zurück

Sylvester 2000
eat with the rich

Wir haben ein wenig in der INTERIM 490 gelesen,  um "the best of..." dokumentieren zu können.
12/99 trdbook.gif (1270 Byte) trend online zeitung Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net   ODER per Snail: Anti-Quariat Oranienstr. 45 D-10969 Berlin
Jetzt langt's - jetzt kommen wir mit Besteck!

Wir würden auch gerne irgendwo ein nettes Festchen zusammen feiern. Aber wenn hier die Verhältnisse gesetzt werden, können wir nicht so tun, als ob wir nichts merken. Irgendwann ist die Grenze des Erträglichen erreicht. Jetzt. Als die beiden deutschen Staaten „wieder"-vereinigt wurden, haben wir protestiert. Als Berlin die mächtige Hauptstadt des neu erstandenen Groß-Deutschland werden sollte, haben wir protestiert. Als diese neue „Berliner Republik" Krieg in andere Länder gebracht hat und gleichzeitig die Flüchtlinge an ihren Grenzen zurückjagt, haben wir protestiert. Als die Plätze und Straßen der Stadt leergefegt wurden von dem unappetitlichen Anblick der Armen und Obdachlosen und Platz geschaffen werden sollte für Flanierzonen der Wohlstandsbürger, haben wir protestiert.

Nun wollen die Reichen und Mächtigen Silvester 2000 zum flammenden Fanal für die unbeschränkte Herrschaft des Geldes machen: mit Speerschem Lichtdom an der Sieges(!)säule, mit eigens komponierter Hymne auf die Hauptstadt, mit Brot und Spielen fürs Volk und 1000-Mark-Dinners für die, die andere ausbeuten, um sich selbst Exklusivität zu kaufen. Diese Stadt ist voll von Menschen, die mit ein paar Hundert Mark im Monat über die Runden kommen müssen, die keine Wohnung haben, die sich verstecken müssen, die gezwungen sind, unter miesesten Bedingungen und für einen Hungerlohn zu arbeiten und sich für diese „Gnade" noch täglich klein machen müssen.

Wer möchte da nicht weglaufen, sich verstecken, sich irgendwie in eine andere Welt beamen? Aber diese Welt ist unsere Welt, und diese Stadt ist unsere Stadt, und dieser Reichtum, der an Silvester zur Schau getragen und verfressen wird, ist unser aller Reichtum und Verdienst!

Immer wieder konnten wir in den letzten Jahren feststellen: wir hatten recht. Aber wir haben trotzdem verloren! Jetzt ist Schluß. Hören wir auf mit dem zahnlosen Protest, greifen wir zum Besteck und gehen wir hin, wo die Wurst hängt. Rücken wir denen auf die Pelle, die es dicke haben. Wir lassen unsere neuen Eliten nicht allein, feiern wir mit ihnen.

Statt individuell abkotzen, kollektiv mitessen! Den Bundeskanzler beim Wort nehmen: Die Teilhabe-Gesellschaft wahr machen!

Noch ein paar Tips: Natürlich gucken wir uns vorher ein bißchen um, wo die leckersten Brötchen geschmiert werden, an die man auch rankommt. Natürlich feiern wir lieber in Gruppen und am liebsten mit Freundinnen, die wir gut kennen.

Wir wollen uns nicht mit den Menschen anlegen, die überall in der Stadt feiern werden. Sie werden genauso verarscht wie wir. Wir wollen weder einen Bürgerkrieg entfachen noch den Konsumverzicht predigen. Wir wollen nur die Eigentumsfrage an dem, was die Bourgeosie mit dem ihr eigenen diskreten Charme so beiseite geschafft hat, unmißverständlich klarstellen. Unbändigen Appetit haben und die dringende Bitte, uns etwas abzugeben, ist bis jetzt noch nicht strafbar.

  • Note: Die INTERIM gibt es in jeder gut sortierten Buchhandlung.

nach oben