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Die Politik der Ausgrenzung
Wippermann kontra Staadt - Mahler kontra Dutschke

von Günter Langer
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Spätestens seit 1969 wurde es Mode, auf "die 68iger" einzuprügeln. Und auch vorher entsprach es dem Mainstream, an Dutschke, Kunzelmann und Konsorten kein gutes Haar zu lassen: "Verrückte", "Chaoten", "Anarchisten" etc. tönte es aus den Medien. Nach 68 waren sie schlicht "Kleinbürger", so zumindest in der Sprachregelung der diversen K-Gruppen (so auch damals schon im ML-Duktus der jetzige Neu-Rechte Rabehl), wenn  über diejenigen, die es erstmals gewagt hatten, den gesellschaftlichen Konsens der Adenauer-Republik in Frage zu stellen, geurteilt wurde. Heute "entdeckt" man den "nationalrevolutionären" Charakter der damaligen Bewegung. Einige mißverstandene Zitate werden, aus dem Zusammenhang gerissen, als Beweis für diese aberwitzige These herbeigekramt.

Wenn dieses Vorgehen durch Leute geschieht, wie Rabehl oder Mahler, die beide ein politisches Anliegen verfolgen, kann man das zwar nicht entschuldigen, aber dennoch in Grenzen verstehen. Anders sieht es aus, wenn Historiker, heißen sie nun Wolfgang Kraushaar (bezüglich seiner Interpretation Dutschkes) oder Wolfgang Wippermann (in seiner Auseinandersetzung mit der "Forschungsgruppe SED-Staat"), sich derselben Methode bedienen. Dann fragt man sich natürlich, wo bleibt da ihre Wissenschaftlichkeit und weshalb machen die das?

Die Antworten auf diese Fragen sind, so meine ich, leicht zu finden. Kraushaar scheint einer Art "Buchgläubigkeit" verfallen zu sein. Ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Begebenheiten, d.h. den historischen Rahmenbedingungen, analysiert er einzelne Sätze und überlegt, was sie heute bedeuten würden. Er fragt nicht etwa, was ihre Autoren damals mit diesen Sätzen gemeint hatten bzw. mit ihnen erreichen wollten und wie etwa ihre damaligen Rezipienten sie verstanden hatten. Das Mißverstehen der Geschichte ist so methodisch bereits angelegt. (Mahler und Rabehl stehen ihm hierin, allerdings aus anderen Gründen, in nichts nach.) Also: Falsche Methode = falsches Ergebnis.

Bei Wippermann ist das anders. Wippermann nutzt seinen akademischen Titel, um billige Agitation zu betreiben. Beispiel: Das "APO-Archiv" an der FU ist ihm eine "private Flugblattsammlung" Siegward Lönnendonkers. Lönnendonker ist nicht nur der Verantwortliche für das APO-Archiv, sondern arbeitet auch in o. g. Forschungsgruppe mit. Weil Wippermann seinem politischen Gegner an der FU die Wissenschaftlichkeit streitig machen will, muß er gleichzeitig das bedeutendste Archiv der 68iger Revolte in Berlin zu einer "privaten Flugblattsammlung" degradieren. Überhaupt 68. Mit diesem Jahr hat er nichts am Hut. Seine universitären Gegner berufen sich teilweise eben auf die Bewegung dieser für die Nachkriegszeit so bedeutsamen Epoche. Da er diese Gegner heute für rechts hält, kann 68 auch nicht links gewesen sein. Die 68iger Bewegung insgesamt kann für ihn schon deshalb nicht links gewesen sein, weil der Kern der damaligen Revolteure seinerzeit heftige Kritik an der SU, der DDR, der KPdSU, der SED/SEW/DKP, also am kommunistisch-sozialistischen Lager geübt hatte. Denn, so weiß der Professor heute, wer dies tut, "relativiert Auschwitz". Geflissentlich übersieht er dabei sogar, daß gerade seine von ihm in Schutz genommene DDR wenig über Auschwitz aufklärte und viele sozialistische "Bruderstaaten" den "Kosmopolitismus", eine Umschreibung für Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft, bekämpften. Köpfe rollten sowohl in der SU, als auch in der CSSR, in Bulgarien und in Polen. In der DDR ging es glimpflicher ab. Aber der einst führende SED-Genosse Paul Merker mußte deshalb immerhin für viele Jahre hinter Gitter.

