„Die Ausbildung“ heißt ein
kürzlich in die Kinos gekommenet aber wenig beachteter
Film. Dabei leuchtet er neoliberalen Abgründe der
heutigen Arbeits- und Bürowelt aus. Die Hauptfigur Jan
ist Lehrling bei einem Callcenter wird von einem
Rezensenten präzise als "Azubi am unteren Ende der
Hackordnung in einem Büro, in dem alle dieselben korrekt
gescheitelten Frisuren tragen und Jan, Jens oder Jenny
heißen, charakterisiert.
Angesichts dieses Befundes
fragt man sich, ob sich so viel vebessert hat, gegenüber
einer Zeit. als statt von Azubis noch von Lehrlinge oder
ganz altmodisch noch von Stiften die Rede war. Sicher,
Cef-duzen wäre damals undenkbar gewesen und
Kaffeekochen, Fegen und Zigarettenholen gehörten zum
Lehrlingsalltags.
„Braucht Du einen billigen
Arbeitsmann, schaff Dir einen Lehrling an“, lautete
einer der Slogans mit. denen sich junge Leute vor 40
Jahren gegen die Zustände wehrten. In der Folge der
Studierendenbewegung bildete sich auch eine
Lehrlingsbewegung heraus, die lange Zeit auch in der
Forschung kaum beachtet wurde. Doch kürzlich hat der an
der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
arbeitende Historiker David Templin unter dem Titel
„Lehrzeit – keine Leerzeit“ im Dölling und Galitz Verlag
ein Buch herausgegeben, dass den Hamburger Aufstand der
Stifte“, wie die Bewegung in der Presse häufig genannt
wurde, untersucht. Das informative Buch könnte auch
Forschungen in anderen Teilen der Republik anregen.
Schließlich war die Lehrlingsbewegung sehr dezentral
organisiert. Das unterschiedliche Verhältnis zu den
DGB-Gewerkschaften spielte dabei ebenso eine Rolle, wie
die Kräfteverhältnisse der Linken jenseits der SPD.
Templin zeigt am Beispiel Hamburg die zentrale Rolle der
beiden Linkssozialisten Reinhard Crusius und Manfred
Wilke beim Entstehen der Lehrlingsbewegung. Die
Aktivisten der gewerkschaftlichen Studentengruppe (GSG),
in der Studierende der Hamburger Akademie für Wirtschaft
und Politik organisiert waren, nutzten Strukturen des
DGB und versuchten trotzdem die politische Autonomie zu
wahren. Dabei kam ihnen zur Hilfe, dass der Spirit der
außerparlamentarischen Bewegung von den Hochschulen auf
immer größere Teile der Gesellschaft übergegriffen hat.
Vor allem junge Leute auch außerhalb des Campus begannen
zunächst die Gesten und den Style der Revolte zu
kopieren und sich zunehmend auch für die politischen
Inhalte zu interessieren. Ein äußerlich sichtbares
Zeichen war die Haarlänge bei Männern. Die kulturelle
Komponente spielte in der Lehrlingsbewegung eine große
Rolle mit Langzeitfolgen. Sehr eng mit der
Lehrlingsbewegung verbunden war die Kölner Band Floh de
Cologne, die avantgardistische Musik mit Texten aus der
Arbeitswelt verband. Wesentlich bekannter wurde die in
der Westberliner Lehrlingsbewegung auftretenden „Rote
Steine“. Nach ihrer Umbenennung in Ton Steine Scherben
wurde sie für Jahrzehnte zur linken Kultband. Nur hatten
die meisten ihrer Fans noch der Lehrlingsbewegung nie
etwas gehört. . Die hatte in Hamburg 1972 ihren
Höhepunkt schon überschritten. Wie war bei ihren
Entstehen so war auch beim Niedergang die Hansestadt
Trendsetter. Mitte der 70er Jahre war die
Lehrlingsbewegung bundesweit am Ende
Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen
kommunistischen Formationen spielten dabei große Rolle.
Während sich politisch unorganisierte Jugendliche von
den Abgrenzungsritualen der unterschiedlichen
K-Formationen abgeschossen fühlten, wurde innerhalb
dieser Organisierungen eine eigenständige Organisierung
der Arbeiterjugend zunehmend als hinderlich für den
anvisierten gemeinsamen Klassenkampf empfunden
Ein weiterer Grund für den
Niedergang der Lehrlingsbewegung waren die von der
sozialliberalen Koalition durchgesetzten Reformen im
Ausbildungssektor, die vor allem dem ökonomischen
Erfordernissen des Wirtschaftsstandortes BRD
entsprachen. Doch mit dem Abschied vom Bild des Stiftes,
der vor allem Bier holen und Kaffe kochen muss, kamen
die Änderungen auch vielen aktiven Lehrlingen entgegen.
