Erinnerung an den Aufstand der Stifte
Ein Rückblick auf die kurze Phase der Lehrlingsbewegung könnte auch heute wieder helfen

von Peter Nowak

5/6-12

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onlinezeitung

„Die Ausbildung“ heißt ein kürzlich in die Kinos gekommenet aber wenig beachteter Film. Dabei leuchtet er neoliberalen Abgründe der heutigen Arbeits- und Bürowelt aus. Die Hauptfigur Jan ist Lehrling bei einem Callcenter wird von einem Rezensenten präzise als "Azubi am unteren Ende der Hackordnung in einem Büro, in dem alle dieselben korrekt gescheitelten Frisuren tragen und Jan, Jens oder Jenny heißen, charakterisiert.

Angesichts dieses Befundes fragt man sich, ob sich so viel vebessert hat, gegenüber einer Zeit. als statt von Azubis noch von Lehrlinge oder ganz altmodisch noch von Stiften die Rede war. Sicher, Cef-duzen wäre damals undenkbar gewesen und Kaffeekochen, Fegen und Zigarettenholen gehörten zum Lehrlingsalltags.

„Braucht Du einen billigen Arbeitsmann, schaff Dir einen Lehrling an“, lautete einer der Slogans mit. denen sich junge Leute vor 40 Jahren gegen die Zustände wehrten. In der Folge der Studierendenbewegung bildete sich auch eine Lehrlingsbewegung heraus, die lange Zeit auch in der Forschung kaum beachtet wurde. Doch kürzlich hat der an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg arbeitende Historiker David Templin unter dem Titel „Lehrzeit – keine Leerzeit“ im Dölling und Galitz Verlag ein Buch herausgegeben, dass den Hamburger Aufstand der Stifte“, wie die Bewegung in der Presse häufig genannt wurde, untersucht. Das informative Buch könnte auch Forschungen in anderen Teilen der Republik anregen. Schließlich war die Lehrlingsbewegung sehr dezentral organisiert. Das unterschiedliche Verhältnis zu den DGB-Gewerkschaften spielte dabei ebenso eine Rolle, wie die Kräfteverhältnisse der Linken jenseits der SPD. Templin zeigt am Beispiel Hamburg die zentrale Rolle der beiden Linkssozialisten Reinhard Crusius und Manfred Wilke beim Entstehen der Lehrlingsbewegung. Die Aktivisten der gewerkschaftlichen Studentengruppe (GSG), in der Studierende der Hamburger Akademie für Wirtschaft und Politik organisiert waren, nutzten Strukturen des DGB und versuchten trotzdem die politische Autonomie zu wahren. Dabei kam ihnen zur Hilfe, dass der Spirit der außerparlamentarischen Bewegung von den Hochschulen auf immer größere Teile der Gesellschaft übergegriffen hat. Vor allem junge Leute auch außerhalb des Campus begannen zunächst die Gesten und den Style der Revolte zu kopieren und sich zunehmend auch für die politischen Inhalte zu interessieren. Ein äußerlich sichtbares Zeichen war die Haarlänge bei Männern. Die kulturelle Komponente spielte in der Lehrlingsbewegung eine große Rolle mit Langzeitfolgen. Sehr eng mit der Lehrlingsbewegung verbunden war die Kölner Band Floh de Cologne, die avantgardistische Musik mit Texten aus der Arbeitswelt verband. Wesentlich bekannter wurde die in der Westberliner Lehrlingsbewegung auftretenden „Rote Steine“. Nach ihrer Umbenennung in Ton Steine Scherben wurde sie für Jahrzehnte zur linken Kultband. Nur hatten die meisten ihrer Fans noch der Lehrlingsbewegung nie etwas gehört. . Die hatte in Hamburg 1972 ihren Höhepunkt schon überschritten. Wie war bei ihren Entstehen so war auch beim Niedergang die Hansestadt Trendsetter. Mitte der 70er Jahre war die Lehrlingsbewegung bundesweit am Ende Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen kommunistischen Formationen spielten dabei große Rolle. Während sich politisch unorganisierte Jugendliche von den Abgrenzungsritualen der unterschiedlichen K-Formationen abgeschossen fühlten, wurde innerhalb dieser Organisierungen eine eigenständige Organisierung der Arbeiterjugend zunehmend als hinderlich für den anvisierten gemeinsamen Klassenkampf empfunden

Ein weiterer Grund für den Niedergang der Lehrlingsbewegung waren die von der sozialliberalen Koalition durchgesetzten Reformen im Ausbildungssektor, die vor allem dem ökonomischen Erfordernissen des Wirtschaftsstandortes BRD entsprachen. Doch mit dem Abschied vom Bild des Stiftes, der vor allem Bier holen und Kaffe kochen muss, kamen die Änderungen auch vielen aktiven Lehrlingen entgegen. So zitiert Templin aus der Zeitungsanzeige eines Unternehmens der Deutschen Post von 1971, in der es heißt: “Wir brauchen keine Penner zum Bier- und Zeitungsholen. Denn wir legen Wert auf ihre Ausbildung“. Auch die Hamburger Handelskammer kam mit der Einführung eines Kontrollhefts, in dem der Stand der Ausbildung bei jedem Lehrling dokumentiert wird, den Jugendlichen entgegen, denen es vor allem um eine bessere Ausbildung und nicht um das grundsätzliche Hinterfragen der Lohnarbeit ging. Neben dem DGB machte sich die der DKP nahestehende Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) zunehmend zu den Interessenvertretern dieser reformerisch eingestellten Auszubildenden. Damit hatte die SDAJ Anfang der 70er Jahre Erfolg. Die Mitgliedszahlen wuchsen und auch im DGB-Funktionärsapparat erlangten Mitglieder der Organisation Positionen. Heftige Kritik an ihren Positionen kam nicht vor den diversen maoistisch ausgerichteten Gruppierungen, sondern auch von der linkssozialistischen GSG. Wilke und Crusius warfen der SDAJ sogar vor, gemeinsam mit dem DGB-Apparat die Lehrlingsbewegung abgewürgt zu haben.

Diese Einschätzung teilt Templin nicht. „Mit ihrer auf Organisationshandeln fixierten These tendieren beide dazu, zu übersehen, dass der Welle des politischen Aufbegehrens von Lehrlingen, die 1969 einsetzte, seit 1971 abebbte.“

Als sie von den Medien zum Titelthema wurde, war die Zeit der Unruhe der Lehrlinge also bereits vorbei. Wenn man den oben erwähnten Film „Die Ausbildung“ zur Grundlage nimmt, ist 40 Jahre später nicht einmal ein Hauch von Protest gegen die Zurichtung zu prekär beschäftigten Klonen zu spüren. Ob das zunehmende Desinteresse junger Menschen an DGB-Gewerkschaften durch die Formierung von Jugendblocks auf DGB-Demonstrationen am 1.Mai konterkariert werden kann, muss sich zeigen. In diesem Jahr soll auch in Berlin erstmals ein solcher Jugendblock mitlaufen. Zum Praxistest dürfte die von der IG-Metall bei den aktuellen Tarifverhandlungen aufgestellte Forderung nach unbefristeter Übernahme der Auszubildenden nach Ende ihrer Lehrzeit werden. Die Unternehmerverbände haben die Forderung kategorisch abgelehnt. Schließlich stehen sie jungen Leute dann dem Zeit- und Niedriglohnsektor nicht mehr zur Verfügung, an deren Ausweitung die Kapitalseite großes Interesse hat. Ob die Frage der Übernahme von der IG-Metall aber zum Knackpunkt gemacht wird, darf bezweifelt werden. Es ist bisher auch nicht gelungen, die Interessen von Auszubildenden der unterschiedlichen Bereiche außerhalb gewerkschaftlicher Großorganisationen zu verankern. So konnten sich die Mayday-Paraden gegen Prekarisierung, die es in den vergangenen Jahren in verschiedenen Ländern gab, nicht dauerhaft durchsetzen. Die Flexibilisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche erschwert auch den Widerstand. Trotzdem ist zu hoffen, dass nach dem Vorbild von Templins Hamburger Untersuchung auch in die Geschichte der Lehrlingsbewegung in anderen Städten aufgearbeitet wird., auch um davon zu lernen. Wer dazu forschen will, wird auch im Trend findig. Templin hat in den Fußnoten auf einige Texte zur Lehrlingsbewegung hingewiesen, die ein ehemaliger Aktivst der Lehrlingsbewegung unter dem Pseudonym Vadim Riga auf Trend online verfasste.

Herausgeber/-in Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH)
David Templin
»Lehrzeit - keine Leerzeit!«
Die Hamburger Lehrlingsbewegung 1968 - 1972

Hamburger Zeitspuren Band 9
200 Seiten15 Abbildungen
Broschur 13 x 20,8 cm
ISBN 10: 3-86218-018-2
ISBN 13: 978-3-86218-018-9
10.00 €Oktober 2011

Dölling und Galitz Verlag