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 Aus: Ornament & Verbrechen unserer Lieblingszeitschrift

Mehlbomben werfen mit Foucault
Zum Verhältnis von Dekonstruktion und politischem Handeln. 

Ein Interview mit Stefan Juskowiak

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Das folgende Interview entstand im Rahmen eines empirisch angelegten Projekttutoriums, das an der Humboldt-Universität Berlin zum Thema "Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht" durchgeführt wurde. Das ursprüngliche Transkript wurde für diese Veröffentlichung gekürzt und sprachlich überarbeitet. Stefan Juskowiak (Name von der Redaktion geändert), lebt in Berlin und begreift sich als Teil der radikalen Linken. Das Interview führte Karin Reindlmeier.


REINDLMEIER: Wann, wie und in welchem Zusammenhang bist Du dazu gekommen, Dich mit Dekonstruktion zu beschäftigen?

JUSKOWIAK: Darauf gibt es für mich im Grunde genommen zwei Antworten. Die eine ist, daß ich Dekonstruktion von meinem Verständnis her relativ breit verorten würde. Ich würde sagen, es gibt innerhalb der Theorie sehr viel Wahlverwandschaft mit einigen anderen Theorierichtungen, ob das Kritische Theorie ist, ob das Denkfiguren innerhalb Marx'scher Theorie sind, oder ob es Theoreme von Pierre Bourdieu sind. So gesehen fasse ich Dekonstruktion erstmal sehr weit oder schließe es mit Diskurstheorie kurz, und schließe es auch mit der Theorie des Symbolischen kurz und über diese Schiene kommt für mich da erstmal relativ viel ins Spiel. Insofern ist eine Antwort ganz schlicht, daß ich unter anderem über mein Studium dazu gekommen bin, denn es ist ja unübersehbar, daß das angesagte Theorierichtungen sind, Theorien, die seit Jahren breit diskutiert werden. Aber ganz konkret war es so, daß wir vor einigen Jahren mal eine Theoriegruppe hatten. Und diese Theoriegruppe hatte sich ganz ausdrücklich als eine gebildet, die sich aus Leuten zusammensetzt, die politisch im weitesten Sinne in autonomen Zusammenhängen unterwegs sind und die aber auch zusammen Theoriearbeit machen wollten.

REINDLMEIER: Und das war eine Gruppe zu Dekonstruktion?

JUSKOWIAK: Nee, zu Theorie und Politik.

REINDLMEIER: So ganz allgemein?

JUSKOWIAK: Ja, aber weil diese Theorierichtung gerade so stark im Kommen war, haben wir zwar zuerst noch Foucaults Sexualität und Wahrheit gelesen, aber das zweite war dann schon Gildemeister/Wetterer und danach Butler. Sowohl Butler als auch der TraditionenBrüche-Band, wo Gildemeister/Wetterer drin waren, sind damals zusammen auf den Markt der Wissenschaften gekommen, da war das einfach sehr naheliegend. Aber ich habe diese Theorien überhaupt nicht in der Uni behandelt, sondern ausschließlich in einem Zusammenhang von Leuten, die sich als "politisch" verstehen und sich als solche mit Theorie beschäftigen. Und ganz viel an Einschätzungen, was das bringt oder nicht hat sich aus den Interessen dieses Zusammenhangs ergeben, weil es dort immer die unmittelbaren Fragen "Und wie weiter?" bzw. "Was sagt uns das jetzt?" gab. Das war als eine Folie kontinuierlich da drin.

REINDLMEIER: Du hast schon gesagt, daß Du Dekonstruktion sehr weit faßt. Was wäre denn Deine eigene Definition von Dekonstruktion? Wenn Du jemandem ganz kurz erklären müßtest, was Du darunter verstehst, gerade auch in Hinblick auf Deinen eigenen Umgang damit.

