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Quelle: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_99/50/25b.htm 

Zwischen Exil und Vaterland
Zur Konstruktion von Nationalismus und Antisemitismus in der Volksfront und in der Frühzeit der DDR. 


Von Birgit Schmidt
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Andere und bessere Deutsche

Wenn ich ein Trümmerland auch wiederfand, / Bist du es doch: mein Deutschland, Vaterland. / Fand ich dich auch verarmt und sterbensbleich, / Bist du es doch: Deutschland, mein Märchenreich. / Fand ich dich auch verhärmt und ohne Ruh, / Bist du es doch: Heimat und Mutter Du! / O Deutschland! Schlag von Deutschlands Fluch dich frei, / Daß ich dich segnen kann: Gesegnet sei!
Johannes R. Becher, 1945

Am 7. Oktober 1949 konstituierte sich auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone, das rund 118 000 Quadratkilometer und achtzehn Millionen Einwohner umfasste, das »andere«, das »bessere Deutschland« - oder versuchte es doch zumindest. Eine politisch-ökonomische Umgestaltung der Ruinenlandschaft, die das »Tausendjährige Reich« seinen Anhängern hinterlassen hatte, hatte die Sowjetische Militäradministration bereits in den Jahren seit 1945 in Gang gesetzt: 1945 die Bodenreform, 1946 die Schulreform, im selben bzw. folgenden Jahr eine Justizreform etc.

Mit der Gründung der DDR sollte nun endgültig ein »antifaschistisch-demokratischer« Umwälzungsprozess in den Köpfen in Gang gesetzt werden, in denen bis dahin wenig mehr als braune Suppe schwappte. Kritik an undemokratischen Maßnahmen in der jungen DDR - so wurden beispielsweise zu den Volkskammerwahlen im Jahre 1950 nur noch die Einheitslisten der Nationalen Front präsentiert - verblasst angesichts der Tatsache, dass mit der deutschen Bevölkerung keine Demokratie zu machen war. Unabhängig von allen Vorbehalten, mit denen der frühen DDR-Regierung und ihren Anhängern zu begegnen ist, handelte es sich in der großen Mehrheit um aus dem Exil zurückgekehrte Kommunisten und Sozialdemokraten, die von der durch sie jetzt zu regierenden Bevölkerung denunziert, verschleppt, ermordet worden wären, wäre man noch einige Jahre zuvor aufeinandergetroffen.

So schrieb die Schriftstellerin Anna Seghers im Frühherbst 1947, wenige Monate, nachdem sie aus dem mexikanischen Exil in die SBZ gekommen war und sich mit den Verhältnissen vertraut gemacht hatte, an eine Freundin: »Die paar anständigen Menschen, die ich lebend traf (manche, die ich suchte, fand ich gar nicht oder auf einem Todesurteil) stechen von den übrigen ab, wie vielleicht einmal die ersten Christen von den Zuschauern in einer römischen Arena.« Und kurz darauf: »Jetzt habe ich dieses verhexte Land von einem Ende zum anderen durchreist. Überall dasselbe: Angst vor dem Winter, Angst vor noch größerem Hunger, den sie ohne Zweifel überall haben. Und dabei in mir selbst, wie wohl in den meisten Menschen mit denselben Gedankengängen: daß sie selbst daran schuld sind und um keinen Preis den Zusammenhang verstehen wollen. Und die Angst und der Hunger machen sie noch deformierter, noch härter und schlechter, wie man sich gar nicht vorstellen kann, denn schließlich ist einem ja Land und Volk nicht fremd.«

Bei der »antifaschistisch-demokratischen« Umerziehung der »deformierten«, mehrheitlich feindlich gesinnten Bevölkerung bediente man sich mit dem Rekurs auf das »nationale Kulturerbe« eines bewährten Grundmusters. 1949 - das Gründungsjahr der DDR - wurde als »Goethejahr« begangen. Aus dem »größten Deutschen« der Nazi-Kulturpropaganda wurde so kurzerhand der »beste Deutsche«. Ein »Bachjahr«, ein »Lutherjahr« sollten folgen.

In diesem Prozess fiel dem schon 1945 gegründeten »Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« eine wichtige Funktion zu. Sein Präsident, Johannes R. Becher, hatte noch im Jahr der Befreiung vom Faschismus nichts Eiligeres zu tun, als die Ehrenpräsidentschaft des Kulturbundes dem greisen Dichter Gerhart Hauptmann anzutragen.

