Kommentare zum Zeitgeschehen
Kapitulation vor dem Kampf
Mit weisser Weste in den Untergang

von Peter Schaber

12/2018

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Die ablehnende Reaktion von Teilen der deutschen Linken auf die Sozialproteste der »gilets jaunes« ist nicht nur falsch – sie ist gefährlich

Seit dem 17. November brennt Frankreich. Zehntausende Demonstrant*innen, oft in gelben Signalwesten, legen das Land lahm. Der Protest, der sich zunächst gegen eine angekündigte Benzinpreiserhöhung richtete, wurde bald zu einer allgemeinen Revolte gegen die neoliberale Regierung Emmanuel Macrons.

Die Bewegung der »gilets jaunes« begann als eine spontanes Aufbegehren gegen ein ungerechtes Steuersystem: »Massenabgaben werden erhöht, die Reichen müssen kaum irgendwas zahlen« – der simple Grund der Empörung. Es kamen weitere Forderungen – etwa die nach einem Mindestlohn, der zum Leben reicht – hinzu. Eine Million Menschen unterzeichneten innerhalb kürzester Zeit die Online-Petition der Gelbwesten, viele tausend liefern sich Strassenschlachten mit der brutal vorgehenden Staatsmacht.

Eigentlich – so könnte man meinen – ein fixer Bezugspunkt für innereuropäische, linke Solidarität. Und vor wenigen Jahren hätten wir, wie bei den Krisenprotesten in Griechenland oder Spanien, sicher noch linke Soli-Demos in Berlin gesehen – wie klein und wirkungslos auch immer. Doch das Koordinatensystem vor allem der liberalen Linken in Deutschland hat sich verschoben. Aus dem Gefühl der eigenen Ohnmacht folgt die Angst vor Veränderung. Man traut sich nichts zu, also hängt man an der Illusion, der bürgerliche Staat möge wenigstens die dünne zivilisatorische Eisdecke nicht brechen lassen, die einem veganes Essen in der Uni-Mensa oder den Job als Redenschreiber im Bundestag ermöglicht.

Und weil man ohnehin gewohnt ist, Bewegungen in anderen Ländern als Projektionsfläche für die eigene Lage zu nutzen, wird die Rebellion des französischen Volkes eilig zur Bedrohung von rechts umgeschrieben. »Furchtbare Szenen der Gewalt«, kommentiert ein selbsternannter »Antifa«-Account auf Twitter Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und Polizei, und fügt die Hashtags »Nazis, Patrioten, AfD» hinzu. »Wer sich solche Zustände für Deutschland wünscht, ist einfach nur krank», schimpfen die um Deutschlands Sicherheit bemühten „Antifas“. Massenhaft ist von einer angeblichen „Querfront“ die Rede. Linkspartei-Chef Bernd Riexinger schlägt in die selbe Kerbe: »Bedenklich«, sei das ganze. Und: »In Deutschland wäre eine solche Verbrüderung linker und rechter Gesinnung nicht denkbar.«

Kritik im Handgemenge

Es wäre beinahe witzig, wenn es nicht so traurig wäre: Die deutsche Rechte, die mit bizarren Shows versucht, die »gilets jaunes« zu kopieren und die staatstreue Reformlinke sind sich im Grunde in der Einschätzung der französischen Bewegung einig. Beide glauben, sie sei irgendwas zwischen Pegida und Friedensmahnwachen, nur eben grösser und wuchtiger.

Dabei ist das völliger Blödsinn. Die »Gelbwesten« sind eine relativ typische spontane soziale Massenbewegung. Und klassischer Weise sind solche Bewegungen ideologisch diffus. Sie entzünden sich an konkreten Problemen der Menschen, und wenn der Schuh krass drückt, wachsen sie und spitzen sich zu. In einer solchen Bewegung kommt es zu Aushandlungsprozessen, welche weltanschauliche Hegemonie sich durchsetzt. Viele Genoss*innen in Frankreich stellen sich diesem Kampf und gehen als Teil der Protestbewegung gegen Faschist*innen vor – mit Worten und Fäusten.

