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Nach der Öffnung der
DDR-Grenzen traten am 13.11.1989
Büro und Sekretariat der SEW zurück. Ein
geschäftsführender Ausschuss sollte
einen a.o. Parteitag für Januar 1990
einberufen. In dieser Zeit begann die
Abwicklung des SED-eigenen Druckhauses
Norden in Westberlin, gegen den sich die
Belegschaft zur Wehr setzte. Ohne
Erfolg, denn die ideologische Krise
wurde von der finanziellen abgelöst. Die
von der SED noch 1989 mit 13 Millionen
DM finanzierte SEW erhielt 1990 nur noch
800.000 DM. Nicht nur das Druckhaus
Norden wurde liquidiert, sondern alle
hauptamtlichen Funktionäre entlassen und
sämtliche Büroräume gekündigt.
Auf dem a.o. Parteitag
im Februar 1990, wo auch der
nachstehende Bericht vorgelegt wurde,
konnte wegen fehlender 2/3 Mehrheit die
SEW nicht aufgelöst werden. Auf dem
nächsten a.o. Parteitag im April 1990
benannte sich die SEW in "Sozialistische
Initiative" (SI) um, die sich Ende Juni
1991 auflöste. / khs |
Abschlussbericht der
SEW-Untersuchungskommission
1. Der
Untersuchungsauftrag
Gemäß dem Beschluß
des Parteivorstandes vom 6. Dezember 1989
ist die Untersuchungskommission zu dem Zweck
eingesetzt worden, die "finanziellen
Verhaltnisse und Verantwortlichkeiten" in
den Betrieben "Verlag Zeitungsdienst Berlin
GmbH", "Druckhaus Norden GmbH", "Gründel
Grundstücksgesellschaft mbH" sowie "T.V.O.
Treuhand - Verwaltungs- und Organisations
Gmbh" offenzulegen. Insbesondere sollte
geklärt werden, ob Mitglieder der SEW
Gesellschafterinnen dieser GmbHs sind und
"inwieweit sie im Auftrag der jeweiligen
Parteiführungen seit Gründung der SEW als
selbständiger Partei gehandelt haben." In
den Untersuchungsauftrag einbezogen wurde
auch die "Verantwortlichkeit der
Parteiführung". Der PV-Beschluß erfolgte auf
Antrag der Parteigruppe "Neue Zeitung", weil
die Genossinnen Inge Kopp und Dietmar Ahrens
lange Jahre den Eindruck erweckten, als
stünden "Zeitungsdienst" und "Druckhaus"
unter maßgeblichem Einfluß der Partei, dies
jetzt aber in Zusammenhang mit der
Einstellung der "Neuen Zeitung" bestritten.
Die in der Redaktion Arbeitenden hatten
bekanntlich wegen des Verweises auf den
parteinahen Charakter dieser Betriebe darauf
verzichtet, einen Betriebsrat einzurichten,
und sie hatten auch nicht auf die Einhaltung
gesetzlicher und tarifrechtlicher
Vorschriften durch die Geschäftsführung
geachtet.
2.
Zusammensetzung der Kommission
Die
Kommission besteht aus den Mitgliedern des
Gruppenvorstands der Parteigruppe "Neue
Zeitung" (in diesem Falle: Fritz Axnick,
Siegbert Gruchot, Andreas Hamann, Gerhard
Seyfarth, Gisela Starke), den PV-Mitgliedern
Thomas Gerchel, Doris Hensen, Ernst Welters
sowie aus den Genossinnen der Redaktion
Dankwart August und Renate Hinz. Aufgrund
seiner besonderen Verpflichtungen in der SEW
konnte Ernst Welters in der Kommission nicht
tätig werden.
3. Arbeit der
Kommission
Die Kommission
führte vom 7.12.1989 bis zum 12.2.1990 acht
Sitzungen durch. Sie befragte die
Genossinnen und Genossen Dietmar Ahrens
(amtierender Parteivorsitzender), Inge Kopp
(stellvertretende Parteivorsitzende), Volker
Junge (zuletzt als Mitglied des Büros und
des Sekretariats zuständig für die
"Wahrheit" bzw. "NZ"), Klaus-Dieter Heiser
("Wahrheit"-Chefredakteur bis 30.11.1989),
Joachim Näther (Mitglied der
Revisionskommission) und Irene Matusche (bis
zu ihrem Parteiaustritt Mitglied der
Revisionskommission) sowie Irmgard Neumann
(Buchhalterin im PV). Die Genossen Werner
Neumann, Werner Girke und Konrad Krüger
verweigerten unter Berufung auf von ihnen zu
wahrende Geschäftsgeheimnisse die Auskunft.