»Hast du von dem Besuch Bechers bei Gerhart Hauptmann gelesen?« schrieb der kommunistische Schriftsteller Franz Carl Weiskopf aus seinem New Yorker Exil daraufhin an einen Genossen in Mexiko. »Hauptmann stellt sich natürlich wieder mal zur Verfügung und wird dafür zum Literaturgott erster Klasse befördert. Die ganze Kulturwelt blickt auf ihn (...), behauptet Becher, der u.a. ausführt, daß 'wir Deutschen an Seele und Geist arm geworden' sind. Das Letztere stimmt in diesem Fall. Es ist zum Kotzen. So was ist doch nicht nötig. Ein paar Gran Würde könnte man doch behalten.«

Was die noch im Ausland lebenden KPD-Schriftsteller in einen (weiteren) Gegensatz zum Moskau-Flügel der KPD-Emigration brachte, war die Tatsache, dass Hauptmann die zwölf Jahre der Nazi-Herrschaft ausgezeichnet überstanden hatte. Entweder auf seinem Sommersitz auf Hiddensee oder in seiner Villa im Schlesischen, wo ihn die Rote Armee dann ganz einfach vorfand.

»Die Herren nehmen ihre Plätze schon ein«, schrieb der Lyriker Hans Lorbeer, für den sich die vergangenen zwölf Jahre in Konzentrationslager und Zuchthaus ganz anders gestaltet hatten: »Sie werden den Ton angeben, den Text bestimmen. Ich würde mich nicht wundern, wenn auch die Herren Pohl, Barthel, Binding, von der Vring und ähnliche sich einfänden. Herr Fallada ist ja schon da. Herr Heinrich Mann, der der 'demokratischen' Gummiknüppelpolizei im schönen Preußenland damals so hochherzige Worte zu sagen wußte, Herr Hauptmann und wie sie alle heißen.«

Und tatsächlich: Neben Hans Fallada fungierte Ernst Wiechert, Repräsentant der »Inneren Emigration«, bereits 1945 als Mitarbeiter der vom Kulturbund herausgegebenen Zeitschrift Aufbau. Dass im Rahmen der von Alexander Abusch (nach Becher zweiter Kulturminister der DDR) und Becher propagierten »Versöhnung« von »innerer« und »äußerer« Emigration den Proletkult- oder Arbeiterschriftstellern zusehends »das Wasser abgegraben wurde«, stellte auch der Bremer Literaturwissenschaftler Wolfgang Emmerich in seinem Standardwerk »Kleine Literaturgeschichte der DDR« (1996) irritiert fest. Und Emmerich bemerkt weiter: »(...) 'Volk', 'Heimat', 'Vaterland' und 'Landschaft' (...) [waren] literarisch wiederzuentdecken als Wertvorstellungen, in denen sich gerade die vom Faschismus betrogenen Klassen und Schichten (Kleinbürger, Bauern) windschief angesiedelt hatten. Hatten sie sich unter den Losungen der Verteidigung des Vaterlandes und der Kräftigung des Volkstums für einen imperialistischen Raubkrieg einspannen lassen, der -zig Millionen Tote gefordert hatte, so war nun zu zeigen, daß, wer sein Vaterland, seine Heimat, sein Volk liebte, sich gerade von seinen faschistischen Verderbern abwenden mußte. Daß eine solche Besetzung von 'Hohlräumen' immer heikel war, hat bereits ein Blick auf die Volksfrontstrategie und deren Tendenz zur 'nationalistischen Übertrumpfung' gezeigt.«

Emmerichs Beobachtung war richtig, doch die »nationalistische Übertrumpfung« der nationalsozialistischen Kultur-Ideologie durch die KPD bzw. SED - ein Ausdruck, der im Übrigen auf ein Spottwort Bertolt Brechts zurückgeht - war nicht erst ein DDR-Phänomen, sondern hatte Tradition. Sie war der Volksfront-Strategie inhärent, die 1935 mit dem IV. Kominternkongress formuliert und als Direktive an die Träger der Volksfront, die KPD-Mitglieder, ausgegeben wurde.

Die KPD, innerhalb Deutschlands nahezu vollständig zerschlagen, sah sich als Exilorganisation zusehends mit der Tatsache konfrontiert, dass die große - jüdische - Mehrheit der Geflüchteten mit Deutschland nichts mehr zu tun haben wollte. Doch sowohl die Komintern als auch der Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur in Paris hatten wahrhafte Liebe zu Deutschland und seiner Kultur als antifaschistisches Argument in die Waagschale geworfen. Das »bessere Deutschland«, das »andere Deutschland« sollte unverdrossen zwölf Jahre lang propagiert werden. Heimatliebe und wahrer Patriotismus sollte sich offenbaren in den Schriften der kommunistischen Schriftsteller. »Die Schriftsteller müßten in dieser Dichtung zeigen, daß wir auf diesem Gebiete nicht nur 'bessere Deutsche', sondern 'die besten Deutschen' sind, daß wir 'Deutschland mehr lieben als die, die diese Liebe gepachtet zu haben vorgeben'.« So hatte Becher die Exilgruppen in Prag, Zürich und Paris bereits 1934 auf die neue Komintern-Linie und Volksfrontstrategie eingestimmt.