JUSKOWIAK: Ich würde auf der einen Seite eine Grundfigur innerhalb der Dekonstruktions- und Diskurstheorie - die würde ich auf jeden Fall zusammenschließen - identifizieren, und die ist für mich der Versuch, Gewordenes, scheinbar Natürliches zu verflüssigen, zu entdinglichen, zu entnaturalisieren. Also das Soziale, den sozialen Prozeß aufzuspüren innerhalb scheinbar ontologisch immer schon daseienden Gegebenheiten, und genau da würde ich auch diese Schnittstelle sehen zwischen Dekonstruktionstheorie im gegenwärtig-herkömmlichen Sinne einerseits und klassisch kritisch-linker Theorie andererseits. Ob das Marx ist mit seinem ganzen Programm, soziale Kategorien wie Wert, Geld oder Kapital zu entnaturalisieren und zu zeigen, wie sich darin soziale Verhältnisse kundtun, oder als Weiterentwicklung von Marx etwa Lukács, der dann ja vom verdinglichten Bewußtsein redet oder auch die kritische Theorie. Für diese ganze Theorieströmung ist der Versuch konstitutiv, soziale Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, im Sinne davon, daß gezeigt wird, daß es sie eben nicht immer schon "natürlich" gegeben hat. Und genau das gleiche Programm, aber auch auf andere Sachverhalte angewandt, steckt ganz stark in dem, was ich unter Dekonstruktions- und Diskurstheorie verstehe. Das ist bei Foucault der Sexus als zu dekonstruierendes und damit auch der sogenannte moderne Subjektbegriff, das aufklärerische Subjekt und der daran hängende Identitätsbegriff. Oder ob das Diskurstheorie oder Dekonstruktion innerhalb der Untersuchung von Ethnizität oder Geschlecht ist. Das ist auf eine gewisse Weise schon grobkörnig, weil im Detail sind die Unterschiede doch auch gravierend, aber dieses gemeinsame Grundmotiv, das finde ich schon relativ wichtig. Von diesem Grundmotiv her kommt für mich dieser sehr breite Ansatz, und das Bindeglied stellt für mich Bourdieu dar, den ich sowohl als Diskurstheoretiker als auch als materialistischen im Sinne dieser Marx'schen Tradition bestimmen würde. Bourdieu wird ja an sich nicht als Diskurstheoretiker gehandelt, aber ich denke, er ist es im besten Sinne des Wortes, weil er die Leerstellen der Diskurstheorie im engeren Sinne - vielleicht auch eher der Verballhornungen von Diskurstheorie als der eigentlichen Theorien selbst - in einem positiven Sinne ausgleicht. Aber was schon noch einmal sehr eigen ist, - auch in Abgrenzung zu dieser eher traditionellen Strömung - ist diese Konzentration auf die Sphäre des Symbolischen oder des Diskursiven und der Versuch, auch von dort aus das Werden sozialer Tatsachen zu begreifen. Also wie etwa bei Butler die "heterosexuelle Matrix", die "Zwangsheterosexualität". Von dort aus - bei allem Defizitären was meiner Meinung nach da drin steckt - tatsächlich soziale Tatsachen zu verstehen, das ist selbstverständlich schon ein ganz anderer Zugang als von materiellen oder wie auch immer gefaßten Produktionsverhältnissen zu kommen. So gesehen scheidet es sich bei aller Gemeinsamkeit des Grundmotivs in der konkreten Umsetzung doch wieder sehr: einerseits vom diskursiv-symbolischen her gedacht und andererseits von der materiellen Grundstruktur der Gesellschaft.

REINDLMEIER: Du hast erwähnt, daß sich Dekonstruktion auf verschiedene Kategorien beziehen kann und daß Du da Unterschiede siehst. Mit welchen Kategorien hast Du Dich in diesem Zusammenhang schwerpunktmäßig beschäftigt?

JUSKOWIAK: Der erste Schwerpunkt war für mich die Dekonstruktion der ökonomischen Kategorien, sprich Marx, und dann kam ziemlich schnell die Beschäftigung mit Foucault und den geschlechterdekonstruktiven Geschichten. Da waren es vor allem die Kerntexte, mit denen ich mich weitergehend beschäftigt habe. Unter'm Strich bin ich vor allem bei Gesa Lindemann gelandet, das ist für mich das Überzeugenste innerhalb dessen. Bei ihr ist auf der einen Seite superproduktiv dieser Dekonstruktionsgedanke aufgenommen ist, aber eben auch weitergesponnen wird, vor allem auf die Leerstellen von Butler bezogen. Aber ich hatte damals auch schon die Texte von Barbara Duden gelesen, die diesen Gedanken, den Lindemann verfolgt, am stärksten bedienen. Diesen Gedanken, daß der Diskurs das eine ist und daß die Gewordenheit und die Verleiblichung und die Einschreibung das andere ist. Schritte zur Dekonstruktion von Ethnizität habe ich meist im Analogieverfahren gemacht. Ich glaube, ich habe kein einziges Buch in der Richtung gelesen, immer Aufsätze, aber da war mit der Zeit das Gefühl, okay, die Argumentation funktioniert ähnlich oder der Grundgedanke ist ähnlich. Und drittens fand ich über Bourdieu einen wichtigen Zugang zur Dekonstruktion. Denn sein Begriff des Habitus ist eigentlich der Inbegriff einerseits von Dekonstruktion scheinbar natürlicher Handlungen sozialer Gruppen und umgekehrt aber auch der Inbegriff des Nachweises, daß dieses diskursiv Produzierte - vermittelt über soziale Erfahrungen - tatsächlich auch in den Subjekten drin sitzt. Und damit eben nicht etwas ist, dessen man sich einfach mal so - Stichwort "Maskerade" - entledigen könnte. Das ist für mich der zentrale Bezugspunkt. Das ist mir auch erst spät bei Bourdieu aufgefallen. Irgendwann saß ich mal da und dachte, das ist doch im Grunde genommen Diskurstheorie. Das war ganz stark über Lindemann vermittelt, über deren Nachzeigen, wie die Sachen in den AkteurInnen drin sitzen. Über den Verleiblichungsgedanken, obwohl dieser aus meiner Sicht nicht keine gute Begrifflichkeit dafür hat, bin ich erst so richtig auf Bourdieu gestoßen und das war dann das Aha-Erlebnis. So gesehen würde ich ökonomische Kategorien, Bourdieu und in der Mitte Geschlecht sagen. Das ist das, was sich bei mir auf verschiedene Weise immer wieder durchgespielt hat.

REINDLMEIER: Was ist denn das, was Dir an Dekonstruktion gefällt? Also das, warum Du Dich damit auch weiter beschäftigt hast? Oder das, was Dich irgendwie gepackt hat?