Wenn die o. g. Forschungsgruppe die DDR kritisch analysiert, kann sie das nach Wippermanns Auffassung nur tun, wenn sie sich auf die Totalitarismustheorie in seiner krudesten Form (rot = braun) beruft. Das Ergebnis sei eine "Dämonisierung der DDR". Als Beweis führt Wippermann auf einer öffentlichen Veranstaltung im Kreuzberger Mehringhof die Kritik Jochen Staadts (eines SED-Staats-Forschers) an den Professoren Peter Steinbach (TU) und Jürgen Kocka (FU) an. Beide sind Historiker und beschäftigen sich ebenfalls mit der kommunistischen Vergangenheit in Deutschland. So absurd diese "Beweisführung" auch ist, wird sie aber dennoch von Wippermann im Laufe seines Vortrages in Kreuzberg übertroffen. Die SED-Staats-Forscher hätten ihm zufolge einen böswilligen Plan, sie dämonisierten die DDR deshalb, weil sie "Auschwitz relativieren", "Auschwitz und Intershop", so wörtlich, "in eins setzen" wollen. Für Wippermann stehen Staadt, Lönnendonker, Martin Jander, Klaus Schröder und Co. in der unseligen Tradition des McCarthyismus, der antikommunistischen Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) und der Notgemeinschaft für eine Freie Universität (NOFU). Sie würden alle "Linken" diskreditieren, eine Wende nach rechts erzwingen wollen. Wippermann bestreitet, daß die DDR totalitär war, "links" sei sie gewesen. Eine Totalitarismustheorie "von links" habe es seiner Meinung nach nie gegeben. "Linke" könnten so etwas nicht vertreten. Damit macht er Anarchisten, Rätekommunisten und viele andere Sozialisten bzw. Sozialdemokraten zu "Nicht-Linken".

Wenn ein deutscher Professor politisch Amok läuft, mag das ein Problem für die akademische Community sein, es fragt sich aber, warum ein Teil der Berliner Linken Gefallen an solchen Thesen findet. Diese Frage ist schwerer zu beantworten. Zu viele Faktoren fließen hier ein. Ein Hauptfaktor läßt sich aus einem Vergleich herausdestillieren.  Dafür müssen wir auf unseren Ausgangspunkt zurückkommen. Die 68iger Bewegung war zeitweilig unbestreitbar deshalb so erfolgreich, weil sie eine Politik des Einschlusses darstellte, d. h. jede Person, ob jung oder alt, ob weiblich oder männlich, ob deutsch oder nicht-deutsch, ob religiös oder nicht-religiös, ob Student oder Arbeiter, ob Lehrling oder Schüler, ob Hippie oder Rocker, war willkommen. Unterschiede spielten einfach keine Rolle, jede und jeder war angesprochen, mitzumachen. Und viele fühlten sich in der Tat angesprochen. Niemand wurde ausgeschlossen, nicht mal Spitzel. Rudi Dutschke gelang es später sogar, mit seinem Attentäter zu kommunizieren. Als bolschewistische Ideologien und Organisationsmodelle von einzelnen Gruppen in die Bewegung getragen wurden, begann der Anfang vom Ende. Man grenzte sich selbst ab von allen anderen und verlor so den Zusammenhang, der vorher für die Stärke der Revolte gesorgt hatte. Am Ende wurden selbst die Haschrebellen und der "Blues" von dieser Manie erfaßt und verschwanden im Orkus der Geschichte.

Heute verfolgt die Linke im Gegensatz zu 68 wieder bzw. immer noch eine Politik des Ausschlusses.  Sie wird dabei immer unattraktiver. Diese Negativ-Politik hat selbst die SPD erfaßt. Als Oskar Lafontaine sein Buch "Das Herz schlägt links" herausbrachte, wollten ihn viele seiner Genossen am liebsten aus der Partei ausschließen. In der linksradikalen Szene wird ständig Jagd auf Abweichler gemacht. So kann es beispielsweise dazu kommen, daß Leute eine "Vokü" nicht mehr betreten dürfen, weil sie Redakteure einer mißliebigen Zeitschrift sind. Ein Typ wurde während einer Fete von zwei Frauen aus dem Ex rausgeschmissen, weil er zu Hause Pornobilder "archivierte", ein Besucher des Mehringhof-Theaters wurde krankenhausreif geschlagen, weil er ortsunkundig seine Nase in die falsche Versammlung steckte usw. usf.  

Es stellt sich auch hier die Frage, warum machen die das? Offensichtlich sind sie verängstigt und haben weder Vertrauen zu sich selbst noch in die Zukunft. Die gegenwärtigen Verhältnisse sind ihnen ein Greuel und alternative Visionen von einer besseren Welt sind ihnen abhanden gekommen. Hierin gleichen sie den hirnlosen Rechten, deren Politik ohnehin eine Politik des Ausschlusses ist.  Die Rechten machen Jagd auf alles "andere", auf "Ausländer", "Fremde", "Linke", "Punker" etc.  Der Neu-Rechte Horst Mahler konnte dieses Politikmodell noch aus seiner RAF-Zeit beibehalten. Gestern kannte er nur "Mensch oder Schwein", heute kennt er nur "Volks-Deutsche oder Ausländer". "Schweine", wie seinerzeit Ulrike Meinhofs Freund Peter Homann, so meinte er seinerzeit im Palästinenser-Lager, gehörten umgebracht, "Ausländer", so meint er heute gemeinsam mit Rabehl, gehören ins "Ausland". Innerhalb der Berliner radikalen Linken wird zur Zeit von einer Sauberkeitsgruppe namens "Venceremos", in der unser szenebekannter Porno-"Archivar" kurioserweise mitwirkt, verlangt, daß oben genannter Jochen Staadt den Mehringhof nicht mehr betreten dürfe. Zu diesem Zweck hatte sie sich Schützenhilfe von dem Nolte-Schüler Wippermann erhofft und erhalten. (Nolte: "Der Faschismus ist entstanden als eine Reaktion auf die Oktober-Revolution".) Wippermann soll Mitglied der SPD sein. Eine seltsame Allianz...

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