Griechische Parlamentswahlen am 6. Mai 2012
Erklärung von „Xekinima“ vom 7.5.2012

Übersetzt aus dem Neugriechischen und versehen mit Anmerkungen von Hubert Schönthaler

5/6-12

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Bei den griechischen Parlamentswahlen am 6. Mai 2012 schafften es sieben Parteien im Vergleich zu fünf bei den vorigen Wahlen, die Dreiprozenthürde zu überspringen und ins Parlament einzuziehen. Die  beiden ehemals „großen“ Parteien des Establishments und des Spardiktats, die konservative Partei „Neue Demokratie“ (ND) als stärkste Partei mit 18,85 % und 108 Sitzen, von denen sie nur 58 dem Volkswillen verdankt  und die restlichen 50 aufgrund des verfälschenden Wahlsystems zusätzlich „geschenkt“ bekam, und die sozialdemokratische Partei PASOK mit 13,18 % und 41 Sitzen als drittstärkste Kraft. Die drei Parteien der  Arbeiterbewegung, das Linksbündnis SYRIZA („Bündnis der Radikalen Linken“, bestehend aus der Linkspartei SYNASPISMOS (SYN) und mehreren  Organisationen der radikalen Linken) als zweitstärkste Partei mit 16,78 % und 52 Sitzen, die recht stalinistisch ausgerichtete KKE  („Kommunistische Partei Griechenlands“) mit 8,48 % und 26 Sitzen und die  DIMAR („Demokratische Linke“, eine Rechtsabspaltung vom SYN) mit 6,11 % und 19 Sitzen. Desweiteren die Partei ANEL („Unabhängige Griechen“), eine kürzliche Rechtsabspaltung von der ND mit 10,68 % und 33 Sitzen und die offen neonazistische Organisation „Chrysi Avgi“ („GoldeneMorgenröte“) mit 6,97 % und 21 Sitzen. Aus dem Parlament wieder rausgeflogen ist die rechtspopulistisch-ausländerfeindliche Partei LAOS  („Volksorthodoxer Alarm“). Die beiden Troika-Parteien ND und PASOK erreichen auch zusammen nicht die absolute Mehrheit der Sitze. Die drei linken Parteien erreichen diese auch nicht, zumal sie sich nicht einig sind, weil die KKE prinzipiell jede Zusammenarbeit ablehnt und die DIMAR  zwar das Spardiktat ablehnt, doch die das Sparprogramm festschreibenden internationalen Verträge der früheren Regierungen einhalten will. Die ANEL und die „Chrysi Avgi“ lehnen das Spardiktat ebenfalls ab. Die Wahlbeteiligung betrug nur 65,1 %, was für griechische Verhältnisse historisch niedrig ist.
(Vorbemerkung des Übersetzers)

Das griechische Volk hat gesprochen, mit einer so lautstarken Stimme, dass es die Troika (das sind EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfond (IWF), Anm. d. Übers.), ihre  treuen hündischen Parteien hier, ihre Papageien in den Massenmedien und die herrschende Klasse in Griechenland und Europa erschreckt hat. Zwei von drei griechischen Wählern haben „Nein“ gesagt zum Memorandum  (dieses beinhaltet die Verträge der früheren griechischen Regierungen mit der Troika, die die Sparpolitik festschreiben und die Verarmung der
griechischen Bevölkerung betreiben, Anm. d. Übers.)! Das  Zweiparteiensystem (seit der Einführung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie in Griechenland 1974 wechselten sich die zwei großen Parteien  ND und PASOK an der Macht ab, Anm. d. Übers.) liegt in den letzten Zügen! Die PASOK hat seit 2009 (den letzten Parlamentswahlen, Anm. d. Übers.) 72,6 % ihrer Stärke verloren – ein Verlust von 2,19 Mio. Stimmen (Griechenland hatte jetzt 9,96 Mio. Wahlberechtigte, Anm. d. Übers.). Die ND entsprechend hat fast die Hälfte ihrer Stärke und über 1 Mio. Stimmen verloren! SYRIZA ist von 4,6 auf 16,78 % hochgeschnellt und hat über 700.000 neue Stimmen bekommen (von 315.000 2009 auf über 1 Mio. heute)!