JUSKOWIAK: Ich würde eine persönlich-politische Antwort unterscheiden von einer theoretisch-politischen. Persönlich-politisch hatte das etwas unheimlich begeisterndes, in dem Sinne, als daß in diesem Gedanke etwas drinsteckt von "alles ist möglich" oder "nichts muß so sein wie es ist". Das ganze scheinbar superselbstverständlich Natürliche ist gar nicht natürlich sondern ist sozial konstruiert. Wenn das politische Grundgefühl ist, ich will was verändern oder es soll alles anders werden, dann paßt solch eine Theorie ausgesprochen praktisch rein. Ich glaube, der "alles ist möglich"-Impuls hat uns auch am Anfang erstmal ziemlich gekickt da drin. Politisch-theoretisch fand ich es unheimlich instruktiv, vor allem auf zwei Ebenen. Zum einen denke ich, daß die Diskurstheorie bei politisch aktiven Leuten eine verstärkte Aufmerksamkeit für die Sphäre des Symbolischen und die Bedeutsamkeit von Bewußtseinsformen geschaffen hat. Und damit auch die Einsicht in die Notwendigkeit, daß Politik immer auch bedeuten muß, auf dieser symbolischen Ebene zu kämpfen, daß es eben nicht genügt, nur entlarvend tätig zu sein und einen klassischen Aufklärungsgedanken zu vertreten, der besagt: "Euch fehlen halt die passenden Infos, die Zusammenhänge sind Euch nicht ganz klar - hier sind sie!" Stattdessen auch sehen zu können, daß dem Symbolischen eine eigenständige Macht innewohnt, daß sich politische Arbeit auch wirklich darauf beziehen muß, versuchen muß, Antworten auf die Frage des Umgangs mit dieser Macht zu geben. Eine Veröffentlichung wie das Handbuch der Kommunikationsguerilla ist ein starker Ausdruck der Erkenntnis, daß das Symbolische eine Sphäre ist, mit der man irgendetwas machen muß, auf die man sich beziehen muß, weil die AkteurInnen von zwei Seiten aus produziert werden. Einerseits tatsächlich über ihre materiellen Existenzbedingungen und Eingefügtheiten in ganz bestimmte Lebensstrukturen, andererseits darüber, daß die Eingebundenheit in ein symbolisches System ebenso Teil dieser Existenzbedingungen ist. Bei der Kategorie Geschlecht wird das besonders deutlich, denn Geschlecht ist im Grunde genommen die früheste Form des Eingefügtseins in Bedingungen - in diesem Fall in das System der Zweigeschlechtlichkeit. Dieses System ist immer schon als grundlegende Existenzbedingung zu betrachten, und nicht als etwas, was irgendwann später mal die Köpfe versaut hat über ideologische Apparate oder so etwas.

Diesen Gedanken halte ich für sehr wichtig, vor allem für ganz konkretes praktisches politisches Handeln. Es gibt in den letzten Jahren eine ganze Menge an Auseinandersetzung zwischen denjenigen, die sich in irgendeiner Form mit Diskurstheorie beschäftigt haben, und denjenigen, die das nicht gelesen haben und da immer noch ein bißchen hinterherhecheln. Es ist sicherlich immer auch die Frage, ob Leute Lust, Zugang und Möglichkeiten haben, solche Texte zu lesen oder nicht. Ich wünsche mir manchmal, daß alle mindestens einmal die Möglichkeit haben und einmal die Lust und die Zeit und alles zusammen, ein bißchen was davon zu lesen, um vielleicht auch nur diesen Grundimpuls, dieses Grundmotiv mitzubekommen. Ich glaube, mehr ist erst einmal gar nicht notwendig, um die Bedeutsamkeit dieses Theoriestrangs mal anders einschätzen zu können. Und der andere wichtige, damit ganz eng verknüpfte, Gedanke ist dieser neue Machtbegriff. Also Macht eben nicht als Machtapperat, Bullen, Militär, Großkapital, Regierung zu denken, sondern daß der Machtbegriff immer als Effekt von tausend kleinen Kämpfen betrachtet wird, die jetzt ständig und dauernd und überall auch über die symbolische Ebene vermittelt stattfinden. Dieser Gedanke ermöglicht ein ganz anderes politisches Handeln, weil er den Effekt hat, daß der Gegner und die Gegnerin nun überall zu finden ist. Das eröffnet ganz andere Handlungsfelder oder Vorgehensweisen: sich tatsächlich mit dem ganz unmittelbaren Umfeld oder über das unmittelbare Umfeld vermittelt auch mit den großen Themen zu beschäftigen, um dann auch sagen zu können, okay, um so etwas wie kapitalistische Strukturen zu thematisieren, muß ich nicht vor die Konzernzentrale XY, um da wieder die neueste Schweinerei zu verkünden über die Aussperrung von GewerkschafterInnen in Guatemala, sondern daß man das tatsächlich auch runterdeklinieren kann auf die ganz konkrete Einbindung der Leute hier vor Ort in dieses Verhältnis. Infolge der Diskussion von Diskurstheorie innerhalb der politischen Linken hat in den letzten Jahren gerade der Themenkomplex Geschlechterverhältnisse nochmal eine ganz andere Gewichtung bekommen - aber durchaus mit problematischen Kehrseiten. Auch im Themenkomplex Ethnizität/Anti-Rassismus hat dieser Prozeß nochmal andere Denkinstrumente zur Verfügung gestellt, auch die ganze anti-deutsche/anti-nationale Richtung wäre nicht in dieser Weise gelaufen ohne Diskurstheorie. In all diesen Politik- und Theoriefeldern steckt ganz viel Dekonstruktion drin, obwohl sich gar nicht so viele Leute theoretisch damit auseinandergesetzt haben.