In den von Kommunisten nach 1935 geschriebenen antifaschistischen Romanen tauchte entsprechend mit stereotyper Regelmäßigkeit die Figur des anständigen Deutschen auf, der Antifaschist ist, weil er sein deutsches Vaterland heiß und abgrundtief liebt. Ein anständiger Mensch, so das durchgängige Credo der KPD-Literatur der Exil-Jahre, kann gar kein Nazi werden, eben weil er sein Vaterland so sehr liebt. Und gemäß der Logik, dass einer, der sein Vaterland liebt, eben ein anständiger Mensch sein müsse, ergoss sich auch eine wahre Flut eigentlich anständiger Nazis auf die irritierten Leser in der Emigration. Früher oder später muss ein deutscher Patriot erkennen, dass er sich in die Reihen der SA, bald SS hinein nur verirrt haben kann, legte die kommunistische Literatur auch jüdischen Vertriebenen nahe, die auf ihrer Flucht auf alles gestoßen waren, nur auf keinen anständigen Nazi.

»'Schwer war's und der Hunger! - Aber so eine Schule für uns gibt es doch nicht wieder! Und so ein Gefühl der Zusammengehörigkeit! Ich kann dir sagen: Wir zwinkerten uns nur zu und wußten, was los ist! - So etwas gibt es in euren Reihen nicht! Sowas nicht! Trotz allem möchte ich die Erinnerung nicht missen in meinem Leben.'« So liest es sich, wenn in Ludwig Renns 1935 geschriebenem Roman »Vor großen Wandlungen« der Kommunist Heinz Bulte seinem Freund, dem SS-Mann Baron von Oetting, die kameradschaftliche Atmosphäre in einem deutschen Konzentrationslager schmackhaft macht.

Und in Fritz Erpenbecks Roman »Emigranten« verzeiht der ehemalige Nazi-Anhänger Dormler dem Kommunisten Hans, für dessen Sabotageakt er verantwortlich gemacht und ins Exil getrieben worden ist, mit den Worten: »Wäre das nicht geschehen, dann wäre etwas anderes vorgefallen. Ein anständiger Mensch kann gar nicht anders: Er muß mit den Nazis zusammenstoßen, gerade weil er national fühlt, sein Vaterland liebt, das jene täglich und stündlich schänden.«

Franz Carl Weiskopf ging in seinem in den USA (in den frühen vierziger Jahren) entstandenen Roman »Himmelfahrtskommando« gar so weit, den im Grunde anständigen Deutschen noch in den Reihen eines Mordkommandos zu finden, das gegen die tschechoslowakische Zivilbevölkerung eingesetzt wird. Auch sein Hans Holler hatte sich eigentlich zu den Nazis nur verirrt und ist 1945 natürlich bereit, mitzumachen »beim großen Augenöffnen, das jetzt beginnt«. Er kann sich nicht erklären, wie er jemals in die Reihen des Erschießungskommandos hatte geraten können, denn: »Ich habe immer ein anständiger Mensch sein wollen. Gewalttätigkeit war mir stets in der Seele verhaßt. Ich hätte niemals aus freien Stücken jemand ein Leid angetan. Ich bin nicht schlecht. Aber das Schicksal ist gegen mich. Das Leben in seiner unberechenbaren Grausamkeit hat mir nicht erlaubt, anständig zu bleiben.«

Und Bodo Uhse schrieb mit »Leutnant Bertram« einen Spanien-Roman, dessen gesamte erste Hälfte in dem Luftwaffengeschwader spielt, aus dem die Legion Condor hervorgehen sollte. Nur: Dort gibt es nach Aussage Uhses keinen einzigen wirklichen Nazi. Abgesehen von der Figur des Oberst von Harteneck - und dass von Harteneck schwul ist, hängt wiederum eng damit zusammen, dass eine Literatur, die sich auf die Propagierung von anständigem Deutschtum geeinigt hatte, alle reaktionären Topoi bedienen musste, die der deutsch-nationalistischen Ideologie inhärent sind: Der deutsche Kommunist wie sein literarischer Freund, der Nazi, ist, wenn nicht blond, so doch zumindest gut gewachsen und kräftig, hat sich des weiblichen Einflusses entledigt oder arbeitet noch daran - und ist auf keinen Fall schwul: »Verdammt, wenn er nicht heute morgen noch auf die fahrende Elektrische gesprungen wäre - der Genosse hätte womöglich ohne das Material fahren müssen. (...) Eine Schweinerei, Peter ...! Und das alles wegen einer Weibergeschichte. Pfui. Das darf nie wieder ...«, klärt Erpenbeck die Geschlechterfrage in den »Emigranten«.

In der Literatur zum Spanischen Bürgerkrieg, an dem viele der KPD-Schriftsteller vornehmlich als Propagandisten oder Politkommissare teilnahmen, verstärkte sich die beschriebene Tendenz, weil es nicht nur um die internationale antifaschistische Solidarität ging, sondern auch um die Verteidigung der deutschen Ehre: »Sie waren kämpfende deutsche Patrioten, ihr erster und entscheidender Grund, die Waffen zu ergreifen, war die Liebe zu Deutschland, das sie vor Vernichtung, vor namenlosem Elend und Leid bewahren wollten«, heißt es beispielsweise in Willi Bredels Spanien-Roman »Begegnung am Ebro«.

