Betrieb & Gewerkschaft

Aussetzung des Streiks am Eberswalder Forßmann-Krankenhaus: Rückzug oder Ausweitung?

von Janosch Janglo

5/6-12

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Zum ersten Mal wurde in Eberswalde ein unbefristeter Streik ausgerufen. Seit dem 15. Mai streiken die 770 Beschäftigten des Forßmann-Krankenhauses. Die Urabstimmung hatte eine Zustimmung von 97,4 Prozent für den unbefristeten Streik ergeben.

Größer werdende Kluft

Seit Jahren wird die Schere zwischen den Gehältern der Klinikum Barnim GmbH Beschäftigten und dem Bundesniveau im Gesundheitswesen größer und hat nun mit 11 bis 35 % im Vergleich zum TV-ÖD (Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst) einen Höchststand erreicht. Gegenwärtig erhält eine berufserfahrene Krankenschwester im Klinikum pro Monat bis zu 580 Euro weniger, als eine vergleichbare Fachkraft in anderen Krankenhäusern des Öffentlichen Dienstes.

Damit gehört das Eberswalder Forßmann-Krankenhaus zu den schlechtbezahltesten Krankenhäusern in ganz Brandenburg. Gleichzeitig erreichen die Arbeitsbedingungen in der Klinikum Barnim GmbH einen traurigen Negativrekord mit extrem gestiegenen Leistungsanforderungen, permanentem Personalmangel und Lohnstagnation. Somit sind die Hauptforderungen des Streiks die Angleichung an den TV-ÖD und bessere Arbeitsbedingungen.

Dabei sind die Gesellschafter des Klinikums die Landkreise Barnim und Uckermark und die Stadt Eberswalde. Eben jener Landkreis Barnim, der gerne mal auf dicke Hose macht und sich für läppische 25 Mil. Euro eine neue Kreisverwaltung gönnt. Und auch die Geschäftsführung, die seit Jahren vor allem an den Löhnen und dem Personal spart nur nicht bei sich selbst, erhöhte sich selbst erst kürzlich die Gehälter um satte 16 %, so dass der Geschäftsführer des Gesundheitskonzern GLG (Gesellschaft für Leben und Gesundheit), Kothe-Zimmermann mittlereile ein Monatssalär von mindestens 20.000 Euro sein Eigen nennen kann. Zudem wurde erst gerade vom Personal erwirtschafteten Gewinn für 14,5 Mill. Euro eine Kurklinik im uckermärkischen Wolletz gekauft.

Spalterische Rolle des Marburger Bundes

Auch die Ärzte legten nur eine Woche später die Arbeit nieder, um für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu streiken. Wie aber in vielen Tarifauseinandersetzung an anderen Kliniken zuvor, sollte sich die Klientelgewerkschaft Marburger Bund auch hier von der Geschäftsführung zur Spaltung des Streiks benutzen lassen und sein eigenes Süppchen kochen. Der Streik der Ärzte wurde nach nur einer Woche beendet, man drückte zwar verbal weiterhin seine Solidarität mit dem Streik des Pflegepersonals aus, de facto schwächte man aber die Kampfkraft der Beschäftigten.

Am Ende stand ein Abschluss für die Ärzte von über 6,7 Prozent mit einer Laufzeit von 15 Monaten bis September 2013. Darüber hinaus erhalten die Mediziner eine einmalige Sonderzahlung von 500 Euro (bei Vollzeitbeschäftigung). Damit ist man ganz im Gegensatz zum Pflegepersonal schon bei 98 Prozent des Tariflohnes im Westen – klar, dass Solidarität da schwer fällt!

Und die Linkspartei?

Eine pikante Rolle beim Streik sollte die Linkspartei spielen, die ja auf Bundesebene vorgibt, noch immer für die sozialen Rechte der Lohnabhängigen zu kämpfen. Mit der Landtagsabgeordneten Margitta Mächtig saß als Mitglied des Kreistages auch jemand von jener Partei im Aufsichtsrat der GLG. Kritisch sah man die Lohnpolitik des Unternehmens erst, als man auf der Forumsseite des Lokalblattes „Märkische Oderzeitung“ öffentlich dafür kritisiert wurde, dass die Linkspartei den Streik bisher nicht unterstütze.

Dabei waren doch die miserable Bezahlung und die noch mieseren Arbeitsbedingungen mindestens seit den Warnstreiks am 21. und 27. März bekannt, wenn man sich schon vorher dafür nicht interessierte. Auch ließ sich von den über 500 Mitgliedern der Partei nicht ein Einziges zur Unterstützung der Aktionen der Streikenden blicken. So scheiterte mangels UnterstützerInnen auch die Gründung eines Solidaritätskomitees, das wichtig gewesen wäre, um die Streikenden bei Ihrem ersten Streik zu unterstützen.