REINDLMEIER: Ich würde gerne noch einmal auf die Kehrseiten von Dekonstruktion zu sprechen kommen, also auf das, was Du eben als das große "Aber" bezeichnet hast. Genauer gesagt: An welchen Stellen siehst Du Grenzen von Dekonstruktion? Und wo hast Du den Eindruck, daß der Dekonstruktionsansatz sogar gefährlich sein könnte?

JUSKOWIAK: Zunächst würde ich sagen, eine Theorie ist nie an sich gefährlich - selbst Carl Schmitt ist nicht an sich gefährlich -, sondern ich denke, es kommt darauf an, was mensch damit macht. Es gibt ein ganz ungutes Zusammenspiel zwischen theoretischen Defiziten innerhalb von Diskurs- und dekonstruktiven Theorien einerseits und andererseits den Bedürfnissen oder Tendenzen bei Leuten, die sich damit beschäftigen. Und daß dieses Zusammenspiel zwischen Defiziten der Theorie und den Interessen bestimmter Leute, die sich damit beschäftigen, daß das schräge Effekte produziert. Ich würde da die Theorie als solche wirklich in Ruhe lassen und nicht sagen, "die Theorie hat das Ergebnis hervorgebracht" oder "Foucault ist schuld, daß" oder "Butler ist schuld, daß", also beispielsweise, daß jetzt irgendwelche Männer tatsächlich ein de facto antifeministisches Rollback veranstalten mit Butler auf der Fahne. Das ist weder in Butlers Sinne noch in irgendeiner Weise vorgegeben in ihrer Theorie. Aber ich denke, mensch kann das auf eine bestimmte Weise mit Butlers Theorie machen. Zumal man auch sehen muß, daß auch mit der Diskurstheorie ein spezifischer Diskurs produziert wurde. Erst daraus würde ich ganz viele der Probleme oder der "Abers" bestimmen, die ich da sehe. Soweit erstmal als allgemeines Herangehen von mir an dieses Problem.

Als konkretes Beispiel bietet sich vielleicht die "Kommunikationsguerilla" an. Auf der einen Seite hat die Diskurstheorie dafür gesorgt, daß die Bedeutsamkeit des Symbolischen auch in die Debatte derer eingeführt wurde, die sich politisch irgendwie bewegen. Auf der anderen Seite hat das aber zu einer ganz unguten Absolutierung des Symbolischen als neues Kampffeld geführt. Das kann man schon daran sehen, daß im Handbuch der Kommunikationsguerilla eine Million Vorschläge enthalten sind, wie man auf der symbolischen Ebene kämpfen kann, aber kein einziges mal systematisch reflektiert wird, daß es möglicherweise nicht reichen könnte, - mit Fakes bis weiß der Teufel was - Risse im gesellschaftlichen Bewußtsein zu produzieren. Denn was dann mit dem Riß im Bewußtsein - falls er denn entstanden sein sollte - passieren soll, wie der sozusagen weiterbetreut wird, da heißt es nur: "Das Soziale ist nicht planbar." Solch eine anti-sozialtechnologische Perspektive ist mir auf der einen Seite auch sympathisch, natürlich ist das Soziale nicht planbar, aber solch eine Herangehensweise müßte sich daran messen lassen können, ob sie auch in irgendeiner Form Ideen oder Perspektiven zur Verfügung stellt, wie das zumindest bei einigen wenigen, bei denen eine Kommunikationsguerilla-Aktion vielleicht irgendwas bewirkt hat, weiterverfolgt werden kann. Oder ob man da gerade eben nicht weitermachen kann und ob es vielleicht aus ganz anderen Gründen trotzdem sinnvoll ist, dort weiterzumachen, das wird gar nicht mehr reflektiert.

Und an diesem Punkt kommt das ins Spiel, was ich als Interesse eines relevanten Teils der RezipientInnen bestimmen möchte. Daß diese Reflexion nicht stattfindet, liegt sicherlich daran, daß das oft Leute sind, die sich politisch gar nicht mehr richtig bewegen. Ich will das gar nicht bewerten, das ist individuell sicherlich immer legitim und tausendfach gut begründet. Aber wenn das zusammenkommt, wenn also politisch denkende Leute, die sich aber auf eine bestimmte Weise politisch nicht mehr bewegen, nicht mehr politisch handeln - da würde ich zwischen politisch Denken und Handeln schon einen Unterschied machen - wenn das von denen gelesen wird, die den Bereich des Symbolischen entdecken, dann kann es zu einer Verabsolutierung des symbolischen Kampfes kommen. Dann wird Politik plötzlich gleichbedeutend damit, mehr oder weniger schlaue Texte in mehr oder weniger pfiffigen, poppigen Zeitungen zu publizieren. 17° ist das abschreckendste Beispiel und man kann es durchdeklinieren über Arranca! bis sonstwas. Alles Zeitungen, die ich sehr gerne lese und wo ich trotzdem den Eindruck habe, daß hier eine politische Bewegungslosigkeit legitimiert wird über das Entdeckthaben des Felds des Symbolischen als ein wichtiges Feld der Auseinandersetzung. Aber das diesen Ziselierungen überhaupt kein Mensch mehr folgt, sondern nur noch diejenigen, die das sowieso schon in irgendeiner Weise interessiert, das kommt da direkt überhaupt nicht mehr vor. Insofern gehe ich davon aus, daß die Diskurstheorie solche KopferrockerInnen aufs Allerbeste bedient, um darüber auf eine ganz merkwürdige Weise einen nicht als solchen deklarierten Ausstieg zu begründen oder zumindest zu legitimieren - auch in deren eigener Selbstwahrnehmung. Dieser Entwicklung kommen teilweise auch systematische Schwächen der Diskurstheorie zugute.