Und Erich Weinert notierte in seinem Spanien-Buch »Cameradas« angesichts der feierlichen Verabschiedung der Internationalen Brigaden in Barcelona: »Da freute ich mich für dich, Deutschland! Denn es war ja nicht ich, der hier so leidenschaftlich begrüßt wurde, das warst du, kämpfendes, antifaschistisches Deutschland. Auf einmal hatte für mich das hohle verachtete Wort Patriot einen neuen Sinn bekommen. Denn wir kämpften ja hier nicht nur gegen Franco und seine Komplizen, wir kämpften ja auch für die Ehre all unserer Vaterländer. Internationaler Patriotismus! Welch ein neuer Klang.«

Der disziplinlose Anarchist, den vor allem die deutschen Kommunisten in Spanien so fürchteten, verschwamm in der Literatur schnell mit dem Spanier, der sich mit Frauen umgibt (die zum Teil sogar selber kämpfen) und das Müßigsein liebt. Schon die Begrüßung der Interbrigadisten durch freudige Valencianer ging dem Kommunisten Eduard Claudius in »Grüne Oliven und nackte Berge« mächtig auf die Nerven: »'Merde verfluchte!' schrie Albert erbost, aber seine Lippen waren weiß; er grub seine Zähne hinein, als müsse er das Zittern verhindern, 'Sie sollen arbeiten, zehn Stunden am Tag, und wenn es nicht anders geht, zwölf, denn wir werden jetzt Munition und zu fressen brauchen, aber nicht hier herumlungern.'«

Kein Wunder, wenn die Frau - sollte der deutsche Spanien-Kämpfer doch einmal eine an sich heranlassen wie in Claudius' »Grüne Oliven« - am Körperpanzer des disziplinierten deutschen Kämpfers abprallt: »'Welch ein Volk', wimmert sie, tastet an seinem Körper herum, an den Knochen der Brust, an den Rippen und an den Schultern, an seinem Kinn, an seinen Backenknochen. 'Hart -' wimmert sie. 'Hart - hart - ...'«

Der Antisemitismus der Volksfront

Die KPD-Mitglieder, die der Partei auch nach dem Nichtangriffspakt zwischen der UdSSR und Hitlerdeutschland treu geblieben waren und die sich nach der Besetzung großer Teile Frankreichs nach Übersee hatten retten können, hielten an der nationalen Konzeption der Volksfront weiterhin fest. So wurde in der Zeitung der »Bewegung Freies Deutschland«, Das Freie Deutschland, weiterhin und unverdrossen die Ansicht verfochten, dass das deutsche Volk nicht gleichzusetzen sei mit Hitler und dass es stündlich und täglich kämpfe, um sich der Hitler-Schmach zu entledigen.

Bodo Uhse behauptete noch im November 1941 angesichts der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Freien Deutschland: »Bis zur Vollständigkeit haben die Nazis das Mittelalter wieder aufleben lassen. Aber auch hinter diesem Gesetz steht weniger die blinde Wut, denn die bittere Notwendigkeit! Seine Ursache liegt im Nachlassen der antisemitischen Stimmung im deutschen Volke.« Und Alexander Abusch zitierte im selben Jahr und in derselben Zeitung einen Ungenannten, der gerade in Mexiko angekommen war: »Die meisten Leute sind viel zu anständig, um die (antisemitische; Anm. d. V.) Hetze mitzumachen.«

Vergebens. Viele, die entgegengesetzte Erfahrungen gemacht hatten, blieben weiterhin auf Distanz zur politischen Emigration. Im September 1943 wich man also aus und gründete zusätzlich die Demokratische Post, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die jüdische Emigration zu integrieren. Die Mittel jedoch blieben ähnlich. Am 15. September 1943 vermeldete die Post beispielsweise: »In Mexiko D.F. starb am 3. September Herr Enrique Rau, Plantagenbesitzer und ehemaliger deutscher Konsul in San Cristobal Las Casas (Chiapas). Herr Rau, ein früherer Deutschnationaler und späterer Gefolgsmann Hitlers, hatte in letzter Zeit im Kreise seiner Freunde Zweifel an der Politik des Führers zu äußern.« Und unter den Initialen A.B. beschwor 1943 ein Leserbriefschreiber die jüdische Gemeinde in Mexiko: »Wir Juden sind verpflichtet, den vielleicht noch in Deutschland verbleibenden Juden dadurch das Leben erträglich zu gestalten, daß wir nicht nur materiell helfen, sondern auch durch Toleranz gegen diejenigen, in deren Mitte sie leben.«

Erst 1944 scheint sich - ob unter taktischen Gesichtspunkten oder als Ausdruck von Unsicherheit, sei dahingestellt - so etwas wie eine Zäsur abzuzeichnen. »Zweifellos sind große Teile des deutschen Volkes über diese bisher in der Weltgeschichte noch nie erlebten und nie geahnten Greueltaten unterrichtet«, schrieb Julius Deutsch in der Post vom 1. August 1944 und wich insofern von der bisherigen Linie ab, als dass er vor diesem Hintergrund nun einen jüdischen Staat forderte.