Dafür gibt es eine gute Grundlage. Denn der Aufhänger der Proteste ist eben nicht, wie bei Pegida, das Bedürfnis nach unten zu treten. Die Forderungen nach Mindestlohn, dem Rücktritt einer neoliberalen, imperialistischen Regierung und mehr Steuergerechtigkeit sind zwar kaum revolutionär. Aber im Unterschied zu den skurrilen Kopie-Versuchen deutscher Faschos geht es eben in der Masse nicht um den »Migrationspakt« oder »Masseneinwanderung«. Die französische Gelbweste neidet nicht dem Refugee sein Smartphone, sondern will der eigenen Regierung an den Kragen.

Die »gilets jaunes« sind eher zu vergleichen mit den Krisenprotesten in Griechenland oder dem Gezi-Aufstand in der Türkei, als dass sie irgendetwas mit Pegida gemein hätten. Bei letzterem waren – ignoriert von der an Projektionsflächen, nicht tatsächlichen Bewegungen interessierten – liberalen Linken Deutschlands zehntausende türkische Nationalist*innen beteiligt. Und dennoch hätte die türkische und kurdische Linke nie gesagt: „Nö, also da gehen wir lieber nachhause.“ Die Ansage war: „Das sind unsere Proteste.“ Und klar: Im Gezi-Park kam es regelmässig zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, wenn Nationalist*innen versuchten, kurdische Fahnen zu entfernen. Man gewann die Auseinandersetzungen, verankerte linke Forderungen in der Gesamtbewegung und prägte diese Bewegung.

Kapitulation vor dem Kampf

Kämpfe um die Hegemonie in einer Bewegung kann man gewinnen – oder man kann sie verlieren. Das hängt von den objektiven Gegebenheiten ab (woran entzündet sich eine Bewegung, wie ist ihre soziale Zusammensetzung). Und von den subjektiven – also davon, ob man stark genug ist, sich einzumischen und durchzusetzen. Bei den Gezi-Protesten waren beide Voraussetzungen sicher besser als sie heute in Frankreich sind. Aber auch dort ist die Lage keineswegs aussichtslos.

Was Teile der Linkspartei, aber auch eine Generation von ohne jegliche soziale Protestbewegung und an einen von allem anderen abgekoppelten Pseudo-Antifaschismus gewöhnte Generation ausserparlamentarischer Linker nun tut, ist aber noch fataler, als zu verlieren. Verliert man, hat man gekämpft und etwas gelernt. Und man konnte in jedem Fall einen Teil der Menschen für sich gewinnen.

Was die brave Linke aber will, damit kann man nicht einmal etwas lernen, geschweige denn jemanden gewinnen: Unter dem Verweis auf die Vereinnahmungsversuche rechter Rattenfänger will man nicht nur selbst schon vor jedem Kampf kapitulieren. Man will auch am besten alle anderen bei Drohung der Exkommunikation dazu zwingen, ebenfalls zu kapitulieren. Wer nicht schon von vorneherein aufgibt, sich versteckt und die Weste moralisch weiss hält, der ist dann eben „Querfront“.

Eine solche Linke, die von immer mehr Menschen als Teil der »Elite«, als loyale Opposition der Regierenden wahrgenommen wird (und es tatsächlich auch zunehmend ist), kann sich zwar bei Diskussionsveranstaltungen in Uni-Hörsälen gegenseitig auf die Schultern klopfen oder im Parlament illustre Reden schwingen, die so manchem bürgerlichen Journalisten Respekt abringen – eine Gesellschaft zum Positiven verändern, kann sie nicht. Wo diese Politik aber in einigen Jahren oder Jahrzehnten hinführt, davor sollten sich die heute schon Ängstlichen allerdings tatsächlich fürchten.

Der Kommentar wurde am 14.12.2018 erstveröffentlicht bei:
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