Beispielsweise der Begriff des Interesses, der kommt ja in der Diskurstheorie, wenn überhaupt, nur noch sehr vermittelt vor. Ein Interesse gibt es eigentlich nicht, es gibt den Diskurs, es gibt das symbolische System, in das symbolische System sind immer schon alle reingestellt. Und von dort aus ganz real stattfindende Herrschaftsverhältnisse zu denken, wird unglaublich schwierig. Das liegt manchmal gar nicht unbedingt an der Theorie im engeren Sinne, mindestens durch Foucault könnte man das immer wieder ganz gut korrigieren, aber es kommt nun einmal darauf an, wie das Ganze rezipiert wird. Und es wird oft in einer Weise rezipiert, daß eben nur noch von dieser diskursiven Welt geredet wird bzw. das Denken nur noch darauf bezogen ist. Und so kommt es dann, daß ehemals sehr kritisch auch auf Herrschaftsverhältnisse bezogen denkende Leute diese gar nicht mehr wirklich thematisieren können. Damit belegen sie einerseits die Theorie und andererseits ist es in ihrem aktuellen Lebensentwurf auch nicht mehr vorgesehen, sich auf die oftmals viel primitivere Ebene politischer Praxis zu begeben, beispielsweise irgendwo hinzugehen und Mehlsäcke zu werfen. Das ist natürlich unglaublich stumpf im Vergleich zu einer feinen Diskursanalyse und kann sich damit vom Niveau her überhaupt nicht vergleichen. Aber das sind nun mal auch ganz unterschiedliche Logiken. Das eine ist die Logik der Theorie und das andere ist die Logik der Praxis. Und das Umgehen dieses Unterschieds produziert bei den Diskursorientierten bisweilen ziemlich schräge Ausblendungen. Das wird an der Dekonstruktionsdebatte, die sich ja hauptsächlich auf Geschlecht bezieht, relativ gut sichtbar. Im Vordergrund steht die symbolisch-diskursive Dimension der Zweigeschlechtlichkeit. Entfernt existiert zwar immer noch der Fluchtpunkt, daß hier zwischen den Geschlechtern, zwischen den beiden tatsächlich gewordenen, immer noch einiges an Scheiße abläuft, aber das wird dann überhaupt nicht mehr eigens thematisiert. Und zwar mit der Konsequenz, daß Leute, die sich in die Geschlechterdekonstruktion reinfuchsen, es fast schon unwürdig finden, sich in die teilweise sehr viel banaleren Sachen überhaupt noch reinzudenken, sich mit Sextourismus, Frauenhandel, geschlechtlicher Arbeitsteilung, geschlechtsspezifischen Arbeitsmärkten, branchenspezifischen Bezahlungsverhältnissen, sexueller Gewalt zu beschäftigen. Und da finde ich es teilweise schon berechtigt, wenn sich Frauen, die etwa Gender Studies studieren, über diese Typen aufregen, die tatsächlich glauben, jetzt endlich richtig mitreden zu können -nachdem sie jahrelang das Maul halten mußten, weil sie wirklich nichts zu sagen hatten. Und weil diese Art von Theorie viel besser zu männlichen Identitäts-Modellen paßt, sind sie oft diejenigen, die die Nase vorne haben und Frauen dann erstens vorführen und das zweitens auch noch mit ganz heftigen Kritiken verbinden. Wenn Frauen beispielsweise weiterhin von der Existenz ganz handfester Herrschafts-, Unterdrückungs- und Ausbeutungs-Verhältnisse ausgehen, wird ihnen schnell ein lockeres "Moment mal, mit welchen Kategorien operierst Du hier eigentlich?" um die Ohren geschlagen. Das ist überhaupt nicht die Schuld von Butler oder sonstwem. Das entspricht auch überhaupt nicht ihrer Praxis. Sie hat ja durchaus eine gewisse Praxis und ist zumindest vom Selbstverständnis weiterhin Teil Sozialer Bewegungen und insofern kann man das wirklich nicht ihrer Theorie vorwerfen. Aber die Theorie bietet sich schon dazu an, in dieser Weise mit ihr zu verfahren. Denn diese Theorie hat auf einer ganz grundbegrifflich-kategorialen Ebene nicht mehr die Begriffe dazu, um etwas zu denken wie Herrschaft, wie Macht, wie Interesse. Das läuft solchen Rezipienten natürlich gut rein. Und dann die Verbindung Kopfrocker und Mann und nicht mehr politisch und diese Theorie, da habe ich Männer erlebt, bei denen ich mir gewünscht hätte, daß sie das nie kennengelernt hätten. Das ist der erste Strang meiner Kritik.

