Jungle World: Vom Blühen zum Blähen.
15 Jahre sind genug.

Ein Kommentar aus aktuellem Anlass

von Karl Mueller

5/6-12

trend
onlinezeitung

In der Jungle World Nr. 24 vom 14. Juni 2012 erschien nebenstehender Artikel, den wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten wollen, gibt er doch Anlass, ein wenig über Sinn und Zweck jener Wochenzeitung nachzudenken, die 1997 mit dem Anspruch gestartet war, die JUNGLE WORLD mit einem "linkspluralistischen Kurs", der ein breites linkes Spektrum abbilden will, auf den Weg zu bringen (Berliner Zeitung vom 23.5.1997).

Das Spektrum der ZeitungsgründerInnen reichte von Jürgen Elsässer über Ivo Bozic bis Elke Wittich und schien die vom geschaßten Chefredakteur der JUNGEN WELT  Behnke ausgegebene neue Linie zu garantieren. Die Zeitung ging an den Start und kräftig aus dem undogmatischen Spektrum - auch von TREND -  unterstützt, konnte sie sich am Markt verankern.

Doch Behnkes here Worte trügten: Die Ereignisse des 11. September 2001 lieferten die Begründung für die sich damals schleichend andeutende Außerkraftsetzung dieses  "linkspluralistischen Kurs". Seitdem verkam  die JUNGLE WORLD zu einer ideologischen Leitversion der "anti"deutschen BAHAMAS, was Robert Kurz bereits 2002 zu dem Ausspruch veranlasste: "Wo´s eine solche Linke gibt, braucht´s keine Rechte mehr."

In diesem Sinne war es nur konsequent, dass JUNGLE WORLD Autor Stefan Wirner im 10. Jahr des Bestehens seiner Zeitung einen diffamierenden Artikel über die G8-Proteste in Springers Welt abließ, was damals  Peter Nowak veranlasste zu fragen, "ob der Weg von der Jungle World zur Jungle Welt noch aufzuhalten ist."

Ich denke, diese Frage wurde  in den letzten fünf Jahren hinlänglich beantwortet. Nämlich mit Nein. Das von Wolfgang Neuss stammende geflügelte Wort "Teutsch sein, heisst Rapunzel sein, nicht blühen, sondern blähen. könnte den heutigen Zustand er JUNGLE WORLD nicht besser beschreiben.

Selbst kurze Blähungen führen oft zu unerträglichem Gestank. Von dieser Qualität ist Evelyn Tietzes Artikel, wo sie - auf jegliche intellektuellen Mühen verzichtend, durch welche eine seriöse Berichterstattung sich auszeichnet -  meinte,  die werte  "Jungle"-LeserInnenschaft  mal wieder richtig erschrecken zu müssen. In diesem Sinne lieferte sie ein mit angeblichen Fakten aufgepepptes Summary der "anti"deutschen  Stellungnahme zu den Vorfällen während der Streetparade zur Befreiung Neuköllns 2012.

Auch wir werden in Tietzes "Beweis"führung eingebaut, indem sie den LeserInnen glauben machen will, wir hätten die Gruppe "Zusammen Kämpfen" (ZK) als "selbsternannten Saalschutz" akzeptiert, als wir im Dezember 2011 eine Teach-In zur reaktionären "anti"deutschen Ideologie im Berliner Mehringhof mit 200 TeilnehmerInnen durchführten. Ihr paranoider Beweis: Da hätten welche Handschuhe aus der Hose hängen lassen.

Eine klärende Rückfrage bei uns als den VeranstalterInnen hätte dagegen nur die Information geliefert, dass es eine sowohl sachliche als auch inhaltliche zugespitzte Veranstaltung war. So eine Antwort hätte nun so gar nicht ins liebgewordene Feindbild gepasst.

Viel besser skandalisiert es sich dagegen mit einer Geschichte vom Pfefferspray. 

Tatsächlich wurde auf dieser "anti"deutschen Propaganda-Demo am 28. April 2012 im Neuköllner Norden gesprüht. Ob als Angriff oder zur Verteidigung, darüber laufen die Berichte bekanntlich auseinander. Von daher lässt sich bei einigem Wohlwollen noch nachempfinden, wenn man wie Tietze - sowieso nicht an der Wahrheit interessiert - sich bei der Täter-Opfer- Rollenverteilung auf die Seite der JUNGLE WORLD Kundenschaft schlägt.

