massen am meisten kompromittiert waren, d.h. - gegen die offen reaktionäre Gruppe Koh­le-Stahl-Eisen. Die Forderung nach "gerneinwirtsohaftlichen" Ver­einigungen und Verbänden der "Selbstverwaltungskörper" bedeutete keine Veränderung der Eigentumsverhältnisse, sondern garantierte angeblich eine gewisse "zeitgemäße" Einwirkung der Allgemeinheit, unter Einschluß der "Arbeiter und Konsumenten", auf die privatka­pitalistische Wirtschaft. Diese Gremien sollte praktisch der Staat einsetzen und garantieren, und so sollte die angebliche de­mokratische Gleichberechtigung aller Beteiligten verwirklicht werden.(19) Diese Konzeption entsprach weitgehend den Ansichten der rechten Führer der Sozialdemokratie über die Arbeitsgemeinschaft mit den Unternehmern, Uber die angeblich neutrale Rolle des Staa­tes gegenüber der Wirtschaft; sie ermöglichte es ihnen, den revolu­tionären Forderungen der Arbeiter naoh Sozialisierung demagogisch und abwiegelnd entgegenzutreten. In Wirklichkeit bedeuteten alle diese Bestrebungen den Versuch, die während des Krieges entstan­denen staatsmonopolistischen Organe zu erhalten, sie auszubauen und sie demokratisch zu tarnen. Es kann hier nur kurz erwähnt wer­den, daß sich ab Mitte 1919 - also nach der Niederschlagung der Arbeiterklasse in den Frühjahrskämpfen - die wirtsohaftspolitisohe Linie der Kohle- und Stahlmonopole durchsetzte. Mit der Ablehnung der Pläne Wissells und Moellendorffs im Juli 1919 durch die sozial­demokratische Koalitionsregierung fanden die langwierigen Ausein­andersetzungen über die wirtschaftspolitische Konzeption, wie sie im Frühjahr 1919 geführt wurden, ihren Abschluß.

Wenn es auch unterschiedliche Auffassungen zwischen Monopol­gruppen und ihren Vertretern, dem Rat der Volksbeauftragten und den Behörden gab, so waren sich - angesichts der Gefährdung der Herrsohaft des Monopolkapitals Uberhaupt - alle einig im Bestre­ben, keine grundlegenden Veränderungen in der sozialökonomischen Basis zuzulassen bzw. selber vorzunehmen. Die allgemeinen und grundlegenden wirtsohaftspolitischen Forderungen der Monopolisten waren: Erhaltung des kapitalistischen Privateigentums an den Pro­duktionsmitteln, Zurückdrängung der revolutionären Bewegung, schnelle Einberufung der Nationalversammlung und Verzicht auf je­de grundlegende revolutionäre Gesetzgebung vor der Nationalversamm­lung. Alle diese Grundforderungen wurden durch die Politik des Ra­tes der Volksbeauftragten erfüllt. Die gemeinsame Grundthese war die Erhaltung des bestehenden kapitalistischen Wirtschaftssystems. So wurde die Sozialisierungspolitik von Anfang an vom Rat der Volksbeauftragten nur als Mittel zur Irreführung der Massen und um Zeit zu gewinnen benutzt. Der Rat der Volksbeauftragten ließ die Macht der Monopole unangetastet und Uberließ die praktische Führung der Wirtschaft den Monopolen und ihren kriegswirtschaft­lichen Organen, deren Stellung noch ausgebaut wurde. Auf diese Weise konnten die wirtschaftliche und auch die politische Macht des Monopolkapitals erhalten und stabilisiert werden.

Anmerkungen

1) Dokumente und Materlallen zur Gesohichte der deutschen Arbei­terbewegung, Reihe II, Bd. 2, Berlin 1957, S. 348.

2) Ebd., S. 366.

3) Reichsgesetzblatt 1918, S. 1304.

4) Brief Rathenaus an Scheuch v. 9.10.1918, in: Prinz Max von Ba­den. Erinnerungen und Dokumente, Berlin 1927, S. 393 f.

5) Bundesarohiv Koblenz, Reichskanzlei R 43 1/1324, Akten betr. Protokolle der Kabinettsitzungen, Bd. 1, vom 14.November 1918 bis 13.Dezember 1918 (im folgenden: Protokolle), Bl. 153.

6) Vgl. Reiohsgesetzblatt 1918, S. 1339.

7) Protokolle a.a.O., Bl. 73.

8) Ebd., Bl. 47.

9) Ebd., Bl. 71.

10) Ebd., Bl. 71.

11) Ebd., Bl. 73.

12) Ebd., Bl. 78.

13) Ebd., Bl. 251.

14) Ebd., Bl. 263 u. 267.

15) Ebd., Bl. 282.

16) Ebd., Bl. 305 u. 317.

17) Reichsgesetzblatit 1919, Bd. 1, S. 16.

18) Vgl. dazu: Imperialismus heute, Berlin 1965, S. 34 ff.

19) Kuczynski, Jürgen, Die Geeschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 16: Studien zur Geschichte des staatsmonopoli­stischen Kapitalismus in Deutschland 1918 bis 1945, Berlin 1963, S. 42.

Quelle: Deutsche Historiker-Gesellschaft (HG), Monopole und Staat in Deutschland 1917-1945, Berlin 1966, S.95-103