Meine zweite Kritiklinie bezieht sich mehr auf diejenigen, die sich positiv-politisch auf Dekonstruktion beziehen. Ich denke, die Diskurstheorie bedient ein allzu fröhliches Verständnis davon, wie Veränderung ablaufen könnte, indem sich daraus eben diese Idee ableiten läßt, alles sei ja nur konstruiert und deshalb ganz leicht und schnell veränderbar. Gerade deshalb ist Lindemann so wichtig für mich, aber auch Maihofer und Lorey, also ein Großteil der deutschen Diskussion, in der der starke Bezug auf Butler teilweise gar nicht mehr mitgemacht wird. Etwa Butlers Vorstellung eines "Gender Trouble", wie sie im Queer-Spektrum sehr stark aufgegriffen wird, obwohl solche Ideen von "mal eben Kleidertauschen" in dieser Einfachheit nicht in der Theorie angelegt sind. Ich habe der Eindruck, daß im Queer-Spektrum kein adäquates Grundverständnis vorhanden ist, daß die AkteurInnen nun einmal ganz Diskurs geworden sind und nichts anderes sind als Diskurs und deswegen auch nicht ohne weiteres dort aussteigen können, sondern daß das ein persönlicher Emanzipations-, Veränderungs-, Selbstauseinandersetzungsprozeß ist. Für alles das stellt die Diskurstheorie überhaupt keine Kategorien zur Verfügung. Auf Geschlecht bezogen etwa in der Frage, wie sich Geschlecht psychisch-emotional "eingräbt". "Eingräbt" deshalb, weil ich an diesem Punkt sehr von der "moderner" Psychoanalyse herkommend argumentieren würde, diese Theorierichtung um Nancy Chodorow, Dorothy Dinnerstein oder Jessica Benjamin. Diese Idee des "Eingrabens" könnte durch Diskurstheorie gar nicht gedacht werden, wenn man Geschlecht als performativ produziert begreift, kann man kaum noch erfassen, was da sozusagen als Unterbau auch noch anwesend ist. Es gibt in Queer-Spektrum richtiggehend romantisierende Vorstellungen davon, wie Veränderungsprozesse ablaufen könnten, was oft auch noch mit einem eigentlich sehr sympathischen Fun-Spektakel-Politikansatz verknüpft ist. Aber das hat - auch durch die Verabsolutierung eigener Erfahrungshorizonte - andere Richtungen des politischen Umgangs mit Geschlechterverhältnissen geschwächt. Die Leute aus dem Queer-Spektrum mögen tatsächlich welche sein, die mit sich oder mit Identitäten lockerer umgehen können - zumindest auf der Ebene der Darstellung. Aber ich fürchte haben das allzu schnell auch den anderen anempfohlen: "Macht das doch auch mal, ist doch gar nicht so schwer und seid nicht so ‚Zwangis'." Das geht schon ein bißchen an der Realität vorbei, was auch durch die Diskurstheorie und ihre begrifflichen Schwächen bedingt ist.

Ein dritter Strang der Kritik, der geht ein bißchen in die ähnliche Richtung wie der zweite. Das macht sich für mich am Verständnis von Identität fest. Ein Hauptgegenstand der Dekonstruktion ist ja Identität, daraus abgeleitet der sogenannte "Identitätsfeminismus", wenn man das jetzt mal auf die ganze "Paul-und-Paula-Debatte" bezieht. Da wird besonders deutlich, daß es zunächst der Diskurs über Dekonstruktion ist, der den Kampfbegriff "Identitätsfeminismus" in der von den Unglücklichen gewählten Form produziert hat. Aber noch mehr stört mich der unrealistische Umgang mit dem Begriff "Identität" oder die unrealistische Einschätzung davon, was eigentlich Identität ausmacht. In der Sichtweise der Unglücklichen wird Identität fast zum Bewußtseinsproblem von einigen Frauen/Lesben degradiert, so dargestellt, daß bei diesen bestimmte diskursive Bilder vorlägen, aus der sich eine weiblich positiv konnotierte Identität zusammensetze und daß es das nur irgendwie zu zerschlagen gelte und dann geht's auch wieder zusammen. Was da vollkommen ausgeblendet wird, ist, daß Identität sehr viel mehr ist als das pure Produkt eines Diskurses, daß sich in der Identität letztlich soziale Erfahrungen sedimentieren. Und da kommt das ins Spiel, was ich vorhin meinte, daß da Bourdieu für mich das Paradebeispiel einer gelungenen Verknüpfung ist, weil er nämlich einerseits von den sozialen Existenzbedingungen her denkt und deswegen nie in der Gefahr ist, den Habitus zu einem Bewußtseinsphänomen zu machen. Und daß er auf der anderen Seite trotzdem die Bedeutung des Symbolischen, die er aber immer auch direkt auf die sozialen Bedingungen bezieht, konstitutiv mitdenkt. Wenn man in dieser Weise vorgeht, wird man gar nicht auf die Idee kommen, daß dieser Identitätsbegriff einfach mal so beseitigbar wäre, daß man hier polemisch gegen Identität argumentieren kann. Ich denke, die Identität gilt es in dem Sinne ernst zunehmen, als sich darin ganz viel Erfahrung, schmerzhafte Erfahrung, schwierige Erfahrung abgelagert hat und daß das einen ganz handfesten Grund hat. Der Grund selbst ist nicht "gut" und der Grund ist nicht "schlecht", sondern den Grund müssen wir halt zur Kenntnis nehmen. Das kann man immer dann sehen, wenn es schwierig wird. Wenn es etwa um die Frage geht, wie kann eine gemischtgeschlechtliche Politik gemacht werden, dann kommen die Identitätsgefühle immer ganz schnell zum Vorschein. Und zwar aufgrund von jeweils ganz unterschiedlicher Betroffenheiten. Ein Beispiel: Wenn man antipatriarchale Politik zum Themenkomplex "Sex-, Pornoindustrie" machen würde, dann ist es vollkommen klar, daß Männer und Frauen jeweils ganz unterschiedlich davon betroffen sind, ganz unterschiedlich rangehen und das es ganz schnell am Ende ist mit "einfach mal gemischtgeschlechtlich durch das einfach mal Ablegen von Identitäten", dann wird nämlich deutlich, daß diese Identitäten keine Denkfehler sind, sondern Ausdruck von Lebenszusammenhängen im weitesten Sinne. Ich habe von dort aus Politik zu machen, was der jeweilige Erfahrungszusammenhang der Leute ist, von dem aus, was sich in ihre Körper, Seelen und Gedanken eingeschrieben hat. Das ich kann ich nicht über diese Schere "Ich dekonstruiere da jetzt erstmal was" beseitigen. Und so gesehen liegt in diesem anti-identitären Impetus ein weiteres mal eine Schwächung dieses Gedankens, der in "traditionell-herkömmlicher" Theorie deutlich betont wird: tatsächlich hier auch Herrschaftsverhältnisse denken zu können. Nicht Herrschaft von "denen da oben", den drei wenigen, die Millionen anderer unterdrücken. Aber das dort - bei aller Mikrophysik von Macht und Herrschaft - Leid und Unterschiedlichkeit produziert wird.