Werner Neumann erklärte zusätzlich, daß er
sich nicht an den PV-Beschluß gebunden
fühle. Weiter nahm die Kommission Einsicht
in allgemein zugängliche Unterlagen
(Handelsregister) sowie in die vom
"Zeitungsdienst" ausgestellten Rechnungen
für den Parteivorstand .
Keine Antwort
erhielt die Untersuchungskommission von der
bei der SED eingerichteten
Untersuchungskommission, an die sie sich in
einem Schreiben mit der Bitte um
Unterstützung gewandt hatte. Auch die
Parteigruppe des Druckhauses Norden leistete
der Kommission
keine Hilfe.
4.
Eigentumsverhältnisse
4.1.
Druckhaus Norden
Die Druckhaus Norden GmbH (Stammkapital 1,1
Mio. DM) war mindestens bis zum 22.12.1989
eine hundertprozentige Tochter der
Zeitungsdienst Berlin, Verlags- und
Druckerei-Gesellschaft mbH. Mit Beschluß der
Gesellschafterversammlung vom 27.9.1985
wurde der Verlagskaufmann Werner Kark
Neumann zum Geschäftsführer bestellt. Werner
Neumann ist SEW-Mitglied.
4.2.
Zeitungsdienst Berlin
Die Zeitungsdienst Berlin Verlags- und
Druckerei-Gesellschaft mbH (Stammkapital
seit Anfang 1982: 1,5 Mio. DM) wird laut
Beschluß der Gesellschafterversammlung vom
27.9.1985 vom Geschäftsführer Werner Neumann
geleitet. Laut Handelsregister sind 100
Prozent des Stammkapitals der Zeitungsdienst
Berlin im Besitz der Organisation und
Verwaltung Aktiengesellschaft (ORVAG AG) mit
Sitz in Zürich (Schweiz), Bahnhofquai 11.
4.3.
Gründel Grundstücksgesellschaft mbH
Alle Geschäftsanteile der Gründel
Grundstücksgesellschaft mbH sind seit
Frühjahr 1984 im Besitz der ORVAG AG. Das
Stammkapital der Gesellschaft beträgt laut
Handelsregister Berlin (HRB 8758) 350 000
DM. Geschäftsführer ist der Diplomvolkswirt
und Diplomkaufmann Konrad Krüger. Krüger
ist Mitglied der SEW. Prokurist der
Gesellschaft ist Werner Girke.
Laut Auskunft des Grundbuchamts beim
Amtsgericht Tiergarten ist die Gründel
Grundstücks GmbH Besitzerin des Grundstücks
Kaiserin-Augusta-Allee 101 (1000 Berlin 21,
Sitz von Druckhaus Norden, Zeitungsdienst
und NZ-Redaktion). Der gleichen Gesellschaft
gehört laut Auskunft des Katasteramts des
Bezirksamts Charlottenburg das Grundstück
Schustehrusstr. 10/Wilmersdorfer Str. 165
(1000 Berlin 10, Sitz des Parteivorstandes
der SEW). Die Gründel Grundstücks GmbH
gehört - laut Auskunft des Grundbuchamts
beim Amtsgericht Tempelhof/Kreuzberg -
ebenfalls das Grundstück Hasenheide 47 (1000
Berlin 61, Wohnhaus). Weitere Liegenschaften
konnte die Kommission nicht ermitteln.
4.4. TVO
Die T.V.O. Treuhand - Verwaltungs- und
Organisations-Gesellschaft mbH (Stammkapital
50 000 DM) ist eine hundertprozentige
Tochter der ORVAG AG. Die 1976 gegründete
TVO verwaltet die der Gründel GmbH
gehörenden Grundstücke. 1981 war Werner
Neumann fünf Monate lang Geschäftsführer der
TVO, bis er von Werner Girke abgelöst wurde.
Werner Girke ist Mitglied der SEW. Prokurist
ist Konrad Krüger.
4.5.