Am 31. August 1944 dann stellte sich mit deren Sprecher Paul Merker die gesamte mexikanische KPD-Gruppe in der Post auf eine - wie ihm später vorgeworfen werden sollte - »zionistische« Plattform. Merker erklärte: »Durch die furchtbaren Judenverfolgungen in Deutschland und in Europa ist bei vielen Juden der Eindruck geschaffen worden, als ob das deutsche Volk nur noch aus Nazis bestünde. Viele deutsche Juden sind so veranlaßt worden, mit allem, was deutsch ist, zu brechen. Die freien Deutschen haben von jeher volles Verständnis für die nationale Einstellung der Juden gehabt. Die Bewegung Freies Deutschland mischt sich in diese Probleme nicht ein, sondern betrachtet die Fragen des Zionismus, der Assimilation oder der eigenen Heimstätte als Probleme, die ausschließlich die jüdische Bevölkerung selbst angehen. (...) Die Bewegung anerkennt und unterstützt die Forderungen der zionistischen Bewegung zur Schaffung eines jüdischen Staates in Palästina.«

Doch insbesondere Paul Merker hatte nun ein Problem. Denn am 12. und 13. Juli 1943 hatte sich in der UdSSR das »Nationalkomitee Freies Deutschland« (NKFD) gegründet. Die KPD stellte u. a. Funktionäre wie Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Hermann Matern, die Schriftsteller Johannes R. Becher, Willi Bredel, Friedrich Wolf und Erich Weinert. Die anderen Mitglieder rekrutierten sich aus den Spitzen der deutschen Wehrmacht, die für die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Ländern mitverantwortlich waren. Im September wurde dem NKFD unter Führung des Generals von Seydlitz der »Bund der Offiziere« angegliedert; bestehend aus kriegsgefangenen Offizieren der Wehrmacht, die nach Stalingrad entschlossen waren, sich nun auf der nationalen Plattform der KPD an einer künftigen Ausgestaltung Deutschlands zu beteiligen.

Das Nationalkomitee Freies Deutschland schwang sich sofort zum weisunggebenden Bestandteil der Bewegung Freies Deutschland auf. Paul Merker, verantwortlich für die Post, hätte nun der so lange umworbenen jüdischen Emigration erklären müssen, dass sie sich mit einem Feldmarschall von Paulus gemeinsam in einer antifaschistischen Kampffront befand.

Das tat er nur bedingt. Paul Merker wand sich. Der DDR-Historiker Wolfgang Kießling stellte nach 1989 in seinem Buch »Partner im Narrenparadies. Der Freundeskreis um Noel Field und Paul Merker« (Berlin 1994) fest: »Als Paul Merker über die sowjetische Botschaft in Mexiko einige Exemplare des Moskauer 'Freien Deutschland' erhielt, entschied er, die Zeitung nicht kursieren zu lassen. Er wollte, wie er mir 1966 erklärte, 'vermeiden, daß die jüdischen Mitglieder der Bewegung in Mexiko die Frage aufwarfen, ob sie sich jemals in ihrem gemeinsamen Kampf gegen Hitler der politischen Führung durch kriegsgefangene Soldaten und Offiziere der Hitlerwehrmacht unterworfen hätten'«. Damit hatte sich Merker und die ihm unterstehende Auslandsorganisation KPD in Mexiko gefährlich weit von den Vorstellungen der exilierten KPD in Moskau und den sowjetischen Interessen entfernt.

Der Antisemitismus in der DDR

Der »nationale Wiederaufbau« der Staaten im sowjetischen Einflussgebiet - Jugoslawien, das sich aus eigener Kraft befreit hatte, nahm eine Sonderstellung ein - begann vor dem Hintergrund der Stalinschen These von einer Verschärfung der Klassenkämpfe in der Übergangsphase zum Sozialismus.