REINDLMEIER: Ich würde gerne noch einmal den Zusammenhang von Identität und Politik vertiefen. Du bist jetzt hauptsächlich auf Identität von/als Frau, als Mann, als was-weiß-ich-was eingegangen. Eine damit verwandte Debatte dreht sich um die Frage von kollektiven Identitäten, also inwiefern es nötig ist, ein "Wir" zu haben - wie dieses "Wir Frauen", "Wir Schwarze" -, um Politik zu machen. Das ist in der Dekonstruktionsdebatte immer auch ein wesentlicher Punkt der Auseinandersetzungen gewesen. Welche Einschätzung vertrittst Du in diesem Punkt?

JUSKOWIAK: Ich würde - etwas polemisch - sagen, daß es sich bei denjenigen, die behaupten, daß es dieser Identität nicht bedürfte, um diejenigen handelt, die nur schreiben und keine Politik machen. Einmal im Plenum gesessen und der Versuch, ein gemeinsames Flugi geschrieben zu haben aus unterschiedlichen Richtungen und mensch sieht, daß da offensichtlich doch so etwas wie Identität vorliegt und daß es da einer Mindestübereinstimmung bedarf. Ich finde es auch frustrierend, aber ich merke, daß ich da in gewisser Weise genauso intolerant bin ab einem bestimmten Punkt. Ich will mir gewisse Sachen nicht ziehen, ich will, daß bestimmte Sachen klar sind und genau zu dem Zeitpunkt, wo das nicht mehr der Fall ist, kann mensch maximal noch im Bündnis zusammenarbeiten und manchmal geht's selbst nicht mehr im Bündnis, weil klar ist, das geht jetzt doch zu weit auseinander. Mensch muß akzeptieren, daß die verschiedenen Lebenszusammenhänge der Leute mit ganz handfesten Bedürfnissen verknüpft sind. Auch das Bedürfnis, daß mensch in der jeweils eigenen Situation gesehen wird, daß die jeweils eigenen Anliegen tatsächlich auch die Sprache bekommen, Berücksichtigung finden, Eingang finden in das Gemeinsame. Und wenn man irgendwie aufeinander stößt und das klappt nicht, die einen finden das andere irgendwie nicht wichtig, interessieren sich dafür nicht, finden das zweit oder drittrangig, dann ist das ja nicht mehr nur ein intellektuelles Problem, sondern es ist ein handfestes persönliches Angekotzt-Sein, ein Sich-Unwohl-fühlen, ein Sich-Verletzt fühlen und alles zusammen. Dann geht's eben nicht. Und so gesehen ist es auf der einen Seite zwar unheimlich erstrebenswert, zu dem Punkt zu kommen, zumindest eine große Frustrations- und Ambiguitätstoleranz zu haben. Aber solch eine Toleranz haben zu können, das ist nichts, was mensch sich einfach mal verordnen kann. Es ist auch nichts, was einfach mal gelernt werden kann, sondern es ist ein ziemlich langer Prozeß, der ein Stück weit erfordert, daß das persönliche Verstrickt-Sein in das jeweilige Anliegen ein bißchen abgeklärter wird. Ich muß erstmal akzeptieren, was meine, was der anderen Ausgangspunkte sind, und ich muß versuchen, damit einen produktiven Umgang zu finden. Das sind für mich auch langfristig vertrauensbildende Maßnahmen. Ganz viele Bündnisse sind sicherlich in Verkennung davon entstanden, daß es hier auch wirklich Grenzen gibt. Das wurde oft übereilt angegangen ("Ja, können wir doch mal") und ich finde es manchmal faszinierend, daß selbst relative Ein-Punkt-Geschichten nach fünf oder sechs Treffen scheitern können, weil es nicht mehr zusammen klappt

REINDLMEIER: Wie siehst Du das Verhältnis Deiner eigenen politischen Arbeit zum Dekonstruktionsdiskurs? Welche Rolle spielen die Möglichkeiten und Grenzen, die Du gerade erläutert hast, für Deine politische Arbeit - wenn sie denn eine Rolle spielen?