Orvag AG
Laut Handelsregister des Kantons Zürich
(Eintrag vom 16.12.1983) verfügt die ORVAG
AG über ein Aktienkapital von 500 000 SFr
(500 Inhaberaktien zu
SFr 1000). Einziges Mitglied des
Verwaltungsrats der ORVAG AG ist der
Rechtsanwalt Dr. Georg Lechleiter, wohnhaft
in Zürich, El.eonorenstr. 2. Am 17.8.1989
bestellte Lechleiter den Kaufmann Werner
Girke aus Berlin-West zum
Generalbevollmächtigten
und zum Liquidator der ORVAG AG in
den Angelegenheiten des "europäische buch
Literatur Vertrieb GmbH". Girke hat die
Generalvollmacht auch für die TVO. Er
setzte in seiner Eigenschaft als
Bevollmächtigter der ORVAG AG 1985 Werner
Neumann als Geschäftsführer des
Zeitungsdiensts ein.
Ein Georges Lechleiter, Mitglied des ZK der
Partei der Arbeit der Schweiz, war Gast des
VIII. Parteitags der SEW im Mai 1987
(Protokoll, S. 9).
4.6.
Angaben der bürgerlichen Presse
Am 11.2.1984 berichtete die "Welt" zum
ersten Mal über die "Grauzone
kommunistischer Unterwanderungsstrategie",
die "verschachtelte Finanz- und
Immobilienkette der 'Sozialistischen
Einheitspartei'". Nach Ansicht der "Welt"
liefen alle Fäden bei der Abteilung
Finanzen und Parteibetriebe im
SED-Zentralkomitee zusammen. Als Grund für
diese Vermutung diente der Zeitung der
Umstand, daß RA Friedrich Karl Kaul auch
nach seinem Tode (1981) noch 1983 auf dem
Papier als Vorstandsmitglied der "Svenska
Västfisk Export AB" mit Sitz in Göteborg,
Schweden, figurierte. Västfisk war damals
eine Tochter der Orvag und Eigentümerin des
Grundstücks Kaiserin-Augusta-Allee 101.
Drei Jahre später, am 15.12.1987, griff die
"Welt" einen Streitfall im Haus Hasenheide
47 (s.u.) auf, um noch einmal die
Ver-schachtelungen in aktualisierter Form
darzustellen. Wie auch 1984 bezeichnete die
Zeitung die Abteilung Finanzen und
Parteibetriebe im ZK der SED (geleitet
zunächst von Karl Raab, danach von Heinz
Wildenhain; Stellvertreter: Otfried Geisler)
als verantwortlich für die finanziellen
Transaktionen, ohne jedoch einen schlüssigen
Beweis vorlegen zu können.
Im Spätherbst 1989 wurde Heinz Wildenhain in
der DDR verhaftet, weil er an der
Vernichtung von Akten beteiligt war. Anfang
Februar 1990 erfolgte sein Ausschluß aus der
SED-PDS. Genauere Nachweise über die
Verbindungen zwischen der SED-Abteilung und
den genannten Firmen konnten die
bürgerlichen Medien bisher jedoch nicht
erbringen.
In zwei Berichten des "Spiegel" (Nr.47/1989
und Nr. 50/1989) über die Aktivitäten der
"Kommerziellen Koordinierung" tauchen weder
die ORVAG AG noch die SED-Abteilung Finanzen
und Parteibetriebe auf. In einer späteren
Ausgabe (3/1990) werden aber "KoKo"
(Regierungsstrang) und ZK-Abteilung Verkehr
(Parteistrang) als eng miteinander
verknüpft handelnd dargestellt. In welchem
Verhältnis die Abteilung Verkehr und die
Abteilung Finanzen und Parteibetriebe
zueinander stehen, wird nicht behandelt.
Weiter heißt es dort, aus der von Karl Raab
in Luxemburg gegründeten "Gesellschaft für
die Förderung des Presse- und Verlagswesens"
(bis 10.11.1986 Alleinbesitzerin des
Zeitungsdiensts Berlin GmbH; zu diesem
Zeitpunkt ist die Orvag nur
Geschäftsführerin der Luxemburger
Gesellschaft) habe sich eine Finanz- und
Immobilienkette zwischen Schweden und der
Schweiz entwickelt, die von Wildenhain
inspiziert worden sei. In einer anderen
Ausgabe (6/1990) nennt der "Spiegel" die
"Abteilung Finanzverwaltung und
Parteibetriebe der SED" als eigentlichen
"Arbeitgeber" von Werner Neumann.
5.
Beziehungen der SEW zu den genannten Firmen
Bei
Befragungen der Genossinnen Dietmar Ahrens
und Inge Kopp durch die Kommission ergaben
sich widersprüchliche Aussagen über die
politische Abhängigkeit der genannten
Firmen.