Das daraus gefolgerte Gebot der erhöhten Wachsamkeit sollte die Prozesswelle, deren inhaltliche Stoßrichtung sich von der anti-titoistischen zu einer antisemitischen verlagerte, legitimieren. So ging es schon bald um die Ausschaltung der »Westemigranten«. Begriffe wie »Internationalisten«, »Kosmopoliten« und »Spione« erinnerten fatal an Zuordnungen, mit denen Juden auch vorher schon denunziert worden waren. Der Rajk-Prozess in Budapest 1949 und vor allem der Slansky-Prozess in Prag 1952 waren von der Diktion her dann offen antisemitisch. »Gegenüber den achtzehn Monaten der 'Rajk-Affäre' mit ihren fünf Todesurteilen des Hauptprozesses und den rund vierzig Gehängten, Erschossenen, in den Selbstmord Getriebenen, Totgeprügelten der Nebenprozesse dauerte die 'Slansky-Affäre' fünfeinhalb Jahre. Deren letzte Prozesse fanden 1954 - mehr als anderthalb Jahre nach Stalins Tod - statt. Im Hauptprozeß allein wurden elf Kommunisten hingerichtet; die Zahl der von 1948 bis 1952 vom Staatsgericht ausgesprochenen Todesurteile betrug 233, wovon 178 vollstreckt wurden. Nach der Hauptverhandlung erhielten mehr als 35 000 Personen hohe Gefängnisstrafen, 22 000 wurden ohne Gerichtsurteil in ein Arbeitslager gesperrt«, schrieb mit Georg Hodos einer der Betroffenen (»Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948 - 1954«, Berlin 1988).

Damit war fast die gesamte Intelligenz des Landes betroffen - und Hodos hob hervor: »Die Verhöre nahmen einen rabiat antisemitischen Ton an, und bereits die vierzehn Angeklagten des Hauptprozesses waren entsprechend ausgewählt worden: elf von ihnen waren Juden. In der Anklageschrift wurde nicht versäumt, jedem der elf Namen die Bezeichnung 'jüdischer Abstammung' hinzuzufügen.«

Dass sie sich gefährlich von der offiziellen Linie entfernt hatten, musste der ehemaligen Mexiko-Exilgruppe in dem Moment klarwerden, als auch ihr Genosse und Freund Otto Katz alias André Simone in Prag das Schafott besteigen musste. »Ottos letzte Worte waren: 'Ich gehöre an den Galgen'«, erinnerte sich der Schriftsteller Arthur Koestler an die Live-Übertragungen des BBC aus dem Prozess: »'Der einzige Dienst, den ich noch leisten kann, ist, denen, die durch Abstammung oder Charakter in Gefahr sind, denselben Pfad zur Hölle zu beschreiten, als warnendes Beispiel zu dienen.'«

Als Franz Carl Weiskopf, der 1949 als tschechischer Diplomat nach China entsandt worden war, 1952 nach Prag zurückkehrte, fand er nur noch wenige der Freunde und Genossen vor: Lenka Reinerova war im Gefängnis, ihr Ehemann Theo Balk aufs Land verbannt, und heute darf es als gesichert gelten, dass sein früher - natürlicher - Tod im März 1948 dem Juden und Tito- sowie André Simone-Freund Egon Erwin Kisch ein ähnliches Schicksal erspart hat. Gisela Kischerova zumindest stand unter Beobachtung, sie wurde immer wieder zu Verhören geholt. Verstört entschloss sich Weiskopf, mit seiner Frau in die DDR überzusiedeln. Doch auch in der DDR liefen die Vorbereitungen für einen Schauprozess auf Hochtouren. Potenzielle (und tatsächliche) Opfer: die West-Emigration, vorzugsweise die »pro-jüdische« KPD-Fraktion aus Mexiko.

Bereits die Parteivorstandssitzung der westdeutschen KPD vom 28. bis 30. Dezember 1949 hatte festgestellt: »(...) daß die Sorglosigkeit in ideologischen Fragen dazu führte, daß feindliche Elemente innerhalb der Partei ihre aktive Zersetzungsarbeit durchführen konnten«. Die SED bildete einen Sonderausschuss der Zentralen Parteikontrolle, der alle, die sich während des Exils in westlichen Ländern aufgehalten hatten, vorlud und ihnen detaillierte Lebensläufe abverlangte.

Man konfrontierte die Betroffenen mit dem Vorwurf, mit dem zum amerikanischen Agenten aufgebauten Noel Field in Verbindung gestanden und so wissentlich oder unwissentlich selbst Spionage betrieben zu haben. Field, der mit seiner Frau in Ungarn festgehalten wurde, eignete sich vorzüglich: Da er die Flucht nach Übersee aller in Frankreich vor dem Vormarsch der Deutschen bedrohten Kommunisten organisiert hatte, waren alle - direkt oder indirekt - mit ihm in Kontakt gekommen. Doch tatsächlich war der großen Mehrheit der Überprüften, zwecks Überprüfung von ihren Arbeitsplätzen Entfernten, Verhafteten gemein, dass sie Juden waren bzw. hinsichtlich der »jüdischen Frage« (wie der Themenkomplex weiterhin genannt wurde) eine integrierendere Position vertreten hatten, als sie der KP-Führung lieb war.