Eine zweckdienliche Recherche im Neuköllner Kiez hätte freilich schnell zutage gefördert, dass die vermeindlich pfeffersprayende Person  weder Symphantisant geschweige denn ZK-Mitglied ist.(1)

Evelyn Tietze:
Streit unter Berliner Antifa-Gruppen      
Die Zugezogenen machen Ärger

Unter Berliner Antifaschisten kommt es zuweilen zu handfesten Auseinandersetzungen. Die Gruppe »Zusammen Kämpfen« tut sich bei dem andauernden Konflikt besonders hervor.

Ein Krankenhausaufenthalt und mehrere Verletzte durch den Einsatz von Pfefferspray – das waren die Folgen einer »antifaschistischen Streetparade«, die Ende April zum Jahrestag der Befreiung des Berliner Bezirks Neukölln vom Nationalsozialismus stattfand. Doch nicht etwa die anwesenden Polizeibeamten waren dafür verantwortlich, dass die Demonstration für einige Teilnehmer unangenehm ausging, es handelte sich auch nicht um einen Angriff von Nazis. Ein der Demonstration alles andere als wohlgesonnener Klassenkämpfer hatte zum Pfefferspray gegriffen.

Dies war einer von mehreren Vorfällen in den vergangenen Monaten in Berlin, bei denen antifaschistische Gruppen innerlinke Konflikte austrugen. Zwei Wochen zuvor war beispielsweise dem Träger eines Israel-Shirts vor einer linken Kneipe im Stadtteil Friedrichshain die Nase gebrochen worden. Bereits einige Wochen zuvor waren israelsolidarische Besucher einer Antifa-Party mit Flaschen und Teleskopschlagstöcken angegriffen worden. Neben diesen überaus gewalttätigen Vorfällen gibt es seit längerem Einschüchterungsversuche gegen Menschen, die von den Angreifern als »antideutsch« eingeordnet werden. Auf der Demonstration gegen den Papstbesuch im September 2011 bedrohten Teilnehmer den »Block der Gesichtslosen«, der sich für Opfer sexueller Übergriffe einsetzte, und unterbrachen Redebeiträge mit »Viva Palästina«-Rufen.

Eine prominente Rolle bei diesen Auseinandersetzungen spielt die seit 2010 bestehende Gruppe »Zusammen Kämpfen« (ZK), die während der Parade in Neukölln auch Flugblätter verteilte, auf denen zum Widerstand gegen die Demonstration aufgerufen wurde mit der Begründung: »Diese Leute dort sind keine ›Linken‹. Es sind die willigen, kleinbürgerlichen, deutschen Verteidiger der Ideen der Imperialisten, Zionisten und anderer Kriegstreiber. Es sind Freunde des Kapitalismus und Feinde des Volkes und der lohnabhängigen Klasse.« 2010 hatte ZK ebenfalls schon versucht, Passanten gegen die »Streetparade« aufzuhetzen.

Die Gruppe machte erstmals 2008 in Magdeburg von sich reden. Sie ging aus der »Gruppe internationale Solidarität«, der Antifaschistischen Aktion Magdeburg und der Frauengruppe Magdeburg hervor und griff damals mehrfach israel­solidarische Antifaschisten tätlich an. ZK-Mitglieder attackierten Veranstaltungen und Privatwohnungen ihrer Gegner mit Pflastersteinen und Pfefferspray und verprügelten einen Teilnehmer der Kundgebung zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. In einem Interview mit der Jungen Welt hatte die »Gruppe internationale Solidarität« 2007 gesagt, zugezogene Antideutsche seien ein Problem, dessen man sich annehmen müsse. Nach dem Umzug einiger ZK-Mitglieder nach Berlin und Stuttgart gründeten sich dort weitere Ableger, die derselben Ideologie anhängen. Auch in Duisburg und Cottbus gibt es Nachahmer. Diese werden von den drei Kerngruppen jedoch nicht als Teil der Organisation anerkannt, obwohl keine großen ideologischen Unterschiede bestehen.

Die Texte der Berliner ZK-Gruppe erinnern an Verlautbarungen des »Roten Frontkämpferbundes« aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ein zentrales Thema ist der Klassendualismus, der als Erklärung für sämtliche Probleme herangezogen wird. Neben der großen pro­letarischen Revolution ist beispielsweise auch der Rassismus für ZK eine Frage der Klasse: »Den Rassismus lehnen wir von Grund auf ab, da er die Klasse anhand konstruierter kultureller und ethnischer Kriterien spaltet und so letztendlich nur den Herrschenden dient.«

Ein weiteres wichtiges Anliegen von ZK ist der Antiimperialismus und die damit verbundene Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen. Die Gruppe stellt ihre »internationale Solidarität« zur Schau, indem sie regelmäßig Palästina-Fahnen schwenkt, wie auf der jüngsten Demonstration während der »Walpurgisnacht« in Berlin-Wedding, auf der auch ein Hinweis der Veranstalter, dass Nationalfahnen unerwünscht seien, sie nicht davon abbringen konnte. Im August 2011 nahmen Vertreter von ZK am antisemitischen al-Quds-Marsch durch Berlin teil, auf dem Anhänger des iranischen Regimes, der Hizbollah und der türkischen »Grauen Wölfe« für die Vernichtung Israels demonstrierten.