Sowohl Inge
Kopp als auch Dietmar Ahrens bestritten, daß
ein anderes als ein Geschäftsverhältnis
zwischen Verlag und PV besteht. Dietmar
Ahrens stellte dar, daß Druckhaus und Verlag
mitten im kalten Krieg ihre Arbeit aufnahmen
und die Partei froh war, daß es überhaupt
eine Zeitung gab. In jener Situation habe
auch die Regel gegolten: Je weniger ein
Genosse weiß, desto weniger kann er
verraten. Aus diesen und anderen Gründen
habe er sich nicht um die konkrete
Finanzierung des Zeitungsdiensts und des
Druckhauses gekümmert. Außerdem sei die
Geschäftsleitung der
Unternehmen mit Parteimitgliedern besetzt
worden, die eine vernünftige Koordinierung
der Interessen sicherstellen sollten.
Einerseits erklärten beide Genossinnen
übereinstimmend, daß ihnen die
Gesellschafter der genannten Firmen nicht
bekannt seien. Inge Kopp sagte (am
12.12.1989), sie wisse auch nicht, inwieweit
die Genossen Neumann, Girke und Krüger in
welche geschäftlichen Zusammenhänge
eingebunden seien.
Andererseits erklärte sie (am 8.12.1989),
das Sekretariat des Parteivorstandes der
SEW habe bei Einstellungen für die Redaktion
der Zeitung eine "politische
Empfehlungskompetenz" gegenüber dem
Zeitungsdienstverlag gehabt. Die
Gehaltshöhe für Redakteurinnen sei im
Sekretariat festgelegt worden. Der
Zeitungsdienstverlag habe für die
Herstellung der Zeitung (incl.
redaktioneller Arbeiten) stets eine
Pauschalsumme verlangt, unabhängig von der
Zahl der beschäftigten Redakteurinnen, auch
während der Zeiträume, als dem Sekretariat
des PV bekannt war, daß mehrere Planstellen
in der Redaktion unbesetzt waren. Die
Rechnungen des Zeitungsdiensts wurden ohne
jede Prüfung von Einzelposten immer bezahlt.
Ob schriftliche Verträge über die
Herstellung der Zeitung existierten, sei ihr
nicht bekannt, sagte Inge Kopp.
Widersprüchliche Aussagen erhielt die
Kommission bei Nachfragen nach den konkreten
Umständen der 1985 erfolgten Ablösung von
Karl Troeder als Geschäftsführer von
Druckhaus und Verlag durch Werner Neumann.
Inge Kopp erklärte, sie könne sich nur
erinnern, über den Wechsel informiert worden
zu sein. Sie könne sich nicht daran
erinnern, was dem zugrunde lag. Im
Sekretariat habe es darüber keine Diskussion
und keinen Beschluß gegeben. Demgegenüber
erklärte Dietmar Ahrens, er sei vor der
Abberufung von Karl Troeder darüber
informiert gewesen. Die Initiative dazu sei
aus dem Parteivorstand gekommen.
Im Gegensatz zu der Äußerung von Inge Kopp,
sie habe keine Kenntnis von den
Zusammenhängen bei den genannten Firmen
gehabt, steht die Aussage einer ehemaligen
Genossin (Name ist der Kommission bekannt)
gegenüber dem Kommissionsmitglied Renate
Hinz. Danach gab es 1987 einen Konflikt im
Haus Hasenheide 47 zwischen der Gründel
Grundstücksgesellschaft (vertreten durch
Werner Girke, Prokurist, bzw. Konrad Krüger,
Geschäftsführer) und Mieterinnen des Hauses.
Nach mehreren Gesprächen im Kreisbüro
Kreuzberg (die ehemalige Genossin war
damals Vorsitzende der WPG 29, Girke ihr
Stellvertreter) kam es am 26.11.1987 zu
einer Unterredung zwischen Inge Kopp und der
ehemaligen Genossin, bei der Inge Kopp von
einem Interview des SFB mit den beiden
Mieterinnen stark abriet und den Ratschlag
erteilte, abends Girke anzurufen. Wenige
Tage später kam es unerwartet zu einem
Einigungsangebot der Gründel
Grundstücksgesel1-schaft. Ganz offenbar lag
hier eine direkte Einflußnahme von Inge
Kopp auf
geschäftliche Angelegenheiten der Gründel
GmbH vor. Der von der Kommission
angeschriebene Untersuchungsausschuß der SED
antwortete nicht auf unser Schreiben, so daß
auch von dort keine Klärung möglich war.
