Bundesanzeiger zitieren verboten?
Ermittlungsverfahren wegen angeblichen Verstoßes gegen linksunten-Verbot:

Zum Stand des Ermittlungsverfahren gegen unsere
AutorInnen Nowak / Schill / Schulze

12/2018

trend
onlinezeitung

Seit mehreren Monaten ermitteln die Landeskriminalämter Baden-Württemberg und Berlin gegen die trend-AutorInnen Peter Nowak, Achim Schill und Detlef Georgia Schulze. Worin die Tat genau bestanden haben soll, war bisher nicht bekannt. In dem Schreiben, mit dem die drei Beschuldigten Mitte September über das Ermittlungsverfahren informiert wurden,1 war ausschließlich allgemein von einem „Verstoß [gegen das] Vereinsgesetz“ die Rede und – als „Tatörtlichkeit“ – wurden ein (falscher) Link zu einem internet-Blog und das Datum (31.08.2017) eines dort veröffentlichten Artikels genannt.2

Rund zwei Monate nach Antragstellung wurde jetzt dem Verteidiger von Achim Schill (partielle) Akteneinsicht gewährt. Aus den zur Verfügung gestellten Unterlagen ergibt sich, dass sich der Tatvorwurf konkret auf § 20 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Vereinsgesetz bezieht.

 Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer Kennzeichen eines vollziehbar verbotenen Vereins verwendet. Als „Verein“ verboten hatte das Bundesinnenministerium kurz vor Einrichtung des fraglichen Blogs das – auch von Linksradikalen genutzte – internet-Medium linksunten.indymeda.org.3

Der Tatbestand des § 20 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Vereinsgesetz soll nun aber anscheinend gar nicht durch den ursprünglich genannten Artikel, sondern durch den Header des gesamten Blogs verwirklicht worden sein. Die Landeskriminalämter scheinen – wie aus von den Beschuldigten veröffentlichten Zitaten aus den Ermittlungsakten hervorgeht – aber Schwierigkeit zu haben, den Unterschied zwischen einer „Überschrift“ (LKA BaWü) oder „Headline“ (LKA Berlin) einzelner bzw. bestimmter Artikel einerseits und andererseits dem Header (Kopf) eines gesamten Blogs, der über jedem dortigen Artikel steht, zu erkennen bzw. zu verstehen.

Das LKA Berlin schreibt:

„Eben jener [vom Bundesinnenministerium verbotene] Schriftzug wurde in die Headline eines Artikels eingefügt[,] welcher aufruft, sich dem hier in Rede stehenden Verbot zu widersetzen. […] Der Artikel wurde unterschrieben mit Peter Nowak / Achim Schill / Detlef Georgina [Falschschreibung des Namens durch das LKA] Schulze – Berlin, den 31.08.2017“ (Hv. hinzugefügt)

Das LKA Baden-Württemberg drückt seinen technischen Unverstand wie folgt aus:

„Auf der angeführten Internetseite befindet sich ein Text mit der Überschrift ‚Wir bekennen uns zu:’. Darunter befindet sich das Zeichen des Vereins ‚linksunten.indymedia’. […]. Nach dem abgebildeten Zeichen von ‚linksunten.indymedia’ befindet sich ein Text ‚#linksunten: Solidarisch sein, heißt: sich dem Verbot widersetzen.“ (Hv. hinzugefügt)

Außerdem vermerkt das LKA Berlin zu der Presseerklärung, mit der die drei AutorInnen zu der Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens geäußert hatten:

„Zudem wurde am 28. September 2018 unter der Überschrift ‚Unsere Stellungnahme zu Post vom Landeskriminalamt Berlin ein Artikel unter der URL http://systemcrashundtatbeilinksunten.blogsport.eu/2018/09/25/unsere-stellungnahme-zu-post-vom-landeskriminalamt-berlin/ veröffentlicht. Auch hier wurde der verbotene Schriftzug […] in der Kopfzeile dargestellt.“

Gemeint ist also augenscheinlich das Bild im Header des Blogs, der über jedem dort veröffentlichten Artikel (und nicht nur denen vom 31.08.2017 und 28.09.2018) steht.