So zitiert Templin aus der Zeitungsanzeige eines
Unternehmens der Deutschen Post von 1971, in der es
heißt: “Wir brauchen keine Penner zum Bier- und
Zeitungsholen. Denn wir legen Wert auf ihre Ausbildung“.
Auch die Hamburger Handelskammer kam mit der Einführung
eines Kontrollhefts, in dem der Stand der Ausbildung bei
jedem Lehrling dokumentiert wird, den Jugendlichen
entgegen, denen es vor allem um eine bessere Ausbildung
und nicht um das grundsätzliche Hinterfragen der
Lohnarbeit ging. Neben dem DGB machte sich die der DKP
nahestehende Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend
(SDAJ) zunehmend zu den Interessenvertretern dieser
reformerisch eingestellten Auszubildenden. Damit hatte
die SDAJ Anfang der 70er Jahre Erfolg. Die
Mitgliedszahlen wuchsen und auch im
DGB-Funktionärsapparat erlangten Mitglieder der
Organisation Positionen. Heftige Kritik an ihren
Positionen kam nicht vor den diversen maoistisch
ausgerichteten Gruppierungen, sondern auch von der
linkssozialistischen GSG. Wilke und Crusius warfen der
SDAJ sogar vor, gemeinsam mit dem DGB-Apparat die
Lehrlingsbewegung abgewürgt zu haben.
Diese Einschätzung teilt
Templin nicht. „Mit ihrer auf Organisationshandeln
fixierten These tendieren beide dazu, zu übersehen, dass
der Welle des politischen Aufbegehrens von Lehrlingen,
die 1969 einsetzte, seit 1971 abebbte.“
Als sie von den Medien zum
Titelthema wurde, war die Zeit der Unruhe der Lehrlinge
also bereits vorbei. Wenn man den oben erwähnten Film
„Die Ausbildung“ zur Grundlage nimmt, ist 40 Jahre
später nicht einmal ein Hauch von Protest gegen die
Zurichtung zu prekär beschäftigten Klonen zu spüren. Ob
das zunehmende Desinteresse junger Menschen an
DGB-Gewerkschaften durch die Formierung von Jugendblocks
auf DGB-Demonstrationen am 1.Mai konterkariert werden
kann, muss sich zeigen. In diesem Jahr soll auch in
Berlin erstmals ein solcher Jugendblock mitlaufen. Zum
Praxistest dürfte die von der IG-Metall bei den
aktuellen Tarifverhandlungen aufgestellte Forderung nach
unbefristeter Übernahme der Auszubildenden nach Ende
ihrer Lehrzeit werden. Die Unternehmerverbände haben die
Forderung kategorisch abgelehnt. Schließlich stehen sie
jungen Leute dann dem Zeit- und Niedriglohnsektor nicht
mehr zur Verfügung, an deren Ausweitung die Kapitalseite
großes Interesse hat. Ob die Frage der Übernahme von der
IG-Metall aber zum Knackpunkt gemacht wird, darf
bezweifelt werden. Es ist bisher auch nicht gelungen,
die Interessen von Auszubildenden der unterschiedlichen
Bereiche außerhalb gewerkschaftlicher Großorganisationen
zu verankern. So konnten sich die Mayday-Paraden gegen
Prekarisierung, die es in den vergangenen Jahren in
verschiedenen Ländern gab, nicht dauerhaft durchsetzen.
Die Flexibilisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche
erschwert auch den Widerstand. Trotzdem ist zu hoffen,
dass nach dem Vorbild von Templins Hamburger
Untersuchung auch in die Geschichte der
Lehrlingsbewegung in anderen Städten aufgearbeitet
wird., auch um davon zu lernen. Wer dazu forschen will,
wird auch im Trend findig. Templin hat in den Fußnoten
auf einige Texte zur Lehrlingsbewegung hingewiesen, die
ein ehemaliger Aktivst der Lehrlingsbewegung unter dem
Pseudonym Vadim Riga auf Trend online verfasste.
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Herausgeber/-in Forschungsstelle für
Zeitgeschichte in Hamburg (FZH)
David Templin
»Lehrzeit - keine Leerzeit!«
Die Hamburger Lehrlingsbewegung
1968 - 1972
Hamburger Zeitspuren Band 9
200 Seiten / 15
Abbildungen
Broschur 13 x 20,8 cm
ISBN 10: 3-86218-018-2
ISBN 13: 978-3-86218-018-9
10.00 € / Oktober
2011
Dölling und Galitz Verlag |