Druck

Denn nicht nur die fehlende Erfahrung drückte auf die Stimmung, sondern auch das hohe finanzielle Risiko mit nur 67 % Streikgeld, an dem einige zu knappern hatten. Zusätzlich versuchte die Geschäftsführung die Streikenden mit Spitzel-Methoden einzuschüchtern: über „you tube“ und veröffentlichte Fotos wurden Streikende ausgespäht und Ihnen die Gehälter gekürzt.

Damit reagierte sie auf den wirtschaftlichen Druck der mittlerweile auf 200.000 Euro Verlust pro Tag durch OP-Ausfall und nicht belegte Betten angewachsen war. Versuchte man das anfangs noch gelassen-arrogant wegzugrinsen, wurde der Ton rauer und man versuchte den Druck auf die Beschäftigten z. B. über Landrat und Bürgermeister zu erhöhen. Hatte die Geschäftsführung zuletzt 6,7 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von zwei Jahren angeboten, wurde gestern der Tarifkommission 7,5 Prozent mehr in ab 1. Juli und 2,5 Prozent mehr ab 1. April 2013 bei einer Laufzeit bis September 2013 auf den Tisch gepackt sowie eine anteilige Einmalzahlung von 400 Euro. Die Verhandlungskommission der Streikenden entschied, den Streik ab heute, den 6. Juni, auszusetzen. Tag 22 wird damit vorerst der letzte Streiktag des Pflegepersonals sein.

Am Donnerstag und Freitag findet die Urabstimmung statt, bei der nur 25 Prozent aller Ver.di-Mitglieder zustimmen müssen, damit der Streik endgültig beendet ist. Das jetzige Ergebnis der Tarifverhandlungen ist eine große Enttäuschung für das Pflegepersonal, das sich aufgrund des krassen Lohnabstandes zum TV-ÖD weit mehr erhofft hatte. Noch am Montag wurde ein fast ähnliches Angebot von der Ver.di-Mitgliederversammlung abgelehnt.

Urabstimmung

Da ein Teil der Belegschaft lieber den Spatzen in der Hand hat und ver.di keine längerfristige Kampfperspektive bietet, ist zu befürchten, dass sich bei der Urabstimmung schon 25 % Zustimmung finden.

Dabei ließe sich der Druck auf die Geschäftsführung deutlich erhöhen können, da zu der GLG noch weitere Krankenhäuser in Angermünde und Prenzlau gehören, die ähnlich beschissen bezahlt werden. Auch im landeseigenen Gropius-Klinikum soll ein Streik kurz bevorstehen. Eine Ausweitung der Streikfront könnte ganz sicherlich ein ganz anderes Ergebnis für die Beschäftigten erzielen.

Dazu müsste Ver.di aber diesen gemeinsamen Kampf organisieren, aktiv voranbringen. Davon ist beim Gewerkschaftsapparat freilich nichts zu sehen – schließlich wurde auch am Forßmann-Krankenhaus ganze 20 Jahre zugesehen, wie Beschäftigte ausgebeutet wurden und die Betreuungsstandards auf Kosten der PatientInnen beinahe auf „Lazarett-Niveau“ abgesenkt wurden.

Ein NEIN in der Urabstimmung muss daher damit verbunden werden, dass eine solche Kampffront im gesamten GLG und anderen Krankenhäusern aufgebaut wird. Zur öffentlichen Unterstützung müsste ein überregionales Solidaritätskomitee gebildet werden. Offenkundig können sich die Beschäftigten nicht darauf verlassen, dass ver.di-Führung all das schon in die Hand nehmen wird.

Im Gegenteil: Notwendig ist, dass der Kampf, dass die Gewerkschaft und die Kampftaktik von der Basis kontrolliert und bestimmt werden. Dazu sind regelmäßige Versammlungen in den Abteilungen notwendig, von denen die Streikleitung und Tarifkommission gewählt, kontrolliert und, wenn nötig abgewählt werden.

Sollte die Urabstimmung zu einer Beendigung des Arbeitskampfes führen – was leicht möglich ist -, so geht es vor allem darum, dass die Streikenden den Kampf auswerten, weiter im Rahmen der Betriebsgruppe und als Basisstruktur aktiv bleiben – und die nächste Auseinandersetzung von unten vorbereiten.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel durch:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 625
6. Juni 2012

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