Wie dem auch sei – jedenfalls hat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg zutreffend beobachtet, dass sich „vor und hinter dem [fraglichen] Zeichen Textstellen aus der [Verbots-]Verfügung befinden: ‚Klammerzeichen’ abgehen:’ und ‚Das Verbot zur Verwendung von Kennzeichen des Vereins ‚linksunten.indymedia’ gilt auch für eine Verbreitung im’.“ (kursiv-Setzungen durch das LKA BaWü)

Das LKA BaWü schlussfolgert daraus, dass das „Zeichen offenbar aus der Verbotsverfügung des Bundesministerium des Innern kopiert“ wurde (Hv. hinzugefügt). Das LKA Berlin drückt sich etwas anders aus und meint, „die tatrelevante Darstellung“ sei „augenscheinlich aus der Verbotsverfügung entnommen“ worden sei (Hv. wiederum hinzugefügt).

Zu alledem stellen die trend-AutorInnen in einer am Donnerstag (29.11.) veröffentlichten Presseerklärung fest:

Seit mehreren Monaten ermitteln die Landeskriminalämter Baden-Württemberg und Berlin gegen uns, da wir im Zusammenhang mit dem – im vergangenen Jahr vom Bundesinnenministerium verfügten – Verbot des internet-Mediums linksunten.indymedia gegen das Vereinsgesetz verstoßen haben sollen.

Wie wir nun erfahren haben, sollen wir unsere kolossale Straftat dadurch

begangen haben, dass sich im Header unseres Blogs u.a. ein Ausschnitt aus der Verbotsverfügung selbst (wie sie im [vom Bundesjustizministerium herausgegebenen] Bundesanzeiger vom 25.08.2017 veröffentlicht wurde) befindet (erfahren haben wir dies durch die – dem Verteidiger von Achim Schill gewährte – Akteneinsicht).
Zu dem Vorwurf stellen wir
unabhängig von der Frage, ob es sich vorliegend überhaupt um ein Vereinskennzeichen handelt, fest: Von § 9 Vereinsgesetz verboten und von § 20 Vereinsgesetz mit Strafe bedroht, ist ausschließlich, die Kennzeichen verbotener Vereine öffentlich zu verwenden; nicht verboten ist dagegen, staatliche Verbotsverfügungen zu ‚verwenden’ (z.B.: ausschnittsweise/bildlich zu zitieren). Es ist nicht einmal verboten, staatliche Verbotsverfügungen zu kritisieren. Wenn sich das Bundesministerium des Innern entschließt, das, was es als „Kennzeichen“ verbieten möchte, in der Verbotsverfügung nicht nur zu beschreiben, sondern auch abzubilden, so muss das Ministerium (und müssen auch die Landeskriminalämter Baden-Württemberg und Berlin) auch damit leben, dass ggf. nicht nur der textliche, sondern ggf. auch der bildliche Teil der Verbotsverfügung – ggf. ausschnittsweise – zitiert (und kritisiert) wird. 

Wir verweisen auf das bereits in unserem gemeinsamen Blog angeführte Zitat des Rechtswissenschaftlers Helmut Ridder, mit dem dieser 1978 in einem der sog. Mescalero-Prozesse auf Freispruch plädierte: „Sie [die nachträglichen Herausgeber des sog. BubackNachrufes und anderer Texte] haben Texte verbreitet, die man unzweifelhaft verbreiten darf, weil sie selbst geschichtliche Tatsachen sind – die in diesem Land wenig genug gekannte Geschichte unterliegt nach der Rechtsordnung dieses Landes vorerst noch nicht strafrechtlich bewehrten Geheimhaltungspflichten“.

Wir sind sehr gespannt, ob die Berliner Staatsanwaltschaft, bei der sich die Ermittlungsakten mittlerweile befinden,

  • den Versuch unternehmen wird, dadurch Rechtsgeschichte zu schreiben, dass siedie ausschnittsweise Verwendung eines amtlich veröffentlichten Textes unter Anklage stellt, oder

  • ob sie es vorzieht, das Ermittlungsverfahren, das mehrere Monate lang zwei Landeskriminalämter beschäftigte, demnächst sang- und klanglos einzustellen.

Für die Einzelheiten verweisen wir auf den beigefügten Text.

Peter Nowak / Achim Schill / Detlef Georgia Schulze – Berlin, den 29.11.2018

DER  BEIGEFÜGTE TEXT

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Anmerkungen

2 Genannt wurde vom LKA die Adresse: http://systemundcrashundtatbeilinksunten.blogsport.eu/; gemeint war aber vermutlich folgender Artikel, der weiterhin zugänglich ist: http://systemcrashundtatbeilinksunten.blogsport.eu/2017/08/31/linksunten-solidarisch-zu-sein-heisst-sich-dem-verbot-zu-widersetzen/ (dies ist jedenfalls der einzige Artikel vom 31.08.2017 in dem Blog).