Auch Paul Merker, der nach seiner Rückkehr in die SBZ/DDR mit Hilfe

seines Genossen aus mexikanischen Tagen, des Juristen Leo Zuckermann, ein Entschädigungsgesetz für die jüdischen Überlebenden anstrebte, wurde überprüft. Er war mit Noel Field befreundet gewesen. Leo Zuckermann floh erneut nach Mexiko. Sein gleichzeitig in die DDR einreisender Bruder, der Kardiologe Rudolf Zuckermann, wurde unter dem Vorwurf verhaftet, mit seinen medizinischen Instrumenten die Ermordung hoher Politiker geplant zu haben. Erst als in Moskau im April 1953 die These von einer »jüdischen Verschwörung der Kreml-Ärzte«, die den Tod Stalins verschuldet haben sollten, zurückgenommen wurde, wurde er wieder entlassen.

Im Dezember 1952 wurde Paul Merker verhaftet. Nach 28 Monaten in Untersuchungshaft wurde er in einem geheimen Prozess zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. In den SED-»Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky« heißt es: »Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß Merker ein Subjekt der Finanzoligarchie ist, der die Entschädigung des jüdischen Volkes nur forderte, um dem USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen. (...) Merker fälschte die aus deutschen und ausländischen Arbeitern herausgepreßten Maximalprofite der Monopolkapitalisten in angebliches Eigentum des jüdischen Volkes um.«

Zu einem Schauprozess wie in Ungarn oder der CSR kam es in der DDR nicht mehr. Der Tod Stalins im März 1953 hatte bereits vor Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 für Erleichterungen gesorgt: Das ZK der KP Ungarn erklärte 1954 die »falsch beschuldigten Genossen« für rehabilitiert, für Herta und Noel Field öffneten sich im November 1954 ihre Zellentüren - und Paul Merker holten Polizeikräfte im Januar 1956 aus der Zelle und setzten ihn einfach vor seiner Haustür ab. Doch eine/r der wenigen verbliebenen Juden oder Jüdinnen in der DDR zu sein, sorgte bei den staatlichen Stellen weiterhin für Misstrauen.

Über Anna Seghers, die im Zusammenhang mit dem Harich/Janka-Prozess 1956/57 wieder ins Blickfeld der Staatssicherheit rückte, hieß es so in den Unterlagen der Staatssicherheit: »Anna Seghers ist sehr lange in der Partei. Sie kam 1946 (tasächlich 1947; Anm.d.V.) aus Mexiko aus der Emigration, und es war anfangs sehr schwierig für sie, da sie einige Vorbehalte gegenüber der deutschen Parteiführung hatte. Der Grund hierfür ist, daß sie Jüdin ist und gegen die Deutschen eine gewisse Abneigung hat.«

Die ideologische Formierung der Geschichte

Bei der ideologischen Formierung der Volksfront im Nachhinein - die Exil-Geschichte musste umgelogen werden zur bruchlosen Vorgeschichte, um den Staat DDR historisch im Recht erscheinen zu lassen - spielte die Germanistik neben der Geschichtswissenschaft die entscheidende Rolle. NS-Sympathisanten wurden da, wo aus ihnen nun wirklich kein Widerstandskämpfer zu machen war, in »Widerstehende« umgedeutet, in »zu widerstehen Suchende« oder gar in welche, die »lange gerungen hatten um die richtige Form des Widerstehens«, wenn sie sie - wie Hauptmann - auch nie gefunden hatten.

So konnten sie eingebunden werden in das ideelle Konstrukt der Volksfront, historisch-ideologischer Vorläufer des neuen deutschen Staates, konkrete Materialisierung des so lange beschworenen »besseren Deutschland«. Doch dass in Deutschland, ob es das bessere war oder nicht, sei an dieser Stelle dahingestellt, kein Platz für alle ist, lässt sich wiederum am Antisemitismus der nun ideologischen Rückverlängerung des Staates DDR in die Geschichte hinein aufzeigen.

»Auch auf dem amerikanischen Kontinent entwickelte sich die 'Bewegung Freies Deutschland'. Das 'Lateinamerikanische Komitee der Freien Deutschen' (LAK), maßgeblich initiiert von der Gruppe der KPD in Mexiko, nunmehr ein Mitglied der vom NKFD geleiteten Bewegung 'Freies Deutschland', erweiterte seine politische Arbeit und wurde ein aktiver Propagandist des NKFD in Lateinamerika. Ihre führenden Vertreter waren die Kommunisten Alexander Abusch, Erich Jungmann, Paul Merker und Ludwig Renn«, heißt es noch 1987 in der DDR. Unterschlagen werden - von Alexander Abusch abgesehen - alle beteiligten Juden und Intellektuellen: der in Prag gehenkte Otto Katz, Egon Erwin Kisch, Rudi Feistmann, der längst Selbstmord begangen hatte, Anna Seghers und ihr Mann László Radványi alias Johann Schmidt, die Brüder Zuckermann, Bodo Uhse, selbst kein Jude, aber mit einer US-amerikanischen Jüdin als Ehefrau aus dem Exil zurückgekehrt.