Eine politische Szenerie, die seit fast vier Jahrzehnten im Lande herrscht, bricht zusammen. Das griechische Volk hat gezeigt, dass es Widerstand zu leisten und auf den Terror, die Drohungen und die Erpressungen, sei es durch Kräfte im In- oder Ausland, zu antworten weiß. Die Massenkämpfe der letzten beiden Jahre, der harte Widerstand der griechischen Arbeitnehmer hat sich auf die Wahlurne übertragen und das heutige Wahlergebnis ergeben. Ihrerseits kann dieses Ergebnis der Bewegung und den Kämpfen einen neuen Anstoß geben. Die sich abzeichnende Unfähigkeit zur Bildung einer Regierung und die politische Instabilität frieren die Fortsetzung des Angriffs und des Memorandums ein.

Eine „Regierung“ durch Wahlfälschung?

Trotz alledem werden die Leute und die Parteien der Troika und der herrschenden Klasse versuchen, die Regierungsverantwortung zu übernehmen, gestützt auf ein Wahlsystem, das den Volkswillen fälscht,  indem es der stärksten Partei 50 zusätzliche Sitze gibt (laut Wahlgesetz werden von den 300 Parlamentssitzen also nur 250 durch das Volk bestimmt, Anm. d. Übers.), obwohl diese nur eine kleine und schwindende  Minderheit sind! Die Demokratie war nie seit ihrer Einführung (1974 nach dem Sturz der Militärdiktatur, Anm. d. Übers.) mehr verlogen,
betrügerisch und heuchlerisch.

Trotz der augenscheinlichen Wahlverfälschung verfügen ND und PASOK nicht über die notwendige Mehrheit von 151 Parlamentariern (sie haben 108 und 41, insgesamt also 149). (Die ND hat folglich aufgrund ihrer Wählerstimmen nur 58 Sitze gewonnen. Auf 108 kommt sie nur durch die den Volkswillen verfälschenden zusätzlichen 50 Sitze für die stärkste
Partei, Anm. d. Übers.). Deshalb hat das „Kochen“ zur Bildung einer  Regierung der „nationalen Einheit“ mit dem angeblichen Ziel der Neuverhandlung des Memorandums begonnen. (Schon vor der Wahl sprachen die ND von der Notwendigkeit einer „Regierung der Nationalen Rettung“ und die PASOK von einer „Regierung der Nationalen Einheit“ aller „pro-europäischen“ Kräfte. Davon redeten sie auch schon im November 2011, als sie dann unter dieser Bezeichnung die Technokraten-Regierung von Papadimos mit der Beteiligung der Partei LAOS bildeten, die ohne die
Zustimmung des Volkes ins Amt kam, Anm. d. Übers.)

*Die Antwort der Bewegung kann nur eine sein: Wenn sie versuchen, zur Bildung einer irgendwie gearteten solchen Regierung der „nationalen Einheit“ zu schreiten, müssen wir sie durch unsere Kämpfe stürzen! Die Antwort auf die Samaras´se (Antonis Samaras ist der Vorsitzende der ND, Anm. d. Übers.), die Venizelos´se (Eleftherios Venizelos ist der PASOK-Vorsitzende, Anm. d. Übers.) und ihre ehrgeizigen Wasserträger muss sein: Streiks, Besetzungen an den Arbeitsstätten, auf den Plätzen, an Universitäten und Schulen, bis sie stürzen.*

SYRIZA der große Sieger

Der große Sieger der Wahlen ist SYRIZA. Dies ist ein großer Sieg für alle sozialen Bewegungen und allgemein für die Linke, doch auch insbesondere für eine Reihe politischer Positionen, die SYRIZA vorgebracht hat. Außer dem Nein zum Memorandum lässt sich die Stimme für SYRIZA übersetzen in eine massenhafte Volksunterstützung für die Einheitspolitik und die Zusammenarbeit der Linken, eine klare Unterstützung der Perspektive für die Regierungsmacht der Linken. (SYRIZA wendet sich mit dem Vorschlag der Bildung einer Regierung der Linken offensiv sowohl an die KKE als auch an die DIMAR, Anm. d. Übers.)