JUSKOWIAK: Na ja, ich würde sagen, am allermeisten spielen sie erstmal auf einer argumentativen Ebene des Diskutierens eine Rolle, wo es darum geht, sich die produktiven Gedanken von Diskurstheorie anzueignen. Im Vordergrund steht für mich dabei die Diskussion über die geeigneten Ansatzpunkte politischer Aktion. Wenn ich was zu Kapitalismus machen möchte, muß ich dann die Konzernzentralen angehen oder ist es auch okay, in mehr oder weniger konfrontative Tuchfühlung mit der ganz normalen Bevölkerung zu treten - oder Teilen davon? Kann es auch okay sein, sich ganz bestimmte Zielgruppen auszusuchen und die auch in eine Auseinandersetzung reinzuzwingen? Nicht etwa weil die maßgeblich Verantwortung für irgendwas hätten - auch wenn sie sicherlich privilegierter sind als andere durch diese Verhältnisse - sondern deshalb, weil der Veränderungsprozeß letztlich darüber läuft, daß sich die einzelnen sozialen AkteurInnen verändern müssen. Und daß darüber auch eine Auseinandersetzung laufen muß. Die kann erstmal kritisch laufen, die kann konfrontativ laufen, um vielleicht auch zu polarisieren, um andere dazu einzuladen, sich da mit einzuhängen. Da kann man sich die verschiedensten Szenarien vorstellen, aber der Hauptbezugspunkt wäre für mich erstmal: "Ist das überhaupt legitim und/oder ist es überhaupt angesagt?" In linksradikaler Politik überwiegt ja schon eine sehr stark Orientierung an "denen da oben", an den Mächtigen, an den Herrschenden oder wem auch immer. Und da gibt's keine Selbstverständlichkeit, auch die ganz normalen Leute in politisches Handeln einzubinden. Wenn ich das jetzt anführe, dann ist das argumentative Instrumentarium, mit dem ich das tue, schon sehr stark auf Diskurstheorie bezogen, eben darauf, welcher Machtbegriff und welche Konzepte der Bedeutsamkeit des Symbolischen da drin stecken. Aber das ist für mich in den letzten Jahren eher ein dauerhafter Diskussionsprozeß, wo ich sagen würde, es werden bislang noch keine wirklich anders gelagerten Strategien gewählt, das läuft bisher eher punktuell. Ich denke, man könnte im positiven Sinne viel viel mehr rausholen, aus dem, was die Diskurstheorie eröffnet - an Denk- und damit umgekehrt auch an Möglichkeitsraum konkreten politischen Handelns.

REINDLMEIER: Hast Du eine Vermutung, warum das nicht vermehrt gemacht wird, wieso diese Brücke ein Stück weit so schwierig zu schlagen ist?

JUSKOWIAK: Dieser Gedanke liegt wohl erst mal nicht so wahnsinnig nahe. Es ist sicher weitaus näherliegend zu sagen "Es gibt ganz besondere Schweine" als zu argumentieren, daß Schweinische sei eine Struktur, ein Verhältnis, eine symbolische Ordnung. Das kannst Du vielleicht mit 22 denken, wenn Du da auch eine Weile drin geschult bist - das legt sich nicht so unbedingt nahe für Vierzehn- oder Fünfzehnjährige. Deshalb ist das wahrscheinlich unvermeidbar, daß es immer erstmal eine Bewegung gibt, die Sache ein bißchen schematischer oder vereinfachend zu sehen. Das will ich nicht groß kritisieren, das geht wohl erst mal nicht anders. Es ist ein komplizierter Prozeß, dorthin zu kommen, es anders denken zu können. Diese Erfahrung haben ja auch alle gemacht, daß diese dekonstruktiven Ideen nichts super Eingängiges sind, was mensch einfach liest und sagt: "Klar!" Ich meine, in der Art, wie mensch Fakten liest: "In dem und dem Dorf gibt's die und die Faschos". Da gibt's nichts zu verstehen, das gilt es zur Kenntnis zu nehmen. Und wenn man jetzt noch in Rechnung stellt, daß im Moment sowieso relativ wenig läuft und auch "nachkommt", dafür aber nach und nach um so mehr Leute rausfallen, dann erklärt sich auch daraus, daß im Moment auch nicht unbedingt die diskutierfreundlichste Atmosphäre herrscht. Es fehlen die Voraussetzungen, um zu anderen Punkten zu kommen. Es diskutieren vor allem diejenigen, die nicht mehr richtig politisch handeln und die wiederum, die explizit politisch handeln, die gehen auch in Frontstellung zu den Theoretisierenden: "Ja, Laberei. Macht mal was Praktisches!" Gerade in dieser Situation, wo die Praktisch-Handelnden immer weniger werden, gibt es eine Abgrenzungsbewegung und das macht es nochmal schwieriger, diese beiden Sphären zu verbinden. Wenn es immer dieselben sind, die schlaue Sachen sagen und schlaue Texte produzieren, man sie aber bei keiner einzigen Aktion sieht, kommt gerade bei denjenigen, die die intensive Auseinandersetzung mit Theorie sowieso unter Generalverdacht gestellt haben, der Eindruck auf, "Also irgendwas stimmt da nicht". Das finde ich auch naheliegend.

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