Ausgehend von dieser Ideologie kämpfen die Mitglieder der Gruppe zusammen nicht nur gegen ihre Hauptgegner, also Linke, die ihre Solidarität mit Israel bekunden, sondern auch gegen alle, die sie als »Gentrifizierer« wahrnehmen: Hipster, Studenten, Künstler, Touristen, Zugezogene, Menschen mit hohem Einkommen. Seit dem Bestehen der Gruppe tauchen im Neuköllner Schillerkiez, den ZK stolz als einen der »regionalen Politschwerpunkte« ansieht, regelmäßig entsprechende Aufschriften an Hauswänden auf.

Andere linke und antifaschistische Gruppen drücken sich um eindeutige Stellungnahmen in der Auseinandersetzung. Stattdessen luden beispielsweise die »North East Antifascists« im Dezember zu einer Veranstaltung im Mehringhof, die den Konflikt weiter befeuerte. Im Aufruf der »Trend-Onlinezeitung« zu der Veranstaltung mit dem Titel »Rechtspopulismus und die Linke« hieß es: »Mit ihrer ›Ausländer raus!‹-Ideologie und ihrem dezidierten Hass auf alles Linke, vor allem jedoch auf die Antifa, kann man die Antideutschen getrost dem rechten Lager zuordnen.« Einige Mitglieder von ZK waren anwesend und setzten sich als selbsternannter Saalschutz in Szene, aus den Hosentaschen herausbaumelnde Handschuhe sollten wohl die Bereitschaft signalisieren, tätlich gegen kritische Stimmen vorzugehen. Die »Antifaschistische Linke Berlin« und die »Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin« scheinen ZK trotz aller Vorkommnisse gern als Bündnispartner zu akzeptieren, so etwa bei der Demonstration am Frauentag 2011.

Die »Lautigruppe« hat als einziger Berliner Zusammenschluss öffentlich erklärt, jegliche Kooperation mit ZK wegen des unsolidarischen und gewalttätigen Verhaltens einzustellen. Bisher haben weitere Gruppen sich dem nicht angeschlossen. Die Veranstalter der »Streetparade« durch Neukölln fordern zwar den »Ausschluss von ZK aus allen linken Strukturen«. Doch da selbst ein Angriff mit Pfefferspray und andere handfeste Attacken nicht zu einem solchen Ausschluss geführt haben, dürfte auch diese Forderung ignoriert werden.

Dass Evelyn Tietze die antiimperialistische Linie von ZK nicht mag, ist ihr gutes Recht. Und wenn sie durch deren Verlautbarungen an den Roten Frontkämpferbundes aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erinnert wird, darf sich ihr antikommunistischer Magen ruhig umdrehen. Durch dieses selbstverschuldete Unwohlsein wird aber keineswegs legitimiert, die ideologische Auseinandersetzung mit der Gruppe ZK im Stile eines Verfassungsschutzberichts mit auf diese Gruppe gemünzten xenophobischen Topoi (sie kamen aus Magdeburg, um in Berlin und anderswo Unheil zu stiften) zu führen.

Die Jungle World war 1997 aus damaliger Sicht eine adäquate Antwort auf eine JUNGE WELT, die tatsächlich Gefahr lief,  in DDR-Nostalgie zu versacken. Mit einer Auflage von 16.000 pro Woche hat sich die JUNGLE WORLD nach 15 Jahren ihrer Existenz am Markt etablieren können. Die JUNGE WELT hat heute eine tägliche Auflage von 17.000. Durch die Existenz der JUNGLE WORLD ist sie in keinem Fall gefährdet, was durchaus damals im Kalkül der JUNGLE WORLD-GründerInnen gelegen hat.

Schaue ich mir die politisch-ideologische Entwicklung  beider Zeitungsprojekte in diesen 15 Jahren unter dem Blickwinkel der Klassenorientierung an, dann fällt mir die Antwort nicht schwer:

JUNGE WELT weitermachen und besser werden - JUNGLE WORLD 15 Jahre sind genug!

1) Siehe dazu auch in dieser Ausgabe:

Berlin-Neukölln am 28.4.2012
Bericht über eine unerfreulichere Veranstaltung
von der Gruppe "Zusammen Kämpfen" und weiterführendes Material