An der zumindest unterschwelligen antisemitischen Formierung der Geschichte durch die DDR-Geschichtswissenschaft war auch einer ihrer führenden Vertreter, der in diesem Jahr verstorbene Wolfgang Kießling, beteiligt, auch wenn er seit 1989 bemüht war, mit der Geschichte der Opfer eigene Falschaussagen aufzuarbeiten. Doch seine Werke »Alemania Libre in Mexiko« sowie »Exil in Lateinamerika« (1980) in der Reihe »Kunst und Kultur im antifaschistischen Exil 1933 - 1945« gelten weiterhin als Standardwerke und werden immer noch gerne zitiert.

In beiden Werken werden die Schwierigkeiten, die die KPD hatte, um aus sich sträubenden jüdischen Emigranten mit der KPD verbundene Antifaschisten zu machen, beschworen: »Den Beschlüssen der Berner Parteikonferenz folgend, ließ die BFD nichts unversucht, um die jüdischen Emigranten, die einen hohen Prozentsatz aller deutschen Emigranten in Mexiko und in ganz Amerika ausmachten, an den gemeinsamen Kampf aller Hitlergegner heranzuführen. Das war zum Teil recht schwierig: Die einen waren vor ihrer Flucht aus Deutschland politisch überhaupt nicht engagiert, andere hatten vor 1933 bürgerlichen Parteien angehört, sie waren zum Teil in alten bürgerlichen Vorstellungen befangen; wiederum andere standen unter dem Einfluß des jüdischen Nationalismus und schworen jeder gegenwärtigen oder künftigen Beziehung zu ihrem deutschen Herkunftsland ab.« (»Alemania Libre in Mexiko«)

Die jüdische Emigration war also anti-deutsch, bürgerlichen Gedankenwelten oder eben jüdischem Nationalismus verpflichtet. Kießling nahm hier das klassische antisemitische Stereotyp in seiner bekannten Widersprüchlichkeit auf: Ihr Juden habt kein Vaterland! Ihr seid jüdische Nationalisten!

Eigentlich musste die jüdische Emigration - folgt man Kießling hier in seiner Argumentation - den Deutschen dankbar sein, zumindest denen, die statt ihrer den wahrhaften antifaschistischen Kampf führen. Und so schließt er denn auch das Kapitel, indem er Rudolf Neumann aussprechen lässt, was er nur andeuten mochte: »So wandte sich Dr. Rudolf Neumann an jene deutsch-jüdischen Emigranten, die sich von allem zu distanzieren suchten: 'Ihr wollt mit Deutschland nichts mehr zu tun haben? Ihr tut das, obwohl ihr wisset um die Hunderttausenden Deutscher in den Konzentrationslagern. Ihr macht einen zweiten Fehler, der euch auf einen Irrweg führt: Ihr sagt, alle Juden seien selbstverständlich Antifaschisten, eben weil sie Juden seien. Wir alle haben Juden gesehen, die sehr spät ihr antifaschistisches Herz entdeckten.'« (»Alemania Libre in Mexiko«)

Deutsche und Nazis gedanklich zusammenzubringen, konnte von der DDR-Historiografie nicht zugelassen werden; entsprechend wimmelt es in ihrer Literatur von »depressiven«, »liberalen«, »kleinbürgerlichen« Menschen, die mit Deutschland nichts mehr zu tun haben wollten und so für den antifaschistischen Kampf verloren waren, ja, ihn sogar behinderten. Ein extremes Beispiel dieser Argumentation stellt der Band »Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und in Palästina« aus der schon erwähnten Reihe »Kunst und Kultur im antifaschistischen Exil 1933 - 1945« (Leipzig 1980) dar, dessen Kapitel über Palästina sich ganz dem Kampf gegen den Zionismus verschrieben hat.

Um die reaktionären Inhalte des Zionismus zu belegen, scheute man sich nicht einmal vor der vulgärsten antisemitischen Figur, der des Juden als Schacherers: »Wie weit in Wahrheit die Zusammenarbeit zwischen den zionistischen Organisationen und den Nazibehörden in Deutschland ging, mag eine Tatsache unterstreichen. Nach den ersten pogromartigen Judenverfolgungen im April 1933 veranlaßten jüdische Organisationen in der ganzen Welt einen Boykott aller Waren aus Nazi-Deutschland. Die ersten, die diesen Boykott unterließen, waren die Zionisten. Man begann den Kapitaltransfer nach Palästina für Auswanderungswillige zu organisieren und eine sorgfältige Ausbildung in den für die Einwanderungsländer notwendigen Berufen vorzubereiten.« (»Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und in Palästina«)

Mittlerweile ist die Reihe »Kunst und Kultur im antifaschistischen Exil 1933 - 1945« nur noch antiquarisch zu erhalten; der Staat, den sie legitimieren sollte, existiert nicht mehr. Die polemische Frage sei hier gestattet: Wie hätten sich die Apologeten des »anderen« und »besseren Deutschland« wohl sein Ende erklärt?

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