Daß die
Existenz der Zeitung (und damit des
Zeitungsdiensts und des Druckhaus Norden) im
Jahr 1989 mehrfach gefährdet war, weil die
SED-Führung damit drohte, ihre Hilfe
einzustellen, bestätigte in einem Gespräch
mit der Kommission Volker Junge, früher
Mitglied des Büros und des Sekretariats des
PV der SEW. In Zusammenhang mit der
China-Berichterstattung der "Wahrheit"
(Veröffentlichung der PV-Resolution,
Leserbriefe etc.) erging eine kurzfristige
Einladung zu einem Gespräch mit dem
damaligen ZK-Sekretär für internationale
Beziehungen, Hermann Axen, an dem der
amtierende SEW-Vor-sitzende Dietmar Ahrens
und Volker Junge teilnahmen. Axen habe eine
(letztlich nicht erfolgte) Änderung der
Berichterstattung verlangt, andernfalls sei
die "solidarische Unterstützung seitens der
SED gefährdet". (Dieses Gespräch ist nicht
zu verwechseln mit dem offiziellen Treffen
einer Delegation des SEW-Büros mit Hermann
Axen, das auf mehreren PV-Tagungen eine
Rolle spielte.) Am 19. September 1989 kam es
zu einem weiteren Gespräch im ZK der SED, an
dem von Seiten der SED der stellvertretende
Leiter der Abteilung Internationale Politik
und Wirtschaft, Hans-Georg Schuster,
teilnahm. Dieser nahm den Aufmacher in der
"Wahrheit" vom Vortag (Überschrift:
"DDR-Kirchen fordern Dialog und Reform") zum
Anlaß, um von Dietmar Ahrens und Volker
Junge in anmaßender Weise eine andere
Veröffentlichungspolitik zu verlangen.
Ähnlich wie bei der China-Problematik hieß
es, wenn der Kurs so weitergehe, werde man
nicht in der Lage sein, die "Solidarität der
SED fortzusetzen" .
Bereits im
November 1988, so berichtete der ehemalige
"Wahrhelt"-Chefredakteur Klaus-Dieter Heiser
gegenüber der Kommission, habe der damalige
SEW-Vorsitzende Horst Schmitt die
Veröffentlichung des zweiten Teils eines
sowjetischen Beitrags über Chrustschow
untersagt. Heiser mußte nach eigener
Darstellung bei dem Gespräch, an dem neben
Horst Schmitt auch der vormalige
Chefredakteur Heinz Grünberg teilnahm, den
Eindruck gewinnen, daß die SED ultimativ
eine Kursänderung verlangt hatte, nachdem
die "Wahrheit" eine Reihe von
Perestroika/Glasnost-ArtikeIn veröffentlicht
hatte.
6.
Bewertungen
6.1.
"Das Imperium"
Bei der
Klärung der Besitzverhältnisse ist die
Kommission nicht weiter als bis zur ORVAG
AG, einer anonymen Aktiengesellschaft,
vorgedrungen. Die Kommission hat den
Eindruck, daß auch die Genossinnen Dietmar
Ahrens und Inge Kopp überhaupt nicht an
einer restlosen Aufklärung der
Besitzverhältnisse interessiert sind. Der
Kommission stellt sich die Frage, inwieweit
derartige Geschäftskonstruktionen noch ihre
Berechtigung besitzen. Sicher war es nach
den Erfahrungen mit dem KPD-Verbot 1956
legitim, das Parteivermögen so abzusichern,
daß es unter keinen Umständen dem Zugriff
des bürgerlichen Staates anheim fällt. In
der Praxis sind die Firmen Zeitungsdienst,
Druckhaus Norden, Gründel, TVO fremder
Kontrolle unterstellt, dem Zugriff der SEW
entzogen. Das Druckhaus Norden figurierte
zum Schluß als "gewöhnlicher
kapitalistischer Betrieb", so die Aussage
von Werner Neumann auf einer NZ-Redaktionsversammlung.
Dessen ungeachtet hatte die SEW - im Rahmen
des Beziehungsgefüges zur SED - nachweisbar
Einfluß auf diese Firmen in den Fragen der
Auswahl der Redakteure für die
ParteiZeitung, der Bestimmung der
Gehaltshöhe und der Urlaubsdauer für diese
Redakteure, der Berufung des
Geschäftsführers von Zeitungsdienst und
Druckhaus Norden.
Insbesondere mußte es befremden, daß
Zeitungsdienst Berlin, Druckhaus Norden und
Gründel Grundstücksgesellschaft auch in der
Binnenstruktur wie ganz normale
kapitalistische Betriebe geführt wurden. Im
Zeitungsdienst existierte nicht einmal ein
Betriebsrat. Initiativen zu einem
emanzipatorischen kollektiven
Betriebskonzept starteten weder die
wirklichen Eigentümer noch die SEW-Führung.
Die politische Chance, hier beispielgebend
für Westberlin selbstbestimmte
Entscheidungsstrukturen der Beschäftigten zu
entwickeln (vergleichbar etwa den
Alternativprojekten von Selbsthilfegruppen
im linken Spektrum Kreuzbergs), wurde
vertan. Der Widerspruch, daß im Druckhaus
Tariflöhne gezahlt wurden, während die in
der Redaktion Beschäftigten eine niedrigere
Vergütung als "Parteiarbeiter" erhielten,
blockierte überdies Bemühungen der
Betroffenen zu solidarischen Beziehungen
zwischen den Beschäftigten.
Aufgrund der uns bekannten Tatsachen muß
davon ausgegangen werden, daß die im Besitz
der Orvag befindlichen Firmen letztlich über
die DDR kontrolliert wurden. Der Verlag
Zeitungsdienst Berlin und das Druckhaus
Norden wurden in erster Linie deshalb
gegründet und betrieben, um die Herausgabe
der Parteizeitung "Die Wahrheit"
abzusichern. Es wäre sicher nicht sinnvoll
gewesen, die Herstellung der SEW-Zeitung
über eine andere Druckerei in Westberlin
abzuwickeln, obwohl es vermutlich billiger
gewesen wäre. Aber zumindest bis Mitte der
70er Jahre war eine Enteignung
kommunistischer Organisationen in Westberlin
nicht auszuschließen. Es ist deshalb
verständlich, daß die SEW zumindest bis zu
diesem Zeitpunkt nicht das* Eigentum an den
betreffenden Firmen angestrebt hat. Auch die
Rechtsform und der Sitz der Unternehmen
erschienen unter diesem Gesichtspunkt
keinesfalls als kritikwürdig. Jedoch
eröffnet die Verschleierung der wirklichen
Besitzverhältnisse Spekulationen Tür und
Tor: so stellte die "taz" am 1.2.1990 die
Vermutung auf, hinter der Orvag stünde
Schalck-Golodkowski. Gründe für diese
Vermutung führte die "taz" nicht an.
Sondervotum
Dankwart August und Renate Hinz:
Faktisch hat die SEW-Führung niemals
wirklich souverän entschieden. Sie
befand sich vielmehr ohne Kenntnis
ihrer Mitglieder in voller
Abhängigkeit von der SED, die
ihrerseits bis in einzelne
Personalentscheidungen hinein den
Ausschlag gab. Bereits spätestens
seit dem Bau der Mauer war diese
Verknüpfung mit der SED völlig
obsolet geworden. Insofern waren die
gewählte Eigentumsstruktur und die
entsprechende Rechtsform der Unternehmen
schon in den 60er Jahren durchaus
kritikwürdig. Es ist vollends
unverständlich, daß die
ausschlaggebenden Kräfte des
SEW-Apparates, die allein über die
reale Situation informiert waren,
noch in den 70er Jahren nicht das
Eigentum an den betreffenden Firmen
angestrebt haben.
Die
Kommission hält es für einen schweren
politischen Fehler, daß die SEW-Führung seit
Beginn der 70er Jahre (Abschluß des
Vierseitigen Abkommens) bis heute keinerlei
Anstrengungen unternommen hat, um eine
eigene materielle Basis für die Herausgabe
der Zeitung und anderer Publikationen zu
schaffen und zu diesem Zweck den
Zeitungsdienst und das Druckhaus Norden in
Eigentum der SEW zu überführen. Parteiintern
wurde der falsche Eindruck erweckt, es
handle sich de facto um Parteibetriebe. In
der Öffentlichkeit wurde niemals offensiv
und mit aller Deutlichkeit dargestellt, daß
es sich eben nicht um SEW-Betriebe handelt.
Folge davon ist, daß die Handlungsweise von
Werner Neumann (sozial völlig
ungerechtfertigte Kündigungen; Drohungen
gegen den Betriebsrat; Versuche,
Betriebsversammlungen zu verhindern) das
Ansehen der gesamten Partei insbesondere in
den Gewerkschaften schwer schädigt.
6.2.
Geschäftsgebaren
Das
Geschäftsgebaren der Leitungen von Druckhaus
und Verlag weist einige Merkwürdigkeiten
auf. So stellte der Verlag Zeitungsdienst
dem Parteivorstand der SEW Rechnungen aus,
die jeder normale Mensch und jede normale
Firma zurückweisen würden. In diesen
monatlichen Rechnungen wurden die Kosten
für die Herstellung der Tageszeitung "Die
Wahrheit" vermengt mit denen für die
Herstellung der viermal jährlich
erscheinenden Zeitschrift "Konsequent" und
nur eine Pauschalsumme angegeben. Nicht
einmal eine Aufspaltung in Sach- und
Personalkosten wurde vorgenommen. [Laut
Rechnung Nr. 4573 des Zeitungsdiensts vom
30.11.1989 wurden "Für die Herstellung der
Tageszeitung 'Die Wahrheit' im Monat
November 1989 (Nr. 252 bis Nr. 274) und die
Herstellung der Zeitschrift 'Konsequent'"
657.129,07 DM plus 7 % MWSt 45.999,03 DM,
insgesamt 703.128,10 DM gefordert.] Der
Parteivorstand bzw. sein Sekretariat konnten
also überhaupt nicht kontrollieren, ob die
angegebene Summe betrügerisch oder
realistisch war.
Aus den
Kreisorganisationen der SEW und auch aus
befreundeten Organisationen gab es häufig
Klagen über zu höhe Preise des Druckhaus
Norden. Die VVN/VdA vergab daher den
Druckauftrag für ihr Magazin "Der Mahnruf"
an ein anderes Unternehmen. Durch das
Nichterscheinen von Werner Neumann, Werner
Girke und Konrad Krüger konnte
beispielsweise nicht geklärt werden, was mit
der Differenz-Summe geschah, die bei den
Pauschalzahlungen des PV für "Die Wahrheit"
und "Konsequent" entstanden sein muß in den
Monaten, als mehrere Planstellen für
Redakteure nicht besetzt waren. Um dies
korrekt feststellen zu können, hätte Werner
Neumann nur die Bruttolohn-Listen und die
Bilanzen der letzten Jahre der Kommission
vorlegen müssen. Der Kommission lagen weder
Bruttolohn-Listen noch Bilanzen von
Zeitungsdienst und Druckhaus Norden vor.
Werner Girke hat durch sein Nichterscheinen
dazu beigetragen, daß die von der
bürgerlichen Presse dargelegten
Geschäftsverflechtungen zwischen der SED
und Betrieben im westlichen Ausland auch im
Zusammenhang mit der Gründel
Grundstücksgesellschaft und der SEW
weder dementiert, kommentiert oder bestätigt
werden können. Inwieweit die Orvag als
sogenannte Geldwaschanlage für die SED oder
als KapitalVernichtungsanlage benutzt wurde,
konnte nicht geklärt werden, da die dazu
notwendigen Bilanzen, Bruttolohn-Listen,
Spendenbelege u.a. Unterlagen der
Untersuchungskommission nicht vorlagen und
Werner Neumann, Werner Girke sowie Konrad
Krüger nicht gewillt waren, die Kommission
zu informieren.
6.3.
Verantwortung des PV
Die Kommission
stellt fest, daß von den Verantwortlichen im
PV
über die Jahre der Existenz der SEW hinweg
keine Anstrengungen gemacht wurden, um die
genannten Firmen aus ihren ominösen
Konstruktionen zu lösen und direkt oder
indirekt der Partei zu unterstellen.
Zugleich wurde die SEW in ihrer übermaßigen
Abhängigkeit von Spenden, hauptsächlich von
der Spenderin SED, belassen (von 12,8 Mio.
DM Parteieinnahmen 1988 stammten 8,5 Mio. DM
aus Spenden). Diese Spenden waren ihrerseits
notwendig, um die sehr hohen laufenden
Ausgaben für die Herausgabe der Tageszeitung
(monatlich rund 700 000 DM), den großen
hauptamtlichen Funktionärsapparat (2,7 Mio.
DM 1988) und für die Unterhaltung großzügig
bemessener Räume in allen zwölf Bezirken zu
decken. Selbst aus den offiziellen Angaben
für den Präsidenten des Abgeordnetenhauses
ergibt sich, daß der Eigenfinanzierungsgrad
der SEW bei rund 30 Prozent der Ausgaben
gelegen hat.
Die
Verantwortlichen im PV haben weiterhin nie
Anstrengungen gemacht, um Berichte in
bürgerlichen Medien (wie in der "Welt") zu
dementieren.
Die Verantwortlichen
im PV sowie auch die Revisionskommission
haben weiter nie die Ausfertigungsart und
die Höhe der Rechnungen des
Zeitungsdienstverlages beanstandet, obwohl -
wie oben geschildert - für außerordentlich
hohe Beträge außerordentlich simple
Rechnungen vorgelegt wurden. Die Kommission
konnte nicht klären, ob die/der
Verantwortliche im Sekretariat des PV
angewiesen war, alle Rechnungen zu
akzeptieren. Die Aussage von Inge Kopp, es
seien Pauschalzahlungen vereinbart worden,
konnte mit keinem Dokument belegt werden.
Ein solches Verhalten ist nur verständlich,
wenn den zuständigen Funktionären
unterstellt wird, sie hätten die Zahlungen
in dem Bewußtsein geleistet, der eigentliche
Geldgeber -also die SED - werde die
Kontrolle über die sachgemäße Verwendung
seiner Mittel schon ausüben. Die Kommission
weist zugleich auf den Umstand hin, daß die
Buchhalterin im PV auch die Ehefrau des
Zeitungsdienst-Geschäftsführers ist.
In Bezug auf
Druckhaus und Zeitungsdienst eröffnet die
jetzige Situation Möglichkeiten für
politische Machenschaften, die von der SEW
nicht zu beeinflussen sind. So verweigert
die Geschäftsleitung des Zeitungsdiensts
"aus datenschutzrechtlichen Gründen" die
Herausgabe der
"Konsequent"-Abonnentenadressen an die
Redaktion der Zeitschrift, obwohl ein
entsprechender Beschluß des
SEW-ParteiVorstandes (des Herausgebers der
Zeitschrift) vorliegt. Gleichzeitig hat der
Verlag Zeitungsdienst Berlin zugunsten der
DKP-Zeitung "uz" die Adressen der
"NZ"-Abonnenten für den Versand von
Werbeexemplaren benutzt.
Im Verlauf der
Entwicklung einer neuen Konzeption zur
Ablösung der "Wahrheit" durch eine andere
Zeitung sind Anfang 1989 in einer
Unterkommission Vorschläge für ein anderes
Finanzierungskonzept sowie zur Kontrolle des
Finanzgebarens der Geschäftsleitung des
Zeitungsdiensts entwickelt worden. Dietmar
Ahrens versprach damals die Einbeziehung
dieser Vorschläge in die praktische
Tätigkeit und bat, von einer Aufnahme der
entsprechenden Passagen in das Papier der
vom PV eingesetzten Arbeitsgruppe abzusehen.
Real hat sich jedoch nichts ereignet.
7. Konsequenzen
Werner Neumann,
Werner Girke und Konrad Krüger haben die
ganze Zeit über mit ihrem Verhalten bezeugt,
daß sie nicht gewillt sind, sich Beschlüssen
der SEW und ihres Parteivorstandes
unterzuordnen.
Damit haben sie
gegen das Statut der SEW verstoßen, das
festlegt: "Gefaßte Beschlüsse werden
einheitlich von allen verteidigt und
diszipliniert durchgeführt. Die Minderheit
ordnet sich der Mehrheit unter." (1,2) Wegen
dieses schweren Verstoßes gegen das Statut
bittet die Untersuchungskommission den
Parteivorstand, laut Punkt 19 des Statuts
ein Parteiverfahren gegen Werner Neumann,
Werner Girke und Konrad Krüger einzuleiten
mit dem Ziel des Ausschlusses aus der SEW.
Werner Neumann hat nicht nur gegen das
Statut verstoßen, sondern auch das Ansehen
der Partei in der Öffentlichkeit schwer
geschädigt (siehe 6.1.), woraus sich ein
weiterer Ausschlußgrund ergibt.
Weiter unterstützt
die Kommission den Beschluß der
Kreisdelegiertenkonferenz von Tiergarten, in
dem die Gesellschafter des Druckhaus Norden
aufgefordert werden, "an die Belegschaft mit
einem Verhandlungsangebot über eine
schuldenfreie Übergabe des Betriebes an
diese heranzutreten".
Die Kommission lenkt
die Aufmerksamkeit der Parteitagsdelegierten
auf den Umstand, daß die Firmen Gründel und
TVO weiterhin existieren und ihrem
eigentlichen Besitzer Gewinne einbringen.
Vorgelegt
auf
dem
Parteitag
der
SEW
am
16.2.1990

TREND OCR-Scan
2019 |