Die Gefahr des Faschismus kehrt zurück

Doch eine große und sehr ernsthafte Gefahr stellt das Hochschießen bei der Wahl der neonazistischen Organisation „Chrysi Avgi“ („Goldene Morgenröte“) vom Rand zur sechststärksten Partei dar. (Sie ist von 19.600 Stimmen und 0,29 % 2009 auf 440.800 Stimmen und 6,97 % hochgekommen, Anm. d. Übers.) Die 440.000 Leute, die sie gewählt haben,
sind keine Neonazis und sicherlich wollten sie auf diese Weise die ND und LAOS verurteilen, indem sie die „Extremen“ ins Parlament geschickt haben. Doch „Chrysi Avgi“ wird versuchen, dieses Ergebnis zu nutzen, um ihre tatsächlichen Kräfte zu stärken. Diese Perspektive ist eine gewaltige Gefahr für die gesamte Arbeiter- und Volksbewegung und unsere demokratischen Rechte.

Die Linke muss „aufwachen“ angesichts der Gefahr des Faschismus, sie muss ernsthaft das Thema des gemeinsamen Kampfes gegen den aufsteigendenNeofaschismus sehen. Dies ist ein weiterer Faktor für die gemeinsame Aktion und Zusammenarbeit der Linken.

Kampf für eine alternative Gesellschaft

*Heute ist SYRIZA das „Vehikel“, das das griechische Volk auswählt, um die politische Szenerie umzustürzen. Dem Wesen nach und objektiv öffnet sich, d.h. jenseits aller politischer Defizite bei SYRIZA, der Weg für den Kampf für eine alternative Wirtschafts- und Sozialpolitik, d.h. für den Kampf für eine alternative Gesellschaft.

Dieser Kampf muss völlig bewusst geführt werden, mit klaren Zielen, offen vor den Menschen, deren Suche sich in diese Richtung wendet.

Heute beginnt in Wirklichkeit die historische Verantwortung von SYRIZA. Auf die Krise gibt es nur eine Antwort: eine mutige sozialistische Politik.

Die Perspektive der Bildung einer Regierung der Linken in der kommenden Periode ist absolut realistisch. Insbesondere, wenn ND und PASOK damit  scheitern, eine Regierung der „nationalen Einheit“ zu bilden und wir
direkt zu Neuwahlen kommen. In diesem Falle wird die Reaktion des  Kapitals in Griechenland und Europa gewaltig sein – sie werden drohen und sehr wahrscheinlich zum Ausschluss Griechenlands aus dem Euro  schreiten. Gleichzeitig werden sie versuchen, die Wirtschaft zu erwürgen und auf jeden Weise die Regierung zu stürzen.

Unter diesen Umständen wird es zwei Wege geben: Entweder der Sturz der  Macht des Kapitals oder der Kompromiss und der Ausverkauf der Bewegung.

Im Rahmen der Herrschaft des Großkapitals gibt es keine Perspektive und keine Hoffnung. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch die PASOK vor 31 Jahren eine „linke“ Regierung gebildet hat. Ihre Weigerung jedoch, die Macht des Kapitals zu stürzen, hat zur heutigen PASOK des Memorandums geführt.

Die herrschende Klasse spricht, in Panik versetzt, von einer riesigen politischen Krise! Die Troika sieht mit Schrecken die Ergebnisse ihrer „Arbeit“! Den Schrecken, den sie im griechischen Volk gesät haben, haben  ihnen die griechischen Arbeitnehmer zurückgegeben! Die griechische Arbeiterbewegung hat gesagt: Raus mit der Troika, nieder mit ihren  einheimischen Hunden, Sturz des Zweiparteiensystems, Kampf für einen  linken Ausweg aus der Krise. Das bedeutet Kampf für eine alternative sozialistische Gesellschaft. Alles Andere wird ein Aufgeben der Prinzipien und der Proklamationen der Linken bedeuten.

 

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir durch die Mailingliste von http://www.nao-prozess.de/

„Xekinima“ ist dier Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland. Siehe dazu auch sozialismus.info: