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WTO im Ausnahmezustand

Ein Bericht für die WOZ 
von Andreas Missbach

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Vor kurzem noch schien eine neue Liberalisierungsrunde des Welthandels ausgemachte Sache. Eine Jahrtausendrunde sollte es werden, und der Begriff bezog sich nicht nur auf das Datum. Die Millenniumsrunde war auch eine Metapher für die geplante Traktandenliste der Welthandelsorganisation, die von Patentrecht und Investitionsfreiheit bis zu Umwelt- und Sozialstandards alles umfassen sollte.

Doch je näher das entscheidende Ministertreffen in Seattle kam, desto spürbarer sorgten sich die Liberalisierer dieser Welt um ihre Party. Im letzten Moment bat US-Präsident Bill Clinton noch einige seiner Amtskollegen, zusammen mit ihm dem Treffen in Seattle mehr Profil zu verleihen. Er erntete nur Absagen. Die WTO ist unpopulär, und das Treffen droht zu scheitern, wer will sich da schon ablichten lassen. Dass die radikalen WTO-GegnerInnen erfolgreich den geplanten «Tag der offenen Tür» vorverschoben und das Konferenzzentrum in der Nacht auf Montag besetzten, lässt schon fast mangelndes Engagement bei den Organisatoren vermuten. Die BesetzerInnen brachten ausgerechnet jenes Treffen durcheinander, bei dem die WTO sich offen gegenüber den 700 akkreditierten Nichtregierungsorganisationen zeigen wollte (nicht alle NGOs sind gegen eine neue Liberalisierungsrunde, darunter sind auch Unternehmens- und Branchenverbände sowie andere Freihandelslobbys).

Die WTO-kritischen NGOs haben allen anderen Beteiligten bereits die Schau gestohlen, sie bestimmen die Fernsehbilder aus Seattle. Sogar die Eröffnungszeremonie wurde abgesagt. Dennoch bleibt zu bezweifeln, dass Curtis Runyan von der US-Umweltorganisation Worldwatch Institute mit seiner Prognose Recht behält: «Als die grosse Geschichte könnten sich in Seattle nicht die WTO-Verhandlungen herausstellen, sondern der Einfluss, den die Proteste von Bürgern rund um die Welt, koordiniert von tausenden von NGOs, auf eine der mächtigsten internationalen Organisationen haben.» Sollte das Ministertreffen scheitern, wird dies nicht allein der Verdienst der protestierenden NGOs, Bauernverbände und Gewerkschaften sein. Was auf der Strasse vorgeht, hat keinen direkten Einfluss auf die Delegationen. Bereits werden die Proteste «radikalen» und «verwirrten» Minderheiten zugeschrieben. Ein Ende der Konferenz ohne Mandat für eine neue Liberalisierungsrunde ist wohl nur dann zu erwarten, wenn die USA und die EU ihre grundlegenden Differenzen, vor allem in der Agrarfrage, nicht beilegen können. Sachthemen, über die sich die beiden Machtblöcke vorgängig geeinigt haben, beispielsweise Informationstechnologien und elektronischer Handel, werden sie wahrscheinlich in ihrem Sinne voranbringen. Die Entwicklungsländer treten zwar offensiver und fordernder auf als bei der Lancierung der letzten Verhandlungsrunde, doch ihre internen Differenzen sind zu gross und ihre taktischen Mittel zu gering, als dass sie dem Treffen ihren Stempel aufdrücken könnten.

Die WTO-kritischen NGOs fordern eine Denkpause, um die Auswirkungen der letzten Liberalisierungsrunde (der so genannten Uruguay-Runde) zu untersuchen. Zu studieren gibt es genug. Das Glaubensbekenntnis «Freier Handel und Spezialisierung produzieren globale Effizienzgewinne, welche die Produktivität steigern und das Einkommen in allen Ländern vergrössern» wird allein durch die Wiederholung nicht richtiger. Freihandelspropheten zeigen sich erstaunlich resistent gegen Fakten. So wäre bereits auf der einfachsten Ebene des durchnittlichen Wirtschaftswachstums zu begründen, warum dies in den fünfziger und sechziger Jahren, als der Handel einen viel kleineren Teil zum Bruttosozialprodukt beitrug, wesentlich stärker war als heute. Und warum gehen die Wachstumsraten gerade seit den siebziger Jahren, als die rasche Liberalisierung von Handel und Investitionen begann, zurück? Dann möchte man auch gerne wissen, warum die Wohlstandsunterschiede zwischen den ärmsten und den reichsten Ländern in den letzten dreissig Jahren dramatisch zugenommen haben, wenn doch alle profitierten? Von den Unterschieden innerhalb der Länder ist hier noch gar nicht die Rede.

Auch die Studien, mit denen die NZZ winkt, beispielsweise drei Prozent mehr Wachstum des Welt-Sozialprodukts bei einer vollständigen Abschaffung der Importzölle in den nächsten zehn Jahren, überzeugen nicht. Bereits im Vorfeld der beiden grössten regionalen Freihandelsschübe, der Errichtung des EU-Binnenmarktes und der Freihandelszone Nafta in Nordamerika, wurden jeweils wissenschaftlich untermauerte Wachstums- und Arbeitsplatzversprechen abgegeben. Die reale Entwicklung fühlte sich nicht verpflichtet, die Prognosen zu erfüllen.

Die VerteidigerInnen der WTO malen für den Fall des Scheiterns in Seattle eine Rückkehr zur Abschottung und zum Protektionismus an die Wand, nicht ohne auf den Zusammenbruch des Welthandels in den dreissiger Jahren hinzuweisen. Dies ist nicht die einzige Alternative zum jetzigen Liberalisierungstempo. So hat beispielsweise die venezuelanische Regierung vorgeschlagen, die Welthandelsorganisation solle sich mit der Frage befassen, welche politischen Räume notwendig sind, um eine Entwicklungspolitik zugunsten der ärmsten Bevölkerungsschichten in die Wege zu leiten. Das schwierige Verhältnis zwischen notwendigem Schutz und gefährlicher Abschottung (die vor allem zur Bereicherung von Eliteklüngeln dient) lässt sich mit der Universalrezeptur der WTO nicht auflösen. Schliesslich entwickelten sich die USA, die meisten europäischen Länder und erst recht Japan, indem sie zeitweise Konkurrenz von aussen fern hielten und wichtige Industrien schützten.

Der Widerstand gegen die WTO macht den Regierungen Angst. In Seattle wurde der Ausnahmezustand mit nächtlicher Ausgangssperre ausgerufen. Peter Sutherland, der Architekt und erste Generalsekretär der WTO, sah sich genötigt, den GegnerInnen in der «Financial Times» einen ganzen Artikel zu widmen, und die NZZ beklagt (wie auch schon ein hochkarätiges Forum von Managern im letzten Jahr) die mangelnde demokratische Legitimation der «selbst ernannten Schützer der Umwelt, der Konsumenten und der sozial Benachteiligten».

Aber wer fragt nach der demokratischen Legitimation der transnationalen Konzerne und ihrer Führungsschicht? Natürlich verhandeln diese im Rahmen der WTO nicht selbst, sondern überlassen das den Regierungen. Gemessen an ihren Wachstumsraten der letzten zwanzig Jahre, sind sie aber die grossen Gewinner der Liberalisierungspolitik. Die Konzernchefs brauchen sich auch nicht von Autobahnbrücken abzuseilen oder das Gesicht farbig anzumalen, um Aufmerksamkeit zu erregen und ihre Botschaft rüberzubringen. Mit einer läppischen Spende von 250 000 Dollar zugunsten der Host Organization ist man dabei. Die Organisation, formell eine private «NGO» unter dem Vorsitz von Bill Gates und Boeing-Chef Philip Condit, ist für die Logistik der Konferenz und die Betreuung der Delegierten verantwortlich. Die Sponsoren sind mit Logo und Werbegeschenken präsent. Sie erhielten zudem fünf Gratiseintritte zur Eröffnungs- und Schlusszeremonie sowie zum exklusiven «ministerial dinner», zu dem Bill Clinton erwartet wird. Pech für die Multilobbyisten, dass der seine Kollegen nicht mitbringt.

Weitergehende Informationen gibt es z.B. bei